Dritte Szene

[341] Wald.

Ein Waldbruder, Helikanus.


WALDBRUDER. So wollt Ihr Euch durchaus nicht raten lassen?

HELIKANUS. Was nennt Ihr raten? – Wahrlich, lieber Bruder,

Hätt' ich auf Rat gehört, auf leere Worte,

So lebt' ich noch in der geschwätz'gen Welt

Und suchte nicht im wilden Walde Schutz.

WALDBRUDER. Allein, was taten Euch die Menschen?

HELIKANUS. Was?

O keine Zunge, keine Sprache, keine Brust

Kann das so laut, so furchtbar laut verkünd'gen,[341]

So mit Trompetenklang durch Wälder rufen.

Wie ich von dem Geschlecht verfolgt, mich nieder

In tausend schnöde Qualen tauchen mußte,

Wie lang ich in des Hasses Schule war,

Und, jahrelang gehaßt, ein Hasser ward. –

WALDBRUDER.

Gar mancher steht und wartet in der Welt

Und weiß nicht recht, worauf er warten soll;

Wer zu viel Freundschaft hofft, sieht selbst im Freunde

Den kalten Fremden. Diese Alltagswelt

Ist voll von leeren Linsen, leeren Herzen,

Daß man die Liebe nicht verschleudern muß,

Um nicht in jenen schlimmsten Fall zu kommen,

Um Liebe einst zu betteln und wie Bettler

Mit Höhnen von der Tür gewiesen werden.

HELIKANUS.

Du sprichst mit diesen Worten ganz mein Schicksal;

So ging es mir, so wird's noch öfter sein,

Und drum will ich die hohle Welt, verlassen.

WALDBRUDER.

So gehst du mitten aus dem Schauspiel fort

Und zürnst dem Dichter, der nur in der Mitte

Die Tugend zu verkennen scheint. Doch harre

Des Schlusses, den er dir noch vorbehält.

HELIKANUS.

Ich bin es satt, des ekeln leeren Schauspiels,

Wo nichts zusammenhängt und nur Geschwätz

Die müß'gen Szenen füllt. Die Eitelkeit,

Der nicht'ge Übermut, Verstellung, Falschheit

Und Langeweile, die als Narr im Stücke

Belust'gen soll, sind alle mir verhaßt.

WALDBRUDER.

Nun freilich gibt es Leiden, die den Sinn

Selbst der Geduld empören und Vernunft

So leer und nüchtern dastehn lassen wie

Ein schwatzhaft Mädchen, das nur spricht, um schnell

Die lange Zeit des Tages hinzubringen.

Ich will mein Herz in deinen Busen legen,

Wenn du mir sagst, was du gelitten hast.

HELIKANUS.

O Vater – kannst du denken, kannst du fühlen,

Was Jugend fühlt, was kühnes Blut empört?

Kennst du die Liebe? –

WALDBRUDER.

O fernab liegt alles

Im Nebel, tief im dunkeln Tal versteckt; –

O freilich war in meinem Lebenslaufe

Auch einmal Morgenröte, Lerchenklang.

Der dunkle Wald empfing die goldnen Strahlen,[342]

Und glänzende Kronen hingen in den Wipfeln,

Mit frohem Mut wollt' ich zu den höchsten klimmen. –

Da stieg die Sonne, aller Trug verschwand,

Das Tageslicht mit grausam ernster Klarheit

Verzehrte tückisch meinen Morgenglanz,

Ich blieb im Wald der einzig Lebende. –

HELIKANUS.

Nun dann – was hättet, Vater, Ihr im Rausch

Der Phantasie für Euer Glück begonnen?

WALDBRUDER.

Ich hätte – o was nicht? – die starren Felsen

Mit eiserner Geduld geebnet, meine Freunde

Verlassen und in öder Einsamkeit

Nur ihr, nur ihr, der einzigen, gelebt –

Ja, mehr noch – o ich Tor, daß ich als Greis

Gleich einem Jüngling vor Euch stehe, der

Im Taumel seine Zunge nicht bemeistert.

HELIKANUS.

Nun dann, ich hab's getan. Ich sah, ich hörte

Nur sie, die Undankbare, alles Leben

War aus der ewigen Natur geflohn,

Und nur in ihr sah ich mich selbst und fühlte

In ihrer Brust nur, was ich wünschte. Stolz

Ward meine Liebe weggeworfen, keiner

Von meinen Seufzern drang zu ihrem Herzen,

Mein Sehnen, meine feurigste Ergebung

War nur Tribut, nur Zinsen ihrer Schönheit,

Auf die sie, überreich, mit Sicherheit

Schon rechnete. Ich sollte Ruhm erwerben,

Ich sollte die Gefahr bestehn. Ich tat's,

Ich stürzte mich im Kriege ins Getümmel,

Verwundert sah sie mich zurückekehren,

Doch keine Freude blickt' aus ihrem Auge. –

Ich sollte arm sein, und ich warf verachtend

Die Habe vielen Undankbaren zu

Und kam die Hälfte ärmer ihr zurück.

