|
[307] 1.
Er spricht's, und sieht ein Roß im Felde streifen,
Das hin zu ihm die irren Schritte kehrt.
Den freien Zügel eilt er zu ergreifen,
Und springt, obwohl geqüalt und matt, aufs Pferd.
Schon fiel der Helmbusch mit den furchtbarn Schweifen
Und ließ den Helm gedrückt und ungeehrt;
Das Kriegskleid ist zerfetzt, von allem Prangen
Des Fürstenpomps die kleinste Spur vergangen.
2.
Wie manchesmal ein Wolf, verjagt vom vollen
Verschlossnen Schafstall, flieht und sich versteckt,
Der noch, obwohl der große Bauch geschwollen,
Und Raubesmeng' im gier'gen Magen steckt,
Die Zunge reckt hervor in seiner tollen
Unmäß'gen Blutgier, und die Lippen leckt:
So wich der Türk, dem nach so blut'gem Morden
Die Hungerwut noch nicht ersättigt worden.
[308]
3.
Sein gutes Glück führt durch der Pfeile Regen,
Der ihn umfliegt mit mächtigem Gebraus,
Durch so viel Kolben, so viel Lanzen, Degen
Und andre Todeswerkzeug' ihn hinaus.
Dann sucht er, unerkannt, von allen Wegen
Im Weiterziehn die einsam öd'sten aus,
Und scheint, erwägend nun, was zu bestimmen,
Auf stürmischem Gedankenmeer zu schwimmen.
4.
Zuletzt beschließt er, nach dem Ort zu eilen,
Wo sich Aegyptens Heer zusammenzieht,
Mit ihm sich zu vereinen, und zu theilen,
Was ihm das Glück im neuen Kampf beschied.
Dies festgesetzt, verfolgt er ohne Weilen
Die grade Straße, die er vor sich sieht;
Denn ohne Führer kennt er wohl die Pfade
Nach Gaza's heißem, sandigem Gestade.
5.
Obwohl er fühlt, wie seine Kräft' ermatten,
Und wie der Wunden Schmerz sich immer mehrt,
Will er am Tag sich keine Rast gestatten,
Legt nicht die Waffen ab, noch steigt vom Pferd.
Erst als die Nacht in einfach dunkle Schatten
Die wechselnde Gestalt der Welt verkehrt,
Steigt er vom Roß, pflegt der zerhau'nen Glieder
Und schüttelt Frucht von hoher Palme nieder.
[309]
6.
Zu kurzer Rast vertraut er dem Gefilde
Den müden Leib, nachdem er sich gespeist,
Und stützt das Haupt mit seinem harten Schilde,
Und sucht zu stillen den gequälten Geist.
Doch heft'ger in den Wunden wühlt die wilde
Vermehrte Pein; auch fühlt er, ihm zerreißt
Die Brust, zernagt das Herz, verscheucht den Schlummer
Die Wut der innern Geier: Grimm und Kummer.
7.
Erst als die tiefste Nacht sich eingefunden
Und Alles rings mit schwarzer Hüll' umfaßt,
Da senkt auch er, von Mattheit überwunden,
In Lethe's Flut der Sorgen schwere Last,
Und gönnt den müden Augen und dem wunden
Hinfäll'gen Leib' unlabend kurze Rast.
Noch liegt er so, im Schlummer tief verloren,
Da dringt ein ernster Ton zu seinen Ohren:
8.
O Solyman, fröhn' in beglückterm Stande
Der trägen Ruhe, die dich jetzt besiegt,
Indeß voll Gram, in fremden Volkes Bande
Das Vaterland, wo du geherrscht, sich schmiegt!
Hier ruhest du? hier, auf demselben Lande,
Auf dem dein Heer noch unbegraben liegt?
Wo rings die Spuren deiner Schmach sich regen,
Liegst du und schläfst dem neuen Tag entgegen?
[310]
9.
Der Fürst erwacht und hebt die Augenlieder,
Und schauet einen Mann, höchst schwach und alt,
Dem ein gekrümmter Stab die matten Glieder
Im Gehen trägt, der Füße Stütz' und Halt.
Und wer bist du, fragt er erzürnt ihn wieder,
Beschwerliches Gespenst, das mit Gewalt
Den Wandrer stört, daß er vom Schlaf erwache?
Was kümmert dich mein Schimpf und meine Rache?
10.
Ich bin ein Mann, entgegnet ihm der Alte,
Der weiß, zum Theil, was du dir vorgesetzt,
Und weil ich mehr von deinem Wirken halte,
Als du gedenkst, erschein' ich eben jetzt.
Recht war es, daß mein Wort so rauh erschallte,
Denn Tapferkeit wird oft am Zorn gewetzt.
