628. Hans Bär.

[472] Es war einmal eine Frau, die hatte einen zahmen Bären, mit dem machte sie sich so vertraut, daß sie zuletzt einen Knaben von ihm gebar, und weil der einen Bären zum Vater hatte, so nannte sie ihn Hans Bär. Als Hans was älter wurde, wurde er so stark und widerspenstig gegen sie, daß sie ihn zuletzt von sich wegjagte, und er mußte sehen, wie er sich durchschlug. Er ging in die Stadt und fragte hier und dort an, ob ihn niemand als Knecht gebrauchen könne, aber weil er so häßlich aussah, sagte jeder nein. Zuletzt, als er fast die ganze Stadt durchgelaufen war, kam er zu einem vornehmen Mann, das war ein Zauberer, den fragte er, ob er nicht einen Knecht nötig hätte. Ja, sagte der, wenn er nicht lesen noch schreiben könne, dann könne er ihn wohl gebrauchen. »Lesen und schreiben?« sprach Hans, »was ist das für Zeug? Kann man das auch essen?« Lesen und schreiben konnte er aber echt, aber er merkte wohl, daß der Zauberer so einen nicht gebrauchen könne, darum stellte er sich so dumm. Als sie nun über den Lohn miteinander einig waren, sprach der Zauberer zu ihm:[472] »Komm Hans, jetzt will ich dir auch deine Arbeit zeigen«, und ging mit ihm in ein Zimmer und brachte dort ein überaus großes Buch hervor, sprach und wies auf das Buch: »Mehr hast du nicht zu tun, als dies Buch rein zu halten; aber du mußt es alle Tage einmal ausstäuben.« »Ganz gut«, sagte Hans, »das soll geschehen!« Nun stand in dem Buche aber nichts anderes als des Zauberers Künste. Hans der fing an zu blättern, zu reinigen und zu lesen und lernte von den Künsten so viel, daß er es schon grade so gut konnte wie der beste, ehe der Herr gewahr wurde, daß er lesen konnte. Nun war Hans einst grade fleißig am Lesen, als der Herr darüber zukam. Der Zauberer, als er das sah, verwandelte sich flugs in Wolfsgestalt, um ihn aufzufressen. Hans machte sich zum Bären, der Zauberer sich zum Löwen. Hans kannte nun kein Tier, das den Löwen bezwingen konnte, und machte sich zum Roggenkorn, der Zauberer sich zum Hahne, um das Korn aufzupicken. Im Augenblick machte Hans sich zum Fuchs und biß dem Hahne den Kopf ab. Nun war der Zauberer tot. Hans machte sich wieder zum Menschen und eilte, daß er wegkam, das große Buch unterm Arm, ehe die andern Diener merkten, was geschehen war. Nun hörte er, daß an einer anderen Stelle auch ein Zauberer war, der, wenn er seine Diener eine Zeitlang gehabt hatte und sie bezahlen mußte, sie ermordete. »Aha«, sprach Hans zu sich selbst, »zu dem muß ich einmal hin und sehen, ob ich dem Kerl das nicht ablehren kann!« Er also hin und wurde auch eins, zwei, drei mit ihm um den Lohn fertig. Als der Herr ihn nun eine Zeitlang gehabt hatte und die Zeit herankam, wo er ihn bezahlen mußte, sann er schon darauf, wie er ihm von der Welt helfen wollte, denn Hans hatte sich so bei ihm vermietet, daß er sterben müsse, wenn er nicht alles tun könne, was der Herr ihm befehle. Nun befahl er ihm des Abends, am andern Morgen um acht Uhr müsse er den Baum, den er ihm bezeichnete, vor der Tür haben. »Gut«, sprach Hans, »das soll geschehen.« Die anderen Knechte, die auch Holz holen mußten, spannten morgens ganz zeitig an; aber Hans blieb noch ruhig liegen und kehrte sich an nichts. Da sprachen die Knechte einer zum andern: »Unseren Hans wird es heute das Leben kosten, denn er kann unmöglich noch um acht Uhr mit dem dicken Baume vor der Tür sein.« Hans vom Bette ab, die Pferde vor den Wagen und das zur Stelle hin, wo der Baum[473] stand. Als er zum Busche kam, hatten die andern ihr Holz schon auf dem Wagen. Hans packte seinen Baum an, riß ihn mit Wurzeln und Zweigen, alles miteinander, aus und warf ihn auf den Wagen. Aber nun konnten ihn die Pferde nicht ziehen. Er also ohne langes Besinnen packte die Pferde auch noch hinauf, spannte sich selbst davor und war noch lange vor den anderen mit dem Holze vor dem Hause.

