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[52] Mutter trug das Kindlein im weißen Mond,

Im Schatten des Nußbaums, uralten Hollunders,

Trunken vom Safte des Mohns, der Klage der Drossel;

Und stille

Neigte in Mitleid sich über jene ein bärtiges Antlitz


Leise im Dunkel des Fensters; und altes Hausgerät

Der Väter

Lag im Verfall; Liebe und herbstliche Träumerei.


Also dunkel der Tag des Jahrs, traurige Kindheit,

Da der Knabe leise zu kühlen Wassern, silbernen Fischen hinabstieg,

Ruh und Antlitz;

Da er steinern sich vor rasende Rappen warf,

In grauer Nacht sein Stern über ihn kam;


Oder wenn er an der frierenden Hand der Mutter

Abends über Sankt Peters herbstlichen Friedhof ging,

Ein zarter Leichnam stille im Dunkel der Kammer lag

Und jener die kalten Lider über ihn aufhob.


Er aber war ein kleiner Vogel im kahlen Geäst,

Die Glocke lang im Abendnovember,

Des Vaters Stille, da er im Schlaf die dämmernde Wendeltreppe hinabstieg.

Quelle:
Georg Trakl: Das dichterische Werk. München 1972, S. 52.
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