Vergönne, Herr, daß deinem raschen Muthe
Mein ernstes Reden dien' als Sporn und Ruthe.
11.
Erkenn' ich recht, was du dir vorgenommen,
So willst du zu Aegyptens Herrscher gehn;
Doch wenig wird die rauhe Wandrung frommen,
Ich seh's voraus, willst du darauf bestehn.
Wohl wird das Sammeln und das schnelle Kommen
Des großen Heers auch ohne dich geschehn,
Und dort ist nicht der Platz, wo deine Stärke
Sich zeig' an unserm Feind durch würd'ge Werke.
[311]
12.
Doch willst du meiner Lenkung dich vertrauen,
So führ' ich mitten durch der Franken Reihn,
Am hellen Tag, ohn' einen Hieb zu hauen,
In die bedrängten Mauern dich hinein.
Mit Feindes Waffen, mit des Mangels Grauen
Wird dort der Kampf dir Ruhm und Freude sein.
Du wirst die Stadt vertheid'gen, bis die treuen
Aegypter nahn, die Feldschlacht zu erneuen.
13.
Der wilde Türk hat auf den Blick, die Stimme
Bewundernd Acht, indem der Alte spricht,
Und er enthüllt den raschen Geist vom Grimme,
Verbannt den Stolz vom finstern Angesicht:
O Vater, spricht er, über mich bestimme,
Wie dir's gefällt; ich folg' in Zuversicht.
Dem Rath zuerst werd' ich Gehorsam leisten,
Wobei es giebt der Müh' und Fahr am meisten.
14.
Ihn lobt der Greis und stillt den Schmerz der Wunden,
Der in der Nachtluft schärfer sich erhebt,
Mit einem Saft, durch den sie bald gesunden;
Er hemmt das Blut, die Kraft wird neu belebt.
Nun schauend, daß Apoll, im Lauf der Stunden,
Aurorens Rosen schon mit Gold umwebt:
Fort, spricht er, fort! schon leuchtet den Bezirken
Der Sonne Licht, das Alle ruft zum Wirken.
[312]
15.
Dem stolzen Sultan setzt er sich zur Seiten
Auf einen Wagen, der nicht ferne stand;
Er weiß geschickt das Roßgespann zu leiten,
Und treibt es wechselnd an mit kluger Hand.
So schnell enteilt's, daß auf den staub'gen Weiten
Von Rad und Huf nicht wird die Spur erkannt.
Du siehst es dampfen und im Lauf sich strecken,
Und das Gebiß mit weißem Schaum bedecken.
16.
Die Luft umher – erstaunlich ist's zu sagen –
Verdichtet sich und sammelt wunderbar
Als Wolke rings sich um den großen Wagen,
Und dennoch bleibt sie Allen unsichtbar.
Kein mächt'ger Stein, von Schleudern fortgetragen,
Dräng' in der Wolke schützende Gewahr;
Doch Beide schau'n, von dieser Hüll' umwoben,
Den Nebel rings, den heitern Himmel drohen.
17.
Der Ritter blickt mit staunendem Vergnügen
Die Wolke bald und bald den Wagen an,
Der leicht und schnell, als ob ihn Schwingen trügen,
Fliegt übers Feld mit brausendem Gespann.
Der Andre merkt an seinen starren Zügen,
Welch Staunen ihm dies Wunder abgewann,
Und bricht die Still' und sucht ihn aufzustören;
Er nun, erwacht, läßt diese Worte hören:
[313]
18.
Wer du auch bist, dem, nie gesehner Weise,
So dienstbar die Natur zu Willen steht,
Der auf der Menschenbrust geheimstem Gleise
Mit Forscherblick nach Willkühr sich ergeht;
Wenn auch der Zukunft weit entlegne Kreise
Dein Wissen, das von oben stammt, durchspäht:
Sprich, welche Ruh, welch härteres Bedrängniß
Erzeugt aus Asiens Krämpfen das Verhängniß?
19.
Doch deinen Namen laß mich erst vernehmen,
Und welche Kunst so seltne Werke schafft;
Denn wirst du nicht dies Staunen mir bezähmen,
Wie hätt' ich dann, dich anzuhören, Kraft?
Mit Lächeln spricht der Greis: Wohl mich bequemen
Kann ich, zum Theil, zu solcher Rechenschaft.
Ich heiß' Ismen, und Zaubrer bei den Leuten,
Weil mich verborgne Künste lang' erfreuten.
20.
Doch Künft'ges zu entdecken, aufzuschlagen
Des Schicksals Buch mit meiner schwachen Hand:
Den zu verwegnen Wunsch muß ich versagen,
So viel ist nicht dem Staube zugewandt.
