Tiberius Claudius Drusus Cäsar.

26. Verlobt war er in sehr früher Jugend zweimal: mit der Ämilia Lepida, Augustus' Urenkelin, und mit der Livia Medullina, die auch Camilla mit Zunamen hieß und aus dem alten Geschlechte des Diktators Camillus stammte. Die erste verstieß er noch als Jungfrau, weil ihre Eltern den Augustus beleidigt hatten; die zweite verlor er an dem zur Hochzeit festgesetzten Tage durch Krankheit. Er heiratete die[347] Plautia Urgulanilla, deren Vater die triumphalischen Auszeichnungen erhalten, und bald darauf die Älia Petina, deren Vater die konsularische Würde bekleidet hatte. Von beiden schied er sich wieder, jedoch von der letzteren wegen unbedeutender Mißhelligkeiten, von der Urgulanilla wegen ihrer schmählichen Ausschweifungen und wegen Verdachtes eines Mordes. Nach ihnen nahm er die Valeria Messallina, seines Vetters Barbatus Messalla Tochter, zur Ehe. Diese ließ er hinrichten, nachdem er in Erfahrung gebracht hatte, daß sie neben anderen Schmählichkeiten und Schandtaten sich sogar in aller Form mit dem Gajus Silius, unter Aufnahme eines ordentlichen von den Auguren vollzogenen Ehekontraktes über Aussteuer und Heiratsgut, vermählt hatte. Zugleich erklärte er in einer Versammlung vor seinen Prätorianern: dieweil er mit sei nen Ehebündnissen kein Glück habe, werde er fortan im ehelosen Stande verharren, und wenn er nicht darin verharre, wolle er nichts dawider haben, von ihren eigenen Händen erstochen zu werden. Er war aber doch nicht imstande, es durchzuführen, sondern trat sofort wieder in Unterhandlungen zu einer Ehe, sogar mit der Petina, die er früher verstoßen hatte, und mit der Lollia Paullina, die mit Gajus Cäsar verheiratet gewesen war. Allein die Lockungen der Agrippina, seiner Bruderstochter, die ihre nahe Verwandtschaft mit ihm zu Liebkosungen und Zärtlichkeiten zu benutzen wußte, reizten seine Sinnlichkeit so, daß er in der nächsten Senatssitzung einige Individuen anstiftete, den Antrag zu stellen, man müsse ihn[348] aus Gründen des Staatswohles zwingen, dieselbe zu heiraten und zugleich überhaupt solche Verbindungen, die bis dahin als blutschänderische galten, für allgemein erlaubt erklären. Kaum war ein Tag nach jener Erklärung verstrichen, so vollzog er die Heirat, doch fand er keinen, der seinem Beispiele gefolgt wäre, mit Ausnahme eines Freigelassenen und eines Primipilaren, dessen Hochzeit er selbst mit der Agrippina beiwohnte.

27. Kinder hatte er von drei Frauen: von der Urgulanilla den Drusus und die Claudia, von der Petina die Antonia, von der Messallina die Octavia und einen Sohn, den er anfangs Germanicus, später Britannicus zubenannte. Den Drusus verlor er noch als Knaben zu Pompeji, indem derselbe an einer Birne erstickte, die er im Spielen in die Höhe geworfen und mit dem Munde wieder aufgefangen hatte. Wenige Tage zuvor hatte er diesen Sohn mit einer Tochter Sejans verlobt; um so mehr wundere ich mich daher, daß manche Schriftsteller berichtet haben, derselbe sei von Sejan heimlich umgebracht worden. Die Claudia, deren Vater eigentlich sein Freigelassener Boter war, wurde auf seinen Befehl, obschon sie vor dem fünften Monate nach der Ehescheidung geboren und anfangs als sein Kind auferzogen worden war, ausgesetzt und der Mutter nackt vor die Türe gelegt. Die Antonia vermählte er mit Cnejus Pompejus Magnus, dann mit Faustus Sulla, zwei jungen Männern edelster Abkunft, die Octavia mit seinem Stiefsohne Nero, nachdem sie vordem mit dem Silanus verlobt gewesen war. Den Britannicus, der ihm am zwanzigsten Tage nach seiner Thronbesteigung während seines zweiten Konsulates geboren worden war, empfahl er schon damals noch im zarten Alter beständig sowohl den versammelten[349] Soldaten, denen er ihn auf seinen Armen zeigte, als auch bei Gelegenheit von Schauspielen dem Volke, indem er ihn auf seinem Schoße sitzen oder vor sich stehen ließ und ihm unter dem Jubelrufe der versammelten Menge Heil und Segen wünschte. Von seinen Schwiegersöhnen adoptierte er den Nero; den Pompejus und den Silanus überging er nicht nur, sondern ließ sie sogar umbringen.

