Achtzehnter Gesang.

[207] 1.

Voll Ehrfurcht nun begann Rinald zu sprechen,

Sobald der Feldherr ihm entgegen kam:

Herr, an dem todten Krieger mich zu rächen,

Trieb Eifersucht der Ehr' und glüh'nde Schaam,

Und kränkt' ich dich, so weckte mein Verbrechen

Wohl tiefe Reu' in mir und bittern Gram.

Jetzt komm' ich, da du rufst, damit getreue

Schuldtilgung einst mir deine Huld erneue.


2.

So sprach Rinald mit demuthsvollem Neigen;

Allein Bouillon umarmet ihn und spricht:

Unsel'ger That Erinnrung möge schweigen;

Geschehnes zu vergessen sei uns Pflicht.

Du sollst uns deine Reu' in Thaten zeigen,

Die ohnehin dein Heldenmuth verspricht;

Denn uns zum Heil, der Feinde Trotz zu dämpfen,

Sollst du des Waldes Ungeheu'r bekämpfen.
[208]

3.

Der alte Forst, der reichlich zum Erbauen

Des Kriegsgeräthes uns mit Holz versehn,

Ist jetzt ein Wohnsitz von geheimem Grauen,

Von Zauberwerk, deß Grund wir nicht erspähn.

Nicht Einer wagt's, ein Zweiglein abzuhauen, –

Und ohne Werkzeug an den Sturm zu gehn,

Wehrt uns Vernunft. Nun, wo die Andern beben,

Sollst du von deinem Muth uns Zeugniß geben.


4.

So spricht Bouillon, und ohne Wortverschwenden

Weiht sich Rinald der Mühsal und Gefahr.

Er sagt nicht viel, doch wird er viel vollenden,

Dies macht sein Blick und Anstand offenbar.

Nun eilt er, zu den Andern sich zu wenden,

Und bietet freundlich Mund und Rechte dar.

Hier war Tancred, hier Guelf, vereinigt waren

Hier insgesammt die Obersten der Schaaren.


5.

Er eilt, den Gruß der Fürsten zu erwiedern,

Und letzet sich im treuen Freundesarm;

Leutselig dann empfängt er auch die Niedern,

Und dankt dem Volk nicht minder froh und warm.

Nicht freud'ger jubeln würden ihm die Biedern,

Gedrängter wäre nicht der Krieger Schwarm,

Und hätt' er auch den Ost und Süd geschlagen

Und zög' einher auf prächt'gem Siegeswagen.
[209]

6.

So geht er in sein Zelt, und sitzt, umgeben

Vom Kreise der Vertrauten, fröhlich dort,

Antwortet bald, läßt bald sich Kunde geben

Vom Gang des Kriegs und von dem Zauberort.

Doch als die Andern nun sich wegbegeben,

Sagt ihm der Eremit ein ernstes Wort:

Viel Großes, Herr, in wunderbarem Wandern

Auf langem Pfad, hast du erlebt vor Andern.


7.

Wie hast du doch den Herrn der Welt zu preisen,

Der dich entrissen jener Zaubermacht,

Und dich verlornes Lamm von irren Gleisen

Zu seiner Heerde mild zurück gebracht,

Und nun dich durch den Mund Bouillons, des weisen,

Zum zweiten Diener seines Willens macht.

Doch unentsündigt, darfst du nicht begehren,

Für seinen Dienst die Rechte zu bewehren.


8.

Denn du bist so vom Schmutz der Welt umzogen,

So tief versunken in des Fleisches Wahn,

Daß nicht des Nil und nicht des Ganges Wogen

Dich säubern könnten, noch der Ocean.

Des Himmels Gnad' allein, die dir gewogen,

Vermag's zu thun; drum wende dich hinan,

Fleh' um Verzeihung ihn, verhehl' ihm keine

Der stillen Missethaten, bet' und weine.
[210]

9.

Er spricht's; Rinald beweint in stiller Buße

Den stolzen Zorn, den eiteln Liebesbund,

Dann wirft er sich demüthig ihm zu Fuße

Und macht die Jugendfehler all' ihm kund.

Der Heil'ge löst ihn mit dem Gnadengruße

Und spricht alsdann: Sobald dem Erdenrund

Der Morgen strahlt, sollst du den Berg betreten,

Der gegen Osten schaut, um dort zu beten.


10.

Dann säume nicht, in jenen Forst zu dringen,

Wohin die Höll' all' ihre Larven schickt;

Du wirst, ich weiß, das Ungethüm bezwingen,

Wenn nur kein andres Blendwerk dich umstrickt.

O daß kein holdes Klagen oder Singen,

Kein Bild, wie süß es lächelt oder blickt,

Mit zarten Schmeichelei'n dein Herz betrüge!

Verachte der Gebild' und Bitten Lüge.


11.

So räth er ihm; voll Hoffnung und Verlangen

Macht sich Rinald zum großen Werk bereit.

Nachdenklich sind ihm Tag und Nacht vergangen,

Und rüstig nun, noch vor der Morgenzeit,

Läßt sich der Held vom Waffenschmuck umfangen

Und nimmt ein neu, fremdfarbig Oberkleid.

Zu Fuß und einsam, schweigend und entschlossen,

Verläßt er nun das Zelt und die Genossen.
[211]

12.

Als noch die Nacht von ihren stillen Reichen

Dem Tage nicht die Herrschaft ganz vertraut,

Am Himmel noch nicht alle Stern' erbleichen,

Und kaum im fernen Ost der Morgen graut:

Da eilt Rinald, den Oelberg zu erreichen,

Und hebt den Blick zum Himmel auf, und schaut,

Wie hier die Nacht, dort ihn der Morgen kröne

Mit unvertilgbar göttlich hoher Schöne.


13.

Wie schöne Lichter, muß er seufzend sagen,

Vereint in sich des Himmelstempels Pracht!

Der heitre Tag hat seinen Flammenwagen,

Goldstern' und Silbermond durchziehn die Nacht.

Doch Keiner hat an solchem Glanz Behagen;

Wir haben nur des trüben Lichtes Acht,

Das uns aus einem Antlitz, bald umdunkelt,

In flücht'gem Blick, in kurzem Lächeln funkelt.


14.

So sprechend, steigt er auf dem steilen Pfade

Den Berg hinan, und oben kniet er hin.

