Erste Szene


[226] Berners Schloß, Nacht.

Agnes tritt mit einer Lampe auf, sie stellt sie auf einen Tisch und setzt sich daneben, dann nimmt sie den Schlüssel aus der Tasche.


AGNES. Immer will der Flecken noch nicht fort, ich habe schon den ganzen Tag gerieben, auf alle Art gewaschen, aber er bleibt. – Wenn ich so starr darauf hinblicke, so ist es, als wollte er sich verlieren, aber wenn ich die Augen nach andern Gegenständen richte und dann zu ihm zurückkehre, so ist er immer wieder da, und wie mich dünkt, dunkler als zuvor. Ich könnte sagen, ich hätte ihn verloren, aber das würde seinen Argwohn nur im höchsten Grade reizen. – Vielleicht fordert er mir den Schlüssel nicht gleich ab – vielleicht bemerkt er's auch nicht; – wenn ich ihn ihm gebe, will ich ihm die reine Seite hinreichen; wird er wohl darauf fallen, ihn so genau zu betrachten? – Es kann ja auch sein, daß der Flecken ausgeht, noch ehe er zurückkommt. – Ach, wenn mir der gütige Himmel doch so gnädig sein wollte.


Anne tritt herein.


ANNE. Was ist dir, liebe Schwester?

AGNES. Und wenn es nun nicht geschieht? – Es fehlt nicht viel, so bilde ich mir ein, der Schlüssel weiß um alles und will zu meinem Unglücke nicht wieder rein werden.[226]

ANNE. Schwester!

AGNES. Gott im Himmel! – Wer ist da?

ANNE. Wie du erschrickst! – Ich bin es.

AGNES die schnell den Schlüssel verbirgt. Dacht' ich nicht –

ANNE. Wie hast du dich seit vorgestern verändert, Agnes! – Sprich doch zu mir, deiner Schwester, die dich so außerordentlich liebt, du bist in einer Fieberhitze; – wie du glühst! – Sage doch, fehlt dir etwas?

AGNES. Nein, Schwester, komm, wir wollen wieder zu Bette gehn.

ANNE. Nein, es ist etwas mit dir vorgegangen, das wirst du mir nicht ausreden. – Warum willst du mir aber nicht trauen? Hab' ich dich schon je hintergangen? Hast du mich schon sonst einmal heimtückisch und ohne schwesterliche Liebe gefunden?

AGNES weinend. Niemals, niemals, du bist immer so gut – o viel, viel besser als ich.

ANNE. Nein, das nicht, ach, du hast oft von meinen Launen leiden müssen; vergib mir das. – Kannst du?

AGNES. Wie du sprichst!

ANNE. Ich habe dich nun seit vorgestern beobachtet – du sprichst nicht, du schleichst am Tage umher und verbirgst dich in einem Winkel – des Nachts schläfst du nicht, sondern seufzest so schwer; – teile mir deinen Kummer mit; wenn ich dich auch nicht trösten kann, so kann ich doch vielleicht mit dir deine Leiden tragen.

AGNES. Nun, so höre; – aber du wirst auf mich schelten –

ANNE. Nur, wenn du kein Zutrauen zu mir hast.

AGNES. Du hättest es auch vielleicht getan. – Du weißt, daß ich von Jugend auf gern etwas Neues sah und hörte; – diese unselige Sucht macht mich jetzt unglücklich, kostet mich gewiß mein Leben.

ANNE. Du erschreckst mich.

AGNES. Ich habe es nicht unterlassen können, gestern in der Nacht in das Zimmer zu gehn, das mir der Ritter zu sehn verboten hatte.

ANNE. Und?

