Sechster Auftritt.

[203] Herr von Wohlau und Julie.


WOHLAU. Wieder geweint – und immer geweint – über den tyrannischen Vater, nicht wahr? der seiner lieben Tochter ihren Kerl nicht geben will, das ist sehr grausam armes Ding, dich zu einer Heirath nöthigen zu wollen, die dir fünf tausend Thaler Einkünfte und einen Mann giebt, der alle Herzen in der Nachbarschaft bricht. Höre gutes Mägdchen, ich habe genug getändelt – meine Gedult ist zu Ende, vier und zwanzig Stunden – und dann – ja – oder es geht bey meiner Ehre nicht gut?

JULIE. O mein Vater! – sind sie denn mein Vater nicht mehr?

WOHLAU. Eben weil ich dein Vater bin, Mägdchen, eben darum will ich dein Bestes, und verlange Gehorsam;[203] hast du nur eine vernüftige Entschuldigung, findest du nur etwas an ihm zu tadeln – Rede –

JULIE. Nichts – mein Vater – nichts – ich bin seiner nicht werth. – Er verdient eine Frau die Ihn lieben kann, nicht mich armselige, ich habe kein Herz für Ihn –

WOHLAU. Du hast ein närrisches Herz; du hast dein Herz weggeworfen, und ein Bettler hat es aufgenommen. Ist das der Lohn für meine Treue, für meine Liebe? Er – der die letzten Tage meine Lebens bitter macht – Er sollte meine Tochter haben? sterben will ich eher – an meinem Grabe könnt Ihr eure Hochzeit halten, du gottloses eigensinniges Kind du.

JULIE. Ach mein Vater! Sie beugen mich unter mein Elend – o wie erschrecken Sie mich. – Ich will Ihnen vor den Augen des Allmächtigen schwören, keinen Hochzeittag, so lange dieses elende Leben noch währet – ich will Ihre Magd seyn, an Ihre Füße gefesselt. – O lassen Sie mich Ihre Magd seyn – wenn ich Ihre Tochter nicht seyn soll! Gütiger – großmüthiger Mann – o lassen Sie mich keinen Mann nehmen – den ich unglücklich machen muß O mein[204] Vater – ist denn nichts von Ihrer Liebe gegen Ihre Julie mehr übrig? – ist denn Ihr Herz ganz leer? – bin ich denn ganz von Ihnen losgerissen? ist denn kein Band mehr zwischen Ihnen und ihrem Kinde –?


Umarmt ihn und küßt ihm die Hände.


WOHLAU er reißt sich los, mit einiger Verwirrung. Stark will ich seyn. Vor sich. Du bist vor Liebe trunken, meine Tochter – Armes Mägdchen – in diesem Rausch von Leidenschaft will ich dir nichts sagen – aber komme wieder zu dir selber, und denke deiner Aufführung kaltsinnig nach – ich bin nicht grausam gegen dich, wie es gewisse Leute gerne wünschten, aber dein Glück will ich, und das ist meine Pflicht. Es ist mir leid, daß du es von dir wegstoßen willst, aber deiner Schwärmerey, und deiner thörichten Liebe zum Trotz will ich Mittel finden, merke dir das, Julie –


Quelle:
Peter Helfrich Sturz: Schriften. Band 1, Leipzig 1779–1782, S. 203-205.
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