Er lenkt die Blicke nach des Osts Gestade,

Hoch über alle Himmel fliegt der Sinn:

O schaue, Herr, mit einem Blick der Gnade

Auf meines Lebens sträflichen Beginn!

Laß dein Erbarmen mein Gemüth befeuern,

Den alten Sinn zu bessern, zu erneuern!
[212]

15.

So fleht Rinald; am himmlischen Gefilde

Wird schon zu Gold Aurorens Purpurlicht,

Das, wie sie steigt, an seinem Helm und Schilde,

Am Bergesgrün die goldnen Strahlen bricht.

Mit sanftem Hauch umspielet leis' und milde

Die Himmelsluft ihm Brust und Angesicht,

Und läßt den Thau, Aurorens Schooß' entfallen,

Auf sein entblößtes Haupt hernieder wallen.


16.

Befeuchtet ward vom kräft'gen Himmelsthaue

Sein Oberkleid, das aschenfarbig war,

Und wie hinweggespült das Düstergraue,

Und das Gewand erglänzte, weiß und klar.

So herrlich schmückt die Blum' auf dürrer Aue

Im Morgenkühl der Blätter welke Schaar;

So sieht die Schlange, froh erstaunt, im Lenzen

Sich frisch verjüngt von neuem Golde glänzen.


17.

Sein Kriegsgewand so strahlend zu entdecken,

Erfreuet sich der staunende Rinald,

Und ohne Säumen lenkt er nun den kecken,

Furchtlosen Schritt zum alten dunkeln Wald.

Jetzt war er dort, wo seines Anblicks Schrecken

Die minder Muthbegabten zwingt zum Halt;

Doch nichts Unholdes, Fürchterliches hatten

Die Bäume jetzt, nur lieblich frohe Schatten.
[213]

18.

Er schreitet vor, und höret, wie von schönen,

Anmuth'gen Tönen Alles rings erklingt.

Sein Ohr vernimmt des Bächleins heisres Stöhnen,

Geseufz der Luft, die durch das Laub sich schwingt,

Des wohllautreichen Schwans wehmüthig Tönen,

Die Nachtigall, die klagend Antwort singt,

Und Orgeln, Leiern, menschliche Gesänge;

Ein einz'ger Klang enthält so viele Klänge.


19.

Er war gefaßt auf ein entsetzlich Brüllen,

Wie es den Andern hier entgegen drang,

Und Nymphen, Vögel, Luft und Bach erfüllen

Sein staunend Ohr mit wonnevollem Klang.

Er hemmt den Schritt, dies Wunder zu enthüllen;

Dann geht er fort mit zögernd leisem Gang.

Und siehet nichts sich ihm entgegen stellen,

Als eines Stroms durchsichtig klare Wellen.


20.

Die Fluren rings an seinen Ufern prangen

Mit Farb' und Duft in lieblichem Verein;

Er windet sich in tausendfachen Schlangen,

Und seine Flut umströmt den ganzen Hain.

Doch nicht genügt's, ihn außen zu umfangen,

Ein schmaler Arm dringt in den Forst hinein;

Vom Wald beschattet, netzt er seine Matten,

Und lieblich tauschen beide Feucht' und Schatten.
[214]

21.

Der Ritter späht, wo er den Fluß durchwade,

Als plötzlich eine Wunderbrück' ihm blinkt,

Aus Gold gemauert, die mit breitem Pfade

Auf festem Bogengrund dem Wandrer winkt.

Er geht hinüber; doch, kaum ans Gestade

Gelangt sein Fuß, als sie sogleich versinkt,

Hinabgeschwemmt vom erst so stillen Flusse,

Der jetzt einherbraust in gewalt'gem Gusse.


22.

Er kehrt sich um und sieht in breitern Räumen

Den Strom, wie von geschmolznem Schnee geschwellt,

Weit ausgedehnt, in tausend Wirbeln schäumen,

Indem er um sich selbst sich rollt und wellt.

Doch fühlt durch Neugier zu den alten Bäumen

Des dichten Hains sich hingelockt der Held,

Und immer scheint in wald'gen Einsamkeiten

Ein neues Wunder ihm sich zu bereiten.


23.

Wohin sein Fuß nur tritt im Weitergehen,

Da quillt's hervor, da sproßt es alsobald.

Hier sieht er Lilien, Rosen dort entstehen,

Ein Bach entsprudelt, eine Quell' entwallt,

Und über ihm, und rings, so weit zu sehen,

Verjüngt sein Laub der hochbejahrte Wald.

Die Rinde weicht sich auf, und wie im Lenzen

Scheint jeder Baum von frischem Grün zu glänzen.
[215]

24.

Ein flüss'ger Honig träufelt aus der Rinde,

Mit Manna ist das grüne Laub bethaut,

Und wiederum ertönet, leis' und linde,

Klag' und Gesang in süßem Wechsellaut.

Allein der Chor, der mit der Flut, dem Winde,

Den Schwänen sich vereint, wird nicht geschaut;

Er kann nicht sehn, wer diese Lieder singe,

Woher der Schall des Klanggeräthes dringe.


25.

Indem er schaut, und der Vernunft Ermessen

Abläugnet was die Sinne kund gethan,

Erblickt er eine Myrt' und lenkt indessen

Den Schritt zu ihr nach einem freien Plan.

Weit stolzer noch, als Palmen und Cypressen,

Streckt sie die großen Aeste himmelan;

Und fast berührt ihr Haupt die Wolkenräume,

Als wäre sie die Königin der Bäume.


26.

Ein neues Wunder, das sich dort entfaltet,

Macht daß sein Fuß sich hemmt, sein Auge stiert:

Ein Eichbaum ist's, der sich von selber spaltet,

Den hohlen Schooß eröffnet und gebiert.

Hervor tritt eine Nymphe, schön gestaltet,

Und wunderbar ist ihr Gewand verziert,

Und hundert Bäume sprengen dann die Rinden,

Um sich von hundert Nymphen zu entbinden.
[216]

27.

