38. Besuch bei Alfred Nobel

[270] Wir verließen Bern schon wenige Tage vor dem Schluß der Konferenz, um der Einladung Alfred Nobels zu folgen, der sich in Zürich aufhielt. Unser Gastgeber hatte uns im Hotel Bauer au lac, wo er selber wohnte, ein Appartement zur Verfügung gestellt, das tags zuvor die Kaiserin Elisabeth nach kurzem Aufenthalt verlassen hatte. Auf dem Toilettentisch fand ich noch eine verwelkte, blasse Rose ...

Alfred Nobel war uns zur Bahn entgegengekommen und führte uns in den uns bestimmten Salon, wo er auch, eine halbe Stunde später, mit uns dinierte. Er ließ sich alles von den Berner Konferenztagen erzählen. Meldete sich auch als Mitglied der österreichischen Friedensgesellschaft mit einer Spende von 2000 Franken. Eine gleiche Spende hatte er auch im vorigen Jahre durch mich an das Kongreßkomitee in Rom gesandt.

»Was Sie mir da überreichen und wofür ich Ihnen danke,« sagte ich, »geschieht ja mehr aus Liebenswürdigkeit als aus Ueberzeugung. Sie haben ja noch vor wenigen Tagen in Bern Zweifel an der Sache ausgedrückt ...«

»An der Sache und ihrer Berechtigung – nein, daran zweifle ich nicht, nur daran, ob sie durchgesetzt werden kann – auch weiß ich noch nicht, wie Ihre Vereine und Kongresse das Werk anpacken wollen ...«

»Also, wenn Sie wüßten, daß das Werk gut angepackt wird, würden Sie dann mithelfen?«

»Ja, das würde ich. Belehren Sie mich, überzeugen Sie mich – (renseignez-moi, convainquez-moi waren seine Ausdrücke) und dann will ich für die Bewegung etwas Großes tun.«

Ich antwortete, daß ich nicht jetzt – entre la poire et le fromage – die ganze Sache erklären, eingewurzelte Zweifel verscheuchen und feste Ueberzeugung hervorrufen könne – aber ich würde von nun ab ihn auf dem laufenden halten, ihm regelmäßig meine Revue und andere einschlägige Publikationen schicken, ich würde trachten, ihn nicht nur zu »renseignieren«, sondern zu begeistern.

»Gut, versuchen Sie das – ich liebe nichts so sehr, als mich begeistern zu können, ein Ding, das mir meine Lebenserfahrungen und meine Mitmenschen stark abgeschwächt haben.«

Nobel besaß ein kleines Motorboot aus Aluminium, auf dem wir in seiner Gesellschaft köstliche Rundfahrten auf dem See machten –[270] das silberglänzende Fahrzeug schnellte über die Flut, ohne zu schaukeln. Wir saßen zurückgelehnt, in bequemen Bordstühlen mit weichen Plaids bedeckt, ließen das Zauberpanorama der Ufer an uns vorbeigleiten und sprachen über tausend Dinge zwischen Himmel und Erde. Nobel und ich kamen sogar überein, daß wir zusammen ein Buch schreiben würden, ein Kampfbuch gegen alles, was die Welt in Elend und in Dummheit erhält. In seinen Anschauungen neigte Nobel sehr zum Sozialismus; so sagte er, es sei für reiche Leute unstatthaft, ihr Vermögen den Verwandten zu hinterlassen; vererbte große Vermögen erachte er für ein Unglück, denn sie wirken lähmend. Angesammelte große Habe müsse an die Allgemeinheit und für allgemeine Zwecke zurückgehen; die Kinder der Reichen müßten nur so viel bekommen, um gut erzogen werden zu können und vor Mangel geschützt, aber genug wenig, um zur Arbeit und durch diese zur neuerlichen Bereicherung der Welt angespornt zu sein.

Die Tage in Zürich verflogen schnell. Partien auf dem See, Ausfahrten inner- und außerhalb des Ortes, wobei ich den Reichtum der die Stadt umsäumenden Villen bewunderte, die alle mehr wie Schlösser anmuten –

»Ja, das haben alles die Seidenwürmer gesponnen,« sagte Nobel.

»Dynamitfabriken sind vielleicht noch einträglicher als Seidenfabriken,« bemerkte ich, »und weniger unschuldig.«

»Meine Fabriken werden vielleicht dem Krieg noch früher ein Ende machen als Ihre Kongresse: an dem Tag, da zwei Armeekorps sich gegenseitig in einer Sekunde werden vernichten können, werden wohl alle zivilisierten Nationen zurückschaudern und ihre Truppen verabschieden.«

Daß die wissenschaftlichen Fortschritte und technischen Entdeckungen bestimmt seien, die Menschheit zu regenerieren, das war sein Glaube. »Jede neue Entdeckung«, schrieb er mir einmal, »verändert das menschliche Gehirn und befähigt die neue Generation zur Aufnahme neuer Ideen.« Aus einem Briefe Alfred Nobels, der nicht an mich gerichtet war, mir aber zu Gesichte kam, habe ich mir nachstehende Stelle notiert: sie gibt Einblick in seine Lebensphilosophie:

»Licht verbreiten heißt Wohlstand verbreiten (ich meine den allgemeinen Wohlstand, nicht individuellen Reichtum), und mit dem Wohlstand verschwindet der größte Teil der Uebel, die ein Erbteil finsterer Zeiten sind.«

»Die Eroberung der wissenschaftlichen Forschung und ihr sich stets erweiterndes Feld erwecken in uns die Hoffnung, daß die Mikroben – die der Seele sowohl als des Körpers – nach und[271] nach verschwinden werden und der einzige Krieg, den die Menschheit führen wird, wird der Krieg gegen diese Mikroben sein. Dann wird der herrliche Ausdruck Bacons, daß es Wüsten in der Zeit gibt, sich nur mehr auf weit zurückliegende Zeiten beziehen.«

Zum Abschied mußte ich Alfred Nobel nochmals versprechen, ihm regelmäßig über die Fortschritte der Friedensbewegung zu berichten, und ich habe auch von diesem Tage ab unablässig mit ihm (den ich leider nie mehr wiedergesehen) über die Friedenssache korrespondiert. Als Zeugnis, wie bald und wie lebhaft er sich dafür interessierte, setze ich folgenden Brief hierher, den er mir wenige Monate nach dem Beisammensein in der Schweiz geschrieben:


Paris, 7 janvier 1893.


Chère amie,


Que la nouvelle année vous soit prospère pour vous et pour la noble campagne que vous menez avec tant de force contre l'ignorance et la férocité humaine.

Je voudrais disposer d'une partie de ma fortune pour en faire un prix à distribuer tous les cinq ans (mettons six fois, car si dans trente ans on n'a pas réussi à réformer le système actuel, on retombera fatalement dans la barbarie).

Ce prix serait décerné à celui ou à celle qui aurait fait faire à l'Europe le plus grand pas vers les idées de pacification générale.

Je ne vous parle pas de désarmement, qui ne peut se conquérir que très lentement; je ne vous parle même pas d'un arbitrage obligatoire entre nations. Mais on devrait arriver bientôt à ce résultat (et on y peut parvenir), à savoir que tous les Etats s'engagent solidairement à se tourner contre le premier agresseur. Alors les guerres deviendront impossibles. Et l'on arriverait à forcer, même l'état le plus querelleur à recourir à un tribunal ou à se tenir tranquille. Si la triple alliance, au lieu de comprendre trois états, ralliait à elle tous les états, la paix des siècles serait assurée.

Quelle:
Bertha von Suttner: Memoiren, Stuttgart und Leipzig 1909, S. 270-272.
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