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[228] Um ihre Milch am besten zu verwerten, hatten die fünf größten Wirte des Dorfes mit Herrn Westphal einen Pachtvertrag abgeschlossen und lieferten ihm so und so viel Liter täglich für seine Meierei. Im Hinfahren wechselten sie sich allwöchentlich ab, und daher kannte die Marinke sie alle. Und besser noch kannte sie ihre Frauen und Kinder, denn die Besitzer spielten den Kutscher meistens nur dann, wenn sie in Augustenhof sonst noch was zu tun hatten.

In der Woche nach Marinkes Ankunft war der Jozup an der Reihe. Der Jozup Wilkat, der mit seiner Mutter die Wirtschaft führte. Ein dunkler junger Mensch von Dreiviertelgröße mit buschigem Schnurrbart und zusammengewachsenen Brauen, die ihm ein finsteres und fremdartiges Aussehen gaben. Den Hof, der übrigens wohlhabend und gutgehalten war, nannte man in der Gegend die »Wilkija«, das Wolfsnest. Zuerst natürlich des Namens wegen, denn Wilkat heißt im Deutschen der »Werwolf«. Dann aber auch, weil die drei Söhne, die vaterlos herangewachsen waren, sich von früher Jugend an in den Haaren gelegen hatten, bis die Mutter, deren Liebling der Jozup war, die beiden Älteren herausbiß, so daß sie nun in Berlin auf Beförderung dienten. Der Jozup aber wartete nur auf eine passende Frau, um dann die Wirtschaft zu übernehmen.[228]

In Augustenhof waren alle Mägde hinter ihm her, aber er kümmerte sich wenig um sie. Selbst die Marinke hatte er immer bloß stumm angeglupt, hatte seine Milch aufschreiben lassen – und weg war er.

Man sagte von ihm, er sei ein »Bedraugis«, das ist einer, der keinen Freund hat, und das mochte früher vielleicht gestimmt haben; wenn er jetzt aber abends die Milch abholen kam, machte er sich lange im Stall bei dem Jurris zu schaffen, rauchte eine Zigarre mit ihm und versäumte womöglich die Abfahrt. Denn bis Augustenhof sind es im Schritt immerhin doch anderthalb Stunden. Es schien, als wären sie immer Herzensfreunde gewesen.

Am vierten Abend mochte es sein, da trat er zu der Marinke, die eben die Milchkannen auflud, und redete sie mit den Worten an: »Gestern hat mich der Herr Westphal halten lassen und hat gesagt, ich möchte dir sagen, du möchtest doch bei Gelegenheit einmal nach Augustenhof kommen.«

Die Marinke wurde rot und sagte: »Was soll ich in Augustenhof? Ich bin nicht mehr in Dienst dort.«

Und der Jozup entgegnete: »Es ist noch etwas abzurechnen, hat er gesagt.«

Die Marinke antwortete: »Ich habe abgerechnet,« und ging ihrer Wege.

Aber am Sonnabend kam er noch einmal und sagte: »Der Herr Westphal ist gestern auf der Meierei gewesen und hat gesagt, er würde aus einem Posten nicht klug und er müsse durchaus mit dir reden. Morgen am Sonntag ist mein letzter Abend. Vielleicht erweist du mir das Vertrauen und fährst mit mir.«

Der Marinke gab es einen Stoß gegen das Herz. Sie sah den Jurris an, der still nebenbei stand, und sagte: »Wenn ich durchaus fahren muß, so fahr' ich doch lieber, wenn wir an der Reihe sind. Die acht Tage wird der Herr Westphal sich wohl noch gedulden.«

Der Jozup zog die Brauenhaare noch finsterer zusammen, stieg auf und fuhr vom Hofe herunter.

Der Jurris stand da und sah ihm nach, und die Marinke[229] grämte sich, daß er noch immer nicht zu ihr sprach. Schließlich war sie doch »auf Prob'« hier. Was sollte werden, wenn es so blieb?

Darum tat sie etwas, was ihrem schüchternen Sinne ganz zuwider war und wozu sie bisher den Mut noch nie gefunden hatte. Sie stellte sich neben ihn und sagte: »Vielleicht bis du so gut und nimmst mich dann einmal mit.«

Hätte er nun eine kurze und unwirsche Antwort gegeben oder ihr sonst sein Mißfallen gezeigt, dann hätte sie gewußt, daß sie ihren Kasten bald würde packen müssen. Aber was tat er?

Er drehte sich nach ihr um; ein gutes, man konnte sagen, ein glückliches Lächeln ging über sein ganzes Gesicht, und er entgegnete: »Wirst du dann auch einmal mit mir fischen kommen?«

Nun wußte sie, wie sie mit ihm dran war und daß sie mit ihrem Kasten würde hierbleiben können für ihre ganze Lebenszeit. Am liebsten wäre sie gleich davongelaufen und hätte im Winkel geweint, aber sie bezwang sich und lächelte nur und sagte: »Du hast ja bisher noch gar nicht gefischt.«

»Ich habe immer auf dich gewartet,« entgegnete er.

»Wenn du die Mutter gebeten hättest, hätte sie mich wohl freigelassen,« sagte sie.

»Ja, das hätte ich eigentlich tun können,« entgegnete er, »aber ich dachte immer, du hättest zu viel zu tun.«

»Zu tun habe ich wohl genug,« war ihre Antwort, »aber wie man fischt, das sähe ich gar zu gerne.«

Da führte er sie vor die braunen, nach Teer riechenden Netze, die über die Stakete gehängt waren, und erklärte ihr alles.

Sie hörte ihm zu und hörte doch nichts. Vor lauter Glück hörte sie nichts. Das Schwere, das Dunkle, das sonst über ihr Denken gebreitet war, löste sich auf.

Nichts war um sie und in ihr als ein milder Sommerabend mit braunen Netzen und grünen Staketen und vielen Blumen dahinter, und Vögelchen, die sie ansangen, und[230] einem Hofhund, der sie anwedelte, und einem lieben, guten Menschen, der fortan der Ihre war.

Sie ging neben ihm hin wie ein seliger Geist, und hätte er sie bei der Hand gefaßt und wäre mit ihr in den Himmel geflogen, sie hätte sich auch darüber nicht im geringsten gewundert.

Daß sie nun auch gemeinsam den Garten besuchten, geschah wie von selbst. Er zeigte ihr den Goldlack und den Reiherschnabel, und sie zeigte ihm den Ehrenpreis und die Studentennelke, und nur an dem Rautenbeet gingen sie schweigend vorüber.

Quelle:
Hermann Sudermann: Romane und Novellen. Band 6, Stuttgart und Berlin 1923, S. 228-231.
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