Eilfter Gesang.

1.

Indeß der Kriegesfürst der gläub'gen Menge

Nur auf den Angriff sinnet fort und fort,

Und Sturmzeug rüstet, das die Stadt bedränge,

Naht Peter sich, der Eremit, ihm dort,

Führt ihn zur Seit' und spricht mit frommer Strenge,

Ehrwürdig ernst, zu Gottfried dieses Wort:

Wohl seh' ich, daß du ird'sche Waffen rüstest,

Doch nicht beginnst du, Feldherr, wo du müßtest.


2.

Vom Himmel sei der Anfang! Laß erschallen

Ein fromm und öffentlich Gebet zuvor

Den Kriegesengeln und den Heil'gen allen,

Daß sie dem Heer aufthun des Sieges Thor.

Im Festschmuck laß voran die Priester wallen

Mit flehender Gesäng' andächt'gem Chor,

Und dann von euch erlauchten Führern lerne

Das Volk die Gottesfurcht, und folg' euch gerne.


3.

So sagt der Eremit, ernst und gerade,

Und Gottfried lobt der Rede weisen Sinn:

Knecht Jesu, spricht er, bei dem Herrn in Gnade,

Sieh, ob ich deinem Rathe folgsam bin.

Indessen ich die Führer zu mir lade,

Geh zu den beiden Völkerhirten hin,

Wilhelm und Adhemar, und eurer Leitung

Sei anvertraut des heil'gen Fests Bereitung.


4.

Der Greis versammelt bei der frühsten Helle,

Nebst jenen Zween, der niedern Priester Schaar,

Da, wo im Lager die geweihte Schwelle

Dem frommen Dienst des Herrn bereitet war.

Sie alle nehmen an der heil'gen Stelle

Ein weiß Gewand; der Oberhirten Paar

Schnallt auf der Brust des goldnen Mantels Spangen

Und läßt das Haupt vom Bischofshut umfangen.


5.

Den Zug führt Peter an, im Winde breitend

Das hohe Bild, vor dem der Himmel kniet;

Worauf der Chor, ernst und gemessen schreitend,

Einher in langer Doppelreihe zieht:

Demüth'gen Tons von frommen Lippen gleitend,

Erschallet leis' ein flehend Wechsellied;

Und endlich gehn, zum Schluß der heil'gen Schaaren,

Die Fürsten, Wilhelm neben Adhemaren.
[8]

6.

Nun kommt Bouillon, und zwar, nach Feldherrnsitte,

In keines Manns Begleitung, er allein.

Die Führer folgen paarweis seinem Schritte,

Und dann, für sie bewehrt, der Krieger Reihn.

So zieht, geordnet, aus des Lagers Mitte

Das Volk hervor in würdigem Verein;

Nicht der Trommeten kriegerisch Gedröhne,

Nur Psalmen hört man und der Andacht Töne.


7.

Erzeuger dir; dir, dem ihm gleichen Sohne;

Dir, der von Beiden aus, in Liebe, geht;

Dir, des Gottmenschen Mutter, die am Throne

Zur Rechten sitzt, euch schallet ihr Gebet;

Und, Führer, euch, die in der Strahlenzone

Ihr vor dem Heer der Himmelschaaren steht;

Und dir, o Göttlicher, der hochbegnadet

Die Gottesstirn in heil'ger Flut gebadet.


8.

Auch deinen Beistand wollen sie erwerben,

Du Fels des Hauses, das der Herr gebaut,

Wo durch die Huld des neuen, würd'gen Erben

Das Gnadenthor die Welt geöffnet schaut;

Auch jener andern Boten, die das Sterben

Voll hohen Siegs verkündet hoch und laut;

Und jener spätern, die, in voller Klarheit,

Blutzeugen sind und Märtyrer der Wahrheit;
[9]

9.

Und jener, die gezeigt durch Schrift und Worte

Den Himmelspfad, der lange war verhehlt;

Und Christi treuer Magd, die sich zum Horte

Des edlern Lebens hohes Gut erwählt;

Und jener Jungfrau'n an geweihtem Orte,

Die Gott mit heil'ger Hochzeit sich vermählt;

Und jener heldenmüth'gen Märtyrinnen,

Der Fürsten und des Volks Verächterinnen.


10.

So singend zieht das Volk in weitem Kreise,

Mit ernsten Schritten, langsam seinen Pfad,

Und lenkt zum Oelberg nun die fromme Reise,

Der vom Olivenbaum den Namen hat

Und, aller Welt berühmt mit heil'gem Preise,

Der hohen Mauer sich von Osten naht.

Nur Josaphat, mit schroffer Thaleswindung,

Verwehrt des Berges und der Stadt Verbindung.


11.

Dorthin begiebt das Heer sich mit Gesängen,

Und durch die tiefsten Thäler dringt der Schall,

Und Berg' und Grotten füllen sich mit Klängen,

Und tausendfach antwortet Wiederhall.

Ein Waldchor scheint sich in den Felsengängen,

Im dichten Laub zu bergen überall,

So deutlich ruft's den frommen Melodieen

Die Namen nach von Christus und Marien.
[10]

12.

