XX

[333] Eines Morgens kam der Oberst Adolf Berg, mit welchem Pierre, wie überhaupt mit allen Leuten in Moskau und Petersburg, bekannt war, zu ihm; er trug eine funkelnagelneue[333] Uniform und hatte das Haar an den Schläfen ebenso nach vorn gestrichen und pomadisiert, wie es der Kaiser Alexander Pawlowitsch trug.

»Ich war soeben bei der Gräfin, Ihrer Gemahlin, und mußte leider hören, daß sie meine Bitte nicht erfüllen kann. Ich hoffe, bei Ihnen, Graf, mehr Glück zu haben«, sagte er lächelnd.

»Was ist Ihnen gefällig, Oberst? Ich stehe zu Ihren Diensten.«

»Ich bin jetzt mit der Einrichtung meiner neuen Wohnung vollständig fertig, Graf«, teilte ihm Berg mit, offenbar überzeugt, daß es einem jeden eine Freude sein müsse, dies zu hören, »und daher möchte ich gern für meine Bekannten und für die Bekannten meiner Frau so eine kleine Abendgesellschaft veranstalten.« (Er lächelte noch freundlicher.) »Ich wollte die Gräfin und Sie bitten, uns die Ehre zu erweisen, zu einer Tasse Tee und zum Abendbrot zu uns zu kommen.«

Nur die Gräfin Jelena Wasiljewna, die es unter ihrer Würde hielt, mit Leuten wie Bergs gesellschaftlich zu verkehren, konnte so grausam sein, eine solche Einladung auszuschlagen. Berg sprach es mit solcher Offenheit aus, warum er den Wunsch habe, eine kleine, auserlesene Gesellschaft bei sich zu sehen, und warum es ihm angenehm sein würde, wenn sie kämen, und daß ihm für Kartenspiel und andere schlechte Dinge das Geld leid tue, daß er aber für eine gute Gesellschaft auch bereit sei, Ausgaben zu machen – das alles sagte er so offen, daß Pierre es nicht übers Herz brachte, ihm eine abschlägige Antwort zu geben, und zu kommen versprach.

»Nur nicht zu spät, Graf, wenn ich bitten darf; so etwa zehn Minuten vor acht, möchte ich bitten. Wir wollen eine Kartenpartie arrangieren; unser General wird auch dasein. Er ist mir sehr gewogen. Und dann haben wir ein kleines Souper, Graf. Also haben Sie die Liebenswürdigkeit!«[334]

Ganz entgegen seiner Gewohnheit, zu spät zu kommen, fand sich Pierre an diesem Tag statt zehn Minuten vor acht schon um dreiviertel acht bei Bergs ein.

Herr und Frau Berg waren bereits mit allen nötigen Anordnungen für die Abendgesellschaft fertig und zum Empfang der Gäste bereit.

In seinem neuen, sauberen, hellerleuchteten, mit neuen Möbeln ausgestatteten und mit Büsten und Gemälden geschmückten Arbeitszimmer saß Berg mit seiner Frau. Er saß in seiner neuen, zugeknöpften Uniform neben ihr und setzte ihr auseinander, man könne und müsse immer mit Leuten Umgang unterhalten, die über einem ständen, weil man nur dann von dem Umgang Vorteil habe. »Solchen Leuten kann man manches absehen, und man kann sie auch um dies und das bitten. Sieh nur, wie ich von den untersten Stufen an verfahren bin.« (Berg rechnete sein Leben nicht nach Jahren, sondern nach den Avancements.) »Meine ehemaligen Kameraden haben es jetzt noch zu nichts gebracht, und ich vertrete den Regimentskommandeur und habe das Glück, dein Gatte zu sein.« (Er stand auf und küßte seiner Frau die Hand, legte aber, während er zu ihr trat, eine Ecke des Teppichs zurecht, die sich umgeschlagen hatte.) »Und wodurch habe ich alles das erreicht? Hauptsächlich dadurch, daß ich es verstanden habe, meinen Verkehr richtig zu wählen. Es versteht sich von selbst, daß man auch rechtschaffen und pflichttreu sein muß.«

Berg lächelte im Bewußtsein seiner Überlegenheit über so ein beschränktes weibliches Wesen und schwieg dann, weil er sich sagte, daß seine liebe Frau doch eben nur ein beschränktes Weib sei, das kein rechtes Verständnis dafür habe, worin der Wert eines Mannes bestehe. Gleichzeitig lächelte auch Wjera in dem Bewußtsein ihrer Überlegenheit über ihren Mann, der ja ein rechtschaffener, guter Mensch war, aber doch, wie alle Männer[335] nach Wjeras Begriffen, das Leben falsch auffaßte. Berg, nach seiner Frau urteilend, hielt alle Frauen für beschränkt und dumm. Wjera, die nur nach ihrem Mann urteilte und diese Beobachtung verallgemeinerte, war der Ansicht, alle Männer hielten sich allein für klug, verständen aber dabei doch gar nichts und seien hochmütig und egoistisch.

Berg stand auf, umarmte seine Frau vorsichtig, um nicht die Spitzenpelerine zu verdrücken, für die er viel Geld ausgegeben hatte, und küßte sie mitten auf den Mund.

»Ich habe nur den einen Wunsch, daß wir nicht so bald Kinder bekommen«, sagte er infolge einer Gedankenverknüpfung, die ihm selbst nicht zum Bewußtsein kam.

»Ja«, antwortete Wjera, »ich wünsche mir überhaupt keine. Man muß für den gesellschaftlichen Verkehr leben.«

»Genau ebenso eine hatte die Fürstin Jusopowa«, sagte Berg und deutete mit einem glückseligen, gutherzigen Lächeln auf Wjeras Pelerine.

In diesem Augenblick wurde Graf Besuchow gemeldet. Die beiden Ehegatten wechselten miteinander einen selbstzufriedenen Blick, indem ein jeder es sich zurechnete, daß ihnen die Ehre dieses Besuches zuteil wurde.

»Da sieht man, was es nützt, wenn man versteht Bekanntschaften zu machen«, dachte Berg, »und was es nützt, wenn man etwas auf sich hält!«

»Nur, bitte, wenn ich die Gäste unterhalte«, sagte Wjera, »unterbrich mich nicht immer. Ich weiß ganz genau, womit man einen jeden unterhalten muß, und für welche Gesellschaft das eine oder das andere Thema paßt.«

Berg lächelte.

»Allein kannst du es denn doch nicht übernehmen; manchmal ist für Männergesellschaft auch ein Männergespräch nötig.«[336]

Pierre wurde in dem neuen Salon empfangen, in dem man sich nirgends hinsetzen konnte, ohne die Symmetrie, Sauberkeit und Ordnung zu stören, und daher war es sehr begreiflich und keineswegs sonderbar, daß Berg sich zwar in großmütiger Weise bereit erklärte, die Symmetrie der Lehnstühle oder des Sofas um des teuren Gastes willen zu verderben, aber doch, da er selbst in dieser Hinsicht sich augenscheinlich in einer peinlichen Unentschlossenheit befand, die Entscheidung dieser Frage dem Belieben des Gastes anheimstellte. So zerstörte denn Pierre die Symmetrie, indem er sich einen Stuhl heranzog, und nun ließen Berg und Wjera sofort ihre Abendgesellschaft beginnen: sie unterhielten den Gast und unterbrachen einander abwechselnd.

Wjera, die in ihrem klugen Kopf zu dem Resultat gelangt war, Pierre müsse mit einem Gespräch über die französische Gesandtschaft unterhalten werden, brachte sofort diesen Gegenstand aufs Tapet. Berg aber, der sich sagte, daß auch ein Männergespräch vonnöten sei, unterbrach seine Frau dadurch, daß er die Frage eines Krieges mit Österreich berührte, und ging dann unwillkürlich von dem allgemeinen Gegenstand zu einer Erörterung der Anerbietungen über, die ihm für eine Beteiligung an einem österreichischen Feldzug gemacht waren, sowie zu einer Darlegung der Gründe, weswegen er sie nicht angenommen hatte. Obwohl das Gespräch recht wenig passend war und Wjera sich über die Einmengung eines männlichen Themas ärgerte, fühlten die beiden Gatten mit Vergnügen, daß, trotzdem nur erst ein Gast da war, die »Soiree« einen sehr guten Anfang genommen hatte und jeder anderen Soiree mit Gesprächen, Tee und brennenden Lichtern glich wie ein Ei dem andern.

Bald darauf erschien auch Boris, Bergs alter Kamerad. Er behandelte Berg und Wjera mit einer Nuance von Überlegenheit und Gönnerhaftigkeit. Nach Boris kam ein Oberst mit seiner[337] Frau, dann der General selbst, dann die Familie Rostow, und es war kein Zweifel mehr, daß diese Abendgesellschaft allen andern Abendgesellschaften vollkommen ähnlich wurde. Berg und Wjera konnten ein frohes Lächeln nicht unterdrücken beim Anblick der vielen Verbeugungen und der steten Bewegung im Salon und bei dem Geräusch dieser unzusammenhängenden Gespräche und des Kleiderraschelns. Alles war ebenso wie bei allen andern, namentlich auch die Anwesenheit und das Verhalten des Generals als Ehrenperson: er lobte die Wohnung, klopfte Berg auf die Schulter und leitete mit väterlicher Eigenmächtigkeit die Herrichtung des Bostontisches. Der General setzte sich zu dem Grafen Ilja Andrejewitsch als dem vornehmsten Gast nach ihm selbst. Die Alten saßen bei den Alten, die Jugend bei der Jugend, die Hausfrau am Teetisch, auf welchem in einem silbernen Körbchen genau ebensolches Gebäck stand, wie es neulich welches auf der Abendgesellschaft bei Panins gegeben hatte – alles war in jeder Hinsicht ebenso wie bei andern Leuten.

Quelle:
Tolstoj, Lev Nikolaevic: Krieg und Frieden. 4 Bde., Leipzig 1922, Band 2, S. 333-338.
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