Sechzehntes Kapitel

[227] Ein warmer März.

Wenn ein Erlbacher den Pflug über die Weblinger Höhe hinaufführte, zog er unterwegs den Janker aus und fuhr sich über die Stirne.[227]

Dann blähten sich die Hemdärmel im Winde und hoben sich lustig vom blauen Himmel ab.

Die weißen Birken am Waldrande streckten sich der Sonne entgegen, und alle Wiesen waren gelb von Schlüsselblumen.

Und große, rote Flecken waren über die Ackerschollen verstreut.

Wer gute Augen hatte, konnte sehen, daß es die Kopftücher der Weiber waren, welche am Boden knieten und Kartoffeln einsetzten.

Fröhlichkeit lag in der Luft.

An der Pflugwende rastete jeder und schrie zum Nachbarn hinüber und lobte den Tag und das Wetter.

Es mache warm von oben und unten; da müsse der Samen keimen, daß es eine Freude sei.

Auch im Dorfe waren fleißige Hände tätig.

In den Gärten machten sich die alten Leute zu schaffen, legten Beete an und setzten Pflanzen ein, denn eine gute Regel sagt: Sankt Benedikt macht die Zwiebeln dick.

Die Kloiberin weißte ihre Küche aus, beim Weßbrunner strich der alte Vater die Fensterläden an, und der Geitner hatte zwei Maurer eingestellt, die ihm das Haus sauber herrichten mußten.

Denn er wollte, daß eine solche Arbeit richtig gemacht werde. Wieder vor anderen Häusern hingen die Weiber Wäsche auf oder putzten die Fenster.

Die Alten, welche nicht nützlich sein konnten, setzten sich ins Freie und schauten blinzelnd in die Sonne.

Auch die Kranken, die sich in der Luft kräftigen wollten.

Unter ihnen war die Veronika Mang. Ihr altes Leiden hatte sich wieder eingestellt, und ärger wie früher.

Sonst waren ihr die Füße angeschwollen, heuer griff ihr die Krankheit ans Herz, und sie hatte böse Atemnot.

Die Weberin wartete ihr auf und rühmte bei allen Leuten die Geduld, mit der die Mangin ihre Schmerzen trug.

Sie erlaubte nicht, daß man ihrem Sohne Mitteilung machte.

»Wenn's wieder besser werd,« sagte sie, »nacha hätt' er si umasinscht kümmert, und werd's schlechter, nacha sag' i's scho, wenn's Zeit is.«

Die Weberin meinte, es werde nicht besser, denn die Mangin[228] hätte sich ganz verändert. Sie sei nach denklich geworden und rede oft mit sich selber, aber ganz still, daß man die Worte nicht verstand, und ganz demütig sei sie; gar nicht mehr resch wie früher. Das sei aber ein schlechtes Zeichen, wenn sich kranke Leute so ändern.

Die Bäcker Ulrich Marie sagte, sie wisse gut, warum die Mangin trübsinnig sei. Der hochwürdige Herr Kooperator habe es ihr gesagt. Nämlich, daß der Sylvester Mang das geistliche Studieren aufgeben wolle, noch vor er die Weihen kriege.

Sie habe sich's schon lange gedacht, sagte die Bäcker Ulrich Marie, denn groß sei der Eifer beim jungen Mang nie gewesen. Wenn er daheim war, sei er selten unter der Woche in die Kirche gegangen, und mit dem hochwürdigen Herrn Kooperator habe er wenig Verkehr gehabt.

Bloß beim verstorbenen Pfarrer sei er den ganzen Tag gewesen; ob er bei dem das beste Christentum gesehen habe, möchte sie nicht behaupten.

Und von dem Unglück sei die Mangin krank geworden. Die habe sich immer dick gemacht mit ihrem geistlichen Herrn Sohn und habe herumgeschrien, wie schön sie es noch einmal kriege, und habe schon getan, als wenn sie die Frau Pfarrermutter wäre. Jetzt sei alles nichts, und der Vetter in Pasenbach würde die Hand abziehen vom Sylvester.

So redete die Bäcker Ulrich Marie, und die Weiber schauten mitleidig über den Gartenzaun hinüber nach der Mangin, die fröstelnd in der warmen Sonne saß.

»Es ist ein Kreuz auf der Welt,« sagte die Bäcker Ulrich Marie. »Überhaupts, wo man hinschaut.«

Ob es die Zwergerin schon gehört habe von dem Vöst seiner Ursula?

