89. Ernst zur Ewigkeit

[527] Mel.: Psalm 12 oder Psalm 110


1.

»Zum Ernst, zum Ernst!« ruft Jesu Geist inwendig,

»Zum Ernst!« ruft auch die Stimme seiner Braut,

»Getreu und ganz und bis zum Tod beständig –

Ein reines Herz allein den Reinen schaut!«


2.

Ich höre dich, o Wort, das mich erwecket,

Ich merke dich, o Kraft, die mich berührt;

Mein Alles sich zum Ernst aufs neue strecket,

Wo nur dein Geist den Ernst erhält und führt.
[527]

3.

Dir, dir, mein Gott, will ich hinfort nur leben,

Nein, nicht mir selbst und nicht der Kreatur;

Ich hab' mich dir mit Leib und Seel' ergeben,

Der Ewigkeit bin ich gewidmet nur.


4.

Jetzt fang' ich an; laß nichts den Geist ermatten,

Nimm hin, was mich verbildet und verstrickt!

Weg, fremde Welt, weg, bald verschwundner Schatten!

Zur Ewigkeit mein Herz und Lauf sich schickt.


5.

Ich will vom Leib noch vor dem Tod mich scheiden,

Sein Wohl und Weh nur wie von weitem sehn;

Dich soll er ehr'n durch Arbeit, Schmach und Leiden,

In deinem Dienst dem Geist zu Dienste stehn.


6.

Ich such' nicht Ruh, Gemach, noch Lust der Sinnen,

Ich muß im Geist und nicht natürlich gehn;

Ich folge dir und bleib' im Lichte drinnen,

Da scheidet sich's, was dort nicht kann bestehn.


7.

Mein ganzes Herz, mein innigs Liebeneigen

Dir hange an in Abgeschiedenheit;

Du bist mein Gott, vor dir will ich mich beugen,

Du bist mein Gut, nicht die Vergänglichkeit!


8.

Nach dir mein Herz in Lieb' und Leid sich schmiege,

Ich sei ein Mensch nach deinem Herzen hier!

Ich bin vergnügt, wenn ich nur dich vergnüge,

Mein Seligsein fürwahr ist ganz in dir.
[528]

9.

Es sei für dich mein Leben, Zeit und Kräfte,

Es werd' für dich auch alles nur verzehrt;

Gewöhne mich zu jener Welt Geschäfte,

Zu fangen an, was droben ewig währt!


10.

O schönes Werk, zu dir im Geist mich nahen,

Vor dir, mein Gott, mit süßer Ehrfurcht stehn,

Dich beten an, dich lieben und umfahen,

In dir mich freun, dich Tag und Nacht erhöhn!


11.

So laß mich dir im Herzenstempel dienen,

Dies Haus erfüll' dein Gottesnahesein,

Daß ich durch dich im Vorhof hier mög' grünen,

Bis du mich nimmst ins Allerheiligst' ein!


Quelle:
Gerhard Tersteegen: Geistliches Blumengärtlein. Stuttgart 1956, S. 527-529.
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