XIV. Der Erlöser.

[244] Als Balzac mir meinen erhabenen Landsmann Emanuel Swedenborg, den »Buddha des Nordens«, durch Seraphitas Vermittelung vorstellte, hat er mich die evangelistische Seite des Propheten kennen gelehrt. Jetzt ist es das Gesetz, das mich trifft, vernichtet und erlöst.

Durch ein Wort, ein einziges, wird es Licht in meiner Seele, und zerstoben sind die Zweifel und nichtigen Grübeleien über eingebildete Feinde, Elektriker, Schwarzkünstler ... und dieses kleine Wort ist: Devastatio. Alles, was mir geschehen war, finde ich bei Swedenborg wieder; die Angstgefühle (angina pectoris), Brustbeklemmung und Herzklopfen, der Gürtel, den ich »elektrisch« nannte, alles trifft zu, und die Gesamtheit dieser Phänomene bildet die geistige Reinigung, die schon dem hl. Paulus bekannt war, wie dies aus seinen Briefen an die Korinther und an Timotheus hervorgeht. »Ich habe beschlossen, einen solchen Menschen dem Satan zu übergeben, zum Verderben des Fleisches, auf daß der Geist selig werde am Tage des Herrn Jesu!« – und: »Unter welchen ist Hymenaeus und Alexander, welche ich habe dem Satan gegeben, daß sie gezüchtigt werden, nicht mehr zu lästern.«

Als ich die Träume Swedenborgs von 1744 lese, dem Jahre, das seinen Verbindungen mit der unsichtbaren Welt vorausgeht, entdecke ich, daß der Prophet dieselben[245] nächtlichen Qualen erduldet hat, die ich erlitten habe, und was mich noch mehr in Erstaunen setzt, ist die vollkommene Gleichartigkeit der Symptome, welche über den Charakter meiner Krankheit keinen Zweifel mehr übrigläßt.

In Arcana Coelestia erklären sich die Rätsel der letzten zwei Jahre mit einer so zwingenden Genauigkeit, daß ich, das Kind des berühmten 19. Jahrhunderts, der unerschütterlichen Überzeugung werde, daß es die Hölle wirklich gibt, jedoch hier auf Erden selbst, und daß ich eben aus ihr komme.

Swedenborg erklärt mir die Ursache meines Aufenthaltes im Hospital Saint-Louis und zwar so: Die Alchimisten werden von der Lepra ergriffen und kratzen sich den Schorf wie Fischschuppen ab. Es ist dies eine unheilbare Hautkrankheit.

Swedenborg deutet mir den Sinn der hundert Aborte im Hotel Orfila; sie bilden die Kothölle. Auch der Schornsteinfeger, den meine Tochter in Österreich gesehen hat, findet sich wieder. »Unter den Geistern gibt es eine Art des Namens Schornsteinfeger, so genannt, weil sie wirklich rauchgeschwärzte Gesichter haben und rußfarbene Kleider zu tragen scheinen ... Einer dieser Schornsteinfeger-Geister kam zu mir und drang inständig in mich, für ihn zu beten, daß er in den Himmel aufgenommen würde; ich glaube nicht, sagte er, irgend etwas getan zu haben, das mich davon ausschließt. Ich habe den Bewohnern der Erde manchen Verweis gegeben, aber ich habe immer dem Verweise und der Bestrafung die Belehrung folgen lassen ...«[246]

»Die tadelnden, verbessernden oder belehrenden Geister treten den Menschen von der linken Seite aus an, neigen sich nach dem Rücken, und da schlagen sie in dem Buch seines Gedächtnisses nach und lesen darin seine Werke, ja selbst seine Gedanken; denn wenn ein Geist in einen Menschen eindringt, so bemächtigt er sich zuerst seines Gedächtnisses. Wenn sie irgendeine böse Handlung oder die Absicht zu einer solchen sehen, so bestrafen sie ihn durch einen Schmerz im Fuß oder in der Hand (!) oder in der Nähe der Magengegend, und sie tun dies mit einer beispiellosen Geschicklichkeit. Ein Schauder kündet ihr Nahen an.«

»Außer Gliederschmerzen wenden sie noch ein schmerzhaftes Drücken gegen den Nabel an, als ob einem ein stachliger Gürtel umgelegt würde, ferner zeitweilige Brustbeklemmungen, die sie bis zur Todesangst treiben, endlich tagelang anhaltenden Ekel vor allen Speisen außer Brot.«

»Andere Geister bemühen sich, ihr Opfer vom Gegenteil dessen zu überzeugen, was die belehrenden Geister gesagt haben. Diese widersprechenden Geister sind in ihrem Erdendasein wegen ihrer Ruchlosigkeit aus der Gesellschaft verbannte Menschen gewesen. Man erkennt ihr Herannahen an einem fliegenden Feuer, das am Gesicht herabzugleiten scheint; ihr Platz ist oberhalb des Rückens, von wo aus sie sich nach den einzelnen Teilen hin vernehmbar machen.«

(Diese fliegenden Feuer oder Funken haben sich mir zweimal und immer in Augenblicken gezeigt, wo ich mich[247] gegen mein besseres Selbst auflehnte und alle Erscheinungen als leere Träume verwarf.)