Das Heidenvolk bleibt auf der Mauer stehen

Und nimmt, erstaunt und still, dies alles wahr;

Der ernste Gang, das demuthsvolle Flehen,

Der fremde Pomp, erscheint ihm wunderbar.

Doch wie es um der Neuheit Reiz geschehen

Des heil'gen Schauspiels, hebt die freche Schaar

Zu toben an, und Schmähn und Lästrung füllen

Die Luft, daß Waldstrom, Thal und Berg erbrüllen.


13.

Doch mit des Bittgesangs anmuth'gen Tönen

Hält Christi frommes Volk deßhalb nicht ein,

Und achtet mehr nicht auf ihr Drohn und Höhnen,

Als auf geschwätz'ger Vögel lautes Schrei'n.

Auch sorgt man nicht, ob Wurfgeschosse dröhnen,

Daß sie des heil'gen Friedens Störer sei'n

Aus solcher Fern', und so vollbringt die Menge

In Sicherheit die frommen Festgesänge.


14.

Dem Priester nun wird ein Altar dort oben,

Als Tafel jenes großen Mahls, geschmückt,

Und auf den goldnen Leuchtern hoch erhoben

Ein strahlend Licht ihm rechts und links gerückt.

Ein andres Kleid, doch schön und reich gewoben,

Nimmt Wilhelm dort, und sinnet, still gebückt.

Die Stimm' erhebt er dann mit hellem Schalle,

Verklagt sich selbst, dankt Gott und fleht für Alle.
[11]

15.

Der Nahe hält sein Ohr zu ihm gewendet,

Der Ferne mindstens des Gesichtes Sinn.

Doch als er das Geheimniß nun vollendet

Des reinen Opfers, spricht er: Gehet hin!

Und mit der priesterlichen Rechte spendet

Den Kriegern er des Segens Vollgewinn.

Entsündigt wandelt nun die Schaar der Frommen

Den Pfad zurück, auf welchem sie gekommen.


16.

Als man im Lager Reih' und Glied verlassen,

Begiebt der Feldherr sich in sein Gezelt,

Und bis zur Schwelle bleibt, in dichten Massen,

Ihm der Begleiter große Schaar gesellt.

Hier wendet sich Bouillon, sie zu entlassen;

Den Führern aber winkt der fromme Held,

Mit ihm sich durch ein stärkend Mahl zu letzen;

Ihm gegenüber muß sich Raimund setzen.


17.

Schon hat durch Speis' und Trank beim Festgelage

Befriedigt den Naturtrieb jeder Gast,

Da spricht der Feldherr: Mit dem neuen Tage

Macht insgesammt zum Angriff euch gefaßt.

Das sei ein Tag des Krieges und der Plage,

Doch diesen weiht der Rüstung und der Rast.

Drum ruhe nun ein Jeder, und bereite

Sodann sich selbst und seine Schaar zum Streite.
[12]

18.

Sie gingen fort, und nun macht sonder Weile

Der Herold bei Trommetenschall bekannt,

Daß jeder Krieger mit dem Frühlicht eile,

In voller Wehr, zum angewiesnen Stand.

So ward zum Theil zur Labung, und zum Theile

Zum Fleiß und Denken, dieser Tag verwandt,

Bis leise kam die Nacht herangezogen,

Die Mühe störend und der Ruh gewogen.


19.

Noch schwankt Aurora, und noch nicht hernieder

Blickt aus dem Ost des Tages Lichtgestalt;

Noch kehrt der Hirt nicht zu den Auen wieder,

Noch fühlt die Erde nicht des Pflugs Gewalt;

Gesichert ruht auf Zweigen das Gefieder,

Und kein Gebell noch Horn durchstört den Wald,

Als: zu den Waffen! die Trommete dröhnet,

Und: zu den Waffen! rings der Himmel tönet.


20.

Auf, zu den Waffen! Waffen! so erneute

Sich tausendmal der Ruf im großen Heer.

Sogleich steht Gottfried auf, doch nimmt er heute

Nicht die gewohnte Rüstung, stark und schwer;

Er wählt sich andre Waffen, wie für Leute

Zu Fuß sich schickt, bequeme, leichte Wehr.

Schon hat er die geringe Last genommen,

Da sieht er schnell den wackern Raimund kommen.
[13]

21.

Als Gottfried, so bewaffnet, sich dem weisen

Rathgeber zeigt, der seinen Sinn erspäht,

Spricht Dieser: Herr, wo ist dein starkes Eisen?

Des Panzers Last? das andre Stahlgeräth?

Warum fast waffenlos? ich kann's nicht preisen,

Daß mit so schwacher Wehr der Feldherr geht.

Nun seh' ich wohl aus allen diesen Dingen,

Du willst ein niedres Ziel des Ruhms erringen.


22.

Ha, wonach strebst du? nach gemeiner Ehre

Des Wall-Ersteigers? Laß sie jener Schaar,

Die, minder werth und nöthig unserm Heere,

Pflichtmäßig weiht ihr Leben der Gefahr.

Du, Herr, ergreife die gewohnten Wehre,

Und nimm, zu unserm Wohl, dein selber wahr.

Dein Leben, Geist und Seele dieser Schaaren,

Es muß, bei Gott! sorgfältig sich bewahren.


23.

