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[277] Nachdem die Verlobung beendet war, breitete ein Kirchendiener vor dem Chorpulte in der Mitte der Kirche ein Stück rosa Seidengewebe aus, der Chor stimmte einen kunstvoll vertonten Psalm an, bei dem Baß und Tenor einander antworteten, und der Geistliche wandte sich zu den Verlobten um und deutete auf das rosafarbene Zeug. So oft und so viel sie nun auch schon beide von dieser Vorbedeutung gehört hatten, daß, wer zuerst auf den Teppich trete, der Herr im Hause sein werde, so war doch weder Ljewin noch Kitty, während sie diese wenigen Schritte vortraten, imstande, daran zu denken. Ebensowenig hörten sie die lauten Bemerkungen und den Streit darüber, ob, was einige beobachtet haben wollten, er zuerst daraufgetreten sei oder, wie andere meinten, beide zugleich.[277]

Nach den üblichen Fragen, ob sie den Wunsch hätten, miteinander die Ehe zu schließen, und ob sie sich nicht schon anderen versprochen hätten, und nach ihren Antworten, die ihnen selbst sonderbar klangen, begann der zweite Teil der Feier, die Trauung. Kitty hörte auf die Worte des Gebetes hin und hätte gern ihren Sinn verstanden; aber sie war nicht imstande dazu. Ein Gefühl des Triumphes und der hellen Freude erfüllte, je weiter die heilige Handlung fortschritt, immer mehr und mehr ihre Seele und machte ihr eine eindringende Aufmerksamkeit unmöglich.

Es wurde gebetet: »Verleihe ihnen Keuschheit und Frucht des Leibes zu ihrem Besten und laß sie sich erfreuen am Anblick ihrer Söhne und Töchter.« Es kam darin auch vor, daß Gott das Weib aus der Rippe Adams geschaffen habe, und: »Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und an seinem Weibe hangen, und sie werden sein ein Fleisch«, und: »Dies ist ein hohes Geheimnis«. Da war auch die Bitte, Gott möge ihnen Fruchtbarkeit und Segen verleihen, wie Isaak und Rebekka, Joseph, Moses und Zipporah, und ihnen vergönnen, noch Söhne ihrer Söhne zu sehen. ›Alles das ist wunderschön‹, dachte Kitty, als sie diese Worte hörte, ›und so, und nicht anders, muß auch alles sein‹, und ein Lächeln der Freude, das sich unwillkürlich allen mitteilte, die sie ansahen, leuchtete auf ihrem strahlenden Gesicht.

»Setzen Sie sie ihr ganz auf!« rieten flüsternd einige der Umstehenden, als zunächst der Geistliche ihnen die Kronen aufgesetzt hatte und nun der junge Schtscherbazki mit zitternder, in einem dreiknöpfigen Handschuh steckender Hand Kittys Krone hoch über ihrem Kopfe hielt.

»Setzen Sie sie mir auf«, flüsterte sie lächelnd.

Ljewin blickte zu ihr hin und war von dem freudigen Glanze überrascht, der auf ihrem ganzen Gesicht lag; und dieses Gefühl teilte sich ihm unwillkürlich mit. Ebenso wie ihr wurde auch ihm hell und froh zumute.

Es machte ihnen Freude, zuzuhören, wie aus den Apostelbriefen vorgelesen wurde, und bei dem letzten Verse, auf den das fremde Publikum mit größter Ungeduld gewartet hatte, rollte die Stimme des Protodiakons wie Donner. Es machte ihnen Freude, aus der flachen Schale den warmen, mit Wasser vermischten Rotwein zu trinken, und noch höher stieg ihre Freude, als der Geistliche sein Meßgewand zurückschlug, beider Hände in die seinigen nahm und sie, während die Baßstimme dröhnend den Hymnus auf die Mutter Gottes: »Jauchze, Jesaias!« anstimmten, um das Chorpult herumführte. Der junge Schtscherbazki[278] und Tschirikow, die die Kronen über den Häuptern des Brautpaares hielten und gleichfalls lächelten und sich über irgend etwas freuten, blieben manchmal zurück und prallten ein paarmal, wenn der Geistliche stehenblieb, gegen die Brautleute an. Der Freudenfunke, der bei Kitty aufgeflammt war, schien bei allen in der Kirche Anwesenden weitergezündet zu haben. Ljewin hatte die Vorstellung, als ob auch der Geistliche und der Protodiakon ebensolche Lust zu lächeln hätten wie er selbst.

Der Geistliche nahm die Kronen von ihren Häuptern herab, las das letzte Gebet und beglückwünschte das junge Paar. Ljewin blickte auf Kitty und hatte sie noch nie so schön gesehen wie jetzt. Sie war entzückend in dem neuen Glanze von Glückseligkeit, der auf ihrem Antlitz lag. Ljewin hätte ihr gern etwas gesagt, wußte aber nicht, ob auch wirklich alles zu Ende sei. Der Geistliche half ihm aus dieser Schwierigkeit heraus. Indem ein gutmütiges Lächeln seinen Mund umspielte, sagte er leise: »Küssen Sie Ihre Gattin, und Sie Ihren Gatten«, und nahm ihnen die Kerzen aus den Händen.

Ljewin küßte behutsam Kittys lächelnde Lippen, reichte ihr den Arm und ging, indem er sich in neuer, eigenartiger Weise ihr nahe fühlte, aus der Kirche. Er glaubte nicht, konnte nicht glauben, daß das alles Wirklichkeit war. Nur wenn seine und ihre verwunderten, schüchternen Blicke einander trafen, nur dann glaubte er daran, weil er fühlte, daß sie beide schon eins waren.

Nach dem Hochzeitsessen fuhr das junge Paar noch in derselben Nacht nach dem Gute.

Quelle:
Tolstoj, Lev Nikolaevic: Anna Karenina. 3 Bde., Berlin 1957, Band 2, S. 277-279.
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