Ein Jeder brauch', umringt von Noth und Plagen,
Sein irdisch Maaß von Kräften und Verstand;
Denn nur dem Weisen, Starken ist hienieden
Oftmals vergönnt, sein eignes Glück zu schmieden.
[314]
21.
Du, waffne diese Rechte, die das Steuer
Des Frankenreichs mit leichtem Stoß zerschellt,
Nicht bloß beschirmt der hohen Stadt Gemäuer,
Das jenes wilde Volk so dicht umstellt –
Sie waffne muthig gegen Stahl und Feuer;
Trau, dulde, wage! Meine Hoffnung hält.
Doch sag' ich dir – denn du vernimmst es gerne –
Was ich erblick' in dunkler Nebelferne.
22.
Zu sehen glaub' ich, oder zu errathen –
Eh vielmal' uns der große Stern umkreist –
Den Mann, der Asien schmückt durch hohe Thaten,
Und den Aegypten einst als Herrscher preist.
Von Künsten schweig' ich, von des Friedens Saaten,
Vom hohen Werth, der mir nicht ganz sich weist;
Nur dies genüge dir: die Macht der Franken
Bringt sein gewalt'ger Arm nicht bloß zum Wanken:
23.
Bis auf den Grund wird er sie einst bezwingen,
Vernichten ganz ihr ungerechtes Reich,
Und nur das Meer beschützt noch den geringen
Kraftlosen Rest bis zu dem letzten Streich.
Aus deinem Blut wird dieser Held entspringen.
Hier schweigt der Greis, und Jener ruft sogleich:
O glücklich Er, den solcher Ruhm wird schmücken! –
Und halb erfüllt ihn Neid, und halb Entzücken.
[315]
24.
Sei, fuhr er fort, mir des Geschickes Walten
Mild oder hart, nach höh'rer Mächte Plan:
Nie soll es über mich ein Recht erhalten,
Und nie mich schau'n besiegt noch unterthan.
Eh zieht es Mond und Stern' aus ihrem alten
Gewohnten Gleis, als von der graden Bahn
Je meinen Schritt! Und seinem Aug' entsprühte,
Bei diesem Wort, der Muth, der ihn durchglühte.
25.
So redend, zog man fort, bis auf den Auen
Der Christen Lager ihrem Blick sich bot.
O welch ein Anblick, schmerzlich und voll Grauen!
Wie vielgestaltig zeigt sich hier der Tod!
Wohl läßt der Fürst den Gram im Antlitz schauen,
Der ihm den Busen zu zersprengen droht.
Wie schimpflich liegen dort die stolzen Fahnen,
Einst so gefürchtet auf des Krieges Bahnen!
26.
Die Franken treten oft mit Freudenzeichen
Auf seiner Freunde Brust und Angesicht,
Und lassen selbst den unbegrabnen Leichen
Den Waffenschmuck und die Gewänder nicht.
Und Viele dann, in langem Zuge, reichen
Geliebten Todten ihre letzte Pflicht;
Und wieder Andre werfen bunt zusammen
Die Araber und Türken in die Flammen.
[316]
27.
Der Sultan seufzt; die Rache zu beflügeln,
Springt er vom Wagen ab, das Schwert in Hand.
Doch Jener eilt, die tolle Wut zu zügeln,
Reißt ihn zurück und schilt den raschen Brand.
Er setzt sich ein, und nach den höchsten Hügeln
Wird eilend nun der Rosse Lauf gewandt.
So fahren sie dahin, bis man die Gassen
Der Frankenzelte weit zurückgelassen.
28.
Der Wagen, kaum daß sie herabgesprungen,
Verschwindet schnell; zu Fuß und unentdeckt
Gehn Beide nun, von ihrer Wolk' umschlungen,
Ins Thal hinab, das sich zur Linken streckt,
Bis sie zum Berge Zion vorgedrungen,
Wo er gen Abend seine Schultern reckt.
Nun hält der Greis, und naht sich dann der Jähe
Des Felsenhangs, gleichsam als ob er spähe.
29.
Hier öffnet eine Höhl' im harten Rücken
Des Felsen sich, vor grauer Zeit gemacht;
Doch Gras und Buschwerk wächst aus allen Lücken
Und birgt den längst nicht mehr gebrauchten Schacht.
Um einzugehn muß sich der Zaubrer bücken,
Mühsam wird das Gesträuch hinweg gebracht;
Die eine Hand muß nach dem Durchgang spüren,
Die andre soll den stolzen Sultan führen.
[317]
30.
Der aber spricht unwillig: Was für schnöde
Verstohlne Pfade heißest du mich gehn?
Wohl bessern Weg, als durch des Abgrunds Oede,
Bahnt sich mein Schwert, willst du es zugestehn.
