Neunzehnter Gesang.

[243] 1.

Schon machten Tod, Erwägung oder Grauen

Die Mauern leer von Heiden überall,

Und nur Argant, mit trotzigem Vertrauen,

Weicht immer nicht vom schon erstürmten Wall.

Furchtlose Kühnheit läßt sein Antlitz schauen;

Noch kämpft er fort, umwogt vom Feindesschwall.

Mehr, als zu sterben, fürchtet er zu weichen,

Und will, auch sterbend, nicht Besiegten gleichen.


2.

Doch zu den Andern, die mit ihm sich schlagen,

Kommt nun Tancred und greift mit Macht ihn an.

Ihn kennt Argant an Rüstung, Gang, Betragen,

Als den, der ihn bekämpft auf freiem Plan

Und Rückkehr ihm versprochen nach sechs Tagen,

Und dennoch nicht, was er gelobt, gethan.

Drum schreit er: So, Tancred, thust du dem Rechte

Des Schwurs genug? so kommst du zum Gefechte?
[244]

3.

Spät kommst du, nicht allein; doch nicht entbinde

Ich mich des Schwurs, und Kampf ist mein Begehr,

Obwohl ich hier dich nicht als Ritter finde;

Denn als Geschützerfinder kommst du her.

Mach' itzt die Deinen dir zum Schild, erfinde

Dir neues Werkzeug, ungewohnte Wehr:

Doch sollst du dich dem Tod von meinen Händen,

O tapfrer Weibermörder! nicht entwenden.


4.

Mit Lächeln, doch entflammt von Zornesgluten,

Erwiedert stolz Tancred dies freche Schrei'n:

Spät komm' ich, ja; doch darf ich wohl vermuthen,

Ich werde bald dir nur zu eilig sein.

Bald wünschest du, es würfen Meeresfluten

Und Bergeshöh'n sich zwischen uns hinein,

Und daß die Wiederkehr nicht ward verschoben

Durch Furcht und Feigheit, sollst du rasch erproben.


5.

Komm denn herab, komm mit mir auf die Seite,

Du Helden-, Riesen-Tödter; komm heran!

Der Weibermörder ruft dich auf zum Streite.

So spricht Tancred, und seiner Schaar sodann

Gebeut er, daß sie nicht ihn mehr bestreite:

Laßt ab mit eurem Schwert von diesem Mann!

Denn er ist mehr mein Feind, als Feind von Allen:

Auch bin ich ihm durch alte Schuld verfallen.
[245]

6.

Du magst allein, du magst begleitet kommen,

Versetzt Argant; nimm deinen Vortheil wahr.

Mag dir Gewühl, mag Einsamkeit dir frommen;

Mich trennt von dir nicht Nachtheil noch Gefahr.

So wird der Kampf geboten und genommen,

Einträchtig geht hinab das wilde Paar,

Mit ihm der Haß, und selbst im Kampfgefilde

Macht jetzt der Grimm den Feind zum Feindesschilde.


7.

Groß ist die Ehrbegier, groß nach des rauhen

Circassers Blut die Sehnsucht in Tancred;

Nie glaubt er seinen Durst gestillt zu schauen,

Wenn nur ein einz'ger Tropfen ihm entgeht.

Er deckt ihn mit dem Schild, und: Nicht gehauen!

Gebeut er dem, den er von fern erspäht,

Und weiß dem Feinde sichre Bahn zu schaffen

Hin durch der Freund' erzürnte Siegerwaffen.


8.

Die Stadt verlassend, ziehn sie mit geschwinden,

Rastlosen Schritten an den Zelten fort,

So lange bis, durch tausend Schlangenwinden,

Ihr Pfad sie führt zu abgelegnem Ort,

Wo sie ein Thal voll düstrer Schatten finden,

Von Hügeln dicht umringt, als wäre dort

Vielleicht ein Schauplatz, oder man gedächte

Dort Jagden anzustellen und Gefechte.
[246]

9.

Hier stehn sie Beide still; doch wie im Schwanken,

Kehrt sich Argant zu jener Stadt voll Harm.

Schildlos sieht ihn Tancred, und ohne Wanken

Wirft er sogleich auch seinen Schild vom Arm.

Dann fragt er ihn: Was stehst du in Gedanken?

Macht dir vielleicht die letzte Stunde warm?

Hat diese Sorge jetzt dich eingenommen,

So ist die Furcht zur Unzeit dir gekommen.


10.

Argant versetzt: Ich denke dieser alten,

Berühmten Stadt, Judäa's Königin,

Die jetzt erliegt, obwohl ich sie zu halten

So lange schon umsonst geschäfftig bin;

Denn daß mich Gott bestimmt, dein Haupt zu spalten,

Ist meiner Rach' ein ärmlicher Gewinn.

Er schweigt; mit Vorsicht schreiten sie zum Werke,

Denn Jeder kennt nun schon des Andern Stärke.


11.

Leicht ist Tancred und schnell, wie mit Gefieder

Sein Fuß versehn, gelenkig seine Hand;

Doch übertrifft an Größ' und an der Glieder

Gedrungner Kraft bei weitem ihn Argant.

Tancred zieht sich zusammen, beugt sich nieder

Und unterläuft den Feind, rasch und gewandt,

Fängt auf mit seinem Schwert das Schwert des Heiden,

Und weiß geschickt die Hiebe zu vermeiden.
[247]

12.

Argant, ihm gleich an Kunst, an Art entgegen,

Grad' aufgerichtet, läßt, so weit er kann,

Den großen Arm sich immer vorwärts legen

Und sucht das Eisen nicht, er sucht den Mann.

Wie Jener allzeit späht nach neuen Wegen,

Lenkt Dieser stets sein Schwert zum Antlitz an,

Und, drohend, wacht er, daß der Feind verstohlen

Nicht möge nahn und plötzlich überholen.


13.

So kämpfen wohl auf ebner Meeresweite,

Da weder Süd noch Ost aufregt die Flut,

Zwei Schiff' ungleicher Art in gleichem Streite,

Kommt Größe dem und Schnelle dem zu gut.

Dies dreht und wendet sich von Seit' auf Seite,

Greift vorn und hinten an; doch jenes ruht,

Und wann das leichtre Schiff zu dreist geworden,

Droht's ihm mit tiefem Sturz von hohen Borden.


14.

Indem Tancred eindringt mit zuviel Hitze,

Das Schwert abwendend, das er vor sich sieht,

Schwingt rasch Argant den Stahl und führt die Spitze

Aufs Aug' ihm so, daß er zurück sich zieht.

Nun haut der Heide zu, und, schnell wie Blitze,

Eh Jener völlig seinem Schwert entflieht,

Tifft er die Seit' und ruft, da dies gelungen:

Der Fechter ist durch Fechterkunst bezwungen!
[248]

15.

Tancred, dem Zorn und Schaam das Herz zerstechen,

Schlägt nun die alte Vorsicht aus dem Sinn,

Und hält – so mächtig drängt's ihn, sich zu rächen –

Schon für Verlust des spätern Siegs Gewinn.

Nur mit dem Schwert antwortet er dem Frechen

Und lenkt es zum Visir des Feindes hin.

Argant wehrt ab; allein, entschlossner Dinge,

Kommt schon Tancred bis auf die halbe Klinge.


16.

Schnell tritt er vor mit seinem linken Fuße,

Die Linke packt den rechten Arm mit Macht,

Indeß das Schwert der Rechten, sonder Muße,

Die rechte Seit' ihm gräulich bluten macht.

Dem Sieger, spricht er, wird zum Gegengruße

Dies vom besiegten Fechter dargebracht.

Der Heide knirscht; doch alles Drehn und Rütteln

Kann nicht die Hand von seinem Arme schütteln.


17.

Am Ende läßt er hangen an der Kette

Sein gutes Schwert und packt den Welschen an.