Wie oft sich auf Gemälden oder Bühnen

Dem Auge zeigt der Waldgöttinnen Schaar,

Hochaufgeschürzt, mit bloßem Arm, dem kühnen

Kothurn der Jagd und aufgelöstem Haar:

So stellen sich dem Ritter jetzt der grünen

Baumrinden trügerische Töchter dar;

Nur daß sie nicht mit Pfeil und Spieß sich zeigen,

Denn Lauten, Cithern tragen sie und Geigen.


28.

Sie fangen an zu tanzen und verschlingen

Sich selbst zum Kranz im holden Ringelreihn,

Und wie ein Kreis den Mittelpunkt, umringen

Sie den Rinald in lieblichem Verein,

Und auch den Baum umschließen sie und singen

Dem Ritter zu anmuth'ge Schmeichelei'n:

Wie schön, wie froh bist du hier eingetroffen,

Du unsrer Herrin Lieb' und theu'rstes Hoffen!


29.

Du kommst, der Kranken Labung zu gestatten,

Die von der Liebe Pfeil verwundet glüht.

Sieh diesen Wald, vorhin voll schwarzer Schatten,

Nur Wohnung für ein trauerndes Gemüth,

Sieh, wie so frisch, so lieblich seine Matten,

Wie fröhlich er, sobald du kommst, erblüht!

So sangen sie; ein süßer Ton entschwirrte

Dem schönen Baum, und auf that sich die Myrte.
[217]

30.

Oft zeigten Wunder sich in alten Zeiten

Bei Oeffnung eines ländlichen Silen;

Jetzt aber ließ viel schönre Seltenheiten

Die Myrt' hervor aus ihrem Schooße gehn.

Denn eine Nymphe sah man ihm entgleiten,

Ein Trugbild, doch wie Engel anzusehn.

Rinald erblickt's, und wähnt, mit leisem Grauen,

Armidens liebliche Gestalt zu schauen.


31.

Sie blickt ihn schweigend an, doch Wonn' und Klage

Spricht tausendfach aus Einem Blicke schon.

Seh' ich dich doch? – ertönt nun ihre Frage –

Kehrst du zurück zu der, die du geflohn?

Was führt dich her? Bringst du dem Trauertage,

Der Wittwennacht nun endlich süßen Lohn?

Wie? oder willst du neuen Krieg mir schaffen?

Was birgst du dein Gesicht und zeigst die Waffen?


32.

Kommst du als Freund, als Feind? Die reiche Brücke

Erbaut' ich wahrlich meinem Feinde nicht,

Schuf Quellen nicht und Blumen seiner Tücke,

Noch räumt' ihm weg, was dies Geheg' umflicht.

Leg' ab den Helm, und kommst du mir zum Glücke,

Zeig' Aug' in Auge mir dein Angesicht.

Laß Mund an Mund und Brust an Brust sich fügen;

Ja, deine Hand soll meiner Hand genügen.
[218]

33.

So fuhr sie fort und warf der Augen Strahlen

Ihm flehend zu, der Wangen Farb' entschwand,

Und holde Thränen, süße Seufzer stahlen

Sich leis' hervor, so heuchlerisch gewandt,

Daß arglos Mitgefühl bei solchen Qualen

Erweichen konnt' auch spröden Diamant.

Allein der Held, nicht grausam noch verwegen,

Behutsam nur, zieht ohne Rast den Degen.


34.

Er naht der Myrte sich; doch mit den Armen

Umschlingt sie den geliebten Stamm und schreit:

Nie sei es wahr, daß du, zur Schmach mir Armen,

Mit wildem Eisen meinen Baum entweiht!

Leg' ab dein Schwert; wo nicht, stoß' ohn' Erbarmen

Es in Armidens Brust, und end' ihr Leid.

Ja, diese Brust, dies Herz mußt du durchdringen,

Willst du dein Schwert an meine Myrte bringen!


35.

Er zückt den Stahl, vom Flehn nicht aufgehalten;

Da zeigt ein neues Wunder sich geschwind.

Wie oft im Traum sich Bilder umgestalten,

Aus Einem sich ein andres Bild entspinnt:

So dehnt ihr Leib sich aus, und düstre Falten

Zeigt ihr Gesicht; das Weiß und Roth zerrinnt.

Als hoher Ries' erscheint sie, umgeschaffen

Zum hundertarm'gen Brīareus in Waffen.
[219]

36.

Und funfzig Schwerter, funfzig Schilde reichen

Ihr mächt'ge Wehr; Wut flammt ihr Angesicht.

Die Nymphen auch, die jetzt Cyklopen gleichen,

Bewaffnen sich; er aber zittert nicht,

Und fällt den Baum an mit vermehrten Streichen,

Der, wie beseelt, stöhnt unterm Schwertgewicht.

Das Luftgefild gleicht stygischen Gefilden,

Von Ungeheuern voll und Graungebilden.


37.

Die Erde bebt, als spräng' in tausend Splitter

Ihr alter Grund; mit Blitz und Donner regt

Am Himmel sich ein gräßlich Ungewitter,

Das ins Gesicht ihm Sturm und Hagel schlägt.

Doch keinen einz'gen Hieb verfehlt der Ritter,

Bei aller dieser Wut stets unbewegt.

Er fällt den Baum, den Nußbaum, nicht mehr Myrte;

Der Zauber schwand, der Larven Heer entschwirrte.


38.

Die Luft erhellte sich, die Stürm' entwallten;

Der Forst war wieder wie vorhin zu schau'n,

Nicht froh noch furchtbar mehr durch Zauberwalten,

Von Grauen voll, doch angebornem Grau'n.

Rinald versucht, was noch ihn könne halten,

Die Bäume dieses Waldes umzuhau'n;

Dann lächelt er und spricht: O eitle Lügen!

O thöricht, wer von euch sich läßt betrügen!
[220]

39.

Ins Lager kehrt er heim. Von heil'gem Brande

Durchglüht, ruft Peter dort mit lautem Ton:

Gelöset sind des Waldes Zauberbande,

Der Sieger kehrt zurück, er nahet schon!

Seht da! Und nun, im glänzenden Gewande,

Ehrwürdig stolz, erscheint der Heldensohn;

Und von des Adlers silbernem Gefieder

Strahlt glänzender als sonst die Sonne wieder.


40.

Vom ganzen Heere wird er froh empfangen

Mit lautem Ruf, der weit durchs Lager schallt,

Und von Bouillon mit ehrenvollem Prangen;

Doch es beneidet Keiner den Rinald.

