Fünfzehnte Scene

[126] Schwartze. Keller.


SCHWARTZE in freudiger Erregung durch die Flurthür eintretend, gerade als Magda abgeht. Ah, lieber Herr Re– – – war das meine Tochter, die da eben verschwand?

KELLER in großer Verwirrung. Ja, es war –[126]

SCHWARTZE. Was hat denn die vor mir davonzulaufen? Hinterher rufend. Magda!

KELLER versucht, ihm in den Weg zu treten. Ach, wollen Sie nicht lieber –? Das gnädige Fräulein wünschte dringend etwas allein zu sein.

SCHWARTZE. Nanu? Warum denn? Wenn man Besuch hat, wünscht man doch nicht – – – Was sind das für –

KELLER. Ach – sie fühlte sich ein wenig – erregt.

SCHWARTZE. Erregt?

KELLER. Jawohl. – Nichts weiter.

SCHWARTZE. Wer war denn sonst noch hier?

KELLER. Niemand – wenigstens nicht, daß ich wüßte.

SCHWARTZE. Na, was sind denn für erregende Dinge zwischen Ihnen verhandelt worden?[127]

KELLER. Ach, nichts von Belang – durchaus nichts – ich versichre Sie.

SCHWARTZE. Wie sehn Sie denn aus? Sie halten sich ja kaum auf den Beinen!

KELLER. Ich? – Ah! Sie irren sich! – effektiv – Sie irren sich.

SCHWARTZE. Ja, Herr Regierungsrat, eine Frage. Sie sind ja wohl mit meiner Tochter – bitte, nehmen Sie Platz!

KELLER. Meine Zeit ist leider –

SCHWARTZE beinahe drohend. Ich bitte Sie, Platz zu nehmen.

KELLER der nicht zu widersprechen wagt. Ich danke. Setzen sich.

SCHWARTZE. Sie sind vor einer Reihe von Jahren mit meiner Tochter in Berlin zusammengetroffen?

KELLER. Allerdings.

SCHWARTZE. Herr Regierungsrat, ich kenne Sie als einen ebenso streng gesinnten wie diskreten Mann. – Aber es gibt[128] Fälle, wo Schweigen geradezu ein Verbrechen wird. Ich frage Sie – und Ihr jahrelanges Verhalten gegen mich macht mir diese Frage zur Pflicht, ebenso wie das rätselhafte – das, was ich eben – kurz: ich frage Sie: Wissen Sie etwas Ungünstiges über das damalige Leben meiner Tochter?

KELLER. O – um Gottes willen – wie – wie können Sie –?

SCHWARTZE. Wie und wovon sie lebte, wissen Sie nicht?

KELLER. Nein! Ist mir absolut –

SCHWARTZE. Haben Sie sie nie in ihrer Behausung aufgesucht?

KELLER immer verwirrter. O, nie, nie! Nein, nie!

SCHWARTZE. Niemals?

KELLER. Das heißt, ich habe sie einmal abgeholt, aber –

SCHWARTZE. Ihre Beziehungen waren also freundschaftliche?

KELLER beteuernd. O durchaus freundschaftliche – natürlich nur freundschaftliche.


Pause.
[129]

SCHWARTZE faßt sich an die Stirn, fixiert Keller, dann wie abwesend. Hä? Dann freilich – wenn die Dinge vielleicht – wenn Sie – wenn – wenn – Steht auf, geht auf Keller zu und setzt sich wieder, bemüht, sich zur Ruhe zu zwingen. Herr von Keller, wir leben beide in einer Welt, in welcher Ungeheuerlichkeiten – sich nicht ereignen können. Aber ich bin alt geworden – recht alt. Und das macht, ich kann meine Gedanken nicht so – so dirigieren, wie ich – wohl möchte ... Und ich kann mich da – gegen – einen – einen Verdacht nicht wehren, der mir plötzlich – der da herumspukt ... Ich habe in diesem Augenblick eine große Freude gehabt ... die will ich mir nicht gleich durch so was vergällen lassen ... Und einem alten Mann zur Beruhigung bitt' ich Sie herzlich – geben Sie mir Ihr Ehrenwort, daß –

KELLER aufstehend. Pardon, das sieht ja fast wie – wie ein Verhör aus.

SCHWARTZE. Wissen Sie denn überhaupt, um was – was ich Sie –?

KELLER. Pardon! Ich weiß nichts. Ich will nichts wissen. Ich bin ganz harmlos hergekommen, Ihnen einen freundschaftlichen Besuch abzustatten ... Und Sie überfallen mich da ... Ich muß Ihnen sagen, ich lasse mich nicht überfallen. Nimmt seinen Hut.[130]

SCHWARTZE. Herr Doktor von Keller, haben Sie sich auch klargemacht, was diese Weigerung bedeutet?

KELLER. Pardon! Wenn Sie etwas wissen wollen, so bitte ich Sie freundlichst, Ihr Fräulein Tochter zu befragen. – Die wird Ihnen ja dann schon sagen, was – e, was – e – – Und jetzt bitte ich, mich verabschieden zu dürfen ... Meine Wohnung ist Ihnen ja wohl bekannt, ich meine – für den Fall – daß – e – – Ich bedaure, daß das so gekommen ist, aber – e – – Herr Oberstlieutenant, ich habe die Ehre! Ab.


Quelle:
Hermann Sudermann: Heimat. Stuttgart 61893, S. 126-131.
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