Dasselbe thut Tancred, und um die Wette

Drängt machtvoll und umschlingt der Mann den Mann.

Nicht kräft'ger hob vom heißen Sandesbette

Alcides einst den Riesen himmelan,

Als Diese jetzt, in fest verschränkten Ringen,

Mit nerv'gem Arm sich wechselsweis' umschlingen.
[249]

18.

Das Paar, sich drehend, rüttelnd bis zum Wanken,

Drückt mit der Seit' in Einem Nu den Sand.

Argant hat – sei's der Kunst, dem Glück zu danken –

Die rechte frei, gepreßt die linke Hand;

Allein der Arm, der nöthigste dem Franken

Im Kampfe, liegt ihm unten festgebannt.

Drum, daß er nicht durch Fahr und Nachtheil büße,

Macht er sich los und springt auf seine Füße.


19.

Argant kommt später auf; ihn trifft von oben

Ein mächt'ger Hieb, eh' er sich ganz erhebt.

Doch wie die Fichte, wenn des Ostwinds Toben

Sie auch gebeugt, gleich in die Höhe strebt:

So hat auch ihn schon seine Kraft erhoben,

Da die Gefahr am nächsten ihn umschwebt.

Von neuem nun wird einzuhau'n begonnen,

Und, was die Kunst verliert, durch Wut gewonnen.


20.

Des Franken Blut entfließt auf manchem Wege,

Doch dem Argant entströmt gewalt'ge Flut.

Mit seiner Kraft wird auch der Grimm schon träge,

Wie, wann ihr Nahrung fehlt, der Flamme Glut.

Schon sieht Tancred, wie immer mattre Schläge

Der Arm vollführt, entkräftet, ohne Blut;

Sein edles Herz entäußert sich vom Grimme,

Er tritt zurück und spricht mit sanfter Stimme:
[250]

21.

Ergieb dich, tapfrer Held; erkenne heute

Mich oder Glück als Sieger im Gefecht;

Denn nicht Triumph begehr' ich oder Beute,

Noch wahr' ich mir auf dich ein einzig Recht. –

Furchtbarer nun, als je, weckt' und erneute

Argant die ganze Wutkraft, ungeschwächt.

Er rief: Du prahlst, als sei der Sieg dir eigen?

Zu prüfen wagst du den Argant als Feigen?


22.

Gebrauche nur dein Glück; nichts schafft mir Bangen,

Und ungestraft bleibt deine Thorheit nicht. –

Der Fackel gleich, die, eh sie ausgegangen,

Auflodert, und erlischt mit hellerm Licht,

Ersetzt Argant durch Grimm und Rachverlangen,

Was ihm an Blut und Gliederkraft gebricht,

Und will die nahe Stunde des Verderbens

Verklären durch den Glanz ruhmwürd'gen Sterbens.


23.

Mit beiden Händen, jetzt zum Hau'n verbunden,

Senkt er das Schwert mit doppelter Gewalt,

Schlägt fort den Stahl, den er im Weg gefunden,

Haut in die Schulter, fährt ohn' Aufenthalt

Von Ripp' auf Rippe so, daß vielen Wunden

Nach Einem Schlag des Franken Blut entwallt.

Bangt nicht Tancred, so schuf Natur nicht bänglich

Sein kühnes Herz, dem Zagen unzugänglich.
[251]

24.

Zum zweitenmal haut nun der Heide wieder,

Doch Zorn und Kräfte sind umsonst verwandt;

Denn aufmerksam entzieht Tancred die Glieder

Dem mächt'gen Hieb, und weicht, schnell und gewandt.

Du fielst, Argant, durch eigne Schwerkraft nieder

Auf dein Gesicht, und jede Rettung schwand;

Du fielst durch dich, noch glücklich über Alles,

Daß Keiner sonst den Ruhm hat deines Falles.


25.

Die Wunden öffnen durch des Falls Beschwerde

Sich weiter noch; wild strömt das Blut hervor.

Er stemmt die Link' und hebt, noch mit Geberde

Des Widerkampfs, sich auf das Knie empor.

Ergieb dich! ruft Tancred, und ohne Fährde

Schlägt er ihm huldreich neuen Frieden vor.

Doch tückisch stößt Argant des Schwertes Spitze

Ihm in die Fers', und droht mit toller Hitze.


26.

Da kann Tancred dem Zorn nicht widerstreben:

So, ruft er, lohnst du mein Erbarmen mir?

Er säumt nicht länger, ihm den Tod zu geben,

Und stößt das Schwert ihm zweimal durchs Visir.

Argant verschied; sein Tod war wie sein Leben,

Und sterbend droht' er noch, voll Rachbegier.

Ergrimmung, Furchtbarkeit und stolzes Höhnen

Sprach aus dem letzten Blick, den letzten Tönen.
[252]

27.

Nun steckt Tancred das Schwert an seine Seite,

Und danket Gott, der ihm Triumph erlaubt.

Doch aller Kraft, nach diesem blut'gen Streite,

Fühlt sich der Sieger durch den Sieg beraubt,

So daß er kaum für solches Weges Weite

Die wen'ge Stärke noch genügend glaubt.

Doch bricht er auf und schleppt auf vor'gem Wege

Die matten Schritte fort, langsam und träge.


28.

Er bringt nicht weit die kraftberaubten Glieder,

Und durch den Zwang tritt Schwachheit mehr hervor:

Drum setzt er sich und senkt die Wange nieder

Auf seine Hand, sie selbst ein schwankend Rohr.

Was er gewahrt, kreist vor ihm hin und wieder,

Und schon verhüllt den Tag ein dunkler Flor.

Besinnung weicht, und schwer ist zu erkennen,

Wer Sieger jetzt und wer besiegt zu nennen.


29.

Indeß, im Einzelkampf sich aufzureiben,

Der Helden Haß entbrennt zu heißer Glut,

Verfolgt der Sieger Grimm mit wildem Treiben

Durch die erstürmte Stadt die schuld'ge Brut.

O wer vermag den Anblick zu beschreiben?

Wer stellt dies Rasen, diese tolle Wut

Mit Zügen dar? wer kann in Wort und Bildern

Dies gräßlich jammervolle Schauspiel schildern?
[253]

30.

Grau'n überall! Rings stellen, wild-erhaben,

Sich Haufen, Berge sich von Leibern dar;

Auf Todten Wunde; Sieche, schon begraben

Von unbegrabner Todten dichter Schaar.

Hier bange Mütter, fliehend, ihre Knaben

Ans Herz gedrückt, mit wild zerstreutem Haar;

Dort raubbeladne Plündrer, mit Frohlocken

Jungfrauen nach sich schleppend bei den Locken.


31.

Doch an den Hügeln, die gen Westen schauen,

Wo man gewahrt den Tempel, hoch und hehr,

Dort rennt, mit Blut bedeckt, gefolgt vom Grauen,

Der Held Rinald, und jagt der Heiden Heer.

Der Edelmüth'ge läßt sein Schwert nur hauen,

Wo ein bewaffnet Haupt sich stellt zur Wehr.

Kein Helm, kein Schild, der Sicherheit verschaffe!

Wehrlosigkeit ist hier die einz'ge Waffe.


32.

Nur gegen Eisen braucht der Held das Eisen,

Und er verschmäht der Waffenlosen Mord;

Die nicht mit Stahl, mit Muth bewehrt sich weisen,

Jagt schon der Blick, die Donnerstimme fort.

Er strebt nur nach des Ruhmes höchsten Preisen,

Verachtet hier, droht da und tödtet dort.

Ungleich gefährdet, fliehn vor seinem Schwerte

Mit gleicher Hast Bewehrt' und Unbewehrte.
[254]

33.

