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Peter wird von Fischern aufgefunden

[157] Aber der Wind blies indes lustig in die Segel, und das Schiffsvolk eilte wieder in das Schiff, um abzufahren, nur Peter blieb aus; man rief ihn, aber da er nicht kam, fuhren die übrigen fort.

Als sie schon weit vom Ufer entfernt waren, erwachte Peter aus seinem erquickenden Schlafe; er erschrak, als er gewahr ward, daß er geschlafen hatte. Et eilte an das Ufer, aber niemand war da, und das Schiff nirgend zu sehn. Da senkte sich eine große Traurigkeit in sein Herz, alle seine Hoffnungen waren wieder verschwunden: er stürzte nieder und lag am Ufer des Meeres ohne Besinnung und in tiefer Ohnmacht, so daß es finstre Nacht wurde und er es nicht bemerkte.

Als es nach Mitternacht kam, ging der Mond auf, und einige Fischer fuhren mit einem Kahne an die Insel, um ihre Arbeit hier vorzunehmen; sie fanden den Jüngling, der für tot auf der Erde ausgestreckt lag. Das feste Land war nicht weit von dieser Insel, sie luden ihn daher in ihr kleines Schiff, und fuhren wieder ab, um ihn ins Leben zurückzubringen. Schon unterwegs erwachte Peter; es dünkte ihm seltsam, als ihm der Mond ins Angesicht schien und er die Ruder seufzen hörte, und wie er vernahm, daß zwei fremde Männer miteinander verabredeten, wie sie ihn zu einem alten Schäfer bringen wollten, der sein pflegen würde. Oft kam es ihm vor wie ein Traum, oft wieder wie Wahrheit, und er zweifelte so lange, bis sie endlich mit dem Aufgang der Sonne landeten.

Als Peter eine Weile in den erquickenden Sonnenstrahlen gelegen hatte, ward er wieder munter und richtete sich auf; er dankte in einem Gebete Gott, daß er ihm wieder von der menschenleeren Insel geholfen habe, dann gab er den guten Fischern eine Menge Goldes, und ließ sich den Weg nach der Hütte des Schäfers beschreiben.

Er ging durch einen dichten, angenehmen Wald, durch dessen dunkle Schatten der Morgen noch dämmerte. Er folgte einem geschlängelten Fußpfade, und überdachte schwermütig sein Schicksal; alles Ungemach, das er erlitten, kam frisch in seine Seele, und er ward darüber so unmutig, daß er von Herzen wünschte, endlich zu sterben.[157]

Mit diesen Gedanken trat er aus dem Walde und stand vor einer schönen grünen Wiese, die im Morgenlicht glänzte; gegenüber lag eine kleine einsame Hütte, und Schafe wurden von einem alten Manne einen Hügel hinangetrieben. Alles schimmerte rot und freundlich, und die stille Ruhe umher brachte auch in Peters Seele Ruhe zurück. Er merkte, daß dies die Hütte sei, die ihm die Fischer bezeichnet hatten, und er wünschte, hier einige Tage zu rasten und sich zu erquicken. Er ging daher über die Wiese, auf der viele wilde Blumen rot und gelb und himmelblau blühten, der kleinen Hütte näher. Vor der Türe saß ein schlankes schönes Mägdlein, zu deren Füßen ein Lamm im Grase spielte; diese sang, indem er über die Wiese schritt:


»Beglückt, wer vom Getümmel

Der Welt sein Leben schließt,

Das dorten im Gewimmel

Verworren abwärts fließt.


Hier sind wir all befreundet,

Mensch, Tier und Blumenreich,

Von keinem angefeindet

Macht uns die Liebe gleich.


Die zarten Lämmer springen

Vergnügt um meinen Fuß,

Die Turteltauben singen

Und girren Morgengruß.


Der Rosenstrauch mit Grüßen

Beut seine Kinder dar,

Im Tale dort der süßen

Violen blaue Schar.


Und wenn ich Kränze winde,

Ertönt und rauscht der Hain,

Es duftet mir die Linde

Im goldnen Mondenschein.


Die Zwietracht bleibt dahinten,

Und Stolz, Verfolgung, Neid,[158]

Kann nicht die Wege finden

Hieher zur goldnen Zeit.


Vor mir stehn holde Scherze

Und trübe Sorge weicht;

Allein mein innres Herze

Wird darum doch nicht leicht.


Weil ich die Liebe kannte

Und Blick und Kuß verstand,

So bin ich nun Verbannte

Weitab im fernen Land.


Die Freude macht mich trübe,

Dunkelt den stillen Sinn,

Denn meine zarte Liebe

Ist nun auf ewig hin.-


Erinnre und erquicke

Dich an vergangner Lust,

Am schwermutsvollen Glücke,

Denn sonst zerspringt die Brust.


Die Morgenröte lächelt

Mir zwar noch ofte zu,

Und matte Hoffnung fächelt

Mich dann in schönre Ruh:


Daß ich ihn wiederfinde,

Den ich wohl sonst gekannt,

Und daß sich um uns winde

Ein glückgewirktes Band.


Wer weiß, durch welche Schatten

Sein Fuß schon heute geht,

Dann kömmt er über Matten

Und alles ist verweht,


Die Seufzer und die Tränen,

Sie löscht das neue Glück,

Und Hoffen, Fürchten, Sehnen

Verschmilzt in einen Blick.«
[159]

Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in vier Bänden. Band 2, München 1963, S. 157-160.
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