Vorgestern habe sie das Kind gekriegt, und heute sei es noch nicht getauft. Und der hochwürdige Herr Kooperator habe gesagt, der Vöst lasse es überhaupt nicht taufen, weil er einen abscheulichen Haß gegen das Christentum habe.

Ein Kind von ihm liege schon hinter der Kirchhofmauer, und wer wisse es denn, ob er nicht auch selbigesmal mit Fleiß die Taufe versäumt habe?

Wenn das gehe, daß in Erlbach einer sein Kind als Heiden aufziehen dürfe, müsse ein Strafgericht kommen.[229]

Die Zwergerin zeigte ein solches Entsetzen über die Mitteilung, daß andere Weiber aufmerksam wurden und ihre Arbeit im Stiche ließen. Sie standen im Kreise um die Bäcker Ulrich Marie herum und steckten die Köpfe zusammen, und immer kamen wieder neue hinzu. Kinder, die auf der Straße spielten, liefen heim und sagten, daß beim Bäcker so viele Leute stünden. Dann kamen die Weiber aus den Häusern, hielten die Hände vor die Augen und schauten die Straße hinauf.

Und jede, die den dichten Knäuel sah, band sich eine Schürze um und ging darauf zu.

Die Weberin konnte ihre Neugierde nicht mehr verhalten. Sie sagte zur Mangin, daß sie ein wenig warten solle, denn sie wäre gleich wieder da.

Wie sie zurückkam, ging die Weßbrunnerin mit ihr, und sie blieben alle fünf Schritte stehen und schauten sich mit erschrockenen Augen an.

»Was habt's denn g'habt?« fragte die Mangin mit schwacher Stimme.

»D' Schuller Ursula hat an Bua'm kriagt, und der Schuller will'n net taufen lassen, daß er a Heid' bleiben muaß; g'rad extra, weil's an Pfarra ärgert.«

»Wer hat denn dös g'sagt?«

»D' Bäcker Ulrich Marie erzählt's g'rad.«

»De hat scho viel erzählt, was it wahr is. Dös glaab i net.«

»So was durft's ja do it sag'n, bal's it wahr is. Und sie hat's vom Herrn Kopratta.«

»I glaab's it. Dös tuat der Schuller net.«

»Ja, der! Dös woaß ja ganz Erlbach, daß er an Glaub'n abg'schwört hat. Er geht in koa Kircha mehr.«

»D' Leut' sollen an Schuller in Ruah lassen. Dös waar g'scheiter. Früherszeiten hat ma nia was Schlecht's g'hört vom Schuller.«

»Aba da derf ma do it zuaschaug'n, wenn er an Heiden herzügelt!«

Die Mangin schüttelte leicht den Kopf und murmelte vor sich hin.

»Sie treibt's nimmer lang,« sagte die Weberin hinterher. »Sie g'fallt ma gar it. Sinscht waar sie die erst' g'wen bei'n Schimpfa, und jetzt is sie ganz verzagt. De lebt nimmer lang.«[230]

Das war nicht gelogen, daß die Ursula ein Knäblein geboren hatte. Es schrie laut genug, daß man sein Dasein merken mußte.

Die Schullerin stand ihrer Tochter in den schweren Tagen bei und ließ sie kein unrechtes Wort hören. Sie erwies ihr mehr Liebes, als zu anderen Zeiten, denn das liegt im guten Wesen der Frauenzimmer.

Und als die Hebamme das Kind zur Taufe in die Kirche trug, ging die Schullerin mit, gerade so, als sollte ihr rechtmäßiger Enkel in die Christenheit aufgenommen werden.

Es zwang sie etwas dazu; sie wußte selber nicht was. Vielleicht die Erinnerung an ihr eigenes Kind, dem so unachtsam das Paradies verscherzt worden war.

So ging sie tapfer neben der Hebamme her in die Kirche.

Der Pfarrer ließ sie lange warten.

Wie er kam, sagte er, daß er vor der Taufe eine Erklärung abgeben müsse. Er werde diesem Knäblein den Namen Simplizius beilegen.

Wieso, fragte die Schullerin, es sei ausgemacht, daß es Andreas heißen solle.

Darauf käme gar nichts an, und er kümmere sich um kein Ausmachen und um keinen Wunsch, sagte der Pfarrer strenge. Das Knäblein sei am zweiten März geboren, und das sei der Tag des heiligen Simplizius. Er habe es so festgesetzt, daß die ledigen Kinder die Namen der Heiligen tragen müßten, an deren Tagen sie zur Welt kämen.