O stolzer Geist, spricht Jener, nicht so spröde
Laß deinen Fuß die dunkle Bahn verschmähn;
Denn hier einst ging der große Fürst Herodes,
Den Ruhm umstrahlt noch in der Nacht des Todes.
31.
Sein störrig Volk gehorsam zu erhalten,
Durchbrach der König diese Felsenwand;
So daß er einen Weg durch ihre Spalten,
Vom Thurme des Antonius – so genannt
Nach seinem hohen Freunde – zu dem alten
Berühmten Tempel ungesehen fand,
Um dann, von dort, zur Stadt hinaus zu dringen
Und heimlich Kriegsvolk ein und aus zu bringen.
32.
Doch außer mir, von Allen die da leben,
Kennt diesen dunkeln Weg nicht Freund noch Feind.
Er führt uns an den Ort, wo sich so eben
Der hohe Rath beim Könige vereint,
Der, bei des Schicksals hartem Widerstreben,
Wohl mehr, als nöthig ist, zu fürchten scheint.
Gar sehr gelegen kommst du; hör' und schweige,
Daß, ist es Zeit, dein Wort sich kräftig zeige.
[318]
33.
So spricht der Greis; zur niedern Grotte schreitet
Der Fürst hinein, obwohl nicht ohne Zwang,
Und folget dem, der ihn auf Wegen leitet,
Wohin noch nie ein Strahl des Tages drang.
Erst wandeln sie gebückt; doch bald erweitet,
Indem sie fortgehn, sich der Felsengang;
Das Steigen wird bequem, und ihre Schritte
Erreichen bald der dunkeln Höhlung Mitte.
34.
Ein Pförtchen öffnet sich, und aufwärts immer
Führt eine Treppe sie, gekrümmt und schmal,
Von oben her, mit ungewissem Schimmer,
Nur schwach erhellt vom fernen Tagesstrahl.
Sie kommen in ein unterirdisch Zimmer
Und dann in einen hellen, prächt'gen Saal.
Hier nun, das Scepter und die Krone tragend,
Saß unter Klagenden der König, klagend.
35.
Der wilde Türk, von seiner Wolk' umschlossen,
Sieht, ungesehn, und horcht auf jeden Ton,
Und hört den König, der die Rathgenossen
Zuerst anredet vom geschmückten Thron:
Wohl hat, ihr Treuen, gestern sich ergossen
Auf unser Reich viel Unglück, Schmach und Hohn,
Und uns, die auf den Höh'n der Hoffnung waren,
Bleibt keine Hülf', als der Aegypter Schaaren.
[319]
36.
Allein ihr seht, noch fern sind diese Retter,
Und die Gefahr naht immer mehr und mehr.
Wie abzuwenden nun dies droh'nde Wetter,
Das zu berathen rief ich euch hieher.
Der König schweigt, und wie durch Waldesblätter
Ein Lüftchen rauscht, so flüstert's rings umher.
Nun aber, kühn und heiter um sich blickend,
Erhebt Argant sich, das Gesums' erstickend.
37.
O großer Fürst – so sprach hier ohne Zagen
Der tapfre Held, den nichts zu Boden warf –
Warum versuchst du uns, und willst erfragen
Was Jeder weiß, und keines Worts bedarf?
Vertrau'n wir auf uns selbst, dies laß mich sagen;
Und ist dem Muth kein Ungemach zu scharf:
Soll er uns Schutz, soll er uns Beistand geben;
Und lieben wir nicht über Werth das Leben!
38.
Ich sag' es nicht, um das Vertrau'n zu brechen
Auf Hülfe, die Aegypten uns verheißt;
Denn zweifeln, ob mein König sein Versprechen
Erfüllen wird, wär' allzu keck und dreist.
Ich sag' es, weil ich hier, statt mancher Schwächen,
Wünscht' edlern Muth zu schau'n und kühnern Geist,
Der jedem Schicksal zu begegnen trachte,
Auf Sieg vertrau' und fest den Tod verachte.
[320]
39.
Nur so viel sprach Argant, vor nichts erbebend,
Wie einer, deß Vertrau'n Gewißheit stählt.
Darauf erstand, sich wicht'ges Ansehn gebend,
Orkan, der lange Reihn von Ahnen zählt,
Vor Zeiten selbst nach Waffenruhme strebend;
Doch seit er sich der jungen Frau vermählt,
Der Kinder sich erfreut, erstickte Liebe
Im Vater und Gemahl die edlern Triebe.
40.
Herr, sprach Orkan, nicht will ich mürrisch zanken,
Wenn durch so prächt'ge Wort' ein Feuer rann,
Erzeugt vom Muth, der in des Herzens Schranken
Verschlossen bleiben weder will noch kann.