Er schweigt, und Jener spricht: Vernimm die Kunde:

Als ich in Clermont vor Urbanen stand,

Der, durch dies Schwert, dem frommen Ritterbunde

Mich zugesellte mit allmächt'ger Hand,

Gelobt' ich meinem Gott mit stillem Munde,

Nicht zu genügen bloß dem Feldherrnstand,

Nein, zu verwenden auch beim großen Werke,

Als ein gemeiner Krieger, Schwert und Stärke.
[14]

24.

Drum, wenn mein ganzes Heer in Reihn und Glieder

Geordnet ist und rückt zum Feind hinan,

Und wenn ich so, als Feldherr, treu und bieder

Der übernommnen Pflicht genug gethan:

Dann will auch ich – wohl hast du nichts dawider –

Den hohen Mauern mich im Kampfe nahn

Und meinen heil'gen Schwur dem Himmel halten;

Mag über mir sein Arm beschützend walten!


25.

Er spricht's, und Frankreichs Ritter, sammt den beiden

Gebrüdern Gottfrieds, thun, wie er's gemacht;

Auch andre Fürsten folgen ihm und kleiden

Sich in des Fußvolks leichtre Waffentracht.

Schon stieg indeß das kecke Volk der Heiden

Zur Höh' hinan, wo gegen Mitternacht

Und gegen Abend sich die Mauer kehrte,

Weil mindern Schutz die Ebne hier gewährte.


26.

Denn anderswo befürchtet die Gefahren

Des Feindessturms die starke Vestung nicht.

Hier sammelt der Tyrann die Söldnerschaaren

Und alles Volk, das Kraft und Muth verspricht.

Ja, Kinder selbst und Greis' in hohen Jahren

Beruft die höchste Noth zur Kriegespflicht,

Und Diese reichen dort dem stärkern Theile

Kalk, Schwefel, Pech und große Stein' und Pfeile.
[15]

27.

Mit Waffen und Gezeug war mannigfaltig

Die Mauer, nach der Ebne hin, versehn,

Und hier, gleichwie ein Riese, hochgestaltig,

Ist Solyman vom Gürtel auf zu sehn.

Hier, zwischen Zinnen, drohend und gewaltig,

Thürmt sich Argant, von Weitem zu erspähn;

Und auf dem höchsten Winkelthurm am Walle

Erscheint Clorind', erhaben über Alle.


28.

Herab vom Rücken hängt bis auf die Lenden

Der Köcher ihr, der Pfeile schwere Last.

Den Bogen schon ergreift sie mit den Händen,

Schon ist die Sehne straff, der Pfeil gefaßt,

Und ringsum späht, den Feinden ihn zu senden,

Die schöne Schützin mit begier'ger Hast.

So dachte man vor Alters sich Dianen,

Versendend ihre Pfeil' aus Wolkenbahnen.


29.

Der greise König eilt mit flücht'gen Sohlen

Von Thor zu Thor, sieht nach an jedem Ort,

Ob alles auch geschehn, was er befohlen,

Ermuntert seine Schaar durch kluges Wort,

Mehrt hier das Volk, läßt dort noch Waffen holen,

Und sorgt für Alles, als der Seinen Hort.

Die Mütter ziehn indeß in die Moscheen,

Um zu dem bösen Lügnergott zu flehen:
[16]

30.

Zerbrich, o Herr, mit deiner starken Rechte

Des Frankenräubers Speer wie schwaches Rohr,

Und ihn, der dich zu schmähen sich erfrechte,

Erschlag' und streu' umher ihn unterm Thor!

So riefen sie, doch in der ew'gen Nächte

Qualvollem Reich hört' ihren Ruf kein Ohr.

Indeß die Stadt nun fleht und sich bereitet,

Hat Gottfried Volk und Waffen rings verbreitet.


31.

Er führt das Fußvolk aus des Lagers Schwellen

Behutsam und mit schöner Kunst hinaus,

Und dehnt es in zwei Flügel vor den Wällen,

Die er zu stürmen denkt, schräglinig aus.

Dazwischen läßt er die Balisten stellen

Und andres Werkzeug voll Zerstörungsgraus,

Das auf die Zinnen los, wie Donnerkeile,

Bald große Steine wirft, bald Schleuderpfeile.


32.

Im Rücken hält, das Fußvolk zu beschützen,

Die Reiterschaar, die leichtre schweift umher.

Das Zeichen schallt zum Angriff, und der Schützen,

Der Schleudrer, ist ein so gewaltig Heer,

So mächtig stürmt man mit den Wurfgeschützen,

Daß bald sich schwächt der Heiden Gegenwehr.

Der Eine fällt, der Andre flieht von hinnen;

Schon mindert sich die Mannschaft auf den Zinnen.
[17]

33.

Der Franken Heer, kampflustig, unverdrossen,

Beschleunigt nun den Schritt mit aller Macht.

Ein Theil der Krieger, Schild an Schild geschlossen,

Hat überm Haupt ein Schirmdach sich gemacht,

Der andre nimmt vor Steinen und Geschossen

Sich unterm Schutz des Sturmgeräths in Acht.

Und als sie nun des Grabens Rand erreichen,

Geht Alles dran die Tiefen auszugleichen.


34.