AGNES. O wär' ich doch zurückgeblieben! Warum ist der menschliche Geist so eingerichtet, daß ein solches Verbot nur seinen Vorwitz schärft? – Ich weiß nicht, wie ich dir alle Umstände erzählen soll, denn sooft ich nur daran denke, überläuft mich immer noch ein kalter Schauer. – Ich schloß behutsam auf und hatte ein Licht in der Hand, ich nahm[227] mir vor, nur ein wenig hineinzusehn und dann sogleich wie der umzukehren. – Als ich also die Tür aufmachte, sah ich nichts als ein leeres Gemach, im Hintergrunde einen grünen Vorhang, wie vor einem Alkoven oder einem Schlafzimmer. – Ich konnte unmöglich wieder umkehren, der Vorhang sah so geheimnisvoll aus, es war mir, als wenn er sich bewegte, es war von dem Zugwinde, durch die offengelassene Tür. Im Gemach war ein drückender seltsamer Dunst. – Um recht vorsichtig zu sein, zog ich den Schlüssel ab, mit Schauern trat ich herein, und ich hatte eine heimliche Furcht, daß die Tür hinter mir zufallen könnte. – Nun näherte ich mich dem Vorhange, das Herz klopfte mir, ich kann dich versichern, nicht mehr aus Neugier. Ich schlug ihn mit der Hand zurück und sah immer noch nichts, denn das Licht warf nur einen schwachen unbedeutenden Schein hinein. – Ich trat also hinter den Vorhang; – und nun, Schwester, denke, fühle mein Entsetzen: An den Wänden standen fünf Knochengerippe umher – Blut färbte die Wände, Blut lag auf dem Boden. Ich hörte einen lauten Aufschrei im Fenster klingen, ich war es gewiß, die so schrie, der Schlüssel fiel mir aus der Hand, ich war betäubt, es klang, als wenn das Schloß zusammenfiele; – über den Gerippen standen Zettel mit dem Namen der Geschlachteten, und an welchem Tage sie für ihre Neugier bestraft worden sind – oder ob ich mir das nur nachher eingebildet habe, denn ich weiß nicht, wie ich zurückgekommen bin. – Auch die Letzte haben sie dort ermordet und in der Eil wahrscheinlich begraben. – O mit welchen Bildern ist seitdem meine Phantasie angefüllt! – Ich hatte den Schlüssel aufgenommen, er war in Blut gefallen. Nun war ich in der größten Angst, die Tür möchte sich zugeschlossen haben. Ich stürzte gegen den Vorhang mit einer Gewalt, als wenn ich einen Riesen hätte umwerfen wollen, und nun stand ich wieder in dem leeren Gemach. – O denke dir, Schwester, wenn ich die Nacht über in der Behausung hätte bleiben müssen! – Nun hätte der Mond in das Gemach des Jammers hineingeschienen – die Gerippe hätten sich vielleicht bewegt, oder ich hätte mir es wenigstens eingebildet; – ich wäre mit dem Kopf gegen die Mauer gelaufen, ich hätte meine wütenden Arme in die Knochengebäude verwickelt; – ich hätte mich mit dem Tode und Entsetzen wild herumgetummelt; – Denke dir, denke dir nur, Schwester, oh, über solche Vorstellungen kann man wahnsinnig werden.[228]

ANNE. Fasse dich, Agnes, ich halte dich ja hier in meinen Armen.

AGNES. Was macht das? – Die Entsetzlichkeit ist doch nicht weit von uns, du darfst nur zu jener Tür hinaustreten, so liegt die andre vor dir. – O Schwester, was ist dies für ein Schloß.

ANNE. Kind, wir müssen fort, unsere Brüder müssen uns schützen. – Wenn nur die Alte nicht wäre.

AGNES. Sie hilft uns vielleicht.

ANNE. Armes Kind! Sie ist gewiß mit dem Bösewichte einverstanden.

AGNES. Gott, und sie ist so alt!

ANNE. Unglückliche Schwester! –

AGNES. Aber er kommt vielleicht nicht wieder, du machtest mich vorgestern noch mit diesem Gedanken traurig – oh, jetzt ist er fast mein einziger Trost. –

ANNE. Und wenn er nun zurückkommt? –

AGNES. Ach, Schwester, ich glaube, ich bin verloren! – Und die Alte sollte um alles wissen! Wie müßte ihr dabei zumute sein. – Ach, aber sie hat ein entsetzliches Wesen. – Wenn sie nun an alles denkt, wenn ihr die Blutkammer nun immer gegenwärtig ist, wie kann sie essen, trinken und schlafen, und er – er. – Sage mir, wie kann ein solches Ungeheuer aus dem Menschen werden! – Es ist alles wie ein fremdes Märchen, wenn ich es aus der Ferne ansehn; – und dann – daß ich im Mittelpunkte dieses entsetzlichen Gemäldes stehe! –

ANNE. Fasse dich nur, damit wenigstens die Rettung noch möglich, ist, damit nur dein Verstand nicht leidet.

AGNES. Er hat vielleicht schon gelitten. – Ach, Anne, es wäre schrecklich, wenn ich mir nur einbildete, daß du mich so schwesterlich tröstetest, wenn die Alte mir so wie du gegenüber säße. – Sie faßt sie an. Aber du bist es, nicht wahr?

ANNE. Agnes! Agnes! Tue dir selbst Gewalt an, laß den Wahnsinn fahren.

AGNES. Nein, du bist es selbst. – Sieh, diesen verräterischen Schlüssel, Tag und Nacht habe ich daran gearbeitet, diesen schrecklichen Fleck zu vertilgen, aber alles ist umsonst.

