Achte Szene

[357] PRÄSIDENT zu Schmettau. Diese Moralprediger pfuschen uns ins Handwerk ...

SCHMETTAU mit einem Blick auf den Assessor. Darf ich bitten, mich vorzustellen?

PRÄSIDENT. Assessor Ströbel – Freiherr von Schmettau, Adjutant Seiner Hoheit, des Prinzen Emil.

STRÖBEL schlägt die Hacken zusammen und verbeugt sich tief.

SCHMETTAU dankt kurz.

PRÄSIDENT in scharfem Tone. Herr Assessor, ich habe Herrn Baron Schmettau ersucht, mit mir zu kommen, weil ich in seiner Gegenwart eine Taktlosigkeit korrigieren will, die zu meinem größten Bedauern und gegen meine Intentionen von diesem Kommissär Schmuttermaier begangen wurde.

SCHMETTAU. Es war scheußlich.

PRÄSIDENT. Ich will wissen, welchen Auftrag der Mann hatte.

STRÖBEL ängstlich. Herr Präsident meinen den Fall mit der Hochstetter?

PRÄSIDENT. Mit Frau von Hauteville – ja. Wer hat die Recherchen geleitet?

STRÖBEL. Die Recherchen?

PRÄSIDENT. Man hat hoffentlich vor der Verhaftung sich genau informiert, mit wem man es zu tun hatte?

STRÖBEL. Gewiß, Herr Präsident ...

PRÄSIDENT. Und das Ergebnis?

STRÖBEL. Ich erhielt die Gewißheit, daß die Frau in Konflikt mit der Moral stand.[357]

PRÄSIDENT. Ich muß im dienstlichen Verkehr um klare Antworten bitten. Was haben die Recherchen ergeben?

STRÖBEL. Daß sie auffälligen Herrenbesuch empfing.

PRÄSIDENT. Auffällig? Dann weiß der Kommissär, wer die Herren waren?

STRÖBEL. Das nicht ...

PRÄSIDENT. Nicht? Er forschte nicht nach, wenn ihm was auffällig war?

STRÖBEL. Er wollte nur konstatieren, daß die Besuche der Hauteville galten.

PRÄSIDENT. So? – – Ich habe recht genügsame Beamte. Um das Wer und Was kümmerte sich der Mann nicht?

STRÖBEL. Ich dachte auch, das würde sich hinterher finden.

PRÄSIDENT. Es gibt Dinge, die man nicht sucht und noch weniger findet. Sie haben die Sache angefaßt, als hätten Sie einen Taschendieb fangen müssen. Zu Schmettau. Es ist, wie ich Ihnen sagte ... Der Mann hat keine Ahnung gehabt. Zu Ströbel. Hat dieser Schmuttermaier von Besuchern etwas gehört oder gesehen in der Wohnung?

STRÖBEL. Nein, Herr Präsident.

PRÄSIDENT zu Schmettau. Wie ich Ihnen sagte ...

STRÖBEL. Übrigens war jemand in der Wohnung, wie ich jetzt weiß ...

PRÄSIDENT rasch. Wer?

STRÖBEL. Das habe ich noch nicht eruiert. Die Hauteville hat nur Andeutungen gemacht, als habe sich jemand in einen Kleiderschrank geflüchtet.

PRÄSIDENT. Hat sich allerdings – hat sich leider – Zu Schmettau. zu meinem aufrichtigen Bedauern – Seine Hoheit, unser gnädigster Erbprinz Emil.

STRÖBEL bestürzt. Ich ... ich hatte keine Ahnung ...

PRÄSIDENT. Man hat einfach die Ahnung. Wenn dieser Schmuttermaier Talent hätte, wäre das nicht passiert. Aber es ist die alte Geschichte; von selbständigem Takt keine Spur!

STRÖBEL. Ich weiß nicht, wie ich mich entschuldigen soll.

PRÄSIDENT. Ich auch nicht. Übrigens hat Herr Baron Schmettau den ganzen unliebsamen Vorfall mitgemacht.

SCHMETTAU spricht sehr korrekt, doch scharfes st. Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Ich verstehe so etwas nicht. Stellen[358] Sie sich das mal vor ... Gott ja! ... ich war und bin der Ansicht, daß unsere junge Hoheit das Leben kennen lernen muß ... und ich habe doch nicht die Aufgabe, als Pastor zu wirken ...

PRÄSIDENT. Aber ich bitte, Herr Baron, das ist ja selbstverständlich ...

SCHMETTAU. Es ist das nun mal meine Ansicht. Ich stehe im Leben und bin Kavalier, und ich halte das für das Richtige, daß Hoheit das Leben kennen lernen soll ...

PRÄSIDENT. Ich teile vollkommen Ihre Ansicht.

SCHMETTAU. Aber es ist vorhin der Ausdruck Moral gefallen. Ich kann in meiner Stellung solche Worte mal von der Kanzel hören, aber außerhalb der Kirche muß ich sie entschieden zurückweisen.

PRÄSIDENT zum Assessor. Sie haben den Ausdruck gebraucht.

SCHMETTAU. Wenn jemand behaupten will, daß meine Erziehung nicht vollständig ist, muß er das mit der Pistole in der Hand beweisen.

STRÖBEL. Ich dachte nicht, daß Sie das Wort verletzen würde.

SCHMETTAU. Es hat mich verletzt. Solche Ausdrücke gehören in Asyle für Verwahrloste, aber man wendet sie nicht auf kavaliermäßige Vergnügungen an.

PRÄSIDENT. Darf ich für meinen Assessor ein gutes Wort einlegen? Er hat sicher nicht daran gedacht, Sie zu beleidigen.