Kein fließend Wasser findet sich im Graben –

Die Lage hindert's – und auch kein Morast,

Und Steine, Reisig, Bäum' und Erde haben

Ihn bald erfüllt, wie viel er immer faßt.

Nun naht zuerst, die Leiter aufgehaben,

Mit freiem Haupt der kühne Held Adrast.

Kein siedend Pech, kein harter Steineregen

Hält ihn zurück: er steigt hinan, verwegen.


35.

Rasch auf dem luft'gen Pfade fortgezogen,

Hatt' ihn Adrast schon halb zurückgelegt

Und ward, obwohl ein Ziel von tausend Bogen,

Durch keine Macht aus seiner Bahn bewegt:

Da kommt ein großer runder Stein geflogen,

Wie man aus Mörsern sie zu schießen pflegt,

Trifft seinen Helm und stürzt ihn von der Leiter;

So kräftig warf Argant, der wilde Streiter.
[18]

36.

Hart, doch nicht tödtlich, war der Wurf; das Fallen

Betäubt nur den Adrast, er liegt wie Stein.

Nun läßt Argant die freche Stimm' erschallen:

Der Erste fiel; wer will der Zweite sein?

Was zögert ihr, uns offen anzufallen?

Berg' Ich mich denn, ihr bang verkrochnen Reihn?

Nichts helfen euch die Höhlen, die ich schaue,

Drin sterben sollt ihr, wie das Wild im Baue.


37.

Er ruft's, doch hemmt er nicht auf ihren Wegen

Die noch verborgne Schaar; sie trotzt vielmehr,

Vom Schilddach wohl beschützt, dem stärksten Regen

Der Stein' und Pfeil' und aller Gegenwehr.

Der Widder bringt der Mauer schon entgegen

Sein Sturmgeräth, die Balken, groß und schwer,

Bocksköpfig, hart, mit Eisen dicht beschlagen,

Vor deren Stoß die Thor' und Mauern zagen.


38.

Der Feind indeß, in solcher Noth beflissen,

Hat eine mächt'ge Last herbei geschafft,

Die, von der Höhe jetzt hinab geschmissen,

Auf die Bedachung stürzt mit Bergeskraft.

Der Schildverein wird alsobald zerrissen,

Und mancher Helm und manche Stirne klafft,

Und ringsum wird das Land, in weiten Jochen,

Bedeckt mit Waffen, Blut, Gehirn und Knochen.
[19]

39.

Nun will nicht mehr sich der Belagrer wahren

Und thut Verzicht auf alle Wehr und Hut;

Aus blinden jetzt in sichtliche Gefahren

Tritt er hervor und offenbart den Muth.

Die Leitern klimmt hinan ein Theil der Schaaren,

Ein Theil stürmt unten los mit mächt'ger Wut.

Die Mauer bebt und zeigt die morschen Flanken

Zerrissen schon vom Ungestüm der Franken.


40.

Und sicher fiel sie vor des Widders Toben,

Der auf sie los mit Doppelstößen kracht;

Doch schnell genug sind die Vertheid'ger oben

Mit kluger Kunst auf ihren Schutz bedacht.

Denn wo der Balken kommt herangeschoben,

Wird gleich ein großer Wollsack hingebracht:

Er muß den Stoß des Widders auf sich nehmen

Und so, nachgebend, seinen Anprall lähmen.


41.

Indessen hier der Franke so verwogen

Die Mauer angreift in gedrängter Zahl,

Spannt siebenmal Clorinde rasch den Bogen

Und schickt den Pfeil von hinnen siebenmal.

Und welche Pfeil' aus ihren Händen flogen,

Sie alle färben blutig Schwing' und Stahl,

Nicht mit gemeinem Blut, mit dem der Fürsten;

Die Stolze kann nicht nach geringerm dürsten.
[20]

42.

Der Erste, dessen Blut sie dort versprützte,

War des Britannenkönigs jüngrer Sohn.

Kaum trat er aus dem Schirmdach, das ihn schützte,

Da traf ihr Pfeil die rechte Hand ihm schon,

Und so, daß ihm der Handschuh wenig nützte;

Denn ihr Geschoß sprach selbst dem Eisen Hohn.

Er knirscht, untüchtig aus dem Kampfe scheidend,

Von Schmerzen minder als vom Unmuth leidend.


43.

Clothar, der Frank, stürzt von der Leiter Sprossen,

Stephan d'Amboise fällt am Grabenbord;

Dem hatt' ihr Pfeil die Seiten ganz durchschossen,

Dem Brust und Rücken durch, von da bis dort.

Und als der Graf von Flandern, unverdrossen,

Den Widder schiebt, trifft ihm ihr Pfeil sofort

Den linken Arm; vergebens, daß er heische

Ihn auszuziehn: das Eisen bleibt im Fleische.


44.

Dem Adhemar, der, fern vom wilden Streite,

Die Schlacht zu schauen, unvorsichtig stand,

Trifft ihr Geschoß die Stirn aus ferner Weite.

Die Rechte hat er kaum dahin gewandt,

Wo ihn der Pfeil verletzt, da kommt der zweite

Und heftet auf das Antlitz ihm die Hand.