Drum, wenn zu kühn vor dir die Glutgedanken,
Nach seiner Art, ausspricht der tapfre Mann:
Sei's ihm vergönnt, weil er hernach in Werken
Dieselbe Glut nicht minder läßt bemerken.
41.
Hingegen dir, der auf Erfahrungswegen
Klugheit gesammelt seit so manchem Jahr,
Dir ziemt es wohl, dort Zügel anzulegen,
Wo er zu rasch, zu unbedachtsam war;
Des fernen Beistands Hoffnung abzuwägen
Mit naher, ja vorhandner Kriegsgefahr,
Und mit des Feindes ungestümer Schnelle
Die alten Mauern und die neuen Wälle.
[321]
42.
Zwar ist die Stadt – ich rede frei und offen –
Durch Lag' und Kunst nicht ganz vertheid'gungslos;
Doch auch der Feind hat Zurüstung getroffen
Mit Sturmzeug aller Art, furchtbar und groß.
Was sein wird, weiß ich nicht; in Furcht und Hoffen
Harr' ich aufs ungewisse Kriegesloos,
Und sorge sehr, wenn dichter die Umschaarung
Des Feindes drängt, so fehlt es bald an Nahrung.
43.
Denn diese Heerde Vieh und dies Getraide,
So gestern du gebracht an sichern Ort,
Indeß man drunten nur der Schwerter Schneide
Zu röthen sann, fürwahr zu unserm Hort:
Das nährt uns – kleine Hülf' in großem Leide –
Nur kurze Frist, währt die Belagrung fort.
Und lange noch währt sicher diese Lage,
Kommt auch Aegypten am bestimmten Tage.
44.
Wie aber, wenn es säumt? Und mag es fliegen
Noch vor der Hoffnung, dem Versprechen her:
Doch seh' ich nicht für unser endlich Siegen,
Doch für der Stadt Befreiung nicht Gewähr.
Denn jener Gottfried, Herr, ist zu bekriegen,
Und jene Feldherr'n und dasselbe Heer,
Die sich so oft gezeigt als Triumphirer
Der Perser, Türken, Araber und Syrer.
[322]
45.
Du kennst sie wohl, du, der dem Ueberwinder
So oft das Feld geräumt, o Held Argant!
So oft, den Fersen trauend, mit geschwinder
Behendigkeit den Rücken ihm gewandt.
Clorinde kennt sie auch, und ich nicht minder;
Denn Keinem werd' ein Vorzug zuerkannt.
Auch tadl' ich Keinen; denn durch hohe Werke
Bewies, nach Möglichkeit, sich unsre Stärke.
46.
Doch sprech' ich aus, obwohl mit Todesstreichen
Mir Jener droht und Wahrheit zürnend hört,
Daß mit dem mächt'gen Feind – klar sind die Zeichen –
Ein unvermeidlich Schicksal sich verschwört.
Vor keiner Schaar noch Mauer wird er weichen,
Nichts hält ihn auf, bis er dies Reich zerstört.
Der Himmel zeug's: mich zwingt zu solchem Tone
Nur Lieb' und Treu für Vaterland und Krone.
47.
O kluger Fürst von Tripolis, der Frieden
Und Thron zugleich vom Frankenvolk erhielt!
Doch jener Sultan ist nun wohl verschieden,
Wenn nicht die Kette seinen Fuß umspielt,
Wenn nicht, verbannt und flüchtig, er hienieden
Zum größten Elend noch sich aufbehielt.
Doch, opfernd Einen Theil, gerettet haben
Würd' er den andern durch Tribut und Gaben.
[323]
48.
So spricht Orkan, so hüllt er sich, verschlagen,
In einen Kreis zweideut'ger Reden ein;
Denn offenbar auf Frieden anzutragen,
Auf Zinsbarkeit, scheint ihm zu kühn zu sein.
Der Sultan aber kann's nicht mehr ertragen,
Still und verborgen ihm sein Ohr zu leihn;
Auch spricht Ismen: Vergönnst du Jenem dorten,
Herr, daß er reden dürf' in solchen Worten?
49.
Längst mit Verdruß, versetzt der Sultan, weilte
Ich hier versteckt, und glüh' in Zorn und Schaam.
Kaum sprach er's aus, als sich die Wolke theilte,
Die sie bis jetzt in ihre Hülle nahm,
Und plötzlich auf zum freien Himmel eilte;
Er aber blieb im Glanze, wundersam,
Und, strahlend im Gesicht von Stolz und Grimme,
Stand er im Kreis' und sprach mit lauter Stimme:
50.
Ich, der, von dem man redet, bin zugegen,
Der Sultan selbst, der weder zagt noch läuft,
Und Diesem hier beweisen soll mein Degen,
Daß sein verfluchter Mund von Lügen träuft.