Vorhin schon, sammt der waffenlosen Bande,

Schloß sich der Kühnsten nicht geringer Zug

Im Tempel ein, der noch, trotz manchem Brande

Und manchem Bau, des Stifters Namen trug,

Des Salomo. Er war im frühern Stande

An Cedern, Gold und Marmor reich genug;

Jetzt minder prächtig zwar, doch wider Stürme

Beschützt durch Eisenthor' und hohe Thürme.


34.

Als nun der große Held im Kampfestoben

Hieher gelangt, zum weiten, hohen Bau,

Sieht er die Pforten rings versperrt, und droben

Die Zinne beut viel Wehrgeräth zur Schau.

Er hebt den grausen Blick; zweimal, von oben

Bis auf den Grund, durchspäht er ihn genau,

Wo Eingang sei, und zweimal, gleicher Weise,

Umrennt er ihn mit flücht'ger Sohl' im Kreise.


35.

Wie wann ein Räuberwolf in nächt'ger Stunde

Um wohl verschlossne Hürden streift und spürt,

Und ihm des Hungers Qual bei trocknem Schlunde

Den angebornen Haß noch reizt und schürt:

So späht Rinald, ob zu des Tempels Runde

Kein Eingang, eben oder steil, ihn führt.

Am Ende bleibt er stehn, und auf der Zinne

Harrt Alles ängstlich, daß der Sturm beginne.
[255]

36.

Bei Seite lag – wozu man hier am Orte

Ihn auch bewahrt – ein ungeheurer Ast;

Kein Schiff, das jemals aus dem reichen Porte

Liguriens lief, trug einen stärkern Mast.

Den packt Rinald und trägt ihn nach der Pforte

Mit jener Hand, der leicht ist jede Last.

Er legt den Balken ein, gleich einem Speere,

Und rennt hinan mit ganzer Stärk' und Schwere.


37.

Nicht hält der Marmor aus, nicht die Metalle

Den harten Stoß, des Wiederstoßes Macht.

Die Angeln springen ab mit lautem Schalle,

Der Riegel bricht, die Pforte stürzt und kracht.

So wirkt kein Widder am bestürmten Walle,

So kein Geschütz, laut donnernd in der Schlacht.

Schnell durch die Oeffnung strömt die Schaar der Krieger,

Gleich einer Wasserflut, und folgt dem Sieger.


38.

Vom Mordgemetzel rinnt das Blut in Bächen

Durch jenes hohe Haus, einst Gottes Haus.

Gerechtigkeit, je länger du die Frechen

Zu strafen säumst, je schwerer brichst du aus!

Verborgen weckst du selbst, um dich zu rächen,

In mildgeschaffnen Herzen Wut und Graus,

Und waschen muß mit seines Blutes Welle

Der Heide jetzt die oft entweihte Stelle.
[256]

39.

Indeß hat Solyman, der mannlich-feste,

Zum großen Thurme Davids sich gewandt.

Hier sammelt er der Schaaren Ueberreste,

Und jeder Zugang wird dem Feind verrannt.

Auch Aladin eilt nun zu dieser Veste,

Und Jener spricht, sobald er ihn erkannt:

Komm, edler König, komm, und schütze droben,

Auf fester Burg, dich vor des Sturmes Toben.


40.

Dort findest du vor wilder Schwerter Schauern

Der Wohlfahrt und des Reiches sichre Wehr.

Weh, ruft der König, weh, daß diese Mauern

Zu Grunde gehn durch der Barbaren Heer!

Nicht länger wird mein Reich, mein Leben dauern;

Gelebt, geherrscht! nicht leb' und herrsch' ich mehr.

Wir waren, sprich! uns Alle reißt zu Grunde

Der letzte Tag, die unwendbare Stunde!


41.

Doch voll Verdruß giebt Solyman ihm wieder:

Wohin, o Herr, entschwand dein alter Muth?

Stürz' auch das Schicksal unsre Throne nieder,

Uns bleibt der Fürstenwerth, der in uns ruht.

Erhole jetzt die vielgequälten Glieder

Von aller Mühsal dort in sichrer Hut.

Er spricht's, und durch die wohlbewachte Pforte

Führt er den König ein zum festen Orte.
[257]

42.

Die Eisenkeul' ergreift er, nimmer träge,

Mit jeder Faust; das Schwert wird eingesteckt.

So steht der kühne Mann am engen Wege,

Den er mit Macht vor Feindesangriff deckt.

Wohl waren tödtlich die gewalt'gen Schläge,

Und wer nicht umkommt, wird doch hingestreckt.

Schon fliehen Alle fort mit Angstgeheule

Beim ersten Nahn der fürchterlichen Keule.


43.

Da sieh! von einer tapfern Schaar begleitet,

Zieht Raimund von Toulouse kühn heran.

Der Alte naht dem Schreckensort und schreitet,

Trotz den gewalt'gen Streichen, dicht hinan.

Er haut zuerst, allein die Klinge gleitet;

Doch nicht vergebens haut ihn Solyman.

Er trifft die Stirn, und nieder stürzt der Arme

Rücklings, bleich, schlotternd, mit gespreiztem Arme.


44.

Nun endlich kehrt in die Besiegten wieder

Der Muth zurück, der längst von hinnen schied,

Und von den Siegern stürzt ein Theil danieder

Am Thor der Burg, indeß der andre flieht.

Doch Solyman, der die erstarrten Glieder

Des Grafen jetzt zu seinen Füßen sieht,

Ruft seinen Rittern zu: Tragt in die Schranken

Und nehmt gefangen dieses Haupt der Franken!
[258]

45.

Sie nahen sich, den Auftrag zu vollbringen,

Doch sehn sie bald, es wird so leicht nicht sein;

Denn alle Krieger des Gefallnen dringen

Zum Schutz heran in muthigem Verein.

Unbänd'ge Wut und treue Liebe ringen

In wildem Kampf; auch ist ihr Ziel nicht klein:

Freiheit und Leben solches Haupts der Schaaren

Will man hier rauben, will man dort bewahren.


46.

Doch hätte Solyman, von Zorn durchdrungen,

Am Ende wohl die Rachbegier gestillt;

Denn wo er seiner Keule Kraft geschwungen,

Da hilft kein starker Helm, kein Doppelschild,

Wär' ihm nicht neuer Widerstand entsprungen.

Von zweien Seiten naht sich, rasch und wild,

Zu gleicher Zeit ein drohend Ungewitter:

Der Oberfeldherr und der große Ritter.


47.

Gleichwie ein Hirt, wann ihn die Winde schrecken,

Des Donners Hall, der rothen Blitze Glut,

Und tausend Wolken ihm den Tag verstecken,

Die Heerde wegtreibt von der offnen Hut,

Um irgend einen Schutzort zu entdecken,

Wo er sie sichre vor des Himmels Wut,

Und mit Geschrei und mit dem Stab sie leitet,

Und hinter allen, als der Letzte, schreitet:
[259]

48.

So treibt der Heidenfürst, vom Ueberfalle

Des unwendbaren Sturms belehrt sofort,

Da rings der Himmel dröhnt vom grausen Schalle

Und Waffen ziehn heran von da und dort,

Als Wächter vor sich her die Schaaren alle

Zum großen Thurm, und bleibt zuletzt am Ort.

Er geht zuletzt, und weichet den Gefahren

So, daß sich Muth und Vorsicht offenbaren.


49.

Doch kaum, mit Noth, ist er hineingegangen

Und schließt das Thor mit großer Mühe zu;

Denn schon erscheint Rinald, bricht sonder Bangen

Die Schranken durch und sucht des Sultans Spur.

Den zu besiegen, treibt ihn sein Verlangen,

Dem Keiner gleicht; auch spornet ihn sein Schwur.

Denn nicht vergaß er, daß er jüngst geschworen,

Den Mörder Sueno's rächend zu durchbohren.


50.