Das sei aber kein rechter Name, meinte die Schullerin, kein Christenmensch heiße Simplizius, und das klinge gerade so wie Simpel, und der Bub' hätte sein Leben lang das Gespött.

Wenn ein frommer und verehrungswürdiger Papst den Namen führte, sagte der Pfarrer, hernach könne ihn wohl auch ein Bub' tragen, der keinen Vater habe. Und überhaupt, er lasse keinen Widerspruch zu und werde dieses Knäblein auf den Namen Simplizius taufen.

Die Schullerin verlegte sich aufs Bitten.

»Hochwürden, tean S' ins dös net o. Es is Verdruß g'nua, daß dös Kind überhaupts do is. Und da gang's wieder auf a neu's o bei ins dahoam; Sie wissen's guat, Hochwürden, wia's bei ins dahoam ausschaugt. Da Bauer geht a so im Haus 'rum und red't und deut' nix mehr, und d' Urschula woant an ganzen[231] Tag, weil's da Vater net o'schaugt. Und jetzt gang's auf a neu's o, wenn i hoamkimm, und da Bua hat a solchen Nam'.«

»Ich weiß recht wohl, welcher Geist in Eurem Hause herrscht,« sagte der hochwürdige Herr Baustätter.

»Und desweng soll's it wieder auf a neu's Verdruß geb'n!« bat die Schullerin. »Beim Bauer is 's Feuer untern Dach, bal de G'schicht gar it aufhört, und bal Sie ins wieder a Schand' o'hängan.«

»Reden Sie nicht so daher! Das ist keine Schande, wenn dieses Knäblein den Namen erhält. Aber es ist eine Schande, daß es unehrlich gezeugt wurde.«

»Es hamm schon mehra Madeln Kinder als a lediger bracht. In Gott's Nama, wenn oans da is, muaß ma's hamm.«

»Wollen Sie, daß ich das Knäblein taufe?« fragte der Pfarrer kurz.

»Freili. I bitt' schön drum.«

»Dann widersprechen Sie mir nicht! Ich werde ihm den Namen Simplizius beilegen.«

»Na, Hochwürden! Geben S' eahm an g'scheiten Nam'! Andreas muaß er hoaßen.«

Baustätter sah die zudringliche Frauensperson unwillig an und wandte sich zum Gehen.

Die Schullerin weinte.

»Warum gibt's denn g'rad bei ins solchene G'schichten? Und g'rad bei ins geht d' Schand' it aus. Dös is ja g'rad, als wenn mir de Allerschlechtesten waar'n. Wenn i hoam kimm, is beim Bauern ganz aus. I geh' do rechtschaffa in mei Kirch', und 's Madel ko aa nix dafür, daß Sie mit'n Bauern an Streit hamm. Tean S' ins dös it o, Herr Pfarrer!«

»Ich tue, was ich für recht erkannt habe. Ledige Kinder werden nach den Heiligen ihrer Geburtstage benannt. Das gilt für alle, und bei Euch mache ich keine Ausnahme. Wenn Sie widersprechen, taufe ich das Kind überhaupt nicht.«

»I derf do it ja sag'n. I derf ja net.«

»Das geht mich nichts an.«

»Nacha geh' i halt hoam und sag's. Von mir aus! Nacha geht da Verdruß auf a neu's o!«

»Taufen S' den Buam halt Andreas!« sagte die Hebamme.

»Was geht das Sie an? Mischen Sie sich nicht hinein! Und Sie,[232] gehen Sie nur heim! Aber das will ich Ihnen sagen, ich bleibe auf meiner Vorschrift bestehen, ob es dem Herrn Schuller recht ist oder nicht.

Und heute taufe ich überhaupt nicht mehr; da müssen Sie morgen wiederkommen. Wenn dem Knäblein bis morgen etwas zustößt, sind Sie verantwortlich für sein Seelenheil. Sie haben erfahren, was das bedeutet!«

Mit diesen Worten ging der Pfarrer.

Die Schullerin schaute ihm nach und wischte sich mit der Schürze die Tränen ab.

»Geh' ma halt!« sagte sie.

Wie sie durch den Friedhof schritt, blieb sie stehen und fing wieder heftig zu weinen an.

