63. Der offene Lebensbrunn

[475] Mel.: Von Gott will ich nicht lassen ... oder: Aus meines Herzens Grunde ...


1.

Du, unser Licht und Leben,

O Jesus Jehova,

Der uns zum Heil gegeben

Und worden innigst nah;

Herr, deine Liebestreu,

Die uns im Geist begegnet,

Uns duldet, lockt und segnet,

Ist alle Morgen neu.


2.

In dir muß man sich freuen,

Sooft man dein gedenkt,

Dir beuget sich von neuen

Das Herz und sich verschenkt.

Du wonnevolles Gut,

Bei dir im Geiste leben,

In deinem Lichte schweben,

So lebet Herz und Mut.
[475]

3.

Du hast dich eingeleibet

In unsre Menschheit gar,

Und wer sich dir verschreibet,

Dem wirst du offenbar;

Du nimmst die Sünder an,

Der Strom aus Gottes Throne

Ist uns in dir, dem Sohne,

Zum Leben aufgetan.


4.

Strom reiner Himmelskräften,

Voll Gnade, Lieb' und Ruh',

Du dringst mit Lebenssäften

Auf unser Innres zu;

Du sanftes Brünnelein,

Das uns im Herzen quillet,

Heilt, heiliget und stillet,

Ach, nimm mich gänzlich ein!


5.

Du Brunn des Lichts und Lebens,

So offen, voll und nah,

Kein Sünder sucht vergebens,

Sucht er, so bist du da;

Du bist schon da und suchst,

Eh' wir ans Suchen denken,

Wir sehn es nach dem Kränken,

Wie gnädig du uns trugst.


6.

Oft läuft die Seel' ins Wilde

Und sucht den Brunnen weit,

Verschmacht't beim leeren Bilde[476]

Auf einer magern Heid';

Hinein, hinein, mein Herz!

Merk, wie man da dir winke

Und ruft: Komm her und trinke!

So lindert all dein Schmerz.


7.

Was such' ich sonst auf Erden,

Was seh ich mich herum?

Du willst mir alles werden,

Du rufest immer: Komm!

Mein Vorwurf und mein Schatz,

Nimm hin die ganze Liebe,

Zieh mich durch deine Triebe,

Erfüll des Herzens Platz!


8.

Nun, nun, hier bleib' ich liegen

Bei meinem Brünnelein;

Kein Leben, kein Vergnügen

Nehm' ich von außen ein.

Hier lieg' ich leer und matt,

Hier lieg' ich offen, stille

Bei dir, du offne Fülle;

Gib dich, so bin ich satt!


9.

So abgespänt, so kindlich,

So innig muß ich sein,

So flößest du mir stündlich

Dein Jesusleben ein,[477]

Durchsüßest meinen Sinn,

Durchsänftigest mein Wesen,

Bis ich in dir genesen

Und ganz verwandelt bin.


Quelle:
Gerhard Tersteegen: Geistliches Blumengärtlein. Stuttgart 1956, S. 475-478.
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