Zweite Szene

[319] Herr Beermann. Herr Bolland. Dobler. Dr. Hauser.


BEERMANN. Schade, daß der Professor singt. Sonst könnten wir unsern Skat anfangen. Darf ich noch Kognak anbieten?

HAUSER. Nein. Danke.

DOBLER. Wirklich nicht.


Bolland hat sich auf das Sofa gesetzt; Hauser, Dobler setzen sich auf Stühle. Beermann nimmt sich eine neue Zigarre. Ein Lohndiener geht ins Musikzimmer; wenn er die Tür öffnet, hört man Töne eines Pianos.


BOLLAND. Wie ich Ihnen sagte, Herr Dobler: Ihre Geschichte vorhin hat mich kolossal an meinen Vater erinnert.

HAUSER. An den Geheimen Kommerzienrat Bolland?

BOLLAND setzt sich zurück; schlägt ein Bein übers andere. Der aber nicht immer der reiche Kommerzienrat war. Sich zu Dobler wendend. Stellen Sie sich vor, eine Winterlandschaft. Strenge Kälte, alles in Schnee gehüllt, grauer Himmel. Es schneit und schneit, da geht, oder, besser gesagt, da wankt auf der Straße[319] von Perleberg, die durch den Perleberger Forst führt, ein junger Mensch. Ein halbverhungerter, junger Mensch.


Macht affektiert eine Pause und klopft die Asche von der Zigarre. Aus dem Musikzimmer kommt der Lohndiener herein, holt ein Glas Wasser und geht wieder hinaus. Während er die Türe offen läßt, hört man Professor Wasner singen. Tremolierender Baßbariton.


In deinen Augen hab ich einst gelesen

Von Lieb' und Glück – von Lieb'

und Glück den Schein ...


Die Türe fällt ins Schloß, man hört nichts mehr.


BOLLAND hat inzwischen weiter gesprochen. Die Flocken fallen dichter und dichter, und weil der junge Mensch par tout nichts im Magen hatte, bekommt er 'ne Schwäche und setzt sich auf ein Bündel Reisig und schläft ein. Zum größten Glück kommt ein Perleberger Bürger des Wegs und sieht den halb eingeschneiten Jungen und nimmt ihn mit heim. Pausiert. Und dieser Junge wurde späterhin mein Vater ...

HAUSER. Und Geheimer Kommerzienrat.

BOLLAND. Und Geheimer Kommerzienrat. Zu Dobler. Aber sagen Sie selbst, ist das nicht merkwürdig? Ist das nicht 'n Roman?

DOBLER. Ja, ja ...

BOLLAND. Das könnten Sie doch sehr schön verwenden! Denken Sie, der arme Junge, die Schneelandschaft ...

HAUSER. Das Bündel Reisig.

DOBLER. Das Leben hat originelle Einfälle und spielt gerne mit Kontrasten.

BOLLAND. Das ist das richtige Wort. Es spielt mit Kontrasten.

HAUSER. Aber originell? Die Geschichte wiederholt sich zu oft.

BOLLAND. Was wiederholt sich?

HAUSER. Die Geschichte vom armen Jungen, der Millionär wird. Jede große Fabrik hat so'n Papa.

BOLLAND. Glauben Sie?

HAUSER. Und er wird immer noch ärmer. Ihr Sohn wird den Jungen ganz erfrieren lassen.

BOLLAND. Ich gebe mein Ehrenwort, daß die Sache so war. Zu Dobler. Sie sollten sich den Stoff nicht entgehen lassen. Wie er das Geschäft gründete, und wie es allmählich wuchs und[320] wuchs ... Frau Beermann kommt aus dem Musikzimmer. Man hört den Professor tremolieren. »Behüt dich Gott, es hat nicht sollen sein.« Dann wieder still.

DOBLER. Eines ist sicher. Die Figur des self made man ist in Deutschland noch kaum literarisch verwendet.

BOLLAND eifrig. Das ist's ja, was ich sage. Immer diese Armeleutegeschichten! Aber daß 'n Mensch mal ordentlich verdient, daß 'n Mensch was wird, das ist doch auch poetisch!

HAUSER. Wissen Sie was, lassen Sie Ihr Hauptbuch drucken.


Von links kommt Frau Lund, hinter ihr das Zimmermädchen.


Quelle:
Ludwig Thoma: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Band 2, München 1968, S. 319-321.
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