Zum Feldherrn spricht der Held: Auf dein Verlangen

Ging ich, und sah den schreckenvollen Wald;

Ich sah und brach den Zauber. Laß die Schaaren

Jetzt ruhig ziehn; nichts mehr ist zu befahren.


41.

Die Leute gehn zum alten Forst und hauen

Mit guter Wahl des Holzes dort genug.

Und zeigt' ein schlechter Zimmermann beim Bauen

Des ersten Thurms nur wenig Kunst und Fug,

So ließ sich jetzt ein hoher Künstler schauen

Und fügte das Gebälk geschickt und klug:

Wilhelm von Genua, der auf weiten Wogen

Als Herr des Meeres sonst umher gezogen.
[221]

42.

Der großen Heidenflotte mußt' er weichen,

Und ließ ihr dann die Herrschaft auf dem Meer.

Jetzt bracht' er alles Seevolk sammt der reichen

Wehrrüstung seiner Schiffe mit zum Heer.

Mit ihm im Fach der Werkkunst zu vergleichen

War von den größten Meistern keiner mehr;

Auch hatt' er bei sich hundert Baugesellen,

Um jeden seiner Plan' ins Werk zu stellen.


43.

Viel Katapulten, Widder und Balisten

Ließ er erbau'n durch seiner Künstler Hand,

Und andres Sturmzeug, das in kurzen Fristen

Zerstören soll die feste Mauerwand.

Doch Größers schuf er noch zum Heil der Christen;

Dies war ein Thurm, der ganz aus Holz bestand

Und äußerlich mit Häuten war umschlossen,

Zum sichern Schutz vor feurigen Geschossen.


44.

Leicht wird das Werk zerlegt in seine Stücke,

Und wieder eingefugt geschwind und leicht.

Von unten kommt der Widder, der voll Tücke

Die gegenübersteh'nde Wand bestreicht;

Dann aus der Mitt' hervor springt eine Brücke,

Die fest und sicher bis zur Mauer reicht;

Und endlich zeigt ein kleinrer Thurm sich oben

Und wird mit leichter Müh' empor geschroben.
[222]

45.

Schnell läßt der Thurm sich aus der Stelle schaffen;

Wo ebner Weg ist, läuft er hurtig fort

Auf hundert Rädern; auch beschwert mit Waffen

Und vielem Volk, vertauscht er leicht den Ort.

Die fremde Kunst, der Arbeit Schnelle gaffen

Die Schaaren an und stehn verwundert dort.

Und außer diesem rüstet man zum Sturme

Zwei andre noch, ganz gleich dem ersten Thurme.


46.

Doch in der Stadt die Saracenen paßten

Auf Alles wohl, was man im Lager macht;

Denn ihrer Späher Schaar hielt ohne Rasten

Vom nächsten Ort der Mauer gute Wacht.

Sie sahn zum Lager die gewalt'gen Lasten

Der Buchen, Fichten aus dem Forst gebracht,

Sahn Sturmgeräth; doch ließ sich von den Werken,

So fern, nicht deutlich die Gestalt bemerken.


47.

Auch sie bereiten Kriegsgeräth, und geben

Den Thürmen und der Mauer größre Kraft,

Indem sie diese dort noch mehr erheben,

Wo sie am mindsten Sicherheit verschafft.

Nun glaubt man, daß gewiß das kühnste Streben

Der Feindesmacht an dieser Wehr erschlafft.

Doch jede Wehr wird von den Feuerstoffen,

Die jetzt Ismen bereitet, übertroffen.
[223]

48.

Er sammelt Pech und Schwefel aus der Welle

Des Sees, der über Sodom sich ergießt;

Vielleicht auch aus dem Strom, der um die Schwelle

Des Höllenabgrunds in neun Kreisen fließt,

Und schafft ein Feuer, das mit wilder Schnelle,

Mit Stank und Rauch, dem Feind ins Auge schießt;

So hofft er seinen Wald, den jene Frechen

Trotz ihm verletzt, durch wilden Brand zu rächen.


49.

Indeß zum Sturm das Heer auf diese Weise,

Und zur Vertheid'gung sich die Veste schickt,

Wird eine Taube, hoch im Wolkengleise,

Von Vielen aus dem Frankenheer erblickt.

Auf flüss'ger Bahn verfolgt sie ihre Reise,

Und regt die Flügel rüstig und geschickt.

Schon senkt die fremde Botin ihr Gefieder

Aus hoher Luft zur nahen Stadt hernieder:


50.

Als mit gekrümmtem Schnabel, mächt'gen Klauen,

Auf einmal ein gewalt'ger Falk erscheint,

Wie um den Weg zur Stadt ihr zu verbauen;

Doch sie erwartet nicht den wilden Feind.

Hinunter treibt er sie aus luft'gen Auen

Zum großen Zelt; schon trifft er sie, wie's scheint,

Und zielt nach ihrem Kopf mit scharfem Stoße,

Sie aber flüchtet schnell zu Gottfrieds Schooße.
[224]

51.

Kaum hat sie hier wohlthät'gen Schutz gefunden,

Als Gottfried eine Seltsamkeit gewahrt:

Ein Faden ist um ihren Hals gewunden,

Der unterm Fittig einen Brief bewahrt.

Er eilt sogleich, den Inhalt zu erkunden,

Der ihm in kurzem Wort dies offenbart:

Dem Herrscher von Judäa Gruß und Ehre

Vom Feldherrn über die ägypt'schen Heere!


52.

Nicht zag', o Herr! steh fest und halte Dauer

Nur bis zum vierten oder fünften Tag;

Denn bald befreien werd' ich jene Mauer,

Und stürzen deinen Feind auf Einen Schlag. –

Dies war die wicht'ge Botschaft, die in schlauer

Geheimschrift jetzt vor Gottfrieds Augen lag,

Und die man durch den Flügelboten sandte,

Wie man im Ost sie damals oft verwandte.


53.

Der Feldherr giebt, nachdem er dies vernommen,

Die Taube frei; sie aber wagt sich nicht

Zu ihrem Herrn zurück, von Furcht beklommen,

Weil sie gebrochen glaubt des Dienstes Pflicht.

