Fünfte Szene

[113] Der Blinde. Philarete.


PHILARETE erscheint zwischen den Falten des Vorhangs und betrachtet ihn lange.

DER BLINDE steht und horcht, bei jedem Geräusch erbebend.

PHILARETE.

Du, fremder Mann –

DER BLINDE taumelt beim Klang ihrer Stimme mit einem gurgelnden Aufschrei gegen die Wand zurück, wo er sich mit den Händen festhält.

PHILARETE.

Warum bei meinem Anruf

Erzitterst du? Man sagte mir, daß du

Von steinerner Gemütsart seist.

DER BLINDE vom Klang ihrer Stimme berauscht.

So sprich doch –

Sprich weiter, hohe Herrin, sprich!

PHILARETE.

Bist du

Ein Gaukler – gut. Vollführe, was du kannst

Ich aber will dem Hunger meiner Seele

Vorgaukeln, daß du keiner wärest, Mann.[114]

DER BLINDE sich wieder verhärtend.

Sag! Soll ich Dolche schlucken, Feuer blasen,

Meerkiesel blinkend aus dem Munde spein?

Den Wundermann der Märkte spiel' ich dir!

Doch willst du Größres, flehe zu den Göttern!

Geburtsreif ist die Stunde. Was sie bringt –

Nachtüberschattet bergen es die Tiefen.

Du aber sorge, daß kein Mißgeschöpf

Ans Licht sich quäle.

PHILARETE.

Worte hast du, Fremder,

Wie nur der Sendung eines dunklen Zornes

Sie sprechen kann. Vergib die trägen Zweifel,

Die dir mißtraut. Doch sag' ich gleich: vergib –

Du wirst sie nimmermehr zum Schweigen zwingen.

Hast du kein Zeichen, dem ich glauben muß,

Auch wenn du als die Lüge selber kämest?

Nicht einen Ring, ein Schlüsselwort, nicht Kenntnis

Von Heimlichkeiten, die er stummer Sehnsucht

Im Traum der Fiebernacht entgleiten ließ?

Du schweigst? Du weißt von keinem? Dann, o Fremdling,

Geh wieder fort und laß dir von den Hütern

An Trank und Speise reichen, was du magst.

DER BLINDE.

Es sprach ein Mann zu mir –


Gequält.


was sprach der Mann?

Ich weiß nicht, was der – laß mich suchen – laß –

Ein weniges mich – –[115]

PHILARETE zagend, scheu.

Welcher Mann?

DER BLINDE.

Neugierig

Sollst du nicht sein, bis ich ein Zeichen fand.

PHILARETE wie vorhin.

Selbst – ohne Zeichen auch – –

DER BLINDE.

Und ohne Glauben?

Nein, Herrin, Spielwerk bin ich nicht. Es sprach

Der Mann: »Entkommst du diesem Kerker, dann –

Durch Sand und Meer, durch Feind' und wilde Tiere,

Betrügend – bettelnd – feilschend – Beute raffend,

Vom Dom zerfetzt – vom Geißelknecht zerschunden,

Auf Bahnen, die der Zufall dir gebaut,

– Und ob sie quer durchs Totenreich dich führen –

Hinwandre du nach Syrakus! Und findest

Du dort mein Weib getreu dem heil'gen Schwure,

Den sie beim Scheiden, keinem Zwang willfährig,

Nein, aus ureignem Wesen stolz mir gab,

Als Witwe meiner trauervoll gedenkend – –«

PHILARETE in Angst und Entsetzen.

So sprach der Mann? So sprach –?[116]

DER BLINDE.

– »dann«, sprach der Mann,

»Such deinen Weg zu ihr, und aus den Zeiten,

Da du auf nackter Erd' mein Bettgenoß,

In gleichem Blindsein


Philarete zuckt hoch auf.


Feind und Freund mir warst,

Leg lieberfüllte Botschaft vor ihr nieder.«

PHILARETE.

In gleichem Blind –?

DER BLINDE.

»Erzähl ihr, wie ich starb –

Doch vorher noch – erzähl ihr, daß – ich – siegte.«

PHILARETE.

In gleichem Blindsein, sagtest du? Und etwas

Wie »siegte« sagtest du ... Warum erzählst

Du nicht?