»Wo soll i jetzt hi' geh'? Da Bauer is am Feld draußd' und kimmt vor auf d' Nacht net hoam. D' Urschula liegt im Bett, und i derf ihr's gar it sag'n, daß's Kind an Spottnama kriag'n muaß. I woaß gar it, wo i hi geh' soll. 's liabste waar mir überhaupts, i waar scho g'storb'n. I kriag ja do koan Ruah nimmer, und da hätt' i do mein Ruah und wisset nix mehr!«

»Gehst vielleicht zum Pfarrer von Aufhausen umi, Schullerin!« sagte die Hebamme. »Der ko dir an Auskunft geb'n, ob's ös den Nama leiden müaßt's.«

»Wia ko denn i nach Aufhausen umi? De Deanstbot'n san allsammete am Feld, und es muaß do wer dahoam sei! Stallzeit is aa.«

»I gang gern für di, aba unseroana ko it viel red'n. Hoscht denn gar neamd, der dir den G'fallen tat?«

Die Schullerin besann sich.

»Höchstens der Haberlschneider,« sagte sie. »Bal er dahoam is.«

»Nacha gehst zu'n Haberlschneider. Der kunnt de G'schicht richti vorbringa.«

»I glaab it, daß's was helft. Und i plag' an Haberlschneider it gern.«

»Ja no, balst sinst neamd woaßt. Du tatst as ja aa für an andern.«

»Probier' i's halt!« sagte die Schullerin. »Aba, was tuast denn du derweil? Du ko'st it mitlaffa mit'n Kind, und hoam derfst aa net. Sinst spannt's d' Urschula.«[233]

»Geh i halt' ins Wirtshaus und wart' auf di. Dös is sinst aa der Brauch, daß ma nach da Tauf' ins Wirtshaus geht.«

»Vo mir aus. Trinkst a Halbe, i bleib' it lang' aus.«

Die Schullerin machte sich auf den Weg zum Haberlschneider, und die Hebamme ging ins Wirtshaus.

Es war niemand in der Stube. Bei dem schönen Wetter nahm sich kein Bauer die Zeit zum Trinken.

Die Hebamme legte das Kind auf einen Tisch, und die Kellnerin kam mit verschlafenen Augen hinter dem Ofen hervor.

»D' Haasin?« sagte sie. »Host a Tauf' g'habt? Kemma no mehra Leut'?«

»Na, i bin alloa.«

»Is denn koa Pat' it dabei?«

»Na. Es is ja a ledig's Kind! Von da Schuller Urschula.«

»Ja so. Von da Urschula? Is's a Madel.«

»Na, a Bua.«

»A Bua? Da Hierangl Xaver, sagen s', muaß an Vater macha. Was schaffst denn, Haasin? A Halbe Bier?«

»Ja, und an Kaas derfst mir aa bringa.«

Nach einiger Zeit kam die Kellnerin wieder und stellte das matt aussehende Bier vor die Hebamme hin.

Dann betrachtete sie das Kind, welches mit seinen runden Augen verwundert zur Decke hinaufschaute.

»So, so? Von da Urschula? Hat ma da scho was g'hört, ob da Hierangl Xaver guatwillig zahlt?«

»I woaß gar nix.«

»I moan allawei, da werd's an Streit geb'n. Da Xaver hat's faustdick hinter de Ohren. Aba a nett's Kind is! Und stark.«

»Ja, es is a g'sund's Kind.«

»Wie hoaßt's denn?«

»Gar it hoaßt's. Es is no it tauft.«

»Was? Für was schleppst d'as denn du nacha umanand?«

»Ja, mir san scho in da Kircha g'wen, aba da Pfarrer will eahm an Spottnama geb'n. Simpli oder Simpi, i woaß nimmer g'nau.«

»Für was nacha dös?«

»Ja, weil der Heilige auftrifft auf den Tag, wo 's Kind geboren is.«

»Geh! So was hab' i aa no net g'hört.«[234]

»Es is scho oamal so a G'schicht g'wen,« sagte die Hebamme. »Es is net dös erst' Mal.«

»Da hab' i no nia was vernomma.«

»Du bist halt no it so lang' da z' Erlbach. Dös is vor a Jahr a drei g'wen. D' Elfinger Marie hat a Madel bracht; im August is g'wen. Dös hat da Pfarrer Bibiana tauft.«

»Bi–bi–ana!« wiederholte die Kellnerin. »Was dös für Nama san. Bi–bi–ana! Dös is ja g'rad, als wenn ma de Henna schreit.«

