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[7] Auf der Terrasse hatte sich die ganze weibliche Gesellschaft versammelt. Die Damen saßen überhaupt gern dort nach dem Mittagessen; heute aber war dort auch noch eine hauswirtschaftliche Arbeit zu verrichten. Außer dem Nähen von Kinderhemdchen und dem Stricken von Wickelbändern, womit alle beschäftigt waren, wurde dort heute Obst eingekocht, und zwar nach einer Methode, die für Agafja Michailowna etwas Neues war, nämlich ohne Zusatz von Wasser. Kitty hatte diese neue Methode, die in ihrem Elternhause üblich war, einführen wollen, und Agafja Michailowna hatte daher vor einiger Zeit Auftrag erhalten, in dieser Weise zu verfahren. Aber da sie der Ansicht war, das Verfahren, das von jeher im Ljewinschen Hause befolgt werde, könne unmöglich schlecht sein, so hatte sie doch sowohl an die Wald-wie an die Gartenerdbeeren Wasser gegossen und hartnäckig behauptet, es ginge überhaupt nicht anders; sie war dabei ertappt worden, und nun wurden die Himbeeren in Gegenwart aller eingekocht, und Agafja Michailowna sollte zu der Einsicht gebracht werden, daß das Eingemachte auch ohne Wasserzusatz gut geraten könne.

Mit erhitztem Gesicht und gekränkter Miene, mit wirrem Haar, die mageren Arme bis zu den Ellbogen entblößt, schaukelte Agafja Michailowna mit kreisförmiger Bewegung den Kessel über der Kohlenpfanne, blickte finster auf die Himbeeren und wünschte von ganzem Herzen, daß sie zu steif werden und nicht ordentlich kochen möchten. Die Fürstin, die sich sagte, Agafja Michailownas Zorn richte sich gewiß ganz besonders gegen sie als die Hauptanstifterin bei dieser Himbeerkocherei, suchte den Anschein zu erwecken, als sei sie mit ganz anderen Dingen beschäftigt und denke gar nicht an die Himbeeren; sie sprach von anderem, schielte aber ab und zu nach der Kohlenpfanne.

»Ich kaufe immer für die Dienstmädchen Kleider auf Ausverkäufen«, sagte die Fürstin in Fortsetzung eines begonnenen Gespräches. »Ob es jetzt nicht Zeit wäre, den Schaum abzunehmen, liebe Agafja?« fügte sie, zu dieser gewendet, hinzu. »Du brauchst das gar nicht selbst zu tun, Kitty; es ist zu heiß für dich«, fuhr sie, ihre Tochter zurückhaltend, fort.

»Ich will es machen«, sagte Dolly, stand auf und begann mit einem Löffel vorsichtig durch den schäumenden Zuckersaft zu fahren; ab und zu klopfte sie, um das, was am Löffel haftengeblieben war, loszubekommen, mit ihm gegen einen Teller, der bereits von verschiedenfarbigem, gelbrosigem Schaum und blutfarbenem,[8] sich nach unten ziehendem Sirup bedeckt war. ›Wie er ihnen zum Tee schmecken wird!‹ dachte sie in Gedanken an ihre Kinder und erinnerte sich, wie sie selbst sich als Kind darüber gewundert hatte, daß die Großen gerade das Beste, den Schaum, nicht äßen.

»Stiwa meint, es sei viel zweckmäßiger, Geld zu geben«, setzte Dolly unterdessen das begonnene Gespräch über die beste Art, die Dienstmädchen zu beschenken, fort. »Aber ...«

»Wie kann man nur Geld schenken!« riefen die Fürstin und Kitty wie aus einem Munde. »Das wissen die Mädchen gar nicht zu schätzen.«

»Da habe ich zum Beispiel im vorigen Jahr für unsere Matrona Semjonowna einen Stoff gekauft, nicht Popeline, aber etwas ganz Ähnliches«, sagte die Fürstin.

»Ich erinnere mich; sie hatte das Kleid an Ihrem Namenstage an.«

»Es war ein allerliebstes Muster, so einfach und vornehm. Ich hätte mir am liebsten selbst ein solches Kleid machen lassen, wenn ich nicht schon eins gehabt hätte. Es war so in der Art wie Warjenkas Kleid. So hübsch und so billig.«

»Nun, jetzt, glaub ich, ist er fertig«, sagte Dolly und ließ zur Probe den dicken Saft vom Löffel herunterlaufen.

