Elfte Szene

[99] Curt. Mühlingk. Robert. Robert scheinbar ganz ruhig, in gemessen dienstlicher Haltung, die Mappe unter dem Arm.


MÜHLINGK. Sie waren etwas dringlich, lieber Herr ... Nun, ich tadle Pflichteifer nie, am allerwenigsten, wenn er noch in der letzten Minute eines Dienstverhältnisses vorhält ... Setzen Sie sich nur.

ROBERT. Wenn Sie gestatten, so bleib ich stehen! ...

MÜHLINGK. Ganz wie Sie wollen ... Von meinem Neffen ist mir schon gestern berichtet worden. – Es geht ihm gut ... er amüsiert sich ... ein wenig zu sehr, wie Graf Trast mir sagte ... Nun, das Kavaliertum liegt den Herren aus guter Familie im Blute ... Sie haben die Jahresabschlüsse hoffentlich schon mitgebracht?

ROBERT. Ja wohl. –

MÜHLINGK. Und?

ROBERT sucht in der Mappe und reicht ihm ein Blatt über den Tisch. Ich bitte.

CURT der den Unbefangenen spielt. Darf ich mit hineinsehen, Papa?

MÜHLINGK. Ja, ja. – Oder vielleicht haben Sie eine Kopie bei sich.[99]

ROBERT. Ja wohl.

MÜHLINGK. Bitte, geben Sie sie meinem Sohne.

CURT geht ihm entgegen. Die beiden stehen sich einen Augenblick gegenüber und messen sich mit den Augen.

MÜHLINGK. Soviel ich auf den ersten Blick sehe, macht sich das ganz nett. Der Reingewinn beträgt – –

ROBERT in die Mappe sehend. 116227 Gulden.

MÜHLINGK. Der holländische Gulden zu 1 Mark 70 macht ... Curt, rechne mit.

ROBERT. 197585 Mark.

MÜHLINGK. 8 – 1 – 3 – 5 – 8. Ganz recht ... 197585 Mark und 90 Pfennig. Curt, du rechnest ja nicht mit?

CURT. Und 90 Pfennige. Ja wohl Papa.

MÜHLINGK. Hm ... Und beim Kaffee ein so winziger Ertrag. Was bedeutet das?

ROBERT ihm ein Blatt überreichend. Hier das Spezialconto. Ich war in der Lage, die Kaffeekrisis, die durch die brasilianische Konkurrenz hervorgerufen worden ist, vorhersehen zu können und habe infolgedessen 5/6 des Areals mit Tee bebaut.

MÜHLINGK. Sie?

ROBERT. Ja, Herr Kommerzienrat, ich!

CURT. Merkwürdig.

MÜHLINGK. Und wie steht die Chinarinde?

ROBERT. Hier das Konto


Reicht ihm wiederum ein Blatt.


MÜHLINGK. Auch nicht hervorragend. Wo liegt also die Unterlage der günstigen Bilanz?

ROBERT. Als gewinnbringend haben sich erwiesen die Versuche mit Sumatratabak Reicht ein Blatt hinüber. und vor allem der Übergang zur Teekultur.

MÜHLINGK. Sie haben dieses Wagestück nach eigenem Gutdünken unternommen?

ROBERT. Nicht so ganz. Ich folgte einem Winke, den mir mein Freund, Graf Trast, gegeben hatte.

MÜHLINGK. Und mein Neffe hat diese Operation gebilligt?

ROBERT. Nachträglich – gewiß.[100]

MÜHLINGK. Du hast recht, lieber Curt – das ist sehr merkwürdig.

ROBERT. Haben die Herren noch andere Fragen an mich zu richten?

MÜHLINGK. Nach der Art und Weise, wie Sie sich hier benehmen, scheint es, oder soll es scheinen, als ob Sie auf Java die Geschäfte meines Hauses selbständig geführt haben. Wie verhält sich das?

ROBERT. Da ich Prokura hatte, Herr Kommerzienrat –

MÜHLINGK. Und wo war mein Neffe unterdessen?

ROBERT. Auf diese Frage in ihrer Allgemeinheit weiß ich nichts zu antworten, Herr Kommerzienrat.

MÜHLINGK. Kam mein Neffe denn nicht täglich aufs Comptoir?

ROBERT. Nein, Herr Kommerzienrat.

MÜHLINGK immer erregter. Wann kam er also?

ROBERT. Wenn die Hamburger Post fällig war und wenn er Geld erhob.

CURT. Wollen Sie damit sagen, daß mein Vetter seine Pflichten vernachlässigte?

ROBERT. Ich will nichts damit sagen, als ich gesagt habe.

MÜHLINGK. So erklären Sie mir gefälligst –

ROBERT. Über das Privatleben meines bisherigen Vorgesetzten Auskunft zu erteilen, fühl ich mich nicht berufen.

CURT. Aber, ihn anzuschwärzen, dazu fühlen Sie sich berufen?

ROBERT will gegen ihn auffahren, bezwingt sich aber. Wünschen die Herren noch weitere Fragen an mich zu richten?

MÜHLINGK. Was haben Sie an Geldern mitgebracht?

ROBERT. Ich habe Wechsel auf verschiedene Banken im Betrage von 95000 Gulden. Hier sind sie.

MÜHLINGK. Curt – prüfe das ...


Die beiden stehen sich wiederum gegenüber. – Stummes Spiel. – Curt nimmt die Wechsel aus

Roberts Hand und sieht sie durch.
[101]

ROBERT. Sind Sie nun fertig, Herr Kommerzienrat?

MÜHLINGK. Warten Sie ein wenig.


Pause.


CURT. Es stimmt.

MÜHLINGK. Also, mein lieber Herr – Heinecke, ich wünsche Ihnen viel Glück für Ihren ferneren Lebensweg ... Bleiben Sie ein tüchtiger Mensch und vergessen Sie nicht, was Sie meinem Hause schuldig sind.

ROBERT. Nein, Herr Kommerzienrat, das vergesse ich nicht. Hier sind 40000 Mark, die Sie die Güte hatten, meinem Vater zu übergeben.

MÜHLINGK. Diese 40000 Mark waren ein Geschenk und kein Darlehn ...

ROBERT. Trotzdem fühl ich mich für die Rückerstattung verantwortlich.

MÜHLINGK. Sind Sie von Ihrem Vater beauftragt, mir das Geld zurückzugeben?

ROBERT. Nein, das bin ich nicht.

MÜHLINGK. Das Geld ist also Ihr eigenes?

ROBERT. Jawohl.

MÜHLINGK. So, so.

CURT. Findest du es nicht interessant, Papa, daß unser Herr Heinecke Ersparnisse in dieser Höhe hat machen können?

ROBERT besinnt sich eine Weile, faßt die Bedeutung des Wortes, schreit auf und stürzt, die Pistole hervorreißend, auf Curt los, ihn an der Kehle packend. Schurke – widerrufe – widerrufe!

MÜHLINGK. Zu Hülfe! Zu Hülfe! –


Quelle:
Hermann Sudermann: Die Ehre, Stuttgart 1974, S. 99-102.
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