Da sagte der Herr zu seiner Frau: »Was befehle ich ihm jetzt, daß er nicht tun kann? Ich fürchte, er kann alles, und wir werden ihn nicht los.« »Befiehl du ihm, daß er jenen dicken Baum da nächsten Morgen umhaut, und dazu gib ihm eine hölzerne Axt; das kann er gewiß nicht.« Abends befahl ihm der Herr und sprach: »Morgen früh um acht Uhr hast du mir jenen Baum da umgeschlagen mit dieser Axt hier!« und reichte ihm eine hölzerne. »Daran soll nichts fehlen«, antwortete Hans. Am andern Morgen tat er nur drei Schläge, und durch seine Kraft und Zauberkunst fing der Baum an zu krachen und zu fallen, als wenn die Welt vergehen sollte, und fiel auf des Zauberers Haus, daß es halb niederfiel. »Was nun für Rat?« sagte der Zauberer zu seiner Frau, »wir kommen ins Unglück mit unserm Hans; das halbe Haus haben wir schon unter den Füßen und sind seiner noch nicht ledig; wie werden wir ihn los?« »Laß ihn Hasen weiden, die laufen ihm doch sicher fort; dann kommt er ohne alles wieder an, und du kannst ihn los werden.« Abends befahl nun der Zauberer meinem Hans und sprach: »Morgen sollst du unsere Hasen weiden, aber paß auf, daß dir keiner von den hundert wegläuft!« »Das soll ganz genau besorgt werden«, antwortete Hans.

Andern Morgens trieb er mit seiner Herde Hasen nach der Weide hin. Die Hasen tanzten und sprangen wie kleine Lämmer und waren so froh, daß sie einmal hinauskamen, und so mutwillig, als wenn sie alles zu sagen hätten. Nun hatte der Zauberer, bei dem Haus zuerst gewesen war, ihm eine Pfeife geschenkt, weil er sein Zauberbuch so rein gehalten hatte, und die Pfeife hatte die Kraft an sich, daß alle, die ihren Klang hörten, nicht weglaufen konnten. Als die Hasen sich müde und satt getanzt und gesprungen hatten, wollten sie auch einmal ganz weglaufen. Tüdelüt! Tüdelüt! blies er nur auf seiner Pfeife, und im Augenblick waren sie wieder da. Der Zauberer sah aus seinem Fenster, daß dem Hans nicht ein[474] einziger Hase wegrannte, und schickte seine Tochter zu ihm, die sollte ihm einen Hasen abkaufen, wenn sie sonst keinen bekommen könne. Die Tochter zog andere Kleider an, damit Hans sie nicht kenne, kam zu ihm und sagte: »Gottes Kreuz! Was hast du da für niedliche Hasen, schenk mir einen!« »Da wär ich ja ein Narr oder würd einer; als das Kaufen aufkam, ist das Schenken abgekommen!« antwortete Hans. »Nun, was willst du denn haben für einen?« »Zehn goldene Pistolen, wenn du mir die gibst, kannst du einen bekommen.« »Nun«, sagte das Mädchen, »wenns nicht anders sein kann, dann setze mir nur einen in die Schürze.« Hans setzte ihr einen in die Schürze, sie gab ihm das Geld und ging fort und war guter Dinge, daß sie ihn so angeführt hatte. Sie war noch nicht weit, tüdelüt! machte Hans auf seiner Pfeife, und wups! sprang der Hase ihr aus der Schürze und wieder nach der Herde hin. Da kam sie wieder an und weinte ihre betrübten Tränen und sagte, der Hase, den er ihr verkauft habe, sei ihr aus der Schürze gesprungen und wieder nach der Herde gerannt. »Das geht mich nichts an, ich hab ihn dir in die Schürze gegeben, du hättest ihn halten sollen.« Sie mochte hüpfen und springen und sich anstellen, wie sie wollte, sie konnte den Hasen nicht wieder bekommen und auch keinen kaufen und mußte mit nichts wieder nach Hause.

Abends kam Hans hübsch und nett mit seinen Hasen wieder angetrieben, brachte sie in den Stall und war gutes Mutes. Nun wußte der Zauberer nichts mehr, was er Hans aufgeben solle, was der nicht tun könne, und los werden wollte er ihn. »Hör, Hans«, sagte er am andern Morgen, »ich kann dich nicht länger gebrauchen, was mußt du haben?« »Ach, für die kurze Zeit, was soll ich viel dafür nehmen? Ich will kein Geld haben, sondern ich will euch dafür dreimal hintenvor schlagen.« »Das muß darauf an«, sagte der Zauberer, »dann schlag nur zu!« Nun gab ihm Hans seiner Meinung nach einen ganz sanften Schlag, daß er wohl zehn Schritte wegstob. »Heß, was war der aber stark!« sagte der Zauberer. »Das war mein stärkster noch lange nicht«, antwortete Hans, »das muß noch ganz anders kommen.« Darauf spannte er seine ganze Kraft an, so viel er hatte, und der Zauberer stob so weit weg, daß er erst am dritten Tage wieder kam. Da sagte der Zauberer: »Das Schlagen kann ich nicht länger aushalten, was soll ich dir geben, daß du mir[475] den dritten schenkst und dann nur weggehst?« »Je nun, auch gut! Dann sollst du mir geben eine Fiedel, wenn ich darauf spiele, daß alles tanzet, was den Klang hört, und ein Rohr, mit dem ich alles schießen kann, was ich nur will, und zum dritten, daß mir niemand eine Bitte abschlagen kann.«

Dies geschieht, und es folgt nun die Geschichte vom Juden im Dorn, Grimm Nr. 110. – (Scharrel.)

Quelle:
Ludwig Strackerjan: Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg 1–2, Band 2, Oldenburg 21909, S. 472-476.
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