ANNE. Erhitze dich nicht noch mehr, sei gelassen.


Mechthilde kommt mit einer Laterne.


ANNE. Seid Ihr auch schon so früh auf?

MECHTHILDE. Ja, ich bin schon das ganze Haus durchkrochen, denn ich habe eine Ahnung, daß unser Herr heut wiederkommt.[229]

AGNES. Der Herr?

MECHTHILDE. Erschreckt Ihr doch ordentlich vor Freuden. – Aber wie kommt ihr beide schon so früh aus den Federn?

ANNE. Meiner Schwester ist nicht wohl –

MECHTHILDE. Nicht wohl? Ihr seid auch ganz blaß; ei, das wird dem Ritter nicht lieb sein. – Ich will, mich zu euch setzen, denn mit dem Schlafen ist es jetzt doch vorbei. Wenn es einmal so früh geworden ist, schlaft man nicht leicht wieder ein.

AGNES. Setzt Euch. –

MECHTHILDE. Wir wollen uns Märchen zur Kurzweil erzählen, das hält die Augen hübsch offen, besonders wenn sie etwas fürchterlich sind.

ANNE. Ich weiß keine, erzählt Ihr uns etwas.

MECHTHILDE. Seht, da geht der liebe Mond schon unter, nun wird der Himmel recht schwarz und finster. – Eure Lampe geht ja auch aus, ich will meine Laterne auf den Tisch stellen. – Ich weiß auch nicht viel, und Erzählen ist sonst nicht meine Sache. – Seht, es wohnte ein Förster einmal in einem dichten, dichten Wald; der Wald war so dicht, daß der Sonnenschein nur immer in kleinen Stückchen herunterfallen konnte; wenn das Jagdhorn geblasen ward, so klang das fürchterlich. In der dichtesten Gegend des Forstes lag nun grade das Haus des Jägers. – Die Kinder wuchsen in der Wildnis auf und sahen gar keine Leute als ihren Vater, denn die Mutter war schon seit langem gestorben.

Um eine gewisse Jahreszeit traf sich's immer, daß der Vater sich den ganzen Tag im Hause eingeschlossen hielt, und dann hörten die Kinder ein seltsames Rumoren um das Haus herum, ein Winseln und Jauchzen, in summa: ein Gelärm wie vom leibhaftigen Satanas. Man brachte dann die Zeit in der Hütte mit Singen und Beten zu, und der Vater warnte die Kinder, ja nicht hinauszugehn.

Es traf sich aber, daß er auf eine Woche, in die der Tag grade fiel, verreisen mußte. Er gab die strengsten Befehle, aber das Mädchen, teils aus Neugier, teils weil sie den Tag aus Unachtsamkeit vergessen hatte, geht aus der Hütte heraus. – Nicht weit vom Hause lag ein grauer stillstehender See, um den uralte verwitterte Weiden standen. Das Mädchen setzt sich an den See, und indem sie hineinsieht, ist es ihr, als wenn ihr fremde bärtige Gesichter entgegensehn; da fangen die Bäume an zu rauschen, da ist es, als wenn es in der Ferne geht, da kocht das Wasser und wird schwarz und[230] immer schwärzer; – mit einem Male ist es, als wenn so Frösche darin umherhüpfen, und drei blutige, ganz blutige Hände tauchen sich hervor und weisen mit dem roten Zeigefinger nach dem Mädchen hin –

AGNES. Blutig? – Schwester! Um Gottes willen, sieh die alte Hexe, wie sie ihr Gesicht verzogen hat! Sieh, Schwester!

MECHTHILDE. Kind, was ist dir?

AGNES. Blutig, sagst du? – Ja, blutig! – Willst du fort! Ich kenne dich nicht mehr, ich mag dein grinsendes Antlitz mir nicht mehr gegenüber, fort! – Solange ich noch hier zu befehlen habe, sollst du mir gehorchen.


Mechthilde geht brummend ab.


ANNE. Schwester, mäßige dich doch.

AGNES. Du hast es nicht gesehn, wie sie sich unter der Erzählung verwandelte.

ANNE. Du bist erhitzt, das sind lauter Einbildungen von dir.

AGNES. Nun, warum spricht sie auch von Blut? – Ich kann das Wort nicht hören, ohne toll zu werden.

ANNE. Du mußt dich notwendig noch zu Bette legen, Schlaf muß dich abkühlen. – Komm! Sie gehn ab.


Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in einem Band. Hamburg 1967, S. 226-231.
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