12. William Lovell an Rosa

[492] Rom.


Wie alles mich immer bestimmter zu jenen Schrecken hinwinkt, denen ich entfliehen wollte! Wie es mich verfolgt und drängt, und doch die gräßliche Leere in mir nicht ausfüllt! – Wie in einem Ozean schwimm ich mit unnützer Anstrengung umher; kein Schiff, kein Gestade, so weit das Auge reicht! unerbittlich streckt sich das wilde Meer vor mir aus, und Nebel streichen verspottend wie Ufer herum, und verschwinden.

Nebelbänke sind unser Wissen und alles, was unsere Seele zu besitzen glaubt; der Zweifel rauft das Unkraut zusamt dem Getreide aus, und in der leeren Wüste schießen andre Pflanzen mit frischer Kraft hervor, deren Farben noch schöner und glänzender spielen. Der Mensch muß denken und eben darum glauben, schlafen und also träumen.

Der Wechsel der Jahreszeiten zerstört die Berge und Felsen, die ewigen Pfeiler der Erde zerbröckeln sich durch Regengüsse, der Mensch durch den Lauf seines Bluts, ein Totenwurm in ihm, der ihn von innen heraus zernagt. Jedes Ding ist Bild und Gegenbild zugleich, es erklärt sich selbst und man sollte nie fragen: Wie hängt diese Erscheinung mit jener zusammen? –[492] Der Geist des Forschens ist die Erbsünde, die uns von unsern ersten gefallenen Eltern angestammt ist.

Alles, was ich sonst meine Gefühle nannte, liegt tot und geschlachtet um mich her, zerpflücktes Spielzeug meiner unreifen Jugend, die zerschlagene magische Laterne, mit der ich meine Zeit vertändelte.

Ich nenne mir manchmal den Namen Amalie oder Rosaline, um alles, wie mit einem Zauberspruche, wieder zum Leben zu erwecken, aber auch die Erinnerung ist abgeblüht, und wenn ich mein ganzes Leben hinuntersehe, so ist mir, als wenn ich über ein abgemähtes Stoppelfeld blicke; ein trüber Herbst wandelt näher, der Nebel wird dichter, und der letzte Sonnenschein erlischt auf den fernen Bergen.

Ich möchte in manchen Stunden von hier reisen und eine seltsame Natur mit ihren Wundern aufsuchen, steile Felsen erklettern, und in schwindelnde Abgründe hinunterkriechen, mich in Höhlen verirren, und das dumpfe Rauschen unterirdischer Wasser vernehmen, ich möchte Indiens seltsame Gesträuche besehen, und aus den Flüssen Wasser schöpfen, deren Name mich schon in den Kindermärchen erquickte; Stürme möcht ich auf dem Meere erleben, und die ägyptischen Pyramiden besuchen; – o Rosa, wohin mit dieser Ungenügsamkeit? und würde sie mir nicht selbst zum Orkus und in Elysium folgen? –

Und lern und erfahr ich denn nicht hier in Rom genug? Genügt mir nicht dies tiefe wunderbare Leben, in dem die Wunder mit den Stunden wechseln? Wohin von hier? Das Gewand der ganzen Erde ist kahl und dürftig – o Balder, ich möchte Dich in den tiefen Gebirgen aufsuchen, um von Dir zu lernen und mit Dir zu leben.

Mein Geist knüpfet sich immer vertrauter an Andrea; ich verstehe ihn, soviel sich zwei Menschen verstehen können, die immer das nämliche meinen und ganz etwas anders sprechen; in jedem Körper liegt die Seele, wie ein armer Gequälter in dem Stiere des Phalaris, sie will ihren Jammer und ihre Schmerzen ausdrücken, und die Töne verwandeln sich und dienen zur Belustigung der umgebenden Menge. –

Doch ich vergesse ganz, was ich erzählen wollte. Man vergißt über Worte sich und alles übrige, wir sprechen selten von uns selbst, sondern meist nur darüber, wie wir von uns sprechen könnten; jeder Brief ist eine Abhandlung voll erlogener Sätze mit einem falschen Titel überschrieben, und so möcht ich denn gern fortfahren zu schwatzen, wenn mich mein Gefühl nicht zu[493] sehr ängstigte und zur Erzählung einer seltsamen Begebenheit hinrisse.

Es war vorgestern, als ich mich im Korso unter dem Gedränge des Karnevals umtrieb; das Geräusch der Menschen und Wagen, das Geschrei, die tausendfältigen Verunstaltungen des menschlichen Körpers und endlich der Glanz der Lichter versetzten mich in einen angenehmen Rausch: am Abend fuhr ich nach dem Festino, in welchem viele der Masken, mit neuen vermehrt, sich wiederfanden.

Eine weibliche Gestalt strich zu wiederholten Malen bei mir vorüber. Ich hatte schon oft das Rauschen ihres seidnen Gewandes gehört und ward jetzt erst aufmerksamer. Mir war, als wenn sie mich recht geflissentlich vor allen übrigen Masken auszeichnete und eine Bekanntschaft mit mir suchte. Wir näherten uns mit den gewöhnlichen Formeln, und mir ward es wunderbar leicht, recht abgeschmackt zu sein; es sammleten sich daher bald mehrere Karikaturmasken, die mich ungemein witzig fanden.

Ich verfolgte die unbekannte Maske bald durch das dickste Gedränge, ich begleitete sie, als sie in eins der Zimmer ging, um sich mit Gefrornem zu erquicken.

Hier sah ich den schönen Wuchs genauer und die zarten Arme; ich bat und flehte, aber sie wollte um keinen Preis die Maske abnehmen. –

Ich verlor sie im Saale wieder aus den Augen, dessen Getön und Gebrause mir jetzt nach der augenblicklichen Ruhe, nach der stillen Erleuchtung des Zimmers innig zuwider war. Ich ging daher fort, um in meinen Wagen zu steigen. Zu meinem Erstaunen finde ich dieselbe Maske vor der Tür, sie vermißt ihren Wagen, ich biete ihr den meinigen an, und sie schlägt das Anerbieten nicht aus. –

Nun waren wir allein im Wagen, und ich wandte alle meine Beredsamkeit an, um sie zu bewegen, die entstellende Maske abzunehmen. Sie tut es endlich mit einer kaltblütigen Bewegung – und oh – die Haare richten sich mir noch empor – – Rosaline sitzt neben mir!

Sie warf mir einen drohenden Blick zu, und wie ein lauter Donnerschlag warf es sich in den Wagen hinein. – Nun hört ich bloß das Rasseln der Räder, wie eine ferne Kaskade – ich fand mich am Morgen in meinem Zimmer wieder.

Meine Hände zittern noch, wenn ich daran denke, und doch ist es vorüber und ich zweifle jetzt selbst daran, daß es war. Weiß ich doch kaum, was ich jetzt tue und denke.[494]

Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in vier Bänden, Band 1, München 1963, S. 492-495.
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