Wohl hätte gleich an die unnehmbarn Zinnen

Die nie bezwungne Rechte sich getraut,

So daß vielleicht der Sultan selbst da drinnen

Nicht Schutz vor seinem Schickungsfeinde schaut:

Doch Gottfried heißt den Rückzug jetzt beginnen,

Weil Dunkel schon den Horizont umgraut.

Er wählt die Stadt zur Wohnung, und will sorgen,

Den Angriff zu erneu'n am neuen Morgen.
[260]

51.

Zu seinem Volke spricht er froh und heiter:

Begünstigt hat der Herr die Christen sehr.

Das Hauptwerk ist geschehn; nur wenig weiter

Bleibt uns zu thun, und nichts zu fürchten mehr.

Den Thurm, der Heiden letzte Hoffnungscheiter,

Bestürme morgen unser ganzes Heer.

Jetzt treibe Mitleid euch zu andern Werken:

Die Schwachen, die Verwundeten zu stärken.


52.

Geht, pfleget derer, die mit blut'gen Wunden

Erringen uns dies Vaterland gewollt;

Dies ziemet mehr den Kämpfern, die verbunden

Mit Christus sind, als Durst nach Rach' und Sold.

Zu viel, zu viel ward heut des Mords gefunden,

Zu viel, bei Manchen, der Begier nach Gold.

Doch nicht mehr soll man plündern, nicht mehr rasen;

Dies sei verkündet bei Trommetenblasen.


53.

Er schweigt und geht, um seinen Freund zu schauen,

In dem der Wunde Schmerz noch heftig glüht.

Doch auch der Sultan spricht nun mit Vertrauen,

Und drängt den Schmerz zurück in sein Gemüth:

Bleibt unbesiegt, Gefährten, trotz der rauhen

Abkehr des Glücks, so lange Hoffnung blüht;

Denn mit dem Schein der Furchtbarkeit beladen,

Doch wahrhaft minder groß ist unser Schaden.
[261]

54.

Dem Feinde sind nur Mauern untergeben,

Nur niedres Volk; die Stadt bezwang er nicht;

Denn sie besteht in ihres Königs Leben,

In eurer Brust, in eures Arms Gewicht.

Der König lebt, und seine Besten leben;

Dies feste Schloß ist unsre Zuversicht.

Mag auch der Feind die leere Stadt besiegen:

Fruchtloser Sieg! er wird zuletzt erliegen.


55.

Erliegen wird er, mir raubt nichts den Glauben;

Denn dieses Volk, im Glück voll Uebermuth,

Wird jeden Raub und Mord sich nun erlauben,

Sich überlassen schändlich schnöder Glut.

Und zwischen Unzucht, zwischen Mord und Rauben

Wird leicht vertilgt die hassenswerthe Brut,

Wenn der Aegypter Heer beim frechen Spiele

Sie überfällt – und schon ist's nah dem Ziele.


56.

Wir unterdeß, wie's uns beliebt, befreiten

Mit Steinen rings die Hochgebäud' im Ort,

Und alle Wege, die zum Grabe leiten,

Nimmt unser Wurfgeschütz den Feinden fort.

So sucht er Trost den Schwachen zu bereiten,

Und weckt den Armen Hoffnung durch sein Wort.–

Indeß man hier nun solche Ding' erfahren,

Durchstreift Vafrin zahllos bewehrte Schaaren.
[262]

57.

Bestimmt, im Feindesheer sich umzuschauen,

Zog fort Vafrin, indem die Sonne schwand,

Und ritt allein, durch einsam öde Gauen,

Bei Nacht dahin, vermummt und unerkannt.

Noch sah er nicht im Ost den Morgen grauen,

Als er sich schon bei Ascalon befand,

Und als die Sonne strahlt' im Mittagslichte,

Hatt' er bereits das Lager im Gesichte.


58.

Er sieht unzähl'ge Zelt' und drauf die Menge

Der Wimpel, gelb, blau, purpurn, überall.

Mißhäll'ger Sprachen hört er solch Gemenge,

So viele Pauken, Hörner, Kriegsmetall,

Und der Kamel' und Elephanten Klänge,

Vereinigt mit des Wieherns muth'gem Schall,

Daß er im Stillen sagt: In diesen Landen

Sind Asien jetzt und Afrika vorhanden.


59.

Er nimmt zuerst die Lage, das Gehege

Von Wall und Graben um die Zelte wahr.

Dann sucht er nicht geheime, krumme Stege,

Noch birgt sich vor des Volkes häuf'ger Schaar:

Durchs Hauptthor tritt er ein, auf gradem Wege,

Fragt bald, antwortet bald, stets frei und klar,

Und wie in Frag' und Antwort rasch, verschlagen,

Ist er von Ansehn keck und ohne Zagen.
[263]

60.

Aufmerksam nun durchstreift er Plätz' und Gassen,

Und sucht von Zelt zu Zelt sich umzusehn,

Um dort auf Krieger, Ross' und Wehr zu passen,

Und Ordnung, Zucht und Namen zu erspähn.

Allein er denkt noch Größres aufzufassen,

Selbst das Geheimste darf ihm nicht entgehn,

Und ihm gelingt's, durch schlaues Drehn und Winden,

Zugang sogar zum Hauptgezelt zu finden.


61.

Er sah, umspürend, einen Riß im Zelte,

Der Blick und Stimme frei ließ durch die Wand

Und jenen innern Theil dem Aug' erhellte,

Wo das Gemach des Fürsten sich befand,

So daß ein Lauscher, der davor sich stellte,

Leicht die Geheimnisse des Herrn verstand.

Vafrin blickt durch und lauscht hier, still verborgen,

Als müss' er für des Zelts Ausbessrung sorgen.


62.

Der Feldherr steht, bewaffnet wie zum Streite,

Im Purpurmantel, doch des Helmes baar.

Er stützt sich auf den Speer; in ein'ger Weite

Harrt mit dem Helm und Schild ein Knappenpaar.

Ein Mann mit rauhem Blick ist ihm zur Seite,

Groß, starkgebaut, von Ansehn ein Barbar.

Vafrin horcht auf, kein Laut geht ihm verloren,

Denn Gottfrieds Name dringt zu seinen Ohren.
[264]

63.

Der Feldherr fragt: Und was du übernommen,

Gottfried zu tödten, ist es sicher schon?

Ja, spricht der fremde Mann, das ist's vollkommen:

Als Sieger nah' ich, oder nie, dem Thron.

Ich will zuvor den Mitverschwornen kommen,

Und ich verlange keinen andern Lohn,

Als daß ich in Kairo die Trophäen

Aufrichten mag, mit diesem Wort versehen:


64.

Dem Frankenfeldherrn, der in Asien wilde

Verwüstung trieb, nahm Ormond diese Wehr,

Als er sein Leben nahm im Kampfgefilde,

Und hing, zum ew'gen Denkmal, sie hieher. –

Nicht unbelohnt läßt unsers Königs Milde

Die große That, spricht Emiren nunmehr.

Du wirst gewiß, was du begehrst, erlangen,

Doch auch noch andern, reichen Lohn empfangen.


65.

Laß nur die falschen Waffen schnell vollenden,

Denn bald wird der Entscheidungskampf gewagt.

Sie sind bereit, spricht Jener. Also enden

Sie das Gespräch, und nichts wird mehr gesagt.

Vafrin erstaunt; doch wie er auch zu wenden

Die wicht'ge Kunde sucht, wie oft er fragt:

Was für Verschwörung? was für falsche Waffen?

Kein Sinnen kann ihm volles Licht verschaffen.
[265]

66.

Er geht hinweg, gequält von diesen Sorgen,

Und überläßt sich nicht des Schlafs Gewalt.

Doch als nun jede Fahn' am frühen Morgen,

Zum Weiterziehn gelöst, im Winde wallt:

Da folgt auch er, im Heereszug verborgen,

Und macht hernach auch mit den Schaaren Halt,

Und schleicht von Zelt zu Zelt, ob ihm gelinge

Etwas zu hören, das mehr Licht ihm bringe.