»Wenn er Kringel bildet, dann ist er gut. Lassen Sie ihn noch ein bißchen kochen, Agafja Michailowna.«

»Nein, diese Fliegen!« schalt Agafja Michailowna ärgerlich. »Der Saft wird jetzt nicht mehr anders«, fügte sie hinzu.

»Ach, wie niedlich! Jagt ihn nicht weg!« sagte auf einmal Kitty und blickte nach einem Sperling, der auf dem Geländer saß, das Zäpfchen von einer Himbeere hin und her drehte und daran pickte.

»Ja, aber du solltest etwas weiter von der Kohlenpfanne weggehen«, ermahnte die Mutter.

»A propos de Warjenka«, sagte Kitty auf französisch, wie sie denn die ganze Zeit über französisch gesprochen hatten, damit Agafja Michailowna sie nicht verstehen sollte. »Sie wissen, maman, daß ich heute glaube, die Entscheidung erwarten zu müssen. Sie verstehen, welche Entscheidung. Wie schön das wäre!«

»Aber was hat sie für eine meisterhafte Geschicklichkeit im Ehestiften!« sagte Dolly. »Wie behutsam und schlau sie die beiden zusammenbringt ...«

»Nun, sagen Sie doch, maman, wie denken Sie darüber?«

»Ja, was soll ich darüber denken? Er« (mit ›er‹ meinte sie Sergei Iwanowitsch) »konnte früher zu jeder Zeit die beste Partie[9] in ganz Rußland machen; jetzt ist er ja gerade nicht mehr jung; aber trotzdem würde ihn auch jetzt noch manches Mädchen nehmen, das weiß ich sicher ... Sie ist ein sehr gutes Mädchen; aber er könnte ...«

»Nein, bitte, hören Sie nur einmal zu, Mama, warum sowohl für ihn wie für sie dies das Beste ist, was man überhaupt ausdenken könnte. Erstens: sie ist allerliebst!« sagte Kitty, indem sie einen Finger einbog.

»Sie gefällt ihm sehr, das ist sicher«, bemerkte Dolly zustimmend.

»Zweitens: er nimmt in der Welt eine solche Stellung ein, daß er bei der Wahl seiner Frau weder auf Vermögen noch auf gesellschaftlichen Rang irgendwelchen Wert zu legen braucht. Was er nötig hat, ist nur eines: eine gute, liebe Frau, eine Frau von ruhigem Charakter.«

»Ja, mit ihr hat ein Mann ein ruhiges Leben«, meinte auch Dolly.

»Drittens: sie muß ihn lieben. Und auch das ist der Fall ... ich wollte sagen: es wäre prächtig, wenn auch das der Fall wäre! ... Ich erwarte, daß, wenn sie wieder aus dem Walde herauskommen, alles entschieden ist. Ich werde es ihnen gleich an den Augen ansehen. Ich würde mich so sehr darüber freuen! Wie denkst du darüber, Dolly?«

»Rege dich nur nicht so auf«, sagte die Mutter. »Aufregung ist dir ganz und gar nicht zuträglich.«

»Ich rege mich ja auch gar nicht auf, Mama. Ich denke mir nur, er macht ihr heute einen Antrag.«

»Ach ja, es ist doch etwas recht Sonderbares, wenn einem ein Mann einen Antrag macht ... Zuerst ist da so eine Art Scheidewand gewesen, und nun wird die auf einmal niedergerissen«, sagte Dolly träumerisch lächelnd und dachte an ihr einstiges Erlebnis mit Stepan Arkadjewitsch.

»Mama, wie hat Ihnen denn Papa einen Antrag gemacht?« fragte Kitty auf einmal.

»Es war nichts Ungewöhnliches dabei; es machte sich ganz einfach«, antwortete die Fürstin; aber ein heller Schein zog bei dieser Erinnerung über ihr Gesicht.

»Aber sagen Sie doch, wie es dabei zuging. Sie haben ihn doch gewiß schon geliebt, ehe Sie es sagen durften?«

Kitty fand einen ganz besonderen Reiz darin, daß sie jetzt mit ihrer Mutter wie mit einer Gleichgestellten über diese wichtigsten Fragen im Frauenleben reden konnte.