Er fällt, und reichlich überströmt der Gute

Das weibliche Geschoß mit heil'gem Blute.
[21]

45.

Dem Palamed, nicht fern mehr von den Zinnen,

Der, höhnend die Gefahr, die ihn bedroht,

Stets höher klimmt mit muthigem Beginnen,

Ertheilt ihr siebentes Geschoß den Tod.

Der Pfeil dringt in das Auge, schneidet innen

Die Nerven durch und fährt, vom Blute roth,

Ihm zum Genick heraus. Mit kaltem Schauer

Sinkt er hinab und stirbt am Fuß der Mauer.


46.

Doch Gottfried droht, indeß Clorindens Pfeile

So tödtlich sind, der Stadt mit neuer Macht;

Denn an das eine Thor wird sonder Weile

Das größte seines Sturmgeräths gebracht.

Dies ist ein Thurm von Holz, dem obern Theile

Der Mauerzinn' an Höhe gleich gemacht,

Ein Thurm, beschwert mit Männern und mit Waffen,

Und dennoch leicht auf Rädern fortzuschaffen.


47.

Die große Last, ausströmend einen Regen

Von Spießen und von Pfeilen, kommt heran,

Und wie zur See sich Schiff' an Schiffe legen,

Sucht sie sich dicht der Mauerwand zu nahn.

Doch kräftig stellt der Feind sich ihr entgegen,

Greift sie von vorn und von den Seiten an,

Hält Spieße vor, und wie er kann, wirft Jeder

Mit Steinen los auf Zinnen oder Räder.
[22]

48.

Der Stein' und Pfeile Meng', aus beiden Heeren

Zahllos versendet, schwärzt des Himmels Zelt.

Zwei Wolken treffen sich, und Pfeile kehren

Manchmal zurück zu dem, der sie geschnellt.

Wie oft das Laub, wann Regen sich zu schweren

Eisklumpen ballt, vom Zweig' hernieder fällt,

Und Früchte selbst, unreif, zur Erde sinken,

So stürzt der Heide von den Mauerzinken;


49.

Denn schwerer trifft ihn des Verderbens Grauen,

Weil minder ihn beschützt der Waffen Stahl.

Die Meisten derer, die das Licht noch schauen,

Entfliehn des Thurms furchtbarem Wetterstrahl;

Doch der vordem beherrscht Nicäa's Gauen,

Bleibt stehn und hält der Kühnen kleine Zahl,

Und auch Argant begegnet keck dem Sturme

Und rennt mit einem Baum zum Feindesthurme.


50.

So weit der Balken und sein Arm sich strecken,

Hält er ihn ab vom Wall, gerad' und steil.

Nun auch gesellt Clorinde sich den Kecken

Und nimmt an der Gefahr der Andern Theil.

Die Franken hau'n indeß von jenen Säcken,

Die dort als Schutzwehr hangen, Strick und Seil

Mit Sicheln ab; sie fallen, und entblößen

Die Mauer wiederum den rauhen Stößen.
[23]

51.

So schlägt der Thurm von oben und, gleich strenge,

Des Widders Macht von unten auf sie los,

Und schon entdeckt sie die geheimen Gänge

In dem zerrissnen, vieldurchbohrten Schooß.

Jetzt naht der Feldherr sich dem Kampfgemenge,

Da schon die Mauer wankt bei jedem Stoß;

Er kommt, umschlossen von dem großen Schilde,

Den er nur selten trägt im Schlachtgefilde.


52.

Er sieht, aufmerksam seine Blicke regend,

Daß Solyman vom Wall herunter eilt

Und da sich hinstellt, jeden Weg verlegend,

Wo die zerstoßne Mauer sich getheilt,

Und daß, zum sichern Schutz der höhern Gegend,

Clorinde mit Arganten oben weilt.

Dies sieht Bouillon und fühlt sich aufgefodert

Zu hoher That, von edler Glut durchlodert.


53.

Zum wackern Sigier kehrt' er sich mit Feuer,

Der ihm den andern Schild, den Bogen trug:

Jetzt, spricht er, reiche mir, o mein Getreuer!

Die leichtre Last; sie sichert mich genug.

Ich will zuerst durchs klaffende Gemäuer

Den Pfad versuchen, den der Widder schlug.

Wohl ist es Zeit, daß unsers Muthes Stärke

Sich rühmlich zeig' in einem edlen Werke.
[24]

54.

Als er sich kaum dem großen Schild entzogen,

Da siehe, kommt aus jenen obern Reihn

Ein schneller Pfeil ihm auf das Bein geflogen

Und bohrt sich tief in Fleisch und Nerven ein.

Der Ruf erzählt, Clorinde, deinem Bogen

Entflog der Pfeil; der ganze Ruhm ist dein.

Wenn heute noch dein Volk dem Joch der Franken,

Dem Tod entging, so war es dir zu danken.


55.

Allein der starke Held, unaufgehalten,

Als fühl' er nicht der Schmerzen Ungemach,

Verfolgt den Pfad bis zu den Mauerspalten,

Erklimmt den Sturz und ruft die Andern nach.

Doch merkt er nun, ihn aufrecht zu erhalten

Sei das verletzte Bein zu matt und schwach,

Und die Erschüttrung mehre nur die Schmerzen;

Drum läßt er ab vom Sturm, mit schwerem Herzen.