Reich sollt' ich wieder werden, und ich strebte

Mit allen Sinnen nach des Goldes Glanz,

Ich unternahm, was noch kein andrer wagte;

Auch in den Nächten ward mir keine Ruh',

Ich reiste weit hinein in ferne Lande –

Ich kehre wieder, und – verfluchte Stunde. –

Ich kehre wieder, o ihr könnt's nicht fassen,

Für mich ist dieser Wermut nur so bitter; –

Ich kehre wieder – und sie ist verlobt.

WALDBRUDER.

Ein hart Geschick! Doch hört auch die Vernunft –[343]

HELIKANUS.

Und nun, in aller weiten, weiten Welt

Kein Herz, das meines Kummers Hälfte teilte,

So wüst, so leer, so ausgehöhlt die Schöpfung,

Kein Wiederklang im Unermeßlichen –

Nur Hohn, nur bittre Worte, Kälte, höchstens

Ein jämmerlicher Trost mit nicht'gen Worten.

WALDBRUDER.

Doch laßt nur die Vernunft zur Sprache kommen!

HELIKANUS.

Vernunft! Und wißt Ihr, was Ihr damit sagt?

Vernunft befiehlt, ich soll Vernunft verachten,

Vernunft rät mir, den Kopf hier gegen Eichen

Zu rennen, daß es nur vorüber sei. –

WALDBRUDER.

Dann ist Vernunft die echte Raserei!

HELIKANUS.

Ja, wer nur schwatzen kann, ist sehr vernünftig,

Wer gar nicht fühlt, ist überaus vernünftig,

Wer alt und kalt und starr ist, ist vernünftig,

Vor Überklugheit birst, der ist vernünftig!

So sind die Menschen alle, Jammerbrut!

WALDBRUDER.

Du lästerst, doch mit unbeholfner Zunge.

Wie leichtes Spiel, die Wahrheit dich zu lehren.

Wenn deine Leidenschaft nur hören könnte!

Du schiltst die Menschen und bedenkst nicht recht,

Ob du den Menschen denn ein Mensch gewesen.

Vielleicht kam mancher dir mit Schmerz entgegen,

Doch konnte nichts dein eigenliebend Herz

Mit Wehmut rühren, denn da saß das Bild

Der Liebsten, wies mit schnödem, kaltem Hohn

Hinweg, was nicht zu deinen Wünschen paßte.

Nun kommst du her und fluchst und willst dem Walde

Dich treu verbrüdern, wähnst, die Menschen wären

Nicht deiner wert, und dennoch ist es möglich,

Daß du der guten Menschen unwert bist.

Drum geh zurück und nimm die Lehre an –

HELIKANUS.

Sehr weislich! – Aber sagt mir, guter Freund,

Warum habt Ihr die schöne Welt verlassen?

WALDBRUDER.

Weil – still, die Tränen kommen mir zurück; –

Ach, jedermann hat nicht soviel gelitten.

HELIKANUS.

So denkt ein jeder, jeder hält den Schmerz,

Den er empfindet, für den gräßlichsten. –

O sprecht nicht weiter von der Eigenliebe,

Denn Ihr seid selbst auf Euer Unglück stolz,

So schwatzt ein jeder, und ein jeder schwatzt

Nur für sich selber, alle Wörterweisheit[344]

Ist für den Leidenden nur Schellenklang:

Ein Prunk ist's nur, ein bunter Festtagsputz,

In dem die Toren selber sich gefallen.

Und so lebt wohl, Ihr abgelebte Weisheit,

Wie töricht war ich, daß ich bei dem Alter

Für meine jungen Schmerzen Lind'rung suchte. –


Ab.


WALDBRUDER.

Er hat wohl unrecht, aber nicht so sehr.

Ach, freilich wird man alt und zu verständig;

Vernünftig sein, heißt billig sein, doch da

Will jeder den gerechten Richter spielen.

Und ach! Was ist gerecht? – Ein Wort, nichts weiter.


Ein Bauer kommt.


BAUER. Könnt Ihr mir wohl den Weg nach der Residenz weisen?

WALDBRUDER. O ja.

BAUER. Ich wollte gern den König Gottlieb sprechen.

WALDBRUDER.

Kommt mit mir. –

Vielleicht soll's mir bei diesem doch gelingen,

Ihn sicher auf den rechten Weg zu bringen.


Beide ab.


Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in einem Band. Hamburg 1967, S. 341-345.
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