»Schö is der Nam' net. Aba no, da hat's it viel ausg'macht. 's Madel is a paar Tag' danach g'storb'n. Da ist it viel g'red't wor'n davo.«

»Daß si d' Leut' dös g'fallen lassen müassen?« – »Ja no!«

»I lasset ma's durchaus it g'fallen,« sagte die Kellnerin, »dös möcht' i sehg'n, ob i da zuaschaug'n müaßt.«

»Selm waarst net dabei,« erwiderte die Hebamme und schob das letzte Stück Käse in den Mund; »selm waarst net dabei, und bal da Pfarrer amal sagt, es is sei Recht. Was willst macha?«

»I schimpfet scho so viel, i lasset ma's durchaus it g'fallen.«

»D' Schullerin war mit in da Kircha. De hat bettelt und aufbegehrt. Aba nacha hat da Pfarrer g'sagt, er tauft 's Kind überhaupts net.«

Dem kleinen Vöst wurde bänglich zumute, wie er so einsam auf der Tischplatte lag und hoch oben über sich die weiße Decke sah. Er drehte den Kopf unruhig hin und her und verzog sein faltiges Gesicht zum Weinen.

»Bscht! Bscht!« machte die Hebamme.

»Sei no staad, Kloana! Kriagst dein Ditzel scho!«

Sie steckte ihm den Schnuller in den Mund. Da begann der kleine Vöst zu saugen und wurde still.

Und sah wieder ernsthaft in die Höhe, als denke er reiflich darüber nach, ob er sich den heiligen Simplizius als Namenspatron gefallen lassen müsse.

Die Kellnerin zog eine Haarnadel aus ihrem Zopfe und stocherte damit in ihren Zähnen herum.

»A nett's Kind!« sagte sie. »Glaabst du, daß da Xaver am End' no d' Urschula heirat?«

»'S beste waar's. Sie is do a ganz a richtig's Leut'!«

»I glaab it, daß er's tuat. De Burschen sag'n, er will gar nix wissen von ihr.«[235]

»Nacha muaß er halt brav zahl'n.«

»I glaab, dös will er aa net. Er behaupt', daß mehra beteiligt san.«

»Dös sagt a jeder hinterdrei. De Kerl' san ja allsammete schlecht. D' Madeln san dumm, daß sie si ei'lassen damit.«

»Wahr is. Magst no a Halbe, Haasin?«

»Ja, wenn'st da's g'schwind bringst.«

Die Kellnerin ging in die Schenke und brachte das Glas frisch gefüllt zurück.

Die Hebamme schob es ihr zu.

»Trink, Zenzl! Heut' hast it viel Leut'.«

»Na, bereits gar neamd. Bei dem Wetta kimmt aa koana. Höchstens no da Geitner.«

»Der hat allawei Zeit,« sagte die Hebamme.

»Ja, er is viel bei uns. Du, Haasin, was für an Nama hätt' da Pfarrer dem Buab'n geben wollen? I hab's wieder vagessen.«

»Simpi oder Simpl oder so. I woaß's selm net g'nau.«

»Geh! Daß's überhaupts solchene Nama gibt! Und Bi–bi–ana. Bi–bi! G'rad, als wenn ma de Henna schreit!«

»Du, i muaß zahl'n,« unterbrach sie die Hebamme, »da kimmt d' Schullerin über d' Straß' uma. Fünfadreiß'g Pfennig, gel?«

»Zwoa Halbe und an Kaas und a Brot, san fünfadreiß'g, ja.«

Die Kellnerin schob das Geld ein, und die Haasin nahm den kleinen Vöst von der Tischplatte weg.

Unter der Türe stieß sie auf die Schullerin.

»I bin scho firti, Bäurin. I halt' di net auf.«

»Nacha geh' ma hoam.«

»Hast an Haberlschneider troffa?«

»Ja; er geht heunt no umi.«

»Gel, i hab' d'as g'sagt? Und paß auf, da kriagt er scho an Auskunft.«

»Vielleicht. Geh a bissel g'schwinder, daß ins neamd o'red't!«

Die Schullerin ging eilig voran und sah vor sich hin auf den Boden. Ihr Gesicht war noch rot vom Weinen und von der Aufregung. Sie wollte nicht, daß es jemand bemerkte.

Daheim schickte sie die Hebamme zur Ursula.