67.

Er sucht, und sieht Armiden herrlich prunken,

Umringt von ihrer Frau'n und Ritter Schaar.

Einsam und seufzend, in sich selbst versunken,

Sitzt sie und sinnt, und nimmt nichts And'res wahr.

Die Wang' ist auf die weiße Hand gesunken,

Zur Erde schaut der holden Sterne Paar.

Er weiß nicht, ob sie weint; doch wohl sich feuchten

Sieht er ihr Aug' und Perlen in ihm leuchten.


68.

Genüber sitzt Adrast, sie starr betrachtend,

Kein Auge wendend und kaum athmend schier,

So hängt er ihr am Angesicht, nur trachtend

Zu weiden seine hungrige Begier.

Doch Tissaphern, bald zürnend und bald schmachtend,

Schaut wechselnd bald nach ihm und bald nach ihr,

Und in dem stets bewegten Antlitz malen

Sich jetzt der Wut und jetzt der Liebe Qualen.
[266]

69.

Auch Altamor wird hier gewahrt; umfangen

Vom Frauenkreise, sitzt er etwas fern

Und läßt nicht frei umschweifen sein Verlangen,

Doch lenkt er schlau den gier'gen Augenstern,

Der Blick schielt nach der Hand, der nach den Wangen;

Manchmal auch späht er nach verborgnerm Kern

Und dringt hinein, wo unvorsicht'ge Hülle

Geheimen Weg entdeckt zur schönsten Fülle.


70.

Den Blick beginnt Armida zu erheben,

Und Heitre kehrt zurück auf ihr Gesicht,

Indem durch Wolken, die ihr Aug' umweben,

Dem Blitze gleich, ein sanftes Lächeln bricht:

Ich darf mich, spricht sie, nicht dem Schmerz ergeben,

Bedenk' ich, Ritter, was eu'r Muth verspricht;

Denn mich zu rächen ist nun eure Sache,

Und süß ist Zorn in Hoffnung naher Rache.


71.

Erheitre, spricht Adrast mit Selbstvertrauen,

Die trübe Stirn und mildre deine Pein;

Denn schleunig soll, von seinem Rumpf gehauen,

Rinaldo's Haupt zu deinen Füßen sein.

Doch willst du lieber ihn gefangen schauen,

Soll dir auch das mein Rächerarm verleihn.

So schwör' ich dir. Der Andre hört mit Schmerzen,

Doch schweigt er still und nagt sich ab im Herzen.
[267]

72.

Was aber, spricht sie, wirst du, Herr, mir sagen?

Und kehrt den holden Blick auf Tissaphern.

Ich bin zu träg', um mit ihm wettzujagen,

Spricht er verstellt, und werde nur von fern

Dem furchtbar tapfern Mann zu folgen wagen. –

Und so verletzt er ihn bis auf den Kern.

Da spricht Adrast: Mit Recht thut auf Erreichung

Der Freund Verzicht, und scheuet die Vergleichung.


73.

Doch Jener läßt sein stolzes Haupt sich wiegen

Und spricht: O wäre jetzt mein Wille frei,

Dürft' ich als Herr mit diesem Schwerte kriegen,

Bald würd's erhellen, wer der Trägste sei.

Dem Himmel beb' ich und der Liebe Siegen,

Nicht, Wilder, dir, noch deiner Prahlerei.

Er schweigt. Adrast steht auf, um ihn zu fodern;

Sie aber eilt, und hemmt des Streits Entlodern:


74.

Warum, o Ritter! nehmt ihr mir die Gaben,

Die ihr geschenkt zu wiederholter Frist?

Ihr seid ja meine Kämpfer, und begraben

In diesem Wort sei jeder wilde Zwist.

Wer zürnt, zürnt mir, ich soll Beleid'gung haben,

Wenn ihr beleidigt, wie ihr Beide wißt.

So spricht sie und vereint, als Herr und Meister,

Hier unterm Eisenjoch unein'ge Geister.
[268]

75.

Vafrin ist da und horcht mit leisen Ohren,

Merkt sich die Wahrheit und verläßt den Ort,

Um auszuspähn, wozu man sich verschworen;

Doch Alles schweigt, und er erfährt kein Wort.

Selbst ungestüme Fragen sind verloren;

Die Schwierigkeit reißt sein Verlangen fort,

Und lieber will er endlich hier erblassen,

Als dies Geheimniß unentschleiert lassen.


76.

Wohl tausend Künste hat er aufgeboten,

Und tausend Listen schlau genug verwandt;

Doch bleiben Art und Waffen der gedrohten

Verschwörung ihm noch immer unbekannt.

Am Ende nun löst alle Zweifelsknoten –

Was ihm unmöglich blieb – des Zufalls Hand,

So daß ihm deutlich und bestimmt erhellte,

Was für ein Netz man seinem Feldherrn stellte.


77.

Er war zum Ritterkreis zurückgegangen,

Der um die feindlich Liebende sich schließt;

Hier hofft er eh zum Zwecke zu gelangen,

Weil hier so große Schaar zusammenfließt.

Nun sucht er eine Zwiesprach' anzufangen

Mit einem Fräulein, das er sich erkiest.

Er naht sich ihr mit leichtem, freiem Wesen,

Als sei er längst mit ihr vertraut gewesen.
[269]

78.

Wohl mögt' auch ich, spricht er mit munterm Necken,

Mich einer Schönen zum Verfechter weihn;

Rinaldo oder Gottfried hinzustrecken,

Soll meinem Schwert nur leichte Sache sein.

Begehre nur, kann dies dir Lust erwecken,

Ein feindlich Haupt, und es ist sicher dein.

So fängt er an, und denkt mit diesen Dingen

Bald das Gespräch vom Scherz auf Ernst zu bringen.


79.

Allein er lacht dabei, und zwar mit Mienen,

Die ihm im Lachen eigenthümlich sind.

Ein and'res Fräulein war indeß erschienen,

Hört und betrachtet ihn, und spricht geschwind:

Nur mir allein sollst du als Kämpe dienen,

Und nicht bereun, daß du um mich geminnt.

Gewiß, dich rauben will ich einer Jeden,

Und jetzt mit dir als meinem Ritter reden.


80.

Sie führt' ihn fort und sprach mit leisem Laute:

Ich kenne dich, und du auch mich, Vafrin.

Der schlaue Knapp', obwohl ihm herzlich graute,

Versetzte lächelnd, ohne zu verziehn:

Ich wüßte nicht, daß ich dich jemals schaute,

Und du bist werth, den Blick auf dich zu ziehn.

Doch weiß ich dies, daß mit gar anderm Namen,

Als du mir giebst, die Leute mich benamen.
[270]

81.

Ich stamme von Biserta's sand'gen Weiten;

Mein Vater heißt Lesbin, Almansor ich.

Toscaner, spricht sie, schon von alten Zeiten

Kenn' ich dich ja; verlaß dich ganz auf mich.

Du darfst mir trau'n; ich will dich freundlich leiten,

Und selbst mein Leben wag' ich gern für dich.

Erminia bin ich, Fürstin einst, doch Sklavin

Tancreds hernach, und deine Nebensklavin.


82.

Zwei frohe Mond', in meinen süßen Banden,

Hast du mit Huld erfüllt des Wächters Pflicht,

Und freundlich mir gedient und beigestanden.

Ich bin's, ich bin es selbst; o zweifle nicht!

Vafrin beschaute sie; die Zweifel schwanden,

Und er erkannt' ihr liebliches Gesicht.

Wohl darfst du, fuhr sie fort, mir sicher trauen;

Ich schwör's bei Sonn' und Himmel, die uns schauen!


83.