Nun läßt Bouillon die Führer zu sich kommen,

Zeigt ihnen den geheimen Brief und spricht:

Ihr schaut, wie Alles uns zu offenbaren

Gewürdigt hat der Herr der Himmelsschaaren.
[225]

54.

Nicht längre Zeit ist säumend zu verbringen;

Beginnen muß man neue Bahn sofort,

Und, um die Mittagsmauer zu bezwingen,

Nicht sparen weder Schweiß noch Mühe dort.

Schwer ist es, da mit Waffen durchzudringen;

Doch kann's geschehn, ich kenne Weg' und Ort.

Und sicher hat die Mauer, durch die Stärke

Der Lage fest, dort minder Wehr und Werke.


55.

Du, Raimund, greif' an jener Mittagsseite

Mit deinem Sturmgeräth die Mauern an,

Indeß ich jenseits meine Schaar verbreite,

Als wollt' ich mich dem Norderthore nahn.

Dies sieht der Feind, und wird zum stärksten Streite

Gen Mitternacht sich ziehn, in falschem Wahn;

Dann schwenkt mein großer Thurm, sich leicht bewegend,

Ein wenig ab, und stürmt in andrer Gegend.


56.

Zu mir heran, Camill, wirst du indessen

Zum Angriff mit dem dritten Thurme ziehn.

Er schwieg, – und Raimund, ihm zunächst gesessen,

Der mittlerweil still zu erwägen schien,

Begann: Des Feldherrn weislichem Ermessen

Läßt nichts hinzu sich fügen, noch entziehn.

Nur dieses rath' ich noch, daß Jemand gehe,

Der im Aegypterheer nach Kundschaft spähe,
[226]

57.

Und wahrhaft uns des Feindes Stärke sage,

Und welchen Plan des Krieges man erkor.

Tancred versetzt: Zu dieser Absicht schlage

Ich einen meiner Waffenträger vor.

Rasch ist er und gewandt in jeder Lage,

Verwegen, doch kein unvorsicht'ger Thor.

Er kennt die Sprachen von verschiednen Ländern,

Weiß Stimme, Gang und Anstand leicht zu ändern.


58.

Man ruft ihn her; und als er kaum vernommen,

Was Gottfried, was sein Herr von ihm begehrt,

Sagt er's mit Lächeln zu, ganz unbeklommen,

Und spricht vergnügt: Gleich setz' ich mich aufs Pferd.

Bald will ich zu des Feindes Zelten kommen;

Als Späher, unerkannt und unverwehrt,

Dring' ich am hellen Mittag ein zum Walle

Und zähle dort die Ross' und Krieger alle.


59.

Von jenes Heers Beschaffenheit und Stärke,

Vom Plan des Feldherrn bring' ich euch Bescheid.

Nichts vorgehn soll in ihm, was ich nicht merke,

Und wär' es auch die größte Heimlichkeit.

So spricht Vafrin und schreitet rasch zum Werke,

Wählt, statt des Wammses, sich ein langes Kleid,

Und zeigt den Hals entblößt; das Haupt umwinden,

Nach Heidenart, verschlungne, falt'ge Binden.
[227]

60.

Den Köcher nimmt er und den Syrerbogen,

Ausländer ganz an Wesen und Gestalt,

Und all' den Sprachen, die ihm rasch entflogen,

Staunt jedermann, dem seine Red' erschallt.

Zum Syrer hätt' er sich in Tyr gelogen,

Wie er in Memphis für Aegypter galt.

Er reitet fort, so schnell, daß kaum die Spuren

Sein Renner läßt in weichen Sandesfluren.


61.

Die Franken, eh der zweite Tag sich endet,

Verbessern rings die Weg' in aller Hast;

Auch wird zugleich das Sturmgeräth vollendet,

Denn nimmer ruhn sie von der Arbeit Last.

Die Nacht sogar wird wie der Tag verwendet

Und ihr geraubt die sonst gewohnte Rast,

Und nun ist nichts, was noch im Wege bleibe,

Daß man den Sturm mit aller Kraft betreibe.


62.

Den Tag vor dem bestimmten Ueberfalle

Verbringt der Feldherr meistens im Gebet,

Und beichten läßt er seine Krieger alle,

Worauf das Heer zum Tische Gottes geht.

Mit Absicht zeigt er nun vor jenem Walle,

Den er zu schonen denkt, sein Sturmgeräth,

Und der getäuschte Feind, zum Streite fertig,

Ist vor dem sichern Thor des Sturms gewärtig.
[228]

63.

Kaum aber färbt die dunkle Nacht sich grauer,

So wird der große Thurm dahin gebracht,

Wo, minder krumm und minder fest, die Mauer

Sich nicht in Bogen neigt, noch Winkel macht.

Hoch ob der Stadt steht Raimund auf der Lauer

Mit seinem Thurm, und harrt der nahen Schlacht,

Und zwischen Nord und Westen rückt zum Sturme

Camill heran mit jenem dritten Thurme.


64.

Am Morgenrand des Horizonts entdecken

Die Schimmer jetzt der Sonne Wiederkehr:

Da sieht der Feind mit nicht geringem Schrecken,

Der Thurm sei nicht auf seiner Stelle mehr,

Und dort und hier drohn an verschiednen Ecken

Zwei andre Thürme, nie erblickt vorher,

Und ganz unzählig sieht man bei den Christen

Die Katapulten, Widder und Balisten.


65.

Die Heiden bringen nun, sich rasch bewegend,

Von seinem frühern Ort das Kriegsgeräth,

Das zur Vertheid'gung dient, nach jener Gegend,

Wo man Bouillons Sturmwerkzeug jetzt erspäht.

Allein der weise Feldherr, wohl erwägend,

Daß ihm Aegyptens Heer im Rücken steht,

Läßt Guelf und beide Robert zu sich bitten,

Und spricht: Bleibt hier, bewaffnet und beritten,
[229]

66.

Und sorgt dafür, wann wir zum Sturme schreiten

Und uns der minder starken Mauer nahn,

Daß keine Schaar, indeß wir vorne streiten,

Uns unversehens greif' im Rücken an.

Er schweigt. Schon ziehn von drei verschiednen Seiten

Drei tapfre Schaaren jetzt zum Sturm heran;

Drei Schaaren auch stellt Aladin entgegen,

Der heute selbst ergreift den alten Degen.


67.