»Gehst aufi dazua und sagst nix. Sie braucht's it z' wissen.«

»Bal's mi aba fragt, ob s' Kind tauft is?«

»Sie fragt net. De denkt do it drauf, daß 's da was geb'n hat.[236] Höchstens, daß s' fragt, warum ma so lang' aus g'wesen san. Nacha sagst halt, daß da Pfarra so lang' it in d' Kircha kemma is.«

Die Schullerin zog sich um und ging in den Stall.

Sie stellte den Melkstuhl hinter die erste Kuh und nahm den Eimer zwischen die Knie. Zuerst wollte sie an ihre Sorgen denken, aber die Arbeit leidet es nicht, daß man den Kopf bei anderen Dingen hat.

Da vergaß sie ihren Gram und strich aufmerksam die Milch in den Eimer.


Es dämmerte stark, als der Schuller vom Felde heim kam. Er war müde und rief zur Küche hinein, daß er gleich essen und zeitig ins Bett gehen wolle.

»Heut' muaßt no a bissel aufbleiben,« sagte die Bäuerin. »Da Haberlschneider kimmt no her.«

»Jetzt is do koa Zeit zum Hoamgarten.«

»Er muaß dir was sag'n.«

»Mir? Was denn?«

»Ja, weil er zum Pfarrer nach Aufhausen umi is.«

»Was geht denn dös mi o?«

»Laß d'as halt verzähl'n. Z'weng'n da Urschula ihr'n Kind is er umi.«

»Um dös kümmer' i mi gar nix. Dös geht mi nix o.«

»Di geht's nix o? Do hoscht recht. G'rad i derf mi kümmern.«

Und der Schullerin fielen alle Unbilden ein, die sie am heutigen Tage erfahren hatte; sie kamen ihr noch größer vor, weil sie jetzt sogar daheim Härte und Ungerechtigkeit sehen mußte.

Und sie weinte so heftig, daß der Schuller umkehrte.

»Was hoscht nacha?« fragte er.

»Ja, was hoscht! Allsammete treten auf mir 'rum, und du sagst, es geht di nix o! Da freut oan 's Leben nimma.«

»I hab' da's g'sagt, um der Urschula ihr Sach' kümmer' i mi nix.«

»I ko do aa nix dafür, daß sie so dumm g'wen is! Und gar so schlecht is 's Madel aa net! Und mit Füaßen braucht ma'r it drauf 'rumtret'n!«

»Red' halt!«

»Ja, red'! Da Pfarrer hat 's Kind it tauft!«[237]

»Is der scho wieder im G'spiel? Net tauft hat er 's Kind? Warum it? Zweg'n meiner?« – »Na. Lus halt zua!«

Und die Schullerin fing schluchzend ihre Erzählung an.

»Wia ma'r in d' Kircha ganga san, is er recht lang' it kemma, und nacha hat er g'sagt, er muaß dös Kind Simpel oder so taufen, hat er g'sagt, weil's am zwoaten März gebor'n is, sagt er. Und nacha hab' i g'sagt, dös derf i net leiden, daß er an Kind an Spottnamen gibt, dös waar ja a Schand' für uns aa, und nacha hat er g'sagt, auf dös paßt er it auf, und bal's mir net recht is, nacha tauft er's überhaupts gar it, und dös is amal Vorschrift, daß da Bua Simpi hoaßen muaß.«

»Was hoscht na du to?«

»I hab' g'sagt, dös derf i alloa net erlaub'n, da muaß i z'erscht dahoam frag'n. Und jetzt sagest du, es geht di nix o, und du kümmerst di gar nix drum!«

»Hör mit'n Woana auf! Dös is für gar nix. Also is 's Kind it tauft wor'n?«

»Freili net. Mir san wieder a so hoam.«

»Und was hat da Haberlschneider dabei z'toa?«

»D' Haasin hat g'moant, i soll zum Pfarra von Aufhausen umi. Der saget ma's g'wiß, ob ma de Tauf' verweigern derf. Da bin i zum Haberlschneider und ho' mir denkt, vielleicht schickt er wen umi. Aba er hat g'sagt, er geht liaba selm, weil er an Pfarra Gabler kennt.«

»Was soll denn dös helfen?«

»Ja no, daß mir halt hör'n, ob dös sei' derf oder net.«

»Sei' derf! Hoscht du scho g'spannt, daß der aufpaßt, was G'setz und Recht is? Bal er net derf, tuat er's mit Fleiß. Aba i schaug nimma zua. I nimma!«

Die letzten Worte schrie der Schuller mit lauter Stimme. Er nahm einen irdenen Topf vom Herd und warf ihn auf den Boden, daß die Scherben klirrten.