»Natürlich liebte er mich; er kam häufig zu uns aufs Gut.«

»Aber wie kam es denn zum Ausdruck, Mama?«[10]

»Du denkst wohl, daß ihr etwas Neues erfunden habt? Das ist immer dieselbe Sache: durch die Augen kam es zum Ausdruck und durch die lächelnden Mienen ...«

»Wie hübsch Sie das gesagt haben, Mama! Ganz richtig: durch die Augen und durch die lächelnden Mienen«, stimmte Dolly bei.

»Aber mit welchen Worten hat er es Ihnen denn gesagt?«

»Mit welchen Worten hat es dir denn dein Konstantin gesagt?«

»Er hat es mit Kreide aufgeschrieben. Das war etwas ganz Wunderbares ... Wie weit das schon hinter mir liegt!« fügte sie hinzu.

Und die drei Frauen hingen ihren Gedanken über ein und denselben Gegenstand nach. Kitty war die erste, die das Stillschweigen unterbrach. Es war ihr die Erinnerung an den ganzen letzten Winter vor ihrer Verheiratung und an ihre Schwärmerei für Wronski gekommen.

»Eines ist unangenehm ... das ist Warjenkas frühere Liebschaft«, sagte sie; ein natürlicher Gedankengang hatte sie hierauf geführt. »Ich möchte gern zu Sergei Iwanowitsch ein Wort davon sagen, ihn vorbereiten. Sie, ich meine alle Männer«, fügte sie hinzu, »sind doch furchtbar eifersüchtig auf unsere Vergangenheit.«

»Nicht alle«, versetzte Dolly. »Du urteilst so nach deinem Manne. Der quält sich noch bis auf den heutigen Tag mit der Erinnerung an Wronski herum. Ja? Habe ich recht?«

»Freilich«, antwortete Kitty mit wehmütigem Lächeln.

»Ich verstehe nur nicht«, sagte die Fürstin, um die Art, wie sie als Mutter ihre Tochter beaufsichtigt hatte, zu verteidigen, »was ihn eigentlich an deiner Vergangenheit beunruhigen könnte. Daß Wronski dir den Hof gemacht hat? Dergleichen kommt bei jedem jungen Mädchen vor.«

»Wir wollen nicht davon sprechen«, erwiderte Kitty errötend.

»Nein, erlaube«, fuhr die Mutter fort, »und dann hast du selbst mir nicht gestatten wollen, mit Wronski zu sprechen. Weißt du das wohl noch?«

»Ach, Mama!« sagte Kitty mit einem Ausdruck seelischen Leidens.

»Ja, die jungen Mädchen lassen sich heutzutage nicht zurückhalten ... Übrigens war es ausgeschlossen, daß deine Beziehungen zu ihm sich weiter entwickelt hätten, als sie durften; ich selbst würde ihn veranlaßt haben, mit der Sprache herauszugehen. Aber es tut dir nicht gut, liebes Kind, daß du dich aufregst. Bitte, denke daran und beruhige dich.«

»Ich bin ganz ruhig, maman.«[11]

»Welch ein Glück war es damals für Kitty, daß Anna zu uns kam«, sagte Dolly, »und welch ein Unglück ist nachher für sie selbst daraus entstanden! Es ist alles gerade umgekehrt gekommen«, fügte sie, von ihrem eigenen Gedanken überrascht, hinzu. »Damals war Anna so glücklich, und Kitty hielt sich für unglücklich. Wie hat sich das doch ins Gegenteil verkehrt. Ich muß oft an sie denken!«

»Das verdient sie auch gerade, daß du an sie denkst! So ein garstiges, abscheuliches, herzloses Frauenzimmer!« schalt die Mutter, die es nicht vergessen konnte, daß um ihretwillen Kitty nicht Wronski, sondern Ljewin geheiratet hatte.

»Was kann das nur für einen Reiz haben, davon zu reden!« sagte Kitty ärgerlich. »Ich denke an die Geschichte nicht mehr und will nicht mehr daran denken ... Ich will nicht mehr daran denken ...«, sagte sie und hörte in diesem Augenblick die ihr wohlbekannten Schritte ihres Mannes auf der zur Terrasse heraufführenden Treppe.