28. Unter seinen Freigelassenen standen bei ihm in besonderem Ansehen: Posides, ein Verschnittener, den er auch bei Gelegenheit seines britannischen Triumphes unter den verdienten Kriegsmännern mit der unbeschlagenen Lanze beschenkte; nicht minder Felix, den er zum Befehlshaber erst einer Reiterabteilung mit Bundestruppen, dann der römischen Reiterei und zuletzt zum Statthalter der Provinz Judäa erhob und der mit Königinnen verheiratet war; desgleichen Arpocras, dem er das Recht erteilte, sich in Rom einer Sänfte zu bedienen und dem Volke öffentlich Spiele zu geben. Zu diesen kam noch Polybius, sein Hofgelehrter, den man häufig die Ehre genießen sah, in der Mitte zwischen den beiden Konsuln spazieren zu gehen. Am höchsten aber unter allen standen in der kaiserlichen Gunst Narcissus,[350] sein Kabinettssekretär, und Pallas, sein Finanzintendant, die sogar durch Senatsbeschluß nicht nur mit ungeheuren Geldbelohnungen, sondern auch mit quästorischem und prätorischem Amtsrange ausgestattet wurden, zu welchem allem er bereitwillig seine Genehmigung erteilte, und denen er überdies noch so viel zusammenzuraffen und zu rauben gestattete, daß ihm, als er sich einmal über den Geldmangel im Schatze beklagte, die nicht unrichtige Antwort gegeben wurde, er würde Geld im Überflusse haben, wenn ihn seine beiden Freigelassenen zum Kompagnon annehmen wollten.

29. Beherrscht, wie ich gesagt habe, von diesen Menschen und von seinen Frauen, spielte er eigentlich nicht den Fürsten, sondern den Diener. Wie es im Interesse jeder dieser Personen oder auch ihrer Neigung und Laune entsprach, teilte er Ehrenstellen, Heerkommandos, Straflosigkeitserklärungen und Strafen aus und obenein meist, ohne recht zu wissen, was er tat. Und um nicht alle und jede geringfügigen Einzelheiten aufzuzählen – die widerrufenen Gnadenbezeigungen, die ungültig erklärten richterlichen Urteile, die untergeschobenen oder auch offenbar geänderten Kabinettsbestallungen –, so ließ er z.B. den Appius Silanus, seinen Schwager, die beiden Julien, die eine des Drusus, die andere des Germanicus Tochter, auf ganz unbestimmte Anschuldigung und ohne ihnen Verteidigung zu gestatten, hinrichten; desgleichen den Cnejus Pompejus, seiner älteren Tochter Mann, und den Lucius Silanus, den Verlobten der jüngeren. Von diesen wurde Pompejus in den Armen eines von ihm geliebten Knaben erstochen, Silanus gezwungen, die Prätur am vierten Tage vor dem ersten Januar niederzulegen und am Neujahrstage, der zugleich der Tag von Claudius' und Agrippinas Vermählung war, den Tod zu erleiden. Die Todesurteile von dreißig Senatoren und mehr als dreihundert Richtern vollzog er mit solcher Leichtfertigkeit, daß er, als der Centurio ihm über die Hinrichtung eines Mannes von konsularischem Range mit den Worten Meldung machte: »sein Befehl sei[351] vollzogen«, in Abrede stellte, daß er irgend einen Befehl erteilt habe, nichtsdestoweniger aber das Geschehene guthieß, weil seine Freigelassenen ihm vorsagten: die Soldaten hätten ihre Pflicht getan, daß sie aus freiem Antriebe zur Bestrafung eines Feindes ihres Kaisers vorgeschritten wären. Indes dürfte doch das Folgende allen Glauben übersteigen, daß er nämlich sogar die Ehepakten der Messallina mit ihrem Buhlen Silius selbst mitunterzeichnet habe, wozu man ihn durch die Vorstellung bewogen habe, das Ganze sei eine absichtlich vorgenommene Scheinzeremonie, um von seinem Haupte ein Unheil, das, wie man sagte, durch allerhand Vorzeichen ihm drohend verkündet ward, abzuwenden und auf ein anderes zu übertragen.