Ja, kehrst du heim – das ist mein einzig Streben –

So bringe mich zurück zur süßen Haft;

Denn in der bittern Freiheit hier entschweben

Mir Tage trüb' und Nächte grausenhaft.

Und hast du wohl auf Kundschaft dich begeben,

So wird dir jetzt ein seltnes Glück verschafft;

Du sollst durch mich Verschwörungen erkunden,

Und was du sonst wohl schwerlich ausgefunden.
[271]

84.

So redet sie. Er schaut sie an mit Schweigen;

Armidens Trug schwebt warnend ihm hervor.

Ein Weib ist schwatzhaft, Ränke sind ihm eigen;

Bald will's, bald nicht: wer traut, der ist ein Thor.

So sinnt er lang'. Ich will den Weg dir zeigen,

Spricht er zuletzt, hast du zu fliehen vor.

Dies wollen wir einander fest geloben;

Das Andre sei auf bessre Zeit verschoben.


85.

Sie setzen fest, beginnen soll die Reise

Eh sich das Heer entfernt von diesem Ort.

Vafrin geht weg, und zu dem andern Kreise

Kehrt sie zurück, und bleibt ein Weilchen dort.

Sie scherzt zum Schein, und spricht auf muntre Weise

Von ihrem neuen Freund; dann geht sie fort,

Und findet Jenen an bestimmter Stelle,

Und Beide reiten fort in aller Schnelle.


86.

Schon waren sie allein und ohne Störung,

Nachdem das letzte Heidenzelt verschwand,

Da sagt Vafrin: Nun gieb dem Wunsch Erhörung,

Und sprich, wie man dem Feldherrn Netze spannt.

Und das Gewirk der schändlichen Verschwörung

Entwickelt sie ihm jetzt mit sichrer Hand:

Acht Krieger sind's, erzählt sie, und von diesen

Wird Ormond als der Tapferste gepriesen.
[272]

87.

Die nun – ob Haß, ob Ingrimm sie bewehre –

Verschworen sich, und dies ist ihre List:

Am Tag der Schlacht, da zwei gewalt'ge Heere

Um Asiens Reich auskämpfen ihren Zwist,

Trägt diese Schaar nach Frankenart die Wehre,

Bezeichnet mit dem Kreuz, und Jeder ist,

Wie Gottfrieds Wache stets sich unterscheidet

Durch Weiß und Gold, in gleiche Tracht gekleidet.


88.

Doch Jeder trägt auf seinem Helm ein Zeichen,

Das seinem Volk als Heiden ihn entdeckt.

Und wann sich nun die beiden Heer' erreichen

Im Handgemeng, dann werden sie versteckt

Des Helden Brust mit ihrem Stahl umschleichen,

Durch seiner Wache Tracht und Schein gedeckt.

Auch werden sie mit Gift die Schwerter netzen,

Um jede Wund' ihm tödtlich zu versetzen.


89.

Und weil der Heide wußt', ich müsse kennen

Brauch, Waffen, Oberkleid bei eurem Heer,

Mußt' ich die Tracht und die Bezeichnung nennen

Und ward gepreßt zu Diensten voll Beschwer.

Dies ist der Grund, vom Lager mich zu trennen:

Entfliehen will ich herrischem Begehr.

Denn immer war es Abscheu mir und Schrecken,

Mit irgend einem Trug mich zu beflecken.
[273]

90.

Dies ist der Grund; doch auch noch andre waren – –

Sie schweigt, und Röthe färbt ihr Angesicht.

Ihr Auge sinkt; gern möchte sie bewahren

Das letzte Wort, das sie nur leise spricht.

Allein Vafrin, begierig, zu erfahren,

Was sie aus Schaam zu sagen unterbricht,

Versetzt: Weßhalb, Kleinmüth'ge, noch dich scheuen,

Die wahrern Gründe zu gestehn dem Treuen?


91.

Ein Seufzer quoll hervor, und zitternd, blöde,

Mit dumpfem Tone sprach sie dieses Wort:

O schlechtbewahrte Schaam, unzeit'ge, schnöde,

Entfliehe nun, hier ist für dich kein Ort!

Warum noch bergen willst du, fruchtlos Spröde,

Mit deiner Glut der Liebe Glut hinfort?

Vorhin, da ziemt' Erwägung wohl der Zücht'gen,

Nicht jetzo mehr der Irrenden und Flücht'gen.


92.

Dann fuhr sie fort: In jener Nacht, dem Lande,

Das mich gebar, und mir so schmerzenreich,

Verlor ich mehr, als schien; doch nicht im Brande

Des Kampfes, erst nachher traf mich der Streich.

Leicht ist des Reichs Verlust; ich, mit dem Stande

Der Fürstlichkeit, verlor mich selbst zugleich;

Verlor, um nie es wieder zu gewinnen,

Mein thörichtes Gemüth mit Herz und Sinnen.
[274]

93.

Vafrin, du weißt, als ich beim Sturm der Deinen

Sah Raub und Mord durch alle Gassen ziehn,

Da wandt' ich mich an deinen Herrn und meinen,

Der jetzt, bewehrt, in meinem Schloß erschien,

Und warf mich vor ihn hin, und rief mit Weinen:

Siegreicher Held, Schutz, Rettung mir verliehn!

Nicht um mein Leben fleh' ich; deine Güte

Bewahre nur der Jungfrau Ehr' und Blüthe.


94.

Er aber harrte nicht, bis mein Gestöhne

Geendet sei, und reichte mir die Hand

Und sprach: Dein Schützer will ich sein, o Schöne!

Du hast dich nicht umsonst an mich gewandt.

So sanft, so lieblich klangen seine Töne,

Daß ich sie tief in meiner Brust empfand.

Ein süßes Etwas schlich zum Herzensgrunde,

Und ward, ich weiß nicht wie, dort Brand und Wunde.


95.

Er sah mich oft, und goß mit mildem Streben

Des Trostes Balsam auf mein Leid herab.

In voller Freiheit, sprach er, sollst du leben,

Und schlug von meinen Schätzen Alles ab.

Weh mir! Jetzt raubt' er erst, und schien zu geben,

Entriß mich mir, indem er mir mich gab.

Er gab zurück, was leicht war zu verschmerzen,

Und nahm für sich das Reich in meinem Herzen.
[275]

96.

Die Liebe birgt sich schlecht. Oft legt' ich Fragen

Nach ihm dir vor, voll sehnlicher Begier.

Du sahst den Wurm an meinem Herzen nagen:

Du liebst, Erminia, sagtest du zu mir.

Zwar leugnet' ich; doch wahrer, als mein Sagen,

Bezeugten Seufzer meine Liebe dir.

Mein Blick, vielleicht an Mundes Statt, bekannte

Die heiße Glut, die mir im Herzen brannte.


97.

Unselig Schweigen! warum nicht begehrte

Ich damals Arzenei für meine Noth,

Wenn ich der Sehnsucht freien Lauf gewährte

Hernach, als keine Hülfe mehr sich bot?

Ich reiste fort, mit dem verborgnen Schwerte

In meiner Brust, und glaubte nah den Tod.

Doch endlich sucht' ich Mittel mich zu retten,

Und Liebe sprengt' entzwei der Ehre Ketten;


98.

So daß ich nicht, ihm nachzuziehn, mich scheute,

Denn heilen konnte mich, der mich verletzt.

Allein von einer Schaar hartherz'ger Leute

Ward unterwegs mir grausam nachgesetzt,

Und fast schon war ich der Verfolger Beute;

Doch eine Wildniß schützte mich zuletzt,

Wo ich in stillem ländlichen Vereine

Als Hirtin lebt' und Bürgerin der Haine.
[276]

99.

Doch bald erwacht' aufs neue das Verlangen,

Das kurze Zeit durch Furcht bewältigt war;

Noch einmal sucht' ich zu ihm zu gelangen,

Und kam aufs neu' in ähnliche Gefahr.