DER BLINDE.

Beliebe zu bedenken: dieses

Gilt nicht für dich. An Arratos' Gemahlin

Trag' ich ganz andre Botschaft –

PHILARETE.

Klärt sich's nun,

Daß du ein Gaukler bist? Denn wärst du's nicht,

Wie könntest du ein harrend Weib so quälen?

Und wenn du meinst, ich hätte nun mein Zeichen,[117]

Erwidr' ich dir: Den Schwur, den ich beim Scheiden

Dem Gatten gab, den hast du frech belauscht –

Warst unterm Kriegsvolk, das dort Wache stand,

Und schreckst mich nun zu eigenem Gewinst.

DER BLINDE.

Ein andres Zeichen – stärker noch als dieses:

Kennst du den Ort, an dem der Schatz des Hauses

Von deinem Gatten einst verborgen ward?

PHILARETE.

Wohl wurd' ich oft bedrängt, doch – nein, ich kenn'

Ihn nicht.

DER BLINDE.

Zu Nutz und Frommen seiner Kinder

Läßt er dir sagen: »Unter jenen Sockeln,

Auf denen Gott und Göttin hütend walten,«


Sich besinnend.


– Dort stehn sie irgendwo – nicht wahr? – »entreiße

Der nächt'gen Erde, was die Väter schufen.«

Und glaubst du dieses nicht –

PHILARETE.

Ich glaube dir.

Denn Zeus – er selber – mit des Donners Mahnung

Wies mir den Platz, und ich verstand ihn nicht; –

Verstand auch dich nicht, Fremdling, der du mahnend

Die Stimme meines Herrn mir heimgebracht.

Ihr beug' ich mich ... Nun sprich die andre Botschaft!

Des Arratos Gemahlin hört, was du

Zu sagen hast.[118]

DER BLINDE.

Selbst in die Kerkergrüfte

Dringt brandend aus der Welt ein Widerhall –

PHILARETE.

So hat er dies gewußt? – –

DER BLINDE.

Gewußt, doch nicht

Geglaubt! Und für den Fall, daß Wissen einst

Der Tat begegne, spricht er so zu dir:

»Daß du, mein Weib, den Schwur zerbrachst, der Sein

Und Nichtmehrsein in Glut verkettet, sei

Wie jeder Meineid, jeder Treuebruch

Des Abgekühlten Recht.«

PHILARETE in entsetzter Abwehr die Hände ausstreckend.

O nicht so, nicht!

DER BLINDE.

»Doch daß du Weib den hinterhergekrochnen,

Von Neid zerwühlten Affen meines Tuns,

Der heut' zum Guten allzuklein und morgen

Zum Schlechten allzuklein, in hohler Zagheit

Von Angst zu Reue und von Reue zum

Verbrechen taumelt, daß du den Zerstückler,

Den Schänder meiner Kraft und meines Sieges

In deine brünstig leeren Arme zogst –

PHILARETE sinkt schweigend vor dem Altar zusammen.[119]

DER BLINDE.

– Für dieses, Weib, send' ich aus ew'ger Nacht,

Aus der Umarmung unsrer Freundinnen,

Der Kerkerschlangen – keine war so Schlange

Wie du, Weib – send' ich dir als letzten Willen

Des ungebrochnen Mannes diesen nie

Zerbrechenden und – du wirst es erproben –

Dir sehr getreuen – – Dank.« So sprach der Mann,

Der einst dein Gatte war.

PHILARETE die an den Altarstufen niedergesunken ist, erhebt sich in die Knie.

Wenn statt des Fremden,

Der unser Leid mit fremdem Hasse schärft,

Du selbst, mein Lykon, strafend vor mir stündest,

Du hättest erst gefragt, und ich – in Tränen

Wohl auch, doch nicht so, Blut und Leben weinend

Wie jetzt – ich hätte klagend dir gestanden,

Wie alles kam, und also kommen mußte.

Die Kinder in Gefahr – ich selbst gebannt –

Des alten Stammes Güter eingezogen,

Da galt's ergreifen, was geworfen ward.

Und ob erfüllter Eide Hochgefühl

In hündisches Gepeitschtsein sich verwandle,

Wer hat den Mut nach eignem Wert zu geizen,

Wenn, was ihm angehört, in Unwert sinkt?