30. Imponierende Würde der äußeren Erscheinung fehlte ihm keineswegs, sei es, daß er stand oder daß er saß, und vor allem, wenn er auf dem Ruhebette lag. Denn er war von großer und dabei nicht magerer Figur, und sein graues Haar und ein wohlbefleischter Nacken verschönerten sein Aussehen. Beim Gehen schadete es ihm, daß er nicht recht fest auf den Beinen war, und im heiteren wie beim ernsten Behaben verunstaltete ihn mehreres: ein unanständiges Lachen und noch mehr ein häßliches Aussehen im Zorne, wo ihm der Schaum vor den Mund trat und die Nase floß. Dazu kam ein stotterndes Anstoßen mit der Zunge und ein fortwährendes Zittern des Kopfes, das sich bei jeder geringsten Handlung, die er vornahm, auf den höchsten Grad steigerte.

31. Seine Gesundheit, die früher schwächlich gewesen war, stärkte sich seit seiner Thronbesteigung auf das glücklichste, mit Ausnahme der Magenschmerzen, unter deren Pein er bisweilen sogar an Selbstmord gedacht zu haben bekennt.

32. Gastereien veranstaltete er sehr reichliche und häufige und fast immer in sehr weiten Räumlichkeiten, so daß sehr oft sechshundert auf einmal zur Tafel lagen. Einmal veranstaltete er sogar ein Gastgebot bei der Ablassung des[352] Fucinersees, wobei er durch das mit großer Gewalt nach Durchstechung des Dammes hervorbrechende und alles überschwemmende Wasser beinahe ersäuft worden wäre. Zu seiner Tafel zog er regelmäßig auch seine Kinder mit anderen Knaben und Mädchen von edler Geburt, die nach alter Sitte zu Füßen des Tischsofas sitzend essen mußten. Einen seiner Gäste, auf dem der Verdacht ruhte, daß er tags zuvor einen goldenen Becher heimlich eingesteckt habe, lud er zum nächsten Tage wieder ein und setzte ihm eine tönerne Trinkschale vor. Man sagte ihm auch nach, er habe ein Edikt zu erlassen beabsichtigt, welches die Erlaubnis geben sollte, stille und laute Blähungen bei Tische zu entlassen, weil er erfahren hatte, daß einer seiner Tischgenossen infolge schamhafter Zurückhaltungen derselben lebensgefährlich krank geworden war.

33. Zum Essen und Weintrinken hatte er überall und zu jeder Zeit einen außerordentlichen Appetit. Er saß einmal zu Gericht auf dem Augustusforum, als er, angelockt durch den Duft eines Frühstücks, welches in dem naheliegenden Marstempel für die Salier bereitet wurde, sofort das Tribunal im Stiche ließ, zu den Priestern hinaufging und sich an ihrer Tafel niederließ. Auch erhob er sich selten von der Tafel, ohne sich voll gegessen und getrunken zu haben, so daß ihm sofort, wenn er schlafend mit offenem Munde auf dem Rücken lag, eine Feder in den Mund gesteckt wurde, um eine erleichternde Entleerung des Magens zu bewirken. Sein Schlaf war überaus kurz, denn er wachte gewöhnlich vor Mitternacht auf, doch schlief er zuweilen am hellen Tage beim Rechtsprechen ein, so daß ihn die Advokaten, die zu dem Zwecke mit verstärkter Stimme sprachen, kaum erwecken konnten. Zum weiblichen Geschlecht[353] hatte er einen übermäßigen Hang, zum männlichen gar keinen. Das Brettspiel trieb er sehr eifrig und schrieb über die Kunst desselben sogar ein Buch; ja, er pflegte sogar beim Fahren zu spielen, wobei das Spielbrett so im Wagen befestigt war, daß das Spiel nicht in Verwirrung geraten konnte.

Quelle:
Sueton: Die zwölf Cäsaren. München; Leipzig 1912, S. 296-297,347-354.
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