3. Entsagung

[373] 1790.


Meine Früchte sind gebrochen,

Meine Rosen sind gepflückt,

Und das letzte, frohe Pochen

Dieses Herzens ist erstickt;

Dieses Herzens, das so innig

Seine Lieb' um alles schlang,

Seinen Haß so gern versang,

Nur vielleicht zu eigensinnig

Gegen Sturm und Fluten rang.


Was, o Herz, hast du errungen?

Wo ist dein gelobtes Land?

Deine schönsten Huldigungen

Nahm die Hoffnung an – und schwand.

Nun ist dieser Mut geschieden,

Der so stolz die Flügel schlug,

Und auf seinem Adlerflug

Meine Seel' und ihren Frieden

Mitten durch die Stürme trug.


Dich nur kenn' ich noch, o Freude,

Die du dem Geräusch entweichst,

Und zur dunkeln Thränenweide

Gern mit deiner Wehmut schleichst.

Dort umwankt mich noch ein Schimmer,

Wie ein Geist aus toter Welt,

Der sich still zu mir gesellt,

Und im Dunkellicht die Trümmer

Der Vergangenheit erhellt.


Alles ist vorüberfliehend.

Weinend reißt sich aus dem Schoß

Eines Lebens, das so blühend

Sie umfing, die Seele los.[374]

Unter frommen Nachtigallen

Ist mein schönster Traum verhallt;

Wachend seh' ich jetzt: der Wald

Wird, wenn seine Blätter fallen,

Heller wird er, aber kalt.


Über Gegendruck und Mängel

Flog ich hin, mit Lust und Scherz;

Alle Menschen waren Engel,

Alle lud ich in mein Herz.

Alles, alles fühlt' ich leiser,

Was das Leben niederdrückt,

Leicht befriedigt, leicht entzückt:

Jetzt bin ich ein wenig weiser

Und viel weniger beglückt.


Junge, heitre Wünsche traten

Hin vor meine Phantasie,

Die für alles, was sie baten,

Ihnen Zuversicht verlieh;

Furchtlos, irgendwo zu stranden,

Schifften sie den Strom der Zeit,

Unter scherzendem Geleit,

Rasch und fröhlich hin, und fanden

Nicht das Land der Seligkeit.


Doch war schön die Zeit der Blüte,

Schön die Thyrsusschwingerin;

Hold, wie lauter Lieb' und Güte,

Froh, wie lauter Lebenssinn,

Warf sie freundlich auf den Reigen

Meiner Stunden ihren Kranz;

Angethan mit ihrem Glanz,

Hielten unter Rosenzweigen

Glaub' und Hoffnung ihren Tanz.


Glaub' und Hoffnung, immer leiser

Schlichen sie von mir sich fort;

Meine schönsten Lebensreiser

Sind von mir hinweg gedorrt.[375]

Und die Welt? – ach! die Geschichte

Ist der Wiederhall der Zeit,

Die sich mit sich selbst entzweit.

Komm', mein Herz, o komm' und flüchte

In den Schoß der Einsamkeit.


Wird die Welt uns noch vermissen,

Wenn in ihr uns nichts genügt?

Wenn der Fremdling, abgerissen,

Wie ein dürrer Zweig da liegt? –

O, dann muß er scheiden lernen!

Hier ist nicht das Land der Ruh!

Armer Pilger, steure du,

Unter ausgelöschten Sternen,

Tröstender Entsagung zu.


Kein verzagendes Gewinsel

Zögre deinen raschen Lauf;

Eine stille Friedensinsel

Nimmt dich endlich schirmend auf.

Doch, ihr fernen Huldgestalten,

Ihr verlaßt den Fremdling nicht;

Ihr seid ihm ein stilles Licht,

Wenn die finstern Stürme walten,

Und das morsche Fahrzeug bricht.

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 135, Stuttgart [o.J.], S. 373-376.
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