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[187] Der Jons und die Erdme sitzen im Garten zwischen den eingefaßten Beeten und haben sich lieb – denn es ist ihr Silberner Hochzeitstag.[187]

Fladen ist gebacken worden und ein Mohnstriezel, aber außer der Katrike weiß keiner, weshalb.

Die Katrike hat ihnen einen Myrtenkranz aus Silberpapier schenken wollen, hat auch schon Maß genommen und so, aber dann ist es doch unterblieben, weil das Besorgen zu schwer war.

Und es ist gut so, denn nun kann es kein Gerede geben unter den Leuten.

Die liebe Frühlingssonne sticht ihnen auf die dünnbehaarten Köpfe. Jons nimmt die Mütze, die neben ihm auf der Bank liegt, und setzt sie ihr auf. Sie muß furchtbar lachen, denn solch einen Scherz hat er in all den fünfundzwanzig Jahren nicht gemacht. Und sie fühlt so recht im innersten Herzen, wie sehr sie ihn lieb hat.

Fünfundzwanzig Jahre sind sie nun fleißig und glücklich nebeneinander hergegangen, und nie hat ein Zank ihren Frieden gestört. Betrunken hat er sich nie – außer, bei Hochzeiten natürlich und ab und zu wohl am Markttag, aber das gehört ja zum Leben, – und geschlagen hat er sie auch nicht.

Sie hat einen guten Mann gehabt, und dafür dankt sie ihm mit Tränen. Und auch er weint ein bißchen, denn so ein Tag kommt nicht wieder.

Und sie gedenken des jungen Pfarrers mit den Traumdeuteraugen und der zwei Trauzeugen, die auch am Sonntag nach Mist rochen. Und der Abendstunde im Matzicker Chausseegraben gedenken sie auch und sehen sich um, ob niemand sie hört.

»Denkst du daran,« sagt die Erdme, »was wir uns damals alles gelobt haben? Leicht war es nicht, es zu halten, aber nun haben wir es doch getan, denn nie hat ein Hader unseren Frieden gestört.«

Und er sagt: »Das ist dein Verdienst.«

Sie sagt: »Deins ist es auch.«

Und sie freuen sich, wie zweie wohl tun, denen ein guter Streich geglückt ist wider Erwarten.

»Gott sei gelobt!« sagt die Erdme; »jetzt sind wir über den Berg, denn was kann uns nun noch Böses geschehen?«[188]

Und er sagt: »Ein Dreck kann uns geschehen.«

Bei der Hand gefaßt sitzen sie noch ein Weilchen im blanken Sonnenschein und denken: »Schöner kann es eigentlich gar nicht mehr kommen.«

Aber es kommt doch noch schöner! Viel schöner kommt es.

Als sie gerade wieder an die Arbeit gehen wollen wie alle Tage, da bemerkt die Erdme, daß ein Wagen auf der Knüppelstraße daherfährt, ein Herrschaftswagen, wie er hier selten zu sehen ist.

Und Jons erkennt die zwei Braunen aus der »Germania« und denkt natürlich, es sind Herren von der Regierung, die im Moor nach dem Rechten sehen wollen.

Aber wie der Wagen immer noch näher kommt, erkennen sie beide, daß keine Herren darin sitzen, sondern bloß eine Dame. Und eigentlich sitzt sie auch nicht, sondern steht und hält einen weißen Sonnenschirm in der Hand – mit dem winkt sie und winkt sie und winkt.

»O Jezau!« sagt die Erdme und fällt wie leblos auf die Bank zurück.

Da biegt der Wagen auch schon nach dem Zufahrtsweg ein und hält vor dem Hoftor.

Die Katrike kommt aus dem Hause gestürzt, Brennschere und Seidenpapier noch in der Hand, und rings um die Stirn sitzen die gewickelten Knötchen.

Also wirklich: es ist die Urte, die jetzt Ortrud heißt. In einem feinen graukarierten Wollenkleide springt sie aus dem Wagen, und hinter ihr her springt ein Hund, wie ihn noch nie eines Menschen Auge sah. Mit schneeweißen Locken, größer noch als ein Wolf und magerer als ein Schmalreh.

Doch daß die Urte mager ist, kann man nicht sagen. Einen Busen hat sie – der ist kein Leichenbrett! Und der Veilchenstrauß im dritten Knopfloch wiegt sich wie auf der Schaukel. Und die blauen Kornblumenaugen hat sie noch immer, aber goldene Haare hat sie inzwischen gekriegt und Lippen so rot wie Rübensaft.

Nachdem die Erdme sie abgeküßt hat, da kniet sie vor[189] ihr und befühlt das Kleid und betastet die Schuhe, und wie sie das Kleid ein wenig hebt, was kommt da zum Vorschein? Ein Unterrock von lauter – du wagst es gar nicht auszusprechen, nicht auszudenken wagst du es! – ein Unterrock von lauter Seide, von resedagrüner, ruschelnder, klingender Seide.