»Sie predigen, den belehrenden Geistern nicht zu glauben, was diese im angeblichen Auftrag der Engel gesagt haben, und sein Betragen ja nicht nach den Lehren dieser Geister zu richten, sondern in aller Freiheit und Zügellosigkeit nach seinem Gutdünken zu leben. Gewöhnlich kommen sie, sobald die andern sich entfernt haben. Die Menschen wissen, was sie von ihnen zu halten haben, und beunruhigen sich nicht viel über sie, aber sie lernen dadurch den Unterschied zwischen Gut und Böse kennen. Denn man erwirbt die Erkenntnis des Guten am ersten durch die seines Gegenteils, wie sich eine jegliche Wahrnehmung oder Idee einer Sache auf die verschiedenartigste Betrachtung dessen gründet, was sie von ihrem Gegenteil unterscheidet.«

Der Leser erinnert sich der – antiken Skulpturen ähnlichen – Gesichter, die ich aus dem weißen Überzug meines Kopfkissens im Hotel Orfila sich habe bilden sehen. Swedenborg sagt darüber folgendes: »Zwei Zeichen lassen erkennen, daß sie (die Geister) bei einem Menschen weilen; das eine ist ein Greis mit weißem Gesicht; dieses Zeichen will ihm bedeuten, stets nur die Wahrheit zu sagen und gerecht zu handeln ... Ich selbst habe solch ein antikes menschliches Antlitz gesehen ... Es sind Gesichter von schimmernder Weiße und großer Schönheit, aus denen zugleich Aufrichtigkeit und Bescheidenheit leuchten.«

(Um den Leser nicht zu erschrecken, habe ich absichtlich verhehlt, daß sich all dies Obige auf die Bewohner[248] des Jupiter bezieht. Man stelle sich nun meine Überraschung vor, als man mir eines Frühlingstages eine Revue bringt, welche das Haus Swedenborgs auf dem Planeten Jupiter, von Viktorien Sardou gezeichnet, zeigt. Zunächst: Warum auf dem Jupiter? Welch merkwürdiges Zusammentreffen! Und hat der Meister und Älteste der französischen Komödie beobachtet, daß, in genügender Entfernung betrachtet, die linke Fassade ein antikes menschliches Gesicht bildet? Dieses Gesicht ist das meines Kopfkissens! Aber in der Zeichnung Sardous gibt es noch mehr solche durch das Spiel der Linien geschaffene menschliche Bilder.

Ist die Hand des Meisters von einer andern Hand geführt worden, so daß er mehr gegeben hat, als er selbst wußte?)

Wo hat Swedenborg diese Himmel und Höllen gesehen? Sind es Visionen, Intuitionen, Inspirationen? Ich wüßte es nicht zu sagen, aber die Verwandtschaft seiner Hölle mit der des Dante, der griechischen und römischen und der germanischen Mythologie führt zum Glauben, daß die Mächte sich immer ungefähr gleichartiger Mittel zur Verwirklichung ihrer Absichten bedient haben. Und diese Absichten? Die Vervollkommnung des menschlichen Typus, die Erzeugung des höheren Menschen. Der Übermensch, wie ihn Nietzsche, jene vor der Zeit verbrauchte und ins Feuer geworfene Zuchtrute, voraus verkündet hat.

So richtet sich also das Problem von Gut und Böse wieder auf, und die moralische Gleichgültigkeit eines Taine fällt, als eine Plattheit, vor neuen Forderungen.[249]

Die nächste Folge davon ist die Annahme von Dämonen. Was sind Dämonen? Sobald wir die Unsterblichkeit eingestanden haben, sind die Toten nichts als Überlebende, welche ihre Beziehungen zu den Lebendigen fortsetzen. Die bösen Geister sind also nicht böse, denn ihr Zweck ist gut, und es wäre besser, sie mit Swedenborg verbessernde Geister zu nennen, als sich Furcht und Verzweiflung hinzugeben.

Den Teufel, als selbständige und Gott gleiche Macht, gibt es demnach nicht, und die unleugbare Erscheinung des Bösen in der traditionellen Gestalt muß nur ein von der Vorsehung hervorgerufenes Schreckbild sein, jener einzigen, gütigen Vorsehung, die mit einer aus lauter Verstorbenen zusammengesetzten ungeheueren Verwaltung regiert.

Tröstet euch also und seid stolz auf die euch erwiesene Gnade, ihr alle, die ihr von Schlaflosigkeit, Alpdrücken, Erscheinungen und Todesängsten gequält und heimgesucht seid! Numen adest! Gott verlangt nach euch!

Quelle:
Strindberg, August: Inferno. Berlin [1919], S. 244-250.
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