56.

Er winkt den wackern Guelf heran in Eile

Und spricht zu ihm: Gezwungen, geh' ich fort.

Dir werde jetzt das Feldherrnamt zu Theile,

Und statt des meinen gelte nun dein Wort.

Doch sicher bleib' ich fern nur kurze Weile;

Gleich bin ich hier. Und er verläßt den Ort,

Besteigt ein leichtes Roß, um schnell zu gehen,

Und kommt ins Lager, doch nicht ungesehen.
[25]

57.

So wie der Feldherr weicht, so weicht und schwindet

Das Glück der Franken aus der wilden Schlacht,

Indeß der Heide neue Kraft empfindet,

Und mit der Hoffnung ihm der Muth erwacht,

Und wie das Glück den Christen sich entwindet,

Sinkt auch der Muth, erschlafft des Angriffs Macht.

Langsamer scheint ihr Schwert herabzufallen,

Selbst die Trommete dumpfer zu erschallen.


58.

Und die vorhin vom Wall entflohen waren,

Erscheinen jetzt auf ihrem alten Stand.

Clorindens Anblick waffnet selbst die Schaaren

Der schwachen Frau'n fürs theure Vaterland.

Hoch aufgeschürzt, mit wild zerstreuten Haaren,

Thun sie dem Feinde tapfern Widerstand,

Und werfen Spieß', und wagen, ohne Schauern,

Die zarte Brust für die geliebten Mauern.


59.

Und dieses noch vermehrt der Christen Schrecken

Und muß den Feind von aller Furcht befrei'n,

Daß bald auch Guelf – und seinen Fall entdecken

Die Völker schnell – hinsinkt vor seinen Reihn.

Ihn unter Tausend trifft, aus fernen Strecken

Vom Schicksal hergeführt, ein mächt'ger Stein;

Und eben stürmt ein gleicher Wurf auch wider

Den wackern Raimund an und streckt ihn nieder.
[26]

60.

Und jetzt auch sinkt Eustaz mit schwerer Wunde,

Kaum im Begriff, dem Graben sich zu nahn.

So wird vom Feind' in dieser schlimmen Stunde

Aufs Frankenheer kein Wurf, kein Schuß gethan,

Der Seel' und Leib nicht reißt aus ihrem Bunde,

Verletzte nicht dahinstreckt auf den Plan.

Und durch solch Glück gereizt zu frechem Hohne,

Ruft der Circasser jetzt mit lautem Tone:


61.

Kein Antiochien giebt es hier, und heute

Begünstigt nicht den Christentrug die Nacht.

Hell steht die Sonne da, wach sind die Leute;

Hier giebt es andern Krieg und andre Schlacht.

So blieb von jener Gier nach Ruhm und Beute

In eurer Brust kein Fünklein angefacht,

Daß ihr ermüdet weicht von unsern Zinnen

Nach kurzem Sturm, ihr Franken? nein, Fränkinnen!


62.

So sprach er, und die eigne Furie fachte

In seiner kühnen Brust so heft'gen Brand,

Daß er die weite Stadt, die er bewachte,

Dem tollen Muthe nicht mehr räumig fand.

Da, wo die Mauer auseinander krachte,

Dahin, mit großen Sprüngen, eilt Argant

Und füllt den weiten Spalt und ruft, verwegen,

Dem Solyman, den er hier trifft, entgegen:
[27]

63.

Sieh, Solyman, den Ort, und sieh die Stunde,

Zu richten über unsern Muth und Werth!

Was säumst, was zagst du? Dort, im blut'gen Grunde,

Such' itzt den Preis, wer ihn zumeist begehrt!

Er ruft's, und Beide stürzen, wie im Bunde,

Wetteifernd fort, von gleicher Glut verzehrt;

Der angereizt von seinem eignen Grimme,

Vom Ehrgeiz der und von des Gegners Stimme.


64.

Rasch fallen sie, mit unversehnen Streichen,

Die Franken an, gleich ungestüm und wild,

Und machen alles todt, was sie erreichen,

Zerschmettern Widder, Leitern, Helm und Schild,

So daß sich bald von Trümmern und von Leichen

Ein hoher Berg erhebt im Schlachtgefild,

Der, sich vermengend mit dem Schutt der Wälle,

Zum Bollwerk dient an des gefallnen Stelle.


65.

Dasselbe Volk, das unerschreckt noch eben

Nach Mauerkronen rang mit kühnem Fleiß,

Ist jetzt so fern von diesem hohen Streben,

Daß es sich selbst kaum zu vertheid'gen weiß.

Die Franken weichen überall und geben

Der Helden Wut ihr Kriegsgeräthe preis,

Das nicht mehr taugen wird zu neuem Sturme,

So schlimm ergeht's den Widdern und dem Thurme.
[28]

66.

Das Heidenpaar, gespornt von immer neuer

Zerstörungswut, schweift weit und weiter aus,

Und schon begehrt es von den Bürgern Feuer,

Und rennt mit Fackeln bis zum Thurm hinaus.

So schwingen sich des Orkus Ungeheuer,

Die Schwesterfurien, aus der Nächte Graus,

Ihr Schlangenhaar und ihre Fackeln schüttelnd

Und wild das Weltall durcheinander rüttelnd.