Die Bäuerin wehrte ihm erschrocken ab.

»Schrei do net so! Hör'n di ja d' Leut' bis auf d' Straßen außi!«

»Vo mir aus! De hör'n no mehra. Bin i a Hund, den ma tratzt, daß 's an Spaß gibt? Wenn alles erlaubt is und gar nix verbot'n, nacha probier' i's aa und schlag' den Kerl, daß er verzagt!«[238]

»Sei do staad!«

»Net bin i staad. Der Herrgottsakrament, der will's it anderst! Der gibt koan Ruah, bis mir z'viel werd, bis i'n schlag!«

»Sag do so was it!«

»Du werst scho sehg'n, ob i dös it tua! Und dös mirkst da, tauft werd 's Kind net!«

»Z'letzt muaß halt do tauft wer'n!«

»Auf den Nama net!«

»Dös werd scho recht wer'n. Wart no, bis da Haberlschneider kimmt!«

»Dös geht mi nix o, was der von Aufhausen sagt. Des sell g'schiecht amal net, daß ins da Pfaff an Spottnama aufhängt. Eh'nder muaß d' Urschula aus'n Haus und aus'n Dorf. Nacha ko sie ihr'n Bankert wo anderst tauf'n lassen.«

»Bal i dös g'wißt hätt', daß du so narret werst! Da waar's mir liaba, i hätt' nix g'sagt!«

»Da werd's no viel zum sag'n geben! Hätt' dös Weibsbild de Schand' it herbracht! Moanst vielleicht, daß nix mehr nachkimmt? Da Pfaff hat o'g'schoben, und der Hierangl schiabt nach!«

»Grüaß Good beinand!« sagte eine tiefe Stimme, »Ös habt's an laut'n Diskurs.«

»'ß Good, Haberlschneider. Weil'st no da bist! Da Bauer is ganz ausanand.«

»Ja no, dös helft aa nix. Wia geht's Schuller?«

»Dös woaßt scho. An ganz'n Tag schinden und plag'n und auf d'Nacht an Verdruß. So geht's bei mir.«

»Dös kimmt scho wieder anderst aa.«

»Bei mir net. I derf ja koan Ruah hamm. Wenn's a Zeitlang staad is, fangt da Pfaff 's Hetzen o.«

»Hoscht an Aufhauser troffen?« fragte die Schullerin.

»Ja, er is dahoam g'wen.«

»Was sagt er? Müassen mir dös leid'n?«

»Da Herr Gabler sagt, inser Pfarrer hat dös Recht net,« erzählte der Haberlschneider in seiner ruhigen Art. »Er hat an Kopf beutelt, wia'r i eahm de Sach' g'sagt hab', und nacha hat er g'moant, dös gibt's net, daß inser Pfarra dös Kind anderst hoaßt, als sei Muatta will.

Allerdings, sagt er, ma soll's im Guat'n abmacha, natürli, weil[239] ma'n an Pfarra net mit'n Schandarm zwinga ko, daß er 's Kind tauft. Dös müaßt 's Ordinariat o'schaffen, und dös dauert vielleicht z'lang.«

»Aha!« rief der Schuller, »geht's wieder a so? G'rad so hamm s' g'red't, selbigsmal. Eigentli hat er 's Recht net, und uneigentli kann er toa, was er mag.«

»Dösmal richt'n ma's scho,« erwiderte der Haberlschneider.

»I net. I geh' net von da bis über d' Straß' umi weg'n dera Sach'.«

»'s Kind kriagt sein richtigen Nam', werst sehg'n!« tröstete die Schullerin.

»Was pass' i auf dös auf! Du muaßt it moan, daß i mi z'weg'n dem Kind ärger! Aba daß der scheinheilig' Tropf wieder o'fangt geg'n mi, und bohrt und hetzt. Da wer i narret. Weil er moant, i muaß wieder dasitzen und all's ei'schiab'n!«

»Du hoscht dir dös ander aa'r a bissel z' hart ei'bild't, Schuller. I hab' oft mit dir reden woll'n, aba du nimmst nix o und arbet'st di g'rad allawei mehra in d' Wuat eini.«

»Und du red'st di leicht, Haberlschneider. I bin net so wehleidig, dös woaßt, und i bin net glei ob'n außi. Mi hat scho oft oana beleidigt, und i hab's net g'acht und hab' mir denkt: Geh zua, desweg'n bin i do, was i bi. Aba jetzt bin i ja nix mehr, als wia'r a Hadern, an den si jeder sei dreckate Hand hiwischt.« – »Laß dir amal sag'n ...«