Vor Alter zitternd, hüllt er seine Glieder,

Von eigner Last gedrückt und manchem Jahr,

Jetzt in die längst entwöhnte Rüstung wieder,

Und stellt sich gegen Raimunds tapfre Schaar.

Auf Gottfried schickt er Solyman hernieder,

Argant auf den Camill; bei Diesem war

Der Neffe Bohemunds, vom Glück erkoren,

Den Feind, der ihm gebührte, zu durchbohren.


68.

Die Schützen nahn zuerst in raschen Zügen

Und drücken giftgetränkte Waffen los,

Und von der Pfeil' unzähl'gen Wolkenflügen

Verdunkelt sich des Himmels weiter Schooß.

Doch die gewalt'gen Mauerbrecher fügen

Noch größres Unheil zu durch mächt'gern Stoß;

Denn Marmorkugeln sind es, die sie werfen,

Und Balken fahren aus mit Eisenschärfen.
[230]

69.

Ein Blitz ist jeder Stein, und wen er funden,

Dem malmt er Wehr und Glieder dergestalt,

Daß nicht nur Seel' und Leben sind entschwunden,

Auch selbst des Leibes und Gesichts Gestalt.

Die Lanze bleibt nicht stecken in den Wunden,

Auch nach dem Stoße macht sie keinen Halt.

Zu dieser Seite dringt sie ein, zur andern

Fährt sie hinaus, und läßt den Tod im Wandern.


70.

Die Heiden, trotz so wildem Angriff, wachen

Zum Schutz der Stadt nicht minder aufmerksam.

Geschmeidig Tuch, sammt andern weichen Sachen,

War's, das die Macht des Stoßes auf sich nahm.

Der Prall fand keinen Widerstand am schwachen

Nachgieb'gen Zeug, und traf nur matt und lahm,

Und wo der Feind achtloser sich ergossen,

Ward rauh erwiedert mit den Fluggeschossen.


71.

Allein der Franken Angriff wird nicht lauer,

Und jede der drei Schaaren bleibt bewährt.

Die kommen unterm Dach, an dem der Schauer

Gedrängter Pfeil' umsonst hernieder fährt;

Und Jene ziehn die Thürm' heran zur Mauer,

Die sie aus allen Kräften von sich wehrt.

Nun wirft man Brücken aus von allen Thürmen

Und läßt die Eisenstirn des Widders stürmen.
[231]

72.

Rinald indeß scheint zögernd noch zu schwanken,

Weil er die Fahr nicht seiner würdig meint;

Ihm däucht es Pöbelruhm, wie andre Franken

Gemeinen Weg zu gehn, dem Volk vereint.

Er schaut umher, und wählt nun ohne Wanken

Den Pfad, der Jedem unzugänglich scheint.

Wo, unbekriegt, mit höhern, stärkern Zinnen

Die Mauer trotzt, will er den Sturm beginnen.


73.

Er wendet sich zu der berühmten Menge,

Die Dudo sonst geführt, und spricht voll Glut:

O Schande, daß, bei solchem Kampfgedränge,

Die Mauer dort in sicherm Frieden ruht!

Nie gab's Gefahr, die Kühnheit nicht bezwänge,

Und jeder Pfad ist eben für den Muth.

Wohlauf, zum Sturm! wir schützen vor den wilden

Steinwürfen uns mit einem Dach von Schilden.


74.

Er rief's; gleich traten zu ihm die Gefährten

Und hoben übers Haupt die Schild' hinan,

Die, fest gefugt, ein Eisendach gewährten,

Hinlänglich stark, das Wetter zu empfahn.

Geschlossen dringt die Schaar der Muthbewährten

Im Sturmschritt vor, und nichts hemmt ihre Bahn;

Denn aufgefangen wird vom festen Dache,

Was auch verderblich jetzt herniederkrache.
[232]

75.

Schon sind sie da. Rinaldo's Arme hoben

Die hundertspross'ge Leiter an die Wand,

Und leichter, als ein Rohr vom Windestoben,

Ward sie bewegt von seiner starken Hand.

Steinklumpen, Säulen, Balken wirft man oben

Auf ihn hinab; er steigt, rasch und gewandt,

Unzaghaft, unbesiegt vom stärksten Pralle,

Nicht achtend, ob Olymp und Ossa falle.


76.

Ein Wald von Pfeilen, Berg von Felsensplittern

Stürmt auf den Schild und auf den Rücken ein.

Die eine Hand macht rings die Mauer zittern,

Die andre muß dem Haupte Schutz verleihn.

Sein Beispiel regt auch bei den andern Rittern

Den Muth zur That; er steigt nicht mehr allein.

Noch Viele klimmen an auf hoher Leiter;

Doch ungleich sind Kraft und Erfolg der Streiter.


77.

Der stirbt, der fällt; Er, stets im Weiterrücken,

Ermuntert diese hier, droht jenen dort.

Schon packt sein Arm – denn Alles muß ihm glücken –

Weit ausgestreckt, den höchsten Mauerbord.

Das Volk rennt zu; mit Drängen, Stoßen, Drücken

Bestürmt man ihn, und treibt ihn doch nicht fort.

O Wunder! solcher Schaar, fest, kräftig strebend,

Ihr widersteht Ein Mann, in Lüften schwebend.
[233]

78.

Er widersteht, rückt vor, ermannt sich wieder;

Der Palme gleich, die eine Last beschwert,

Erstarken ihm, je mehr bekämpft, die Glieder,

Und durch den Druck wird seine Kraft vermehrt.

Nun endlich wirft er alle Feinde nieder,

Dringt mit Gewalt durch Lanze, Spieß und Schwert,

Springt auf den Mauerkranz als Herr und Sieger,

Und macht ihn frei auch für die andern Krieger.


79.

Er selber bot die siegreich günst'ge Rechte

Dem jüngsten Bruder seines Feldherrn dar,

Als dessen Kraft sich bis zum Fallen schwächte,

Und half ihm so, daß er der Zweite war.

Indeß erfuhr im wechselnden Gefechte

Der Feldherr manch Geschick und viel Gefahr;

Denn nicht der Mensch nur kämpft an jener Stäte,

Auch Kriegsgeräth kämpft mit dem Kriegsgeräthe.


80.