Wie wenn der Wind durch die Quitschen geht, so klingt bei jeder Bewegung die Seide.

Der Jons steht eingeklemmt zwischen Hoftor und Zaun und traut sich an die hochgeborene Tochter gar nicht heran. Sie muß ihn selber bei der Hand nehmen und aus dem Winkel hervorziehen. Und sie küßt auch ihn, aber man sieht: sehr gerne tut sie es nicht.

Die Katrike ist rasch einmal ins Haus gelaufen, sich die gebrannten Wickel auszukämmen, und wie sie wiederkommt, hat sie das Rotgeblümte an und möchte auch für sich was Bewunderndes hören, doch das sagt ihr heut keiner.

Der weißgelockte Hund, von dem man glauben könnte, man zerbricht ihn, wenn man ihn anfaßt, steht in der Mitte des Hofes, sieht mit erstaunten Menschenaugen um sich und streckt den witternden Schlangenkopf bald nach rechts und bald nach links, als kann er sich nicht erklären, wie er plötzlich in eine so schlecht riechende Gesellschaft geraten ist. Den belfernden Köter, der mit seiner Kette wie verrückt über die Bude springt, würdigt er keines Blickes. –

Der Koffer wird ausgepackt. Es ist ein lackglänzender Lederkoffer, hoch wie ein Haus und wohlriechend wie russische Gurten.

Und wenn die Urte sich bückt in ihrer vollbrüstigen Anmutigkeit und ihrer rundhüftigen Ruhe, dann weiß man, daß sie die Männer führen kann, wie man die Lämmer zu Markte führt.

Der Jons bekommt einen Tabakskasten, der ist von poliertem Holz und hat silberne Einlagen. Auch etwas zum Essen bekommt er, und das soll noch viel feiner sein als Ölsardinen. Es sieht aus wie schwarze, runde Graupenkörner und schmeckt nach gesalzenen Fischen.[190]

Für die Erdme kommt ein dunkles Seidenkleid zum Vorschein mit einem Spitzeneinsatz und Rüschen am Hals und an Ärmeln. Und auch die Katrike kriegt ein Kleid, ein hellblaues Jungmädchenkleid mit einer Tüllbluse und einem hellgelben Strohhut dazu, der biegt sich und federt, wenn man ihn anrührt.

Und das Allerschönste hab' ich noch gar nicht genannt: das ist der Silberkranz. Kein Silberkranz aus Papierblättern, wie ihn die Katrike beinahe geschenkt hätte, sondern aus wirklichem schweren, klirrenden Silber, und ein gleiches Sträußchen noch außerdem, dem Jons ins Knopfloch zu stecken.

Von nun an ist's mit den Heimlichkeiten vorbei. Die Erdme muß das seidene Kleid anziehen und den silbernen Myrtenkranz aufsetzen, Jons bekommt das Sträußchen wirklich ins Knopfloch gesteckt, und nun sitzen sie beide im Brautwinkel, trinken fremden, süßen Wein und lassen sich's gut sein.

Die Töchter sind um sie herum, und sogar die Jette, die abscheuliche Kröt', tut sich lieblich, wer weiß wie. Sie hat aber auch eine grüne Schürze geschenkt gekriegt und Wollenschuhe, damit sie des Morgens nicht klappert.

Nur einer ist nicht zufrieden – das ist der große, magere, weißlockige Hund. Der schnüffelt und schnobert, und wenn man ihn 'reinzieht, läuft er wieder hinaus. Auch das vorgesetzte Fressen rührt er nicht an. Die Urte muß ihm von dem mitgebrachten Hundekuchen was geben, sonst würde er am Ende verhungern.

Die Urte erklärt: »Das ist ein sibirischer Windhund, Barsoi genannt, aus einer ganz alten vornehmen Zucht mit einem Stammbaum, der reicht wohl hundert Jahre zurück.«

Sie hat ihn von einem russischen Grafen bekommen, der mit ihrem Freunde befreundet war und auch mit ihr. Er hat den Namen Petruschka, und alle lachen sehr, als sie ihn hören, denn Petruschka heißt »Petersilie«.

Erdme kann nichts den ganzen Tag lang, als die nach Hause gekommene Tochter ansehen und ansehen.[191]

Wenn die auf dem harten Bretterstuhle sitzt – einen besseren gibt es ja nicht – und mit den dunkelroten Lippen lächelt und die goldenen Haare geben Feuerstrahlen um sie herum, dann ist der Erdme, als muß sie in einen finsteren Winkel kriechen und weinen und beten, daß Gott sie nicht strafen wolle für dieses allzu große Glück.

Quelle:
Hermann Sudermann: Romane und Novellen. Band 6, Stuttgart und Berlin 1923, S. 187-192.
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