Ich, der das Feld beströmt mit blut'gem Regen,
Der Berge rings von Leichen aufgehäuft,
Versperrt im Feindeswall, und endlich tücht'ger
Genossen ganz entbehrend – ich, ein Flücht'ger?
[324]
51.
Doch sollt' hier der, sollt' Einer sonst, dem Glauben
Abtrünnig, ein verräthrischer Vasall,
Sich noch ein Wort vom Schandvertrag' erlauben –
Vergieb, o Fürst! – den tödt' ich überall.
Eh berg' Ein Nest die Schlangen und die Tauben,
Eh hause Lamm und Wolf in Einem Stall,
Bevor jemals in Eines Ortes Mauern,
Nicht mehr entzweit, wir mit den Franken dauern.
52.
So spricht der kühne Held, und legt ans wilde
Furchtbare Schwert mit droh'ndem Blick die Hand.
Bei diesem Wort, bei diesem Schreckgebilde,
Bleibt Jeder stumm, von Staunen übermannt.
Er aber spricht sodann, in größrer Milde,
Mit Höflichkeit zum Aladin gewandt:
Herr, hoffe nun! ich bringe, dir zum Frommen,
Nicht kleinen Beistand: Solyman ist kommen.
53.
Schon nahte sich der König mit Vertrauen
Und sprach zu ihm: Wie froh seh' ich dich hier,
Geliebter Freund! Kaum fühl' ich nun den rauhen
Verlust des Heers; und Schlimmres ahnt' ich schier.
Du wirst befest'gen meinen Thron, aufbauen
In kurzer Zeit aufs neu den eignen dir,
Wenn's nicht der Himmel wehrt. Er sprach's, durchdrungen
Von hoher Freud', und hielt ihn fest umschlungen.
[325]
54.
Der König will, nach freudigem Willkommen,
Auf seinem eignen Thron den Sultan sehn,
Und da er selbst zur Linken Platz genommen,
Ruft er an seine Seite den Ismen.
Indeß er Diesen fragt nach ihrem Kommen,
Und ihm der Greis berichtet, wie's geschehn,
Tritt, zum Empfang des Sultans, aus dem Kreise
Die Jungfrau erst, die Andern gleicher Weise.
55.
Auch Ormus naht, den Solyman ernannte,
Heerführer seiner Araber zu sein,
Und der, indeß der Kampf am stärksten brannte,
Im Schutz der stillen Nacht, mit seinen Reihn
Auf Nebenpfaden so umher sich wandte,
Daß er zur Stadt sie glücklich bracht' hinein,
Und mit dem Korn und den geraubten Heerden
Abhalf des Hungers drückenden Beschwerden.
56.
Allein, mit scheelem Blick und innerm Grollen,
Bleibt der Circasser stumm und unbewegt:
So wie ein Leu, mit glühndem Augenrollen,
Daliegt in Ruh' und keine Klaue regt;
Indeß, aus Furcht vor jenem Schreckenvollen,
Orkan den Blick besorgt zur Erde schlägt.
So sitzen nun im würdigen Senate
Die Fürsten und die Ritter hier zu Rathe.
[326]
57.
Verfolgt indeß hat Gottfried, weit vom Walle,
Sieg und Besiegt', und jeden Weg befreit,
Und seinen Todten, nach so würd'gem Falle,
Der letzten Ehre fromme Pflicht geweiht.
Nun giebt er den Befehl, es seien Alle
Am zweiten Tag zum Sturm der Stadt bereit,
Und droht mit größern, schrecklichern Gefahren
Erneuten Kriegs den eingeschlossnen Schaaren.
58.
Und weil er jenes Fähnlein, das ihm heute
Im wilden Kampf so treu zur Hülfe kam,
Wohl hatt' erkannt als seine besten Leute,
Die jene list'ge Zaubrin mit sich nahm,
Bei ihnen auch Tancreden, den zur Beute
Armida jüngst in ihrer Burg bekam:
So ließ er Alle, nebst dem Eremiten
Und wen'gen Freunden, zu sich jetzt entbieten.
59.
Ich bitt' euch, sprach er, lasset uns erkunden,
Was auf der kurzen Irrfahrt euch geschehn,
Und wie sodann ihr euch bereit gefunden,
Uns in der Noth so kräftig beizustehn.
Doch Allen hielt die Schaam das Wort gebunden,
Denn bitter fühlt' ihr Herz ein klein Vergehn.
Der Brittenfürst brach endlich, widerstrebend,
Die tiefe Still' und sprach, das Aug' erhebend:
[327]
60.