»Dös Trösten hat koan Wert. Dös macht's net anderst. Probier's du und laß dir an Unrecht g'schehg'n, und du glaabst, es braucht nix, als wia d' Lug aufdecken, und nacha mirkst, daß d' nirgends außi find'st, daß dir d' Händ' bunden san! A jed's Wort von dir is nix, und der ander schaugt dir zua, wia'st zappelst, und lacht di brav aus! Und du muaßt's runterfressen, und bal'st derstickst! Mach dös amal durch, und nacha sag' no mal, daß i mir's z' hart ei'bild'!«

»I glaab da's, daß 's di verdriaßt.«

»Ja, verdriaßt! Seit an Vierteljahr geh' i umanand, und jed'n Tag werd's ärger. Was bin i denn? A Lausbua, der red'n derf, was er mag, und koa Mensch paßt auf. Wenn d' Arbet net g'schehg'n müaßt, i tat koana mehr; freu'n tuat's mi nimma.«

»So plagst di g'rad selm. Es waar g'scheiter, du tatst as amal vergessen.«[240]

»Dös laßt si net o'schaffen. Wann i wirkli bei der Arbet drauf vergiß, brauch' i bloß ins Dorf eina kemma und de spöttischen G'sichter sehg'n.«

»Es gibt Leut' g'nua, de auf deiner Seit'n san.«

»Dös müassens recht hoamli sei, i spann' nix davo.«

»Du gehst ja nirgends hi und hörst d' Leut' net red'n.«

»Is scho recht. Und was willst denn? Wann i wirkli den Brocken abi g'schluckt hätt', nacha gibt ma ja der Pfaff' an neuen z' fressen!«

»Dös vo heunt werd no guat. Dös braucht di net z' kümmern.«

»Net, moanst? Daß er si dös überhaupts traut hat? Daß er mir zoagt, er derf si d' Stiefeln an mir o'putzen? Aba paß auf! Lang' treibt er dös nimma! Und jetzt geh'n i ins Bett. Guat Nacht!«

»Du hoscht ja no gar nix g'essen!« sagte die Schullerin.

»I mag nix mehr.«

Er ging und zog die Türe hinter sich zu.

Die Bäuerin seufzte.

»Er is wieder ganz aus'n Häusel.«

Der Haberlschneider schaute schweigend vor sich hin.

Nach einer Weile stand er auf und sagte:

»Dös is amal g'wiß, daß er an Vormunder net macha derf. Wann er da Verhandlunga hätt' mit'n Pfarra, und danach mit'n Hierangl, dös waar it guat. Da kunnt was passier'n.«

»Jessas Marand Josef! I kimm nimmer aus der Angst.«

»Jetzt red'st mit eahm nix mehr d'rüber, und an Vormunder mach' i. I bin kälter bei dera Sach' und ko's eh'nder richten.«

»Da tuast ma'r an großen G'fallen.«

»Dös sell g'schiecht gern. Morg'n schaug i wieder her zu dir, und für heunt guat Nacht, Bäurin!«

»Guat Nacht und schön' Dank!«

Als die Schullerin allein war, setzte sie sich neben den Herd und schaute in die Glut.

Warum das alles über sie kam?

Jetzt ging die Kümmernis nicht mehr aus, als wenn es ihr so aufgesetzt wär'. Sie wollte nicht viel vom Leben. Von Kind auf war es nur Arbeit, und erst recht wieder Arbeit, wie sie Schullerin wurde und ihrem Bauern das Haus in Ordnung hielt. Sie hatte nicht lauter Schönes gehabt und die Hände nicht oft in den[241] Schoß gelegt. Aber so war sie zufrieden damit, und so war es ihr recht. Es waren Sorgen, die sich jedes gefallen läßt.

Aber das, was jetzt über sie kam, scheuchte den Frieden aus dem Hause und nahm ihr den Mut zur Arbeit.

Eine weinende Kinderstimme tönte von oben herunter. Erst leise, dann immer stärker. Da war niemand bei der Ursula, der das Kind zur Ruhe bringen konnte!

Die Schullerin seufzte noch einmal und dann ging sie müde und schwerfällig die Stiege hinauf.

Quelle:
Ludwig Thoma: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Band 5, München 1968, S. 227-242.
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