Eisner

[59] Da war ein Mann, der noch an Ideale glaubte

und tatkräftig war.

In Deutschland ist das tödlich. Denn wir haben

entweder rohe Kraft, die wir mißbrauchen,

die Gattung nennt man Patrioten – oder aber

wir haben feine Sinne und ein zart Gewissen

und richten gar nichts aus. Der aber, tatenfroh beflügelt,

hieb fest dazwischen – und daneben, freilich!

Jedoch er hieb, daß faule Späne flogen.

Welch eine Wohltat war das, zu erleben,

daß einer überhaupt den Degen zog,

ein Tapferer war und doch kein General.


Ein Lümmel, irgendeiner von den Schwarz-Weiß-Roten

(der letzte Zulukaffer steht uns andern näher),

schoß ihn von hinten übern Haufen.

Kurt Eisner starb – und lebt in unser aller Herzen!


Was aber Trauer bitter macht und schmerzlicher den Schmerz,

was über einer Gruft die Fäuste ballen läßt,

ist dies:

Die Bürger nicken.

Es starb Jaurès, Karl Liebknecht, Luxemburg,

Kurt Eisner –.

Wir wissen wohl, wie jener groß war, dieser kleiner –

wer feilscht hier um Formate! Eine Reinheit

ging von den vieren aus,

die leuchtete auf ihren Stirnen und den Händen.

Und ihre Stimme sprach: Ihr sollt nicht leiden!

Vier Schüsse und vier Särge und vier Gräber.

Wir strecken unsre Arme in die Runde

und klagen: »Welt! schlägst du noch immer an die Kreuze

die, die dich lieben?«

Und die Bürger nicken.

Behaglich nicken sie, zufrieden, daß sie leben,

und froh, die Störenfriede los zu sein,

die Störenfriede ihrer Kontokasse.

Wo braust Empörung auf? Wo lodern Flammen,

die Unrat zehren, und sie heilsam brennen?

Die Bürger nicken. Schlecht verhohlne Freude.

Sie wollen Ordnung – das heißt: Unterordnung.

Sie wollen Ruhe – das heißt: Kirchhofsstille.[59]


Sie wollen Brot – das karge Brot der andern.

Und satt und schleimig – fett und vollgesogen

hockt über diesem Lande eine Spinne:

gelähmtes Leid, gelähmte deutsche Seelen.


Und doch: nach allem, was bergab gegangen,

nach dem, was uns enttäuscht und auch betrogen,

nach Kompromiß und braven Leisetretern – –

wir wissen ihre Werke, daß sie weder kalt noch warm

gewesen sind. Ach, wärt ihr kalt! Ach, wärt ihr warm!

Doch sie sind lau –

Und dennoch, dennoch:

Wir glauben weiter unter grauem Himmel!

Wir warten deiner unter grauem Himmel!

Wir wissen, daß du kommst –

Du sollst nicht rächen.

Doch du sollst flammen, schüren, leuchten, brennen.

Luft! Gib uns Luft, darin wir atmen können!

Wühl unsre Seelen auf, pflüg um die Herzen

und löse uns von unserm deutschen Elend

und nimm von uns das niederste der Leiden.

Die beiden mach gesund vor allen Dingen:

gelähmtes Land und die gelähmten Schwingen!


  • · Kaspar Hauser
    Die Weltbühne, 27.02.1919, Nr. 10, S. 224