Wir, die das Loos verschmähte zu begnaden,
Flohn jeder einzeln und in Heimlichkeit,
Vom holden Antlitz trügrisch eingeladen,
Gelockt von Amors tückischem Geleit,
Der Schönen nach auf abgelegnen Pfaden,
Ein Jeder eifersüchtig, All' entzweit,
Und Lieb' und Groll – zu spät belehrt Erfahrung! –
Empfingen stets durch Wort' und Blicke Nahrung.
61.
Wir kamen hin, wo einst in breiten Bächen
Des Himmels Flamm' herabfuhr mit Gewalt,
Um die beleidigte Natur zu rächen
An jenem Volk, dem nichts für Frevel galt.
Einst waren's reiche, fruchtbegabte Flächen,
Jetzt sind es heiße Wasser voll Asphalt:
Ein todter See, der rings umher die Lüfte
Verpestet schier durch seine faulen Düfte.
62.
Nichts kann den Boden dieses Sees erreichen,
Was man hineinwirft, sei es noch so schwer;
Dem leichten Holz der Tanne zu vergleichen,
Schwimmt Mensch und Stein und Eisen obenher.
Ein prächtig Schloß liegt mitten in den Teichen,
Und nur ein schmales Brücklein führt hieher.
Hier nun empfing sie uns; und wahrlich! drinnen
Bezaubert Alles, Alles lacht den Sinnen.
[328]
63.
Ein heitrer Himmel überwölbt die Auen;
Die Bäume blühn, von klarer Flut bespült.
Die schönsten Myrtenwälder sind zu schauen,
Die hier ein Quell und dort ein Flüßchen kühlt.
Ein sanfter Schlummer scheint herab zu thauen,
Indeß die Luft im zarten Laube wühlt;
Süß tönt der Vögel Lied. Von Wunderwerken
In Gold und Marmor will ich nichts bemerken.
64.
Sie ließ, im Schutz der dichtern Dunkelheiten,
Wo durch das Gras die Quelle murmelnd rollt,
Die Tafel, reich an Prachtgeschirr, bereiten
An Speisen reich, dem feinsten Gaumen hold.
Hier war die Ausbeut' aller Jahreszeiten,
Was nur die Erde schenkt, das Meer nur zollt,
Die Kunst nur würzt; und hundert junge Schönen
Bedienten uns, des Mahles Lust zu krönen.
65.
Dies Mahl des Todes, diesen Trank der Lügen
Versüßte sie mit holdem Blick und Wort;
Und Jeder schlürft' in langen Flammenzügen
Ein lang Vergessen ein am sel'gen Ort.
Nun stand sie auf; mit minder sanften Zügen
Und strengerm Blick kam sie zurück sofort,
Und hielt ein Buch nebst einem kleinen Reise;
Dies schwenkte sie, aus jenem las sie leise.
[329]
66.
Die Zaubrin las, und gleich schien Neigung, Leben,
Sinn, Aufenthalt verwandelt mir zu sein.
Seltsame Kraft! ich fühlt' ein neues Streben,
Sprang in die Flut und tauchte tief mich ein.
Der Leib verkürzte sich – wie sich's begeben,
Begreif' ich nicht – hinweg schwand Arm und Bein;
Auf meiner vor'gen Haut wuchs eine frische,
Von Schuppen voll, und kurz – ich ward zum Fische.
67.
Die Andern, auch verwandelt, schlüpften nieder
Mit mir zugleich zum flüss'gen Silberraum.
Wie mir zu Muthe war beim Tausch der Glieder,
Kommt jetzt mir vor wie toller Fiebertraum.
Am Ende gab sie die Gestalt uns wieder;
Doch wir, erstaunt, erschrocken, wagten kaum
Zu athmen noch, als sie mit finsterm Blicke
So nun begann, zu unserm Mißgeschicke:
68.
Jetzt, sprach sie, liegt euch meine Macht zu Tage,
Und wie mein Will' entscheidet euer Loos.
Von mir hängt's ab, daß Dieser Fesseln trage
In ew'gem Kerker, licht- und hoffnungslos,
Der Vogel werd', ein Andrer Wurzel schlage
Und als Gewächs keim' aus der Erde Schooß,
Zum Kiesel sich verhärt', als Bach zerfließe,
Als Thier entwandle mit behaartem Vließe.
[330]
69.
Noch steht's bei euch, den harten Zorn zu meiden,
Wenn mein Gebot ihr zu erfüllen schwört:
Folgt unserm Dienst, kämpft für das Reich der Heiden,
Bis wir Bouillons ruchlose Macht zerstört.
Doch Jedermann will lieber Alles leiden,
Als solche Schmach; Rambald nur ward bethört.
Uns warf sie – denn kein Wehren half – gebunden
In einen Schlund, den nie der Tag gefunden.