Hoch auf der Mauer war ein Stamm zu schauen,

Der sonst auf einem Schiffe dient' als Mast.

Quer über ihm, mit stahlbeschlagnem rauhen

Stirntheil bewehrt, hängt eines Balkens Last,

Die, erst zurückbewegt an starken Tauen,

Dann wiederkehrt mit ungestümer Hast.

Jetzt kriecht die Schildkröt' ein; jetzt, mit Gebrause,

Streckt sie den Hals hervor aus ihrem Hause.
[234]

81.

Der mächt'ge Block verdoppelt seine Pralle

Und schmettert auf den Thurm mit solchem Graus,

Daß er ihm löst die festen Fugen alle,

Und fort ihn stößt und schüttelt ihn durchaus.

Doch sichre Waffen hatt' in diesem Falle

Der Thurm bereit: zwei Sicheln fahren aus,

Die sich geschickt dem Block entgegenwerfen

Und ihm die Seil' abhau'n mit ihren Schärfen.


82.

So wie ein Felsklump, durch die Zeit verwittert,

Gelöst vielleicht vom ungestümen Nord,

Hernieder stürzt und rings den Wald zersplittert,

Und Hütten reißt und Heerden weg vom Ort:

So stürzt der Balken, daß der Wall erzittert,

Reißt Zinnen, Volk und Waffen mit sich fort.

Ein-, zweimal kracht der Thurm mit lautem Dröhnen,

Die Mauer bebt, die Hügel rings ertönen.


83.

Schon glaubt Bouillon erstiegen das Gemäuer,

Und dringet siegreich immer weiter vor;

Doch plötzlich steigt ein stinkend, dampfend Feuer,

Das auf ihn zufährt, von dem Wall empor.

Noch nimmer brach so furchtbar ungeheuer

Die Flamm' aus Aetna's Schwefelschlund hervor;

Nie goß der Himmel noch, im Sommerbrande,

So heiße Dünst' herab auf Indiens Lande.
[235]

84.

Brandtöpfe, Reife, Feuerspeere sausen;

Hier strahlt die Flamme schwarz, dort blutig roth.

Der Stank berauscht, betäubend wirkt das Brausen,

Blind macht der Rauch, die Flamme faßt und loht.

Nicht lange wehrt die nasse Haut dem grausen

Gewalt'gen Brand, kaum schützt sie noch zur Noth.

Schon schwitzt sie und verschrumpft, und hilft zur Stunde

Der Himmel nicht, so geht der Thurm zu Grunde.


85.

Der hehre Feldherr steht vor seinen Leuten

Und ändert nicht die Farbe noch den Stand,

Die Schaar ermunternd, die den trocknen Häuten

Flut überströmt, zum Schutz vor jenem Brand.

Doch als schon näher die Gefahren dräuten

Und wenig sich des Wassers übrig fand:

Da, siehe! fährt ein Sturm herab von oben

Und weht den Brand auf die, so ihn erhoben.


86.

Er jagt die Glut zurück zu ihren Schlünden

Und auf die Tücher, die, vom Feind bestimmt

Zum Schutz der Mauer, sich sogleich entzünden,

So daß, was brennbar ist, in Kurzem glimmt.

O Held, mit dem die Himmel sich verbünden,

Den der Allmächt'ge selbst in Obhut nimmt!

Der Höchste kämpft für dich; die Winde kommen,

Sobald sie der Posaunen Ruf vernommen.
[236]

87.

Allein Ismen, der von des Nordes Flügen

Sieht auf sich selbst gejagt die Schwefelglut,

Will noch einmal durch seine Kunst der Lügen

Bewält'gen die Natur, der Stürme Wut,

Und sammt zwei Druden, die sich zu ihm fügen,

Klimmt er zur Mauer an mit frechem Muth.

Schwarz, bärtig, grauenhaft, scheint er den Sinnen

Ein Charon, Pluto, neben zwei Erinnen.


88.

Schon murmelt er die Worte, deren Schauer

Den Phlegethon und den Cocytus bannt;

Schon dunkelt sich die Luft, schon hat ein grauer

Dunstnebel rings der Sonne Stirn umspannt:

Da, siehe, fährt vom hohen Thurm zur Mauer

Ein großer Stein, gelöst von Bergeswand.

Er stürzt zugleich auf alle Drei hernieder,

Verströmt ihr Blut, zerschmettert ihre Glieder,


89.

Und so zerstückelt werden die Gebeine,

Zermalmt die Schädel von des Blocks Gewicht,

Daß kaum das Korn, gequetscht vom Mühlensteine,

In kleinre Stäubchen sich zerreibt und bricht.

Die drei verruchten Geister fliehn die reine,

Lebend'ge Luft, das schöne Himmelslicht,

Und eilen seufzend in das Reich der Nächte –

Drum, Menschen, fürchtet Gott und übt das Rechte!
[237]

90.

Der Thurm indeß, den vor des Feuers Wogen

Der Wind geschützt, eilt, sich der Stadt zu nahn,

Und legt bereits der Brücke schmalen Bogen,

Mit kühnem Wurf, fest auf die Mauer an.

Doch schnell kommt Solyman herbei geflogen

Und sucht zu brechen die verwegne Bahn,

Und mehrt die Hieb' und hätte sie zerhauen;

Doch plötzlich läßt ein andrer Thurm sich schauen.


91.

Anwachsend, ragt ob allen Häusermassen

Weit in die Luft der hohe Bau empor.

Die Heiden sehn dies Wunder und erblassen,

Weil selbst die Stadt an Höhe jetzt verlor.

Doch Solyman will seinen Platz nicht lassen,

Ob auch die Steinmeng' ihn zum Ziel erkor;

Er giebt's nicht auf, die Brücke zu zerschlagen,

Und muntert auf und schilt der Andern Zagen.


92.

Da zeigt sich Engel Michael des frommen

Heerführers Augen, sichtbar ihm allein,

Von Himmelswehr umblitzt, von Licht umglommen,

Besiegend der entwölkten Sonne Schein.

Sieh, Gottfried, spricht er, sieh! die Stund' ist kommen,

Vom Joch der Knechtschaft Zion zu befrei'n.

Nicht senke, senke nicht die scheuen Blicke;

Schau, welchen Beistand dir der Himmel schicke!
[238]

93.

