2. Seelenseufzer, vor und unter den Berufsgeschäften zu singen

[311] Mel.: O allerhöchster Menschenhüter ...


1.

In Jesu Namen ich alleine

Fang' wieder mein Berufswerk an;

O möcht' ich's tun, wie er's getan,

Sein' Arbeit heilige die meine,

So ist sie reine!


2.

Dies ist die Frucht von meinen Sünden,

Daß ich mit Mühe wirken muß;

Drum tu' ich's gern zu einer Buß.

Wenn ich's dann schwer, verdrießlich finde,

Schmeck' ich die Sünde.


3.

Herr, hilf, ohn' dich geht es nicht richtig,

Drum halt mich, daß ich kleb' an dir;

Du selbst mir rat, mich stärk, mich führ!

Ich bin arm, kraftlos, unvorsichtig,

Blind und untüchtig.


4.

Laß mich in dir tun meine Werke

Gleichwie ein Kind von guter Art

In deiner Vatersgegenwart;

Die gebe mir Mut, Trost und Stärke

Bei meinem Werke!


5.

In allem ich dir Vollmacht gebe;

Brich meinen Willen ganz entzwei,

Damit ich nur dein Werkzeug sei,[312]

Dir nach den Augen seh', dir lebe,

Dir nur anklebe!


6.

Herr, ein einfältigs Aug' mir giebe

Beim Werk; nicht Geld- und Weltbegier,

Nein, Herr – nur zu gefallen dir,

Dir zu gehorchen –, deine Liebe

Sei nur mein Triebe!


7.

Laß mich's durch solchen Trieb bewogen

Mit sanftem, stillem Wesen tun,

In Unruh heimlich in dir ruhn,

Bedachtsam, treu und eingezogen,

Kindlich gebogen!


8.

Wie du es fügst, bald tun, bald lassen,

Bald geht's nach Wunsch, bald wider Will',

Drin halt' ich ohn' Verdruß dir still;

Im Kreuz und Trübsal gleichermaßen

Mach mich gelassen!


9.

Bewahr du selbst mein Herz und Glieder

Vor Eigenwill', Verdrießlichkeit,

Vor Unlust, Sorg' und Triftigkeit;

Sinkt oft der Sinn zu tief drauf nieder,

So ruf ihn wieder!


10.

Zu merken auf dein's Geistes Rühren,

Laß unter den Geschäften sein[313]

Mein großes Hauptgeschäft allein;

Sein helles Aug' mein Tun probiere,

Mich leit' und führe!


11.

Du, aller Dinge Grund und Leben,

Gib, daß ich dich anbet' und spür'

In allem, was dem Sinn kommt für;

Laß stets mein'n Geist zu dir sich heben,

Dir Ehr zu geben!


12.

O daß bei allen Atemzügen

Ein stiller Seufzer aufwärts ging',

Der kräftig in dein Herz eindräng'!

Möcht' ich, sooft mein Herze schlüge,

Mich vor dir biegen!


13.

Du, Herr, mir Rat und Weisheit giebe,

Wenn ich mit Menschen soll umgehn;

Laß es in Jesu Geist geschehn,

In Sanftmut, Demut, Einfalt, Liebe,

Aus reinem Triebe!


14.

Sein Jesusbild aus mein'm Gesichte,

Sein Licht aus Wort und Wandel leucht',

Daß auch des Nächsten Herz, erweicht

Durch Buß', dir und dein'm Werk beipflichte,

Bestraft vom Lichte!
[314]

15.

Laß mich doch denen ja nicht gleichen,

Die nur wie Schweine in dem Kot

Der Erde wühlen bis in 'n Tod,

Die hier ihr Gut und Teil erreichen

Mit jenem Reichen! (Luk. 16)


16.

Weg mit den eingebild'ten Schätzen,

Die doch so leicht und bald vergehn!

Hier Jesus lieben, dort ihn sehn:

Den Schatz kann Rost noch Dieb verletzen,

Der kann ergötzen.


17.

Laß kein Ankleben mich je hindern,

Von dem, was bei der Arbeit mir

Dein' Hand zuwirft, auch mit Begier

Zu geben dir in deinen Kindern,

Ja selbst den Sündern!


18.

Bei aller Arbeit und Beschwerde

Befördre du dein Werk in mir!

Dies Eins mein Ziel sei für und für,

Daß ich mit dir vereinigt werde,

Noch auf der Erde,


19.

Bis ich der Unruh überhoben

Und frei von Mühe, Furcht und Pein

Dies einzig mein Geschäft wird sein:[315]

Dich schauen, lieben, ehren, loben

Auf ewig droben!


Quelle:
Gerhard Tersteegen: Geistliches Blumengärtlein. Stuttgart 1956, S. 311-316.
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