Entfliehen konnt' ich nicht; ich sah mit Bangen

Zu nah, zu schnell die raubbegier'ge Schaar.

Aegypt'sche Krieger waren's, die mich fingen,

Und dann mit ihrem Raub nach Gaza gingen.


100.

Dem Feldherrn ward ich zum Geschenk gegeben,

Und überzeugt' ihn bald von meinem Stand.

Man ließ geehrt und ungekränkt mich leben,

So lang' ich bei Armiden mich befand.

So ward ich mehrmals Andern untergeben

Und wieder frei; sieh da, was ich bestand!

Doch trotz so mancher Haft, so mancher Rettung,

Fühl' ich noch stets der ersten Band' Umkettung.


101.

O wenn nur Er, der mit so festen Stricken

Mein Herz umschlang, unlösbar jeder Kraft,

Nur Er nicht spricht: Hinweg aus meinen Blicken,

Unstätes Mädchen! und mich von sich schafft.

Mög' er vielmehr durch Güte mich erquicken,

Mir wieder aufthun die geliebte Haft!

So spricht Erminia; und auf solche Weise

Verbringen sie bei Tag und Nacht die Reise.
[277]

102.

Vafrin verläßt die zu betretnen Stege,

Durch kürzern oder sichrern Pfad bestimmt.

Schon nah der Stadt, in einem Thalgehege,

Als gegen West die Sonne nieder klimmt,

Sehn sie auf einmal Blut auf ihrem Wege,

Und einen Krieger, der im Blute schwimmt,

Den ganzen Pfad mit seinem Leibe deckend,

Das Antlitz himmelwärts, und todt noch schreckend.


103.

Am Waffenschmuck, am fremden Kriegsgewande

Ward kund der Heid', und weiter zog Vafrin.

Ein Andrer lag nicht weit davon im Sande,

Deß Aeußres bald auffallend ihm erschien.

Er sprach zu sich: Der ist vom Frankenlande.

Bedenklich macht die schwarze Kleidung ihn.

Er springt vom Roß, sein Angesicht zu fragen,

Und ruft: Weh mir! Hier liegt Tancred erschlagen!


104.

Die Unglücksel'ge war zurück geblieben

Und schaute noch den grausen Krieger an,

Als dieser Ton, vom Schmerz hervorgetrieben,

Ihr Herz durchbohrt, wie wenn's ein Pfeil gethan.

Sie sprengt im Flug, beim Namen ihres Lieben,

Gleich einer Trunknen, Rasenden heran.

Sein bleich Gesicht, die liebliche Geberde,

Sie sieht's – und steigt nicht, nein, sie stürzt vom Pferde,
[278]

105.

Und läßt mit Schluchzen und Gestöhn unendlich

Der Thränen Flut auf ihn herniederthau'n:

Zu welcher Zeit führt mich ein unabwendlich

Geschick hieher? O Anblick voller Grau'n!

Nach langer Frist, Tancred, find' ich dich endlich;

Ich schaue dich, und du kannst mich nicht schau'n!

Kannst mich nicht schau'n, obwohl ich dich umwinde;

Bist ewig mir geraubt, da ich dich finde!


106.

Unselige, weh mir! das dacht' ich nimmer:

Du meinem Aug' ein Schrecken je einmal?

Und jetzt – o deckte Blindheit mich auf immer,

Daß ich nicht schaute dieses Anblicks Qual!

Weh mir! Wo ist des Auges Flammenschimmer,

So mild und lieblich? wo sein holder Strahl?

Wohin entfloh der Purpur dieser Wangen?

Wohin entwich der Brauen heitres Prangen?


107.

Doch muß mein Herz auch dem Erblichnen fröhnen.

Geliebter Geist, verweilest du noch hier,

Siehst meine Zähren, hörst mein ängstlich Stöhnen:

Vergieb den Raub verwegener Begier!

Ja, kalte Küsse raub' ich noch dem schönen,

Erblaßten Mund, hofft' ich auch wärm're mir;

Damit, wann ich die bleichen Lippen küsse,

Der Tod sein Recht zum Theil verlieren müsse.
[279]

108.

Mitleid'ger Mund, der lebend oft mein Leiden

Getröstet hat durch milden Worts Erguß,

Vergönne mir auch jetzt, vor meinem Scheiden,

Den letzten Trost in einem süßen Kuß!

Du hättest, war ich einst nicht zu bescheiden,

Gegeben wohl, was ich nun rauben muß.

Laß meinen Mund sich auf dich niedertauchen

Und meine Seel' in deine Lippen hauchen!


109.

Empfange meinen Geist, und von der Schwelle,

Die er betritt, send' ihn dem deinen nach!

Sie spricht's und seufzt, und durch der Augen Quelle

Scheint sie dahin zu fließen, wie ein Bach.

Er nun, erweckt von der lebend'gen Welle,

Eröffnet halb die Lippen, leis' und schwach;

Er öffnet sie und mischt ein mattes Stöhnen,

Geschlossnen Auges, zum Geseufz der Schönen.


110.

Die Jungfrau hört den leisen Seufzer hallen,

Und milder Trost dringt an ihr Herz hinan.

Sie ruft: Blick' auf, Tancred! Nimm mit Gefallen

Dies Leichenopfer meiner Thränen an!

Ich will mit dir die lange Straße wallen;

Blick' auf! ich will mit dir den Tod empfahn.

O sieh mich an! Halt' ein im raschen Gange!

Dies ist die letzte Gunst, die ich verlange.
[280]

111.

Er schlägt die Augen auf, und schließt sie wieder,

Matt und verstört; sie klagt aufs neu' ihr Leid.

Noch, spricht Vafrin, liegt er nicht ganz danieder;

Erst helfen wir, zu klagen ist noch Zeit.

Und nun entwaffnet er die matten Glieder,

Wozu auch sie die Hand mit Zittern leiht.

Dann untersucht verständig sie die Wunden,

Und hofft zuletzt, er werde noch gefunden.


112.

Es war ihr leicht, des Uebels Grund zu finden,

Der nur in Kraft- und Blut-Verlust bestand;

Allein sie hat, die Wunden zu verbinden,

Den Schleier nur, hier, in so ödem Sand.

Doch Liebe zeigt ihr ungewohnte Binden

Und lehret neue Kunst der frommen Hand.

Sie macht mit ihrem Haar die Wunden trocken,

Und braucht als Band die abgeschnittnen Locken;


113.

Denn für so viele Wunden zum Verbande

Gnügt bald der kurze, dünne Schleier nicht.

Diptam und Krokus fehlten hier zu Lande,

Doch kennt sie Worte, magisch, voll Gewicht.

Schon wirft er ab des Todesschlummers Bande,

Schon regt er frei der Augen holdes Licht

Und sieht den Knappen und ein Weib zugegen,

In fremder Tracht, beschäfftigt ihn zu pflegen.
[281]

114.

Er fragt: Vafrin, wie bist du hergekommen?

Und wer, mitleid'ge Pflegerin, bist du?

Erminia seufzt, von Freud' und Furcht entglommen,

Und sanftes Roth deckt ihre Wangen zu.

Von Allem, spricht sie, wird dir Kunde kommen;

Jetzt, als dein Arzt, gebiet' ich Still' und Ruh.

Denk' auf Belohnung, du genesest wieder.

Dann legt sie auf den Schooß sein Haupt danieder.


115.

Jetzt sinnt Vafrin, wie er Tancred bei Zeiten

Ins Lager bringe, vor Beginn der Nacht;

Und sieh! es kommt ein Trupp daher vom Weiten,

Der bald als seines Herrn sich kenntlich macht.

Als Jener ging, um mit Argant zu streiten,

Stand dieser Haufen bei ihm in der Schlacht;

Auf sein Gebot war er zurückgeblieben,

Und sucht' ihn jetzt, von Sorgen angetrieben.


