13. Willy an seinen Bruder Thomas

[475] Paris.


Lieber Bruder, mir kömmt nun unser liebes England schon ganz nahe vor, so weit es mir auch bei meiner ersten Reise war. Ich bin jetzt schon wieder in Paris, und meine übrige Reise ist mir nur noch wie ein Traum. Ach, lieber Bruder, es war mir alles recht sonderbar, als ich wieder durch dieselben Gegenden und Steingebirge reiste, durch die ich mit meinem Herrn Lovell gefahren bin; oft war ich so in Gedanken, daß ich meinte, ich reise noch mit ihm, und dann war ich so zutraulich und behende mit dem Franzosen, wie mit meinesgleichen. Ich wurde recht betrübt, wenn ich dann beim hellen Scheine der Lichter das fremde Gesicht sah, und ich hatte dann ein ordentliches Heimweh nach meinem Herrn, wenn er mich auch nicht mehr liebt.

Sei nicht böse über mich, lieber Bruder, wenn ich mich so gar sehr darauf freue, Dich wiederzusehn; ich kann es ebensowenig leiden, wie Du, wenn alte Leute sich wie die Kinder gebärden, es ist auch gar nicht mein Fall, und ich mache immer nur so viel unnützes Geschwätz, weil ich zu dem Rechten, was ich Dir sagen will, die Worte nicht finden kann. Es ist doch mit dem Menschen eine kuriose Einrichtung! Ich kann überhaupt mit dem Sprechen und Schreiben noch immer nicht recht ins reine kommen, es laufen mir immer tausend Worte aus dem Munde heraus, die ich nicht haben wollte, und das sind die unnützen Worte, die ich so wenig wie ein andrer Mensch gebrauchen kann, die echten und gediegenen aber sitzen mir inwendig fest, und wollen sich nicht losarbeiten. Noch närrischer ist es, daß ich manchmal wohl auch so einen recht vernünftigen Brocken herausbringen könnte, aber dann ist mir, als wenn ich mich ordentlich schämte, so gescheit wie andre Menschen zu sein, und ich rede denn lieber dumm, um nur die Last wieder loszuwerden. Ich glaube, Thomas, es gibt mehr solche Leute, wie ich bin, und die Anzahl der Dummen ist nicht so groß, als man gewöhnlich glaubt; drum hab ich auch immer einen ordentlichen Respekt vor jedem einfältigen Menschen, weil ich immer meine, er trägt unter seinem schlechten Überrocke ein kostbares Unterfutter.

Wenn ich erst zu Hause bin, und Dich besuche, will ich Dir sehr viel von meiner Reise erzählen. Das ist denn doch am Ende meine ganze Freude, die ich in der langen Zeit gehabt habe.[475]

Hier in Paris bin ich ordentlich wie zu Hause, so bekannt ist mir noch alles, und alles ist noch gerade so, wie damals, als ich hier war. Es ist eine närrische Gotteswelt, in der wir leben, und sie könnte gewiß besser sein, wenn alle Menschen sich nur für Arbeiter in dem Weinberge hielten; aber alle wollen essen, und viele tun doch gar nichts, sondern verderben noch im Gegenteile die Reben, und stören andre Menschen in der Arbeit; und das soll denn heißen, daß sie den ganzen Weinberg regieren und in Ordnung halten.

Je mehr die Menschen nach obenhin klettern, je mehr vergessen sie, daß sie auch nur Menschen sind, sie kennen dann ihre armen Brüder nicht mehr, und Gott nicht mehr. Die Gottesfurcht wohnt überhaupt nur bei den armen und geringen Leuten, die haben sie als ein ordentliches Privilegium und wie ein Schmerzengeld, weil sie viel irdische Übel zu leiden haben; sie dürfen sich auch in ihrem Stande der Furcht des Herrn nicht schämen; sie ist ihr einziger Hausrat und bestes Einkommen. – Ich denke an alle die Sachen, weil ich Dir schon damals schrieb, lieber Bruder, daß es mir hier nicht gefalle. Jetzt geh ich nun in keine Komödie, aber es tut mir auch gar nicht leid. Wenn die Leute, die da so mit Bequemlichkeit über eine Prinzessin weinen, die ihren Galan nicht heiraten soll, nur wüßten, wie viel und größeres Elend es in der Welt gibt. Aber darum wollen sie sich nicht bekümmern, und es rührt keinen, weil die armen Menschen nicht so geputzt sind, und sich nicht mit so schönen Reden aussteuern können.

Gott segne Dich und erhalte Dich gesund, denn in einigen Wochen bin ich bei Dir!

Willy, Dein Bruder.[476]

Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in vier Bänden, Band 1, München 1963, S. 475-477.
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