70.
Durch Zufall nun mußt' auch Tancred gelangen
In diese Burg, und blieb dort in Gewahr.
Doch hielt sie uns nur kurze Zeit gefangen,
Die Zauberin; denn, wie die Rede war,
Ließ uns von ihr Damaskus Herr verlangen
Durch einen Boten, der, mit einer Schaar
Von hundert Mann, uns nach Aegyptens Landen
Führt' als Geschenk, entwaffnet und in Banden.
71.
So zogen wir dahin, und, wie die Leitung
Des Himmels fügt und ordnet, uns zu Gut,
Kommt nun Rinald, der seines Ruhms Verbreitung
Durch neue That zu mehren nimmer ruht,
Des Wegs daher, stürmt los auf die Begleitung,
Die uns bewacht, übt den gewohnten Muth,
Besiegt und tödtet sie; und so bekommen
Wir ihre Waffen, die man uns genommen.
[331]
72.
Ich sah ihn, Diese sahen ihn; uns Allen
Reicht' er die Hand, auch hörten wir sein Wort;
Und Truggerüchte sind's, die hier erschallen
Von seinem Tod: er lebet, unser Hort.
Drei Tage sind's, da Er, zum Weiterwallen
Vereint mit einem Pilgrim, von uns fort
Gen Antiochien zog, und auf den Auen
Ließ er die Rüstung, blutig und zerhauen.
73.
So spricht er, und mit heiligem Vergnügen
Hebt nun der Eremit das Aug' empor;
Sein Antlitz wandelt sich in Farb' und Zügen,
Ehrwürd'ger, heller strahlt es, denn zuvor.
Der Gottheit voll, entzückt zu hohen Flügen,
Schwingt er sich aufwärts zu der Engel Chor.
Die Zukunft rollt ihm auf; in fernen Weiten
Schaut er die ew'gen Reihn der Jahr' und Zeiten.
74.
Die Lippen öffnend, thut er laut in vollen
Klangströmen kund, was künftig wird vollbracht;
Und auf das Antlitz, auf das Donnerrollen
Der hehren Stimm' hat Alles staunend Acht:
Rinaldo, spricht er, lebt; was hier erschollen,
Ist Trug und Lüge, die ein Weib erdacht.
Er lebet, und der Jugend zarte Blume
Bewahrt der Himmel auf zu reiferm Ruhme.
[332]
75.
Vorzeichen ist's und knabenhaft Ermannen,
Was Asien von ihm kennt und rühmt bis nun.
Ich seh' es klar: eh viele Jahr' entrannen,
Zähmt er des Herrschers ungerechtes Thun.
Weit wird sein Aar den Silberfittig spannen,
Daß Kirch' und Rom in seinem Schatten ruhn,
Durch ihn erlöst aus jenes Unthiers Klauen;
Und Söhne wird er, seiner würdig, schauen.
76.
Der Söhne Söhn' und kommende Geschlechter,
Sie werden ganz sich solchem Beispiel weihn,
Und wider die Tyrannen und Verächter
Den Infuln und den Tempeln Schutz verleihn.
Des Stolzes Bändiger, der Unschuld Wächter,
Der Schwachheit Schirm, der Bosheit Grau'n zu sein,
Das ist ihr Amt. So fliegt aus hehrem Neste
Einst über Sonnen hin der Aar von Este.
77.
Und dringt er zu des Lichts, der Wahrheit Thoren,
Dann reich' er Petern einst den Donnerkeil.
Er ist zum Sieg und zum Triumph erkoren,
Wo man für Christus kämpft und ew'ges Heil;
Das ist ihm hoch und göttlich angeboren,
Ihm ward's durch ewiges Gesetz zu Theil.
Ruft denn zurück – der Himmel hat's beschlossen –
Zum großen Werk den würdigen Genossen.
[333]
78.
So tilgt der Weise nun die Furcht der Franken,
Die das Geschick Rinaldo's ihnen gab.
Bouillon allein, verloren in Gedanken,
Lenkt schweigend sich vom lauten Jubel ab.
Indeß erschien die Nacht; zur Erde sanken
Die dunkeln Hüllen, thaubenetzt, herab.
Die Andern leihn dem Schlummer ihre Glieder,
Dem Feldherrn nur steigt keine Ruh hernieder.[334]
Ausgewählte Ausgaben von
Das befreite Jerusalem
|
Buchempfehlung
Albert Brachvogel zeichnet in seinem Trauerspiel den Weg des schönen Sohnes des Flussgottes nach, der von beiden Geschlechtern umworben und begehrt wird, doch in seiner Selbstliebe allein seinem Spiegelbild verfällt.
68 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.
430 Seiten, 19.80 Euro