67.

Allein Tancred, der an entfernten Orten

Zu wecken sucht der Latier alten Muth,

Sieht kaum die schreckliche Verwüstung dorten

Und jener Fackeln grause Zwillingsglut:

Da bricht er mitten ab in seinen Worten

Und eilt, zu bänd'gen der Barbaren Wut.

Bald muß vor seines Arms gewalt'gen Streichen,

Wer siegend forttrieb, nun verlierend weichen.


68.

So wandeln sich des wilden Kampfes Schauer,

Wie's nun das wandelbare Glück verlangt.

Indessen war der Feldherr von der Mauer,

Verwundet, in sein großes Zelt gelangt.

Sigier und Balduin stehn ihm bei, voll Trauer;

Der Freunde Schaar drängt sich umher und bangt.

Er selbst bemüht sich, das Geschoß in Eile

Herauszuziehn, und bricht das Rohr vom Pfeile.
[29]

69.

Er will, es soll zur Heilung seiner Wunde

Der schnellste Weg nur gleich ergriffen sein:

Durchsucht die Oeffnung bis zum tiefsten Grunde,

Und spaltet sie und schneidet tief hinein.

Schickt mich zurück, eh der Entscheidung Stunde

Vielleicht entflieht mit diesem Tagesschein.

Er spricht's, und nun, vom Lanzenschaft gehalten,

Läßt er den Stahl mit seinem Beine schalten.


70.

Und eifrig weiht Erotimus, geboren

Am Strand des Po, der Heilung seinen Fleiß.

Kein edler Saft, kein Kraut ist ihm verloren,

Von dem er nicht Gebrauch und Kräfte weiß.

Ihm sind die Musen hold, und doch erkoren

Hat er der stummen Künste mindern Preis.

Den Leib nur schützt er, naht ihm Tod verderblich,

Und machte leicht den Namen auch unsterblich.


71.

Bouillon, mit festem Blick, gestützt vom Stocke,

Hält, knirschend zwar, doch unbeweglich Stand,

Und Jener nun, mit aufgeschürztem Rocke

Und bloßem Arm, sucht sänftlich und gewandt,

Wie er den Pfeil der tiefen Wund' entlocke

Durch mächt'ge Kräuter, durch die weise Hand.

Bald mit den Fingern, bald mit feinen Zangen

Bemüht er sich, und kann doch nichts erlangen.
[30]

72.

Umsonst ist alle Kunst: dem klugen Werke

Bleibt immer noch des Glückes Gunst geraubt,

Und schon erwächst zu so gewalt'ger Stärke

Des Helden Qual, daß er zu sterben glaubt.

Nun aber pflückt, damit er Lindrung merke,

Sein Engel Diptam von des Ida Haupt

Ein Kraut, geschmückt mit einer Purpurblüthe

Und reich begabt mit wunderbarer Güte.


73.

Wie dieses Krauts verborgne Tugend heile,

Hat die Natur der wilden Zieg' entdeckt,

Wann ihr, getroffen von des Jägers Pfeile,

Der Flügelstahl noch in der Seite steckt.

Dies bringt der Engel her in schnellster Eile,

Obwohl es sich auf fernen Höh'n versteckt,

Und träufelt unsichtbar die flüss'gen Kräfte

In ein Gefäß voll edler Heilungsäfte.


74.

Auch noch die Flut von Lydiens heil'ger Quelle

Und duft'ge Panacee mischt er hinein.

Der Arzt besprengt die Wund', und auf der Stelle

Verläßt der Pfeil von selbst das kranke Bein;

Zu gleicher Zeit versiegt des Blutes Welle,

Der Schmerz entflieht, die Stärke stellt sich ein.

Da ruft Erotimus: Nicht meine Kunde,

Nicht meine schwache Hand heilt deine Wunde;
[31]

75.

Nein, höh're Kraft: ein Engel, der zum Staube,

Für dich ein Arzt, herab vom Himmel stieg;

Denn Himmelshand sieht deutlich hier mein Glaube.

Was säumst du? waffne dich, und fort zum Krieg!

Und schon hat Gottfried mit der Purpurschaube

Die Bein' umhüllt, und, voll Begier nach Sieg,

Schwingt er den mächt'gen Speer, ergreift geschwinde

Den vor'gen Schild und knüpft des Helmes Binde.


76.

Vom Lager eilt er nach der Stadt, und tausend

Beherzte Krieger folgen seinem Schritt.

Der Staub fliegt über ihm, die Luft durchsausend,

Und unten bebt die Erde seinem Tritt.

Von ihrer Höhe sahn die Feinde grausend

Des Volkes Nahn, und kalter Schauer glitt

Durch ihr Gebein und macht' ihr Blut zu Eise;

Dreimal erscholl sein Ruf, furchtbarer Weise.


77.

Sogleich erkennt sein Volk die hehre Stimme,

Den Schlachtenruf, der durch die Fluren gellt,

Und kehrt alsbald mit seinem vor'gen Grimme

Zu neuem Angriff rasch zurück ins Feld.