Und Lykon ist der letzte, mich hierum

Zu schelten. Will er's dennoch tun, so sei's

Um folgendes: Mit jeder Stunde drängten

Der neuen Pflichten viele sich herzu,[120]

Und auch der Mann, dem ich mich anverlobt,

Trat sorgumdunkelt oft zu meinem Stuhl

Und sah mich flehend an und wollte – – ja

Wie nenn' ich das, was über aller Liebe,

Was mehr als Lustverlangen, mehr als Glück,

Und was allein ein Weib und nur an einen

Verschenken kann? Das nahm ich Lykon fort

Und gab's dem andern. Ob er's wohl verdiente,

Ob er so feig, so schlecht, wie Lykon will,

Ich weiß es nicht und weiß auch nicht, wie weit

Er mir vertraute. Doch ich mußt' es tun,

Denn ich bin Weib, und helfen ist mein Amt,

Um dies lebt' ich in Angst durch all die Jahre

Und schlief nicht, sprach nicht, lachte nicht In diesem

Ward ich ihm untreu und zerbrach den Eid.

Und wenn jetzt Lykon käme, mir zu fluchen

– Ich will nicht wissen, daß er dies schon tat –,

Dann fänd' er eine, die sich selber fluchte

Und die er liegen ließe, wo sie liegt.

DER BLINDE der in wachsender Erschütterung gelauscht hat, vor sich hin.

Vergessensein! ... Bist du zufrieden, Dämon?


Laut.


Noch kam ich nicht zum Ende, Herrin. Was ich

Getreu dir wiedergab, steht unverrückbar.

Doch als beim Niederstieg zum großen Dunkel

Sich seiner Seele Zorn entatmend löste,

Da, meine Stirn zu seiner Brust geneigt,

Vernahm ich andre Kunde. Hör auch sie:

»O glaub ihm nicht, mein Weib,« so sprach er hauchend,[121]

»Denn wie mein Zorn mir log, so log auch er.

Und schleppt' ich Flüche durch die Kerkernacht

Und pflegte meines Grimmes Ungestalt,

Nicht galt es dir und den vergessnen Eiden.

Was ist ein Eid, was will der Mund dabei?

Denn unsrer Seele letztes, stummes Müssen,

Das schwört die Eide, die uns Leben sind.

Und schlug mir unbewehrter Haß die Zähne

Ins eigne Fleisch – was tut's? Der Mann will Kraft –

Und meine Kraft fraß mir die eigne Kraft auf.

Du aber, stille Seele,« sprach er weiter,

»Du bringe Glück, wo immer Glück vonnöten,

Wahllos, uneingedenk, wem du gehörst;

Wem du gehörst, der wird geadelt sein.«

So sprach der Mann und wandte sich zum Sterben.

PHILARETE in glückseligem Nichtglaubenwollen.

Und – und? –

DER BLINDE.

Nun ist er eben tot.

PHILARETE.

Und starb

In Frieden? Starb versöhnt? Kein Qualgedanke

Riß den entflohnen Hauch in seine Brust

Zurück? Mit einem Lächeln starb er? Starb,

Wie Götter sterben, deren Welt zerbarst?

Kann ich, die Schuldige, mit deren Fleisch

Die Geier Mahlzeit hielten Tag um Tag,

Das Glück begreifen, daß ich nun erlöst?[122]

Und starb, so sagtest du? Mir starb er nicht.

Mit heut'gem Tage soll in tote Form

Lebend'ger Glaube stärkend sich ergießen.

Der Staub wird Wurzel schlagen, klingen wird,

Was einst zersprang, und seinen Kindern, deren

Beklommne Fragen ich in Scheu verwies,

Wird er der Helfer sein, den sie ersehnen.

Wie hat er sorgend sie umhegt! Und wie

Mit gnäd'ger Hand ihr Daseinsrecht gefestet!

Ihr Kinder, kommt und hört, was – Diokles

Zwar hält sich fern dem Hause – eine doch,

Die zagen Herzens oft – – wo bist du, Liebe?


Eilt nach links.


Quelle:
Hermann Sudermann: Der Bettler von Syrakus. Stuttgart und Berlin 2-51911, S. 113-123.
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