116.

Noch Viele gingen aus, nach ihm zu schauen,

Doch ihn zu finden glückt nur dieser Schaar.

Sie bieten ihm, um einen Sitz zu bauen,

Die eignen Arm' als Stütz' und Sessel dar.

Nun spricht Tancred: Bleibt hier, auf offnen Auen,

Argant, ein Mahl dem Raben und dem Aar?

Ha, nein, bei Gott! nie werd' ich das erlauben,

Nicht ihn des Grabes, noch des Ruhms berauben.
[282]

117.

Ich kriege nicht mit blutlos stummen Leichen.

Er starb als Held, von keiner Furcht bedroht,

Und wohl gebührt ihm jenes Ehrenzeichen,

Das einz'ge, das uns übrig läßt der Tod. –

So, während Viel' ihm ihren Beistand reichen,

Trägt man den Feind ihm nach, auf sein Gebot.

Vafrin gesellt der Jungfrau sich als Hüter,

So wie ein Mann bewacht die theu'rsten Güter.


118.

Nicht in mein Zelt – wird von Tancred entschieden –

Tragt mich vielmehr zur Königsstadt hinan;

Denn trifft vielleicht, was Jeden trifft hienieden,

Mein schwaches Sein, so will ich's dort empfahn.

Der Ort, wo der Unsterbliche verschieden,

Kann wohl erleichtern mir des Himmels Bahn,

Und herrlich wird's die fromme Sehnsucht laben,

Das Ziel der Pilgerschaft erreicht zu haben.


119.

Er spricht's; sie tragen ihn zur Stadt und heben

Aufs Lager ihn, wo er in Schlummer fällt.

Vafrin verschafft der Jungfrau, gleich daneben,

Ein stilles Haus, wie er's für schicklich hält.

Dann eilt er, sich zum Feldherrn zu begeben,

Und alsobald giebt ihm Gehör der Held;

Obwohl er jetzt zum nahen, großen Schlage

Entwürf' und Plane wägt auf ernster Wage.
[283]

120.

Hier sitzt der Oberfeldherr an dem Bette,

In welchem Raimund, schwach und leidend, ruht,

Und rings umher die glorreich edle Kette

Der Ersten an Verstand und Heldenmuth;

Doch Keiner, der den Mund geöffnet hätte,

Indeß Vafrin dem Feldherrn Meldung thut.

Herr, sprach der Knapp', ich ging, wie du befohlen,

Zum Heidenheer, um Kundschaft einzuholen.


121.

Doch fordre nicht, daß ich von diesen Schaaren

Dir nennen soll die unzählbare Zahl.

Ich sah bedeckt vom Zuge der Barbaren

Die Ebnen weit umher, und Berg und Thal;

Sah nackt das Land, wo sie gelagert waren,

Und trocken Flüss' und Quellen allzumal.

Denn keine Flut, die ihren Durst bezwänge,

Und Syriens Ernte gnügt nicht solcher Menge.


122.

Allein dies Heer, das Fußvolk wie die Reiter,

Ist meistens unnütz und ohn' alle Macht;

Es hält nicht Reih' und Glied, folgt nicht dem Leiter,

Kämpft ohne Schwert, von fern nur, in der Schlacht.

Nur Wen'ge sind erles'ne, gute Streiter,

Die Persiens Banner in das Feld gebracht;

Doch muß man die für besser noch erkennen,

Die sich Unsterbliche des Königs nennen.
[284]

123.

Unsterblich heißt die Schaar, weil am Bestande

Der vollen Zahl niemals ein Einz'ger fehlt;

Denn leert ein Platz sich in der tapfern Bande,

So wird alsbald ein neuer Mann gewählt.

Der Feldherr, Emiren, der an Verstande

Und Tapferkeit kaum seines Gleichen zählt,

Hat seines Herrn Geheiß, vor allen Dingen

Durch jede Kunst zur Feldschlacht dich zu bringen.


124.

Auch zweifl' ich nicht, daß man der Feindesschaaren

Annäh'rung hier am andern Tag erfährt.

Doch du, Rinald, mußt wohl dein Haupt bewahren,

Das mancher Held des Heidenvolks begehrt.

Die Tapfersten, Berühmt'sten der Barbaren,

Sie wetzen wider dich so Zorn wie Schwert;

Weil dem, der dich hinabschickt zu den Todten,

Armida selber sich zum Lohn geboten.


125.

Der Herr von Samarcand ist unter ihnen,

Fürst Altamor, an Muth und Adel reich.

Alsdann der Ries' Adrast; zuerst beschienen

Vom Strahl Aurorens wird sein fernes Reich.

Ein Elephant muß ihm zum Rosse dienen,

So wenig ist er andern Menschen gleich.

Und Tissaphern, den als den größten Helden

Einstimm'gen Lauts des Rufes Zungen melden.
[285]

126.

So spricht er, und Rinald, im Innern gährend,

Glüht im Gesicht, sein Aug' ist Flamm' und Brand;

Schon um sich her das Schlachtgewühl begehrend,

Faßt er sich nicht und findet kaum mehr Stand.

Jetzt spricht der Knappe, zu Bouillon sich kehrend:

Geringes, Herr, ward dir bisher bekannt;

Das Wichtigste laß mich zuletzt dir sagen:

Mit Judaswaffen denkt man dich zu schlagen.


127.

Nun meldet er genau und ohne Lücke,

Was er vom Bunde der Verschwornen weiß:

Das Gift, die Waffen, der Verkleidung Tücke,

Ormonds Gerühm und den versprochnen Preis.

Man fragt, er giebt Bescheid auf alle Stücke,

Und kurzes Schweigen folgt im Fürstenkreis.

Dann ruft der Feldherr in der Rathvereinung

Den Raimund auf: Nun sag' uns deine Meinung!


128.

Und er: Ich rathe, nicht, wie erst beschlossen,

Den Thurm zu stürmen, wann der Tag erwacht;

Doch werd' er rings mit einer Schaar umschlossen,

Die jeden Ausfall schier unmöglich macht.

Ausruhen mögen jetzt die Kriegsgenossen

Und Kräfte sammeln zu der größern Schlacht.

Dann sinne du, ob's besser sei, zu schalten

Mit freiem Schwert, ob, zögernd hinzuhalten.
[286]

129.

Allein was ich zuerst von dir begehre,

Ist: für dein eignes Wohl besorgt zu sein.

Nur du giebst Sieg und Herrschaft unserm Heere;

Wer lenkt und sichert es, als du allein?

Drum, daß die Tracht der List nicht Schutz gewähre,

Laß neue Zeichen deiner Schaar verleihn:

So wird der Trug dadurch sich dir entdecken,

Wodurch er eben meint sich zu verstecken.


130.

Der Feldherr spricht: Wie ich dich stets erfunden,

Wohlwollend, klug, wirst du auch jetzt gesehn.

Doch jenes, was dein Zweifel noch gebunden,

Sei so gelöst: Zum Angriff soll es gehn.

Die Heerschaar, die den Osten überwunden,

Soll nicht umzäunt von Wall und Mauer stehn;

Das Frevlervolk soll unsre Stärke schauen

Im freisten Tageslicht, auf freien Auen.


131.

Schon vor dem Ruf der Siege wird es beben,

Geschweige vor der Sieger Angesicht,

Vor ihrem Schwert, und sein bewältigt Streben

Wird nur verstärken unsrer Macht Gewicht.

Der Thurm, und sollt' er bald sich nicht ergeben,

Wird leicht erstürmt, wenn Beistand ihm gebricht.

Hier schweigt der Feldherr und verläßt den Grafen,

Weil der Gestirne Fall ihm winkt zum Schlafen.

Quelle:
Torquato Tasso: Das Befreite Jerusalem. Teil 2, Berlin 1855, S. 243-287.
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