»Nun, woran willst du denn nicht denken?« fragte Ljewin, auf die Terrasse tretend.

Aber niemand antwortete ihm, und er wiederholte seine Frage nicht.

»Es tut mir leid, daß ich euer Frauengespräch gestört habe«, sagte er, indem er unzufrieden von einer zur andern blickte; er merkte, daß sie von etwas gesprochen hatten, das sie in seiner Gegenwart nicht erwähnen mochten.

Eine Sekunde lang war es ihm, als teile er Agafja Michailownas Gefühl, nämlich die Unzufriedenheit über das Einkochen der Himbeeren ohne Wasser und überhaupt über den fremden Schtscherbazkischen Einfluß. Indessen lächelte er doch und trat zu Kitty.

»Nun, wie geht es dir?« fragte er sie und sah sie dabei mit dem gleichen Ausdruck an, den jetzt alle im Verkehr mit ihr zeigten.

»Oh, sehr gut«, versetzte Kitty lächelnd. »Und wie steht es bei dir?«

»Auf so einen neuen Getreidewagen kann dreimal soviel aufgeladen werden wie auf einen gewöhnlichen Bauernwagen. Wollen wir nun hinfahren und die Kinder zurückholen? Ich habe anspannen lassen.«

»Du willst doch nicht Kitty in dem Break fahren lassen?« fragte die Mutter vorwurfsvoll.

»Wir fahren ja Schritt, Fürstin.«

Ljewin nannte die Fürstin nie maman, wie es andere Schwiegersöhne tun, und das war der Fürstin unangenehm. Aber obwohl Ljewin die Fürstin sehr gern hatte und hochschätzte, so[12] konnte er sie doch nicht so nennen, ohne seine Empfindung gegen seine verstorbene Mutter zu verletzen.

»Fahren Sie doch mit uns, maman«, sagte Kitty.

»Solche Unvernunft mag ich nicht mit ansehen.«

»Nun, dann gehe ich zu Fuß. Das ist mir ja gesund.« Kitty stand auf, trat zu ihrem Manne hin und faßte ihn bei der Hand.

»Gesund ist es schon; aber alles mit Maß und Vernunft«, versetzte die Fürstin.

»Nun, wie steht's, Agafja Michailowna, ist das Eingemachte fertig?« fragte Ljewin und lächelte der Alten zu, um sie aufzuheitern. »Ist es auf die neue Art gut geworden?«

»Es wird ja wohl gut sein. Nach unserer Auffassung ist es zu sehr eingekocht.«

»Es ist sogar besser so, Agafja Michailowna. Es wird auf diese Art nicht sauer, und unser Eis ist uns doch jetzt schon geschmolzen, so daß wir das Eingemachte nirgends sicher aufbewahren können«, sagte Kitty, die die Absicht ihres Mannes sofort verstanden hatte und sich aus derselben Empfindung heraus an die alte Frau wandte. »Aber dafür ist auch alles, was Sie eingepökelt haben, so wunderschön, daß Mama sagt, so etwas Schönes hätte sie noch nirgends gegessen«, fügte sie lächelnd hinzu und brachte ihr das Halstuch in Ordnung.

Agafja Michailowna warf der jungen Frau einen zornigen Blick zu.

»Zu trösten brauchen Sie mich nicht, gnädige Frau. Aber wenn ich Sie und ihn ansehe, dann wird mir gleich wieder wohl ums Herz«, sagte sie, und dieser naturwüchsige Ausdruck »und ihn« statt »und Konstantin Dmitrijewitsch« hatte für Kitty etwas Rührendes.

»Fahren Sie mit uns Pilze suchen. Sie können uns die guten Stellen zeigen.«

Agafja Michailowna lächelte und schüttelte den Kopf, als wenn sie sagen wollte: ›Ich möchte Ihnen gern böse sein, aber ich bekomme es nicht fertig.‹

»Bitte, folgen Sie nur meinem Rat«, sagte die alte Fürstin; »legen Sie über das Eingemachte ein Blatt Papier und feuchten Sie es mit Rum an, dann wird es auch ohne Eis nie schimmelig werden.«

Quelle:
Tolstoj, Lev Nikolaevic: Anna Karenina. 3 Bde., Berlin 1957, Band 3, S. 7-13.
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