SCHMETTAU. Er hat nicht daran gedacht? Zum Assessor. Dann will ich annehmen, daß der Ausdruck nicht gefallen ist. Ströbel schlägt die Hacken zusammen. Ich bin etwas gereizt, aber das ist kein Wunder. Sie können sich denken, mit welcher Sorgfalt ich zu Werk gegangen bin. Man hat mir von berufener Seite Frau von Hauteville empfohlen; sie hat gute Manieren, ist diskret.

PRÄSIDENT. Sicher eine sehr anständige Person in ihrer Art.

SCHMETTAU. Absolut. Nachdem ich mal auf dem Standpunkt stehe, daß Hoheit das Leben kennen lernen muß, konnte ich nicht besser disponieren. Zum Präsidenten. Wir verstehen uns?

PRÄSIDENT. Gewiß!

SCHMETTAU. Jede Garantie gegen Taktlosigkeiten; alles tipp – topp. Nun stellen sich vor, von meiner Seite geschieht alles Menschenmögliche, und dann kommt es zu einem solchen unglaublichen[359] Skandal!

PRÄSIDENT. Es ist die alte Geschichte. Die Leute haben keinen Takt.

SCHMETTAU. Das hilft mir nichts. Ich rede Ihnen nicht in Ihr Ressort hinein. Das liegt mir sehr ferne, aber ich muß Ihnen sagen, das hilft mir nichts. An mir bleibt die Sache hängen. Man sagt mir ganz einfach, so was durfte nicht passieren. Das ist eine unmögliche Situation!

PRÄSIDENT zu Ströbel. Die Sie geschaffen haben.

SCHMETTAU. Wenn ich das hätte ahnen können, dann hätte ich Sie vorher avisiert.

PRÄSIDENT. Hätten Sie nur!

SCHMETTAU. Wer denkt an so was? Ich muß doch annehmen, daß die Polizei in erster Linie Diskretion wahrt!

STRÖBEL. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, Herr Baron, daß ich nicht im Traume an eine solche Begegnung dachte.

SCHMETTAU zieht die Achseln hoch. Ist das so schwer zu denken?

PRÄSIDENT. Dasselbe, was ich sage. Wenn man seinen Dienst kennt, weiß man so was. Aber wenn man in Volksverbesserung arbeitet, hat man die Nase in der Luft.

SCHMETTAU. Dieser Kommissär oder was der Kerl ist, hat sich überhaupt benommen, als wenn er Stoff für eine sozialdemokratische Zeitung sammeln müßte. Hoheit waren noch nicht fünf Minuten im Hause, da läutet es heftig, und jemand stößt mit den Stiefeln gegen die Türe wie 'n betrunkener Fuhrknecht. Madame stürzt in das Zimmer und ruft: »Hoheit sehen mich unglücklich, die Polizei ist hier!« »Lassen Sie nur!« sage ich; »sie wird rasch verschwinden.« »Unmöglich!« sagt sie, »ich kann nicht zugeben, daß man Hoheit förmlich attrappiert; ich nehme die Sache auf mich.« Die Frau hat den Takt, das zu sagen. »Unmöglich,« sagt sie, »daß man Hoheit attrappiert.«

PRÄSIDENT. Wirklich anständig!

SCHMETTAU. Absolut. Und mir leuchtet sofort ein, daß sie recht hat. Die Situation ist scheußlich. Der Kerl verlangt womöglich 'n Militärpaß von Hoheit! Was tun? Madame sagt: »Verstecken Sie sich um Gottes willen in den Schrank!« Draußen macht der Kerl Radau, klopft, stößt, brüllt, läutet, von links und rechts wird die Nachbarschaft lebendig, und mitten[360] in diesem Tohuwabohu steht – – Hoheit! Was tun? Ein paar Sekunden später stecken Hoheit neben mir in einem Schrank zwischen Kleidungsstücken und holen nur mühsam Atem.

STRÖBEL. Wenn ich nur eine Ahnung gehabt hätte!

PRÄSIDENT zornig. Wissen sollen Sie! Nicht ahnen!

SCHMETTAU. Und was nun kam! Das ging mit genagelten Stiefeln durch die Zimmer, Türe auf, Türe zu, und immer grob und flegelhaft, und steht drei oder viermal vor unserm Schrank, und ich fühle effektiv, wie Hoheit schwitzen. Stellen sich mal die Situation vor, wenn der Mensch den Schrank öffnet! Stellen Sie sich das vor, und dann wissen Sie, wie mir zumut war.

PRÄSIDENT. Sie müssen furchtbar gelitten haben!

SCHMETTAU. Was liegt an mir? In solchen Momenten denkt man nur an Hoheit. Es war infam! Endlich entfernten sich die Schritte. Madame, die sich übrigens tadellos benahm, wird abgeführt, und Hoheit können den Schrank verlassen, in dem Sie hoch zwanzig Minuten zugebracht haben. Und jetzt frage ich noch einmal: Wie war das möglich?

PRÄSIDENT zu Ströbel. Die Antwort werden Sie finden.

SCHMETTAU. Obendrein ist die Frau noch in Haft. Die Zeitungen schreiben darüber; Hoheit leiden unter den Möglichkeiten, die es noch geben kann.

PRÄSIDENT. Darüber können Sie beruhigt sein, Herr Baron! Jetzt wache ich über den Verlauf. Zieht die Uhr und spricht mit affektierter Ruhe. Wir haben ein Viertel vor eins. Heute abend acht Uhr ist Frau von Hauteville auf freiem Fuß, und es ist alles so arrangiert, daß ihre Entlassung keinen Verdacht erregt.

ASSESSOR. Aber wie ...?

PRÄSIDENT. Details sind Ihre Sache.


Vorhang.
[361]

Quelle:
Ludwig Thoma: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Band 2, München 1968, S. 357-362.
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