Erhebe nur die schwachen Augen freier

Und sieh das Himmelsheer in luft'gen Au'n!

Denn lüpfen will ich deinem Blick den Schleier

Der Sterblichkeit, deß undurchdringlich Grau'n

Dem Menschen birgt des Himmels hohe Feier,

So wirst du hüllenlose Geister schau'n

Und kannst dem Glanz der englischen Gestalten

Auf kurze Frist dein Aug' entgegen halten.


94.

Sieh jene, die, für Christi Wort gefallen,

Als Geister nun des Himmels Bürger sind,

Die mit dir kämpfen, und auch mit dir wallen

Ans hohe Ziel, das deine Kraft gewinnt.

Sieh, wo die Mauern dort in Trümmer fallen,

Wo Staub und Dampf schwarz durcheinander rinnt,

Dort kämpfet Hugo zwischen Rauch und Flammen,

Und stößt der Thürme festen Grund zusammen.


95.

Sieh dort, wie Dudo die erhabne Pforte

Gen Mitternacht bestürmt mit Schwert und Brand.

Er reicht den Kriegern Wehr, ruft kräft'ge Worte,

Legt Leitern an und hält sie fest im Stand.

Der dort sich zeigt, an jenem höhern Orte,

Geschmückt mit Bischofshut und Meßgewand,

Ist Adhemar, der Hirt aus sel'gen Reichen;

Er segnet euch und macht des Kreuzes Zeichen.
[239]

96.

Richt' höher noch den Blick und sieh das ganze

Vereinte Himmelsheer in voller Pracht!

Er hebt das Aug' und sieht in hellem Glanze

Geflügelt, ohne Zahl, des Himmels Macht.

Drei Schaaren sind's, und jed' in einem Kranze,

Drei Glieder stark, geordnet wie zur Schlacht;

Und ihre Kreise, die an Raum gewinnen

Nach außen zu, verengern sich nach innen.


97.

Geblendet sank sein Aug'; er hebt's, um weiter

Des Schauspiels sich zu freu'n, und sieht's nicht mehr.

Doch, um sich blickend, sieht er seine Streiter

Vom Siegsglück angelächelt rings umher.

Viel' Helden trug, Rinalden nach, die Leiter;

Und Er, schon oben, würgt im Heidenheer.

Da zürnt Bouillon, die Zeit hier zu verschwenden,

Und reißt die Fahn' aus ihres Trägers Händen.


98.

Zuerst beschreitet er die Brück', und eben

Sperrt in der Mitt' ihm Solyman den Weg.

Hier zeigt sich ein unendlich Heldenstreben

In wenig Hieben, auf so engem Steg.

Der tapfre Sultan ruft: Für Andrer Leben

Werf' ich, mich opfernd, hier das meine weg.

Haut ab die Brücke hinter mir, o Leute!

Ich bleibe hier, doch nicht als leichte Beute.
[240]

99.

Da sieht er den Rinald, hieher sich lenkend,

Und Alle fliehn vor seinem grausen Nahn.

Was soll ich thun? Mein Leben hier verschenkend,

Verschenk' ich's, spricht er, ohne Zweck und Plan.

Und immer noch auf neue Schutzwehr denkend,

Läßt er nunmehr dem Feldherrn freie Bahn,

Der drohend folgt, wie seine Schritte weichen,

Und auf die Mauer pflanzt des Kreuzes Zeichen.


100.

Man sieht die Siegesfahn' erhaben wallen

Und prachtvoll sich in tausend Kreisen blähn.

Glanzheller scheint der Tag auf sie zu fallen,

Ehrfürcht'ger selbst die Luft sie anzuwehn,

Und mancher Pfeil scheint von ihr abzuprallen

Und mancher scheu an ihr vorbeizugehn;

Es scheinen Burg und Hügel sich zu neigen

Und, fromm entzückt, ihr Ehrfurcht zu bezeigen.


101.

Frohlockend schallt durch alle Heeresglieder

Das Siegsgeschrei, laut jubelnd weit und breit.

Rings das Gebirg erschallt und hallet wieder

Die letzten Tön', und fast zur selben Zeit

Stürmt auch Tancred die letzte Schutzwehr nieder,

Die ihm Argant entgegenwarf im Streit,

Schlägt seine Brück', eilt nach dem Mauerkranze

Und stellt das Kreuz dort auf im Siegesglanze.
[241]

102.

Im Süden nur, wo gegen den Tyrannen

Jerusalems der graue Raimund stand,

Gelang's noch nicht Gasconiens tapfern Mannen,

Den Thurm zu nahn der schroffen Mauerwand.

Ihn hielt der Kern des Heidenheers von dannen,

Der in der Schaar des Königs sich befand,

Und war die Mauer dort von mindrer Stärke,

War sie geschützter durch Vertheid'gungswerke.


103.

Und überdies war hier, am Felsenhange,

Dem großen Bau der Zugang minder leicht,

Weil die Natur des Orts dem mächt'gen Zwange

Der Kriegeskunst doch nicht in Allem weicht.

Indessen wird vom lauten Siegesklange

Der Heiden und Gasconier Ohr erreicht,

So daß der König und der Graf erkunden,

Schon sei die Stadt im Norden überwunden.


104.

Da ruft der von Toulous': Ihr Kampfgenossen!

Von jenseit ist die Stadt erobert schon,

Und widersteht besiegt? und ausgeschlossen

Sind wir allein vom hehren Siegeslohn? –

Doch endlich weicht der alte Fürst, verdrossen,

Da jede Hoffnung des Erfolgs entflohn,

Und flüchtet sich nach einem höhern Thurme,

Wo er gedenkt zu widerstehn dem Sturme.
[242]

105.

Nicht durch die Mauern nur, auch durch die Pforten

Zieht nun das ganze Siegerheer hinein;

Denn schon gesprengt, verbrannt, zerstört ist dorten,

Was noch im Wege war den tapfern Reih'n.

Des Schwertes Grimm lustwandelt aller Orten,

Und Tod, mit Grau'n und Jammer im Verein;

In Bächen strömt das Blut, stemmt sich in Teichen,

Von halb Lebend'gen voll, und voll von Leichen.

Quelle:
Torquato Tasso: Das Befreite Jerusalem. Teil 2, Berlin 1855, S. 207-243.
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