[33] Regensburg.
Platz, eingerichtet nach alter Sitte zum Turnier.
Ringsum die Häuser verzieret, und die Wappen der Ritter aufgehangen, am Ende eine Bühne für den Herzog, das Frauenvolk, die Fremden und des Herzogs Gefolge. Die Marschälle stehen an den Schranken, nachdem sie den Kampfplatz geordnet. Menge Volks rings herum.
Trompeten und Pauken.
Ernst kommt mit dem Gepränge des Hofes, steigt auf die Bühne und setzt sich; Fremde, Frauen, Hofleute um ihn herum. Nach ihm kommen paarweise im Harnische.
Gundelfing. Seibelstorfer. Vicedom von Straubingen. Pienzenauer. Preisinger. Maxelrainer. Tore. Sandizeller. Albrecht. Percifal Zenger.
Viele andere Ritter, von ihren Schildknaben begleitet. Die Trompeten blasen. Das Turnier fängt an. Die Marschälle rufen jedes Paar auf und öffnen ihm die Schranken.
Kämpfe.
ALBRECHT stellt sich vor die Schranken.
ERSTER MARSCHALL. Albrecht, der Pfalzgraf und Graf zu Voheburg, kann nicht turnieren.[33]
ZWEITER MARSCHALL. Die Gesetze verbieten es, wir öffnen Euch die Schranken nicht.
Allgemeines Gemurre.
ALBRECHT ergrimmt. Was! verkennt ihr mich? – Mir! diesen Schimpf?
ERSTER MARSCHALL. Es sind Kläger da über Euch, die sagen, Ihr führtet ein unedles Leben, hieltet Eure Hure öffentlich; hättet Euch drei Monate vermummt; wäret ohne Schwert herumgegangen und wolltet eine Bürgerstochter heiraten.
ZWEITER MARSCHALL. Rechtfertiget Euch, oder Ihr turnieret nicht.
Stille alles.
ALBRECHT. Verborgen lebte ich, nicht vermummt, nicht unedel: ein liebes, tugendhaftes Mädchen liebe ich, keine Hure: auf mein Wort, nie hab' ich sie berühret. Seit wann ist Lieben verboten, oder unrühmlich? Ritter! wer unter euch hat nie geliebt? – Und wer darf Rechenschaft meiner Handlungen fordern? wer wagt es, mein Ankläger zu sein? – Marschälle, öffnet die Schranken.
ERSTER MARSCHALL. Wir dürfen, wir können es nicht.
ALBRECHT. Öffnet sie, oder meine Lanze –
Senkt sie gegen einen Marschall. Die Ritter eilen herbei; halten auf.
VICEDOM. Was? gegen die Marschälle?
ALBRECHT wirft die Lanze über die Schranken, zieht das Schwert. Gegen die Schurken, die mich entehren, gegen alle, die ihnen beizustehen wagen.
PIENZENAUER. Die Forderung ist billig; die Turniergesetze heilig; rechtfertiget Euch!
ALBRECHT. Mit dem Schwerte! nicht anders.
Getümmel, P. Zenger zieht auch.
ERNST kommt vor die Schranken. Ich bin dein Ankläger.
ALBRECHT steckt ein. Ihr? mein Vater? – entehret Euern Sohn in Gegenwart der Ritter Deutschlands? vor seinen Unterthanen?
ERNST. Schweig! weiche von den Schranken, Verwegener! oder rechtfertige dich. Als Vater, als Herzog, als Kampfrichter, fordre ich's, befehl' ich es dir. Der deutsche Adel soll richten zwischen uns, und Bayern soll Zeuge sein!