Schon aber hat am Mauersturz das schlimme

Zerstörerpaar sich vor den Riß gestellt,

Und wehrt vom Eingang, keck und unverdrossen,

Tancreden ab und seine Kampfgenossen.
[32]

78.

In Stahl gehüllt erscheint nunmehr der Franken

Heerführer dort, von edlem Zorn entbrannt,

Und schleudert, wie er ankommt, ohne Wanken

Den mächt'gen Wurfspieß donnernd auf Argant.

Kein Kriegsgeschütz, vor dem die Mauern sanken,

Hat ein Geschoß gewalt'ger je versandt.

Der knot'ge Baum durchfährt die Luft mit Sausen;

Ihm hält Argant den Schild vor, ohne Grausen.


79.

Doch den gespitzten Baumstamm aufzuhalten

Vermag kein Schild und keines Panzers Erz,

Er bricht hindurch und sucht, mit mächt'gem Walten,

Zuletzt den Weg auf des Circassers Herz.

Der aber reißt ihn aus der Rüstung Spalten,

Selbst aus dem Fleisch, und fühlet keinen Schmerz,

Wirft ihn zurück und ruft: Dir wiederschaffen

Will ich den Stumpf; da hast du deine Waffen!


80.

Die Lanze fliegt, auf schon bekannten Pfaden,

Zum Angriff und zur Rache hin und her,

Doch ohne dem, den sie bedroht, zu schaden;

Er beugt das Haupt und meidet das Gewehr.

Der treue Sigier muß es auf sich laden,

Tief in den Schlund fährt ihm der mächt'ge Speer.

Doch quält's ihn nicht, das Leben zu verlassen;

Er darf für seinen theuern Herrn erblassen.
[33]

81.

Zugleich wird der Normannen Fürst erschlagen,

Auf den ein Steinwurf des Nicäners fährt;

Er rollt hernieder von den Trümmerlagen,

Indem er, Kräuseln gleich, sich dreht und kehrt.

So viele Schmach kann Gottfried nicht ertragen;

In voller Wut ergreift er jetzt das Schwert

Und klimmt hinan bis auf die steilste Jähe

Des Schuttgebirgs, und kämpft nun in der Nähe.


82.

Wohl sah man ihn manch hohes Werk vollbringen,

Und harter Kampf erhob sich, tödtlich wild.

Doch jetzt erscheint die Nacht, und ihrer Schwingen

Graunvolles Dunkel senkt sich aufs Gefild,

Und in den Groll unsel'ger Menschen dringen

Leis' ihre Schatten ein, friedselig, mild;

Weßhalb der Feldherr abläßt und sich wendet.

So ward der lange, blut'ge Tag geendet.


83.

Doch eh Bouillon zurückführt seine Leute,

Nimmt er der Kranken, der Verletzten wahr;

Auch läßt er nicht des Sturmgeräthes Beute,

So viel noch übrig ist, der Heidenschaar.

Sogar der Thurm wird weggeführt, der heute

Die größte Furcht der Saracenen war;

Wiewohl vom grausen Sturm, der ihn umwettert,

An manchem Ort geborsten und zerschmettert.
[34]

84.

Des Krieges drohender Gefahr entzogen,

Naht er sich jetzt dem sichern Friedensort.

Doch wie ein Schiff, das die empörten Wogen

Beherzt durchstreift, verhöhnend Flut und Nord,

Vielleicht zuletzt, vom Felsenriff betrogen,

Am Strande scheitert, dicht vor seinem Port,

Und wie ein Roß, nach Wegen voll Gefahren,

Muß nah am Hause, strauchelnd, Sturz erfahren:


85.

So stockt der Thurm, und wo er von den Schlägen

Der großen Stein' am meisten schon erlitt,

Bricht er zwei Räder, und dem Sturz entgegen

Neigt sich der hohe Bau und hemmt den Schritt.

Allein man eilt, ihm Stützen anzulegen,

Und hält ihn auf, eh' er zu Boden glitt,

Bis Zimmerleute rasch zum Beistand eilen

Und glücklich ihn von jeder Wunde heilen.


86.

Der weise Feldherr will, daß vor Erwachen

Des neuen Tags das Werk vollendet sei.

Er läßt den Thurm durch vieles Volk bewachen,

Und hält die Weg' auf allen Seiten frei.

Doch deutlich hört man in der Stadt das Krachen

Des Zimmerwerkzeugs und des Volks Geschrei,

Und tausend Fackeln, die das Werk erhellen,

Entdecken alles, was geschieht, den Wällen.

Quelle:
Torquato Tasso: Das Befreite Jerusalem. Teil 2, Berlin 1855, S. 8-35.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Das befreite Jerusalem
Befreites Jerusalem (1-2)
Torquato Tasso's Befreites Jerusalem, Volumes 1-2 (German Edition)
Befreites Jerusalem

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Horribilicribrifax

Horribilicribrifax

Das 1663 erschienene Scherzspiel schildert verwickelte Liebeshändel und Verwechselungen voller Prahlerei und Feigheit um den Helden Don Horribilicribrifax von Donnerkeil auf Wüsthausen. Schließlich finden sich die Paare doch und Diener Florian freut sich: »Hochzeiten über Hochzeiten! Was werde ich Marcepan bekommen!«

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon