Gussy Holl

[97] Hier lasse ich als Rezensent die geforderte Objektivität völlig vermissen. Ich bin verliebt (darf es, weil ich ein Pseudonym bin), der zitternde Kohinoor entgleitet der Hand, ich liebe alles an ihr: ihr Kleid, ihre dünnen Arme, das Fräulein Holl und die Gussy.

Sie tritt blinzelnd in den kitschigen Scheinwerfer, der sie zitronengelb überschüttet. Wundervoll sieht sie aus, momentan also gelb. Sie singt ein Niggerlied, so einen recht dämlichen song – dabei steht ihr ein höchst mäßiges Englisch zur Verfügung; aber sie hat weg, wie man das macht. Sie betont maßlos, sie ruht endlos im tiefsten Alt aus – und dann im jauchzenden Sopran los! Sie zeigt eine diebische Freude, wenn das Lied so recht kitschig wird, sie freut sich verständig über diese ihr fremde und doch vertraut gewordene Art. Das ist eine! Chansons singt sie, geschickt, intelligent, klug, geschmackvoll – aber das können schließlich andre auch. Da muß ich nun also rühmen, daß sie[97] (vergleichsweise gesprochen) wie ein Zerrspiegel ist im benachbarten Panoptikum: gewiß sehen die karikierten Opfer nicht so aus. aber etwas ist immer schon daran, und entgehen kann keiner. Sie ist der Spiegel. Sie kann Fritze Griinbaum nachmachen und Schneider-Dunker und die Waldoff'n. Und die Hanako. Dann kneift sie die Augen zusammen, und sagt so lange: » . . . Give me money . . . «, bis man denkt, sie spräche wirklich japanisch. Und die Bernhardt. Endlose, weithinhallende Tiraden entströmen dem prachtvollen Munde. Aber die Höhe ist doch: die Imitation eines Damenimitators. Die Frau fühlt, wie unendlich weit es immer noch ist von jedem Mann, und sei er der weibischste, bis zu ihr. Wie diese Kluft doch nicht zu überspringen ist. Und so macht sie sich über die vergeblichen Anstrengungen eines Gegners lustig, den sie ja allerdings nicht mehr als Mann anerkennt, aber der doch nur ein amüsantes Zwischending ist, beileibe keine Frau, Und stellt sich in Positur, drückt die Arme mit den spitzen Ellbogen nach vorn und flüstert wie ein Stieglitz: »Hopst du mich liepst . . . Hap ich ten Wint gefrakt . . . ta ta ta ta . . . Und hat mirs nicht gesagt . . . « Mit ganz ßppitzen S-Lauten und einer Fraulichkeit, wie sie sich eben in den Augen eines Dummkopfs darstellt. Sie zeigt erst, daß wir sie beim Imitator vergeblich suchen. Dazwischen ein dunkler Alt, der zeigt, daß man doch auch schließlich Mann und Künstler ist. Aber dann erinnert wieder das getrillerte Wort: ›Silberquell‹ daran, daß zwei Seelen, ach, in seinen Brüsten wohnen. Am Schluß ein herrlicher Zug: sie reißt sich anstatt der Perücke triumphierend den ›Schinjong‹ aus und hält jubelnd die Trophäe ihrer Mannheit hoch.

Abgesehen von meiner Verliebtheit: sie ist wirklich so. Und ihr werdet mir doch die Freude nicht verübeln, mich, wie in meinen Kindertagen, in die ›Schauspielerin‹ zu verlieben: nicht in eine Frau – denn ist es auszudenken, daß sie einen je küßte? – sondern in ein Zauberwesen, das nicht ißt, nicht schläft, nicht lebt, sondern das nur singt, Kußhände wirft und vom lieben Gott eigens dazu geschaffen ist. uns armen jungen Leuten Trost einzuflößen, den wir durch unsre Familie wohl verdient haben.


  • · Peter Panter
    Die Schaubühne, 03.07.1913, Nr. 26, S. 688.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 1, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 97-98.
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