ALBRECHT. Schildknabe! bring meine Lanze. Man bringt sie, und er bricht sie. Ich breche sie; ich will nicht turnieren: wer's noch thut, dem sei Rache geschworen, solang ich atme. Das Turnier ist[34] aus. Nun sprech' ich mit Euch, gnädiger Herr und Vater! Ich bin eben der Albrecht der Wittelsbacher, der vor zehn Jahren Euch bei Alling die Schlacht gewann; der zweimal die Böhmen und Hussiten von Bayern zurückgeschlagen; ich bin's, vor dem Ludwig von Ingolstadt und Heinrich von Landshut beben; ich, der Ketzer Schrecken! Bayerns Wehrmauer! – Seht mich an, verkennt Ihr einen meiner Züge? oder will es jemand versuchen, ob ich Arm und Schwert, oder Herz und Mut verwechselt habe? – Nun, ich war in Euern Geschäften in Augsburg; verrichtete, vollendete sie; Ihr waret zufrieden. In Ruhe schlummerte mein Vaterland, und ich sahe dort ein Mädchen von edler, sanfter Bildung; setzt ihr eine Krone auf, sie schiene Kaiserin; laßt Strahlen um ihr Haupt schimmern, und Ihr malet eine Heilige; eine reine Seele durch Mischung edler, ungeschminkter Tugend, mit der stillen Anmut einer rührenden Schönheit, ganz gebildet zur Liebe eines Helden. – Ich liebte sie. Statt zu jagen und müßig zu sein in Voheburg, gab ich nach dem Drange meiner Liebe; – lange hernach erhielt' ich Gegenliebe. Nie habe ich ihr Bette bestiegen; sie ist Jungfrau; wer das Widerspiel behauptet, hebe den Handschuh auf. Er wirft seinen Handschuh auf den Boden. Um meiner Würde nichts zu vergeben, ging ich öffentlich von Augsburg fort; Liebe führte mich wieder hin, aber in Friedenstracht; in der Tracht, wie die Männer einhergehen, die uns und unser Volk richten und der Gesetze Stimmen sind. – Ich hörte nichts von Euch, gnädiger Herr! als zuweilen Boten Eures Zorns, die so sprachen, daß ich Gott um meine waffenlose Kleidung dankte: nichts von Geschäften; nichts von Fehden; nichts, das mich als Bayer oder Sohn aufgerufen hätte – Jetzt sollte nur ein Turnier sein; ich kam pfeilschnell auf den Ruf meines Vaters und der Ritterpflicht – und die Schranken werden vor mir verschlossen, und Albrechten wird beim Spiele der Lorbeer vom Haupte gerissen, den er auf Schlachtfeldern geerntet hatte; mit dem ihn Kriegsheere und seine Nation geschmückt haben. Richtet nun, Ritter Deutschlands! stehet auf wider mich, meine Landsleute! ihr Bayern!
ERNST. Und die Jungfrau ist nun in Voheburg? und was thut sie da? – Schäme dich! lüge nicht! Entweder nahmst du sie zum Weibe: oder sie ist eine Hure. In jedem Falle entsage ihr, oder du turnierest nicht, bist ausgeschlossen vom Rittermahle! und meinst du dann, du bliebest noch Ernstens Sohn?[35]
DIE ZWEI MARSCHÄLLE. Entsagen!
VIELE RITTER. Entsagen!
Großer Lärm.
ALBRECHT. Entsagen? – Ich nehme es auf, mit allen, die das ruften, auf Lanze und Schwert. Unterliege ich, mein Vater: so habt Ihr nichts verloren; Ihr habt so keinen Sohn mehr, denn könnte ich meiner Liebe entsagen, so hättet Ihr nie einen gehabt: und überwinde ich; so mag Euch dieser Ritter Blutbürge dafür sein, daß Bayern allemal an seinem Herzoge haben wird, was Agnes an Albrechten fand. Zu Pferde, wer Mut hat!
ERNST. Halt! ich verbiete den tollkühnen Kampf.
VICEDOM. Um einer bürgerlichen Dirne wegen wird kein Ritter fechten.
ALBRECHT. Ehre genug, wenn ich mit ihm fechte – Zieht und schlägt den Vicedom mit dem Rücken des Schwerts. Ihr aber, Verwegener! fechtet nimmer; ich entehre Euch; ich: Euer Herzog!
ERNST zieht und schlägt Albrechten ebenso. Und ich dich, dein Vater! mit dir ficht niemand mehr.
Noch größerer Lärm; Zusammenlauf der Ritter, Aufruhr des Volks; die Schranken werden eingestoßen; das Volk deckt den ganzen Platz.
ALBRECHT. Ihr werdet fechten, Ihr! ehemals mein Vater! an der Spitze einer Rotte von Trotzköpfen, die, hinter Eurem Ansehen verborgen, wie Schurken auf mich ihre giftigen Bolze schießen: gegen Albrechten werdet Ihr fechten, dem die Nation, gewohnt unter seinem Befehle zu siegen, folgen wird. Aus, meine Bayern, wer Ottens Enkel liebt! wer mit mir schon für Religion und Vaterland gekämpft hat, folge mir! – Menge Ritter und Volks umgeben Albrechten. Rottet euch! werbet Kriegsheere! ein Wittelsbacher, hinter dem seine Bayern stehen, kann auch Deutschland Trotz bieten. Auf! fort!
Ab mit Percifal Zenger und allen, die ihn umgaben. Das Volk läuft ihm nach und lärmet. Ernst bleibt stehn, betäubt; seine Räte und wenige Ritter um ihn her, stille, auf ihn aufmerksam.
ERNST. Ist das der Albrecht, dem ich auf Allings Schlachtfelde zum zweiten Male das Leben gab? mit meinem Blute erkaufte? Alles schweigt. Was sagt ihr nun, Ritter! die ihr meinen Entwurf verwarft? anders rietet?
GUNDELFING. Und was wäre es erst gewesen, wenn Ihr auf dem Eurigen beharret hättet?
PIENZENAUER. Ich gab diesen Vorschlag, gnädiger Herr! er wäre gut gewesen, wenn Albrecht ein Ritter geblieben wäre. Kann[36] ich dafür, daß Fürsten sich immer eigene Gesetze, oder vielmehr sich zur Ausnahme der allgemeinen machen?
GUNDELFING. Gnädiger Herr! Euerm Ansehen habt Ihr durch diese öffentliche, wahrlich zu harte Beschimpfung mehr als genug gethan. Ich rate nun noch viel weniger auf gewaltsame Maßregeln, sonst werdet Ihr den Aufruhr erst vollenden, den Albrechts Aufruhr in die erste Gärung gebracht. Glaubt mir, seine Ehre, sein ritterliches Herz sind verwundet; seiner Agnes Anblick wird die Wunde nicht mehr heilen, aber aufreißen; er wird mehr in ihr die Ursache seiner Beschimpfung, als den Gegenstand seiner Leidenschaft forthin sehen; seine Ausschweifung war eine Folge seines jugendlichen, feurigen Temperaments; folget, helft diesem Temperamente, das nun für seine Ehre, folglich wider seine Liebe, ohne daß er's merkt, aufgebracht ist. Er liebt nicht als Buhler; Albrecht hätte nicht für eine Metze den Handschuh hingeworfen und Kampf angeboten: er liebt aus dem Herzen, und ein empfindsames Herz hat mehrere schwache Seiten. Könntet Ihr zweifeln, gnädiger Herr! daß ein Vater nicht ganz seine zärtlichen Rechte über ihn behaupten würde, wenn er ihn nur als Vater vor sich sähe? meint Ihr, der warme biedere Bayer werde nicht aus Liebe für seinen Herzog und sein Land heldenmütig aufopfern, was tausendfacher Tod ihm nicht abgezwungen hätte?
MAXELRAINER. Und wenn man dem Ritter Wiedererstattung seiner Ehre, Zuwachs an Ruhm zeigte? ha! was wär' ich da nicht fähig zu thun!
GUNDELFING. Darum rate ich mehr als jemals zur Güte, zu einer freundschaftlichen Gesandtschaft, die des Vaters wohlmeinende Warnungen Albrechten zum Ohre brächte –
VICEDOM. Und den Sohn etwa um Verzeihung bäte?
GUNDELFING. Rauher Mann! mit Euch sprech' ich nicht.
ERNST. Wer Ernstens Freund ist, wer nicht Rebellion in seinem Busen kochet, rate mir zu keinem Schritte, der des Vaters Ansehen, des Herzogs Gewalt zu nahe trete.
GUNDELFING. Gnädiger Herr! wenn Friede und Rückzug gegen Feinde des Vaterlandes oft erlaubt, notwendig, rühmlich sind; so wird Aussöhnung des wirklichen mit dem künftigen Herzoge, des Vaters mit dem Sohne Euch nicht entehren Sicher, das erwartete Bayern von Euch, und der Nation Erwartung soll jedem Landesherrn ein heiliger Wink sein.[37]
SEIBELSTORFER. Zugleich könntet Ihr von Annen von Braunschweig sprechen lassen, die Euch Herzog Erich hier vorschlagen ließ: so würde Albrecht, der nun schon einmal liebt, nicht so ganz auf einmal entwöhnet; es wäre nur mehr Wechsel, und an der Württembergerin wäret Ihr auch gerächet.
VICEDOM. Aber die Dirne muß weg; weit weg; außer des Rückfalls Gefahr.
GUNDELFING. Ich wette, er trennet sich nicht, er scheidet von ihr, er versorget sie fürstlich; und das ist dann auch recht.
ERNST. Nun, Ritter! – wiewohl ich könnte; – vielleicht sollte; – Geht Gundelfing! und ihr Preisinger! noch einmal nach Voheburg; sprecht, wie ihr's meint, für Ehre, für Vaterland – für einen Vater, der verzeihen will. Sprecht von der Braunschweigerin; thut das Beste; redet für euch, wie ihr wollt; behaltet mir den Entschluß bevor. Eilet!
PREISINGER. Zu dieser Gesandtschaft, gnädiger Herr! ist's an Gundelfingen allein genug. Meine erste Sendung hat mich Albrechten schon verhaßt gemacht, und sanft zu reden, habe ich im Kriege nie gelernt.
MAXELRAINER. So sendet einen Mann von Ansehen mit. Kaspar der Thorringer ist hier; er führte seinen Sohn zum ersten Turnier. Das ist ein Mann! bei Gott, der ist gewiß unserer Meinung; er wird mehr wirken, als wir alle zusammen.
ERNST. Ob er auch gehen wird? ich war ehemals sein Feind.
GUNDELFING. Laßt ihn kommen; bittet ihn darum; es ist Bayerns Sache, die schlägt er nicht aus.
Alle ab.
Buchempfehlung
Anders als in seinen früheren, naturalistischen Stücken, widmet sich Schnitzler in seinem einsamen Weg dem sozialpsychologischen Problem menschlicher Kommunikation. Die Schicksale der Familie des Kunstprofessors Wegrat, des alten Malers Julian Fichtner und des sterbenskranken Dichters Stephan von Sala sind in Wien um 1900 tragisch miteinander verwoben und enden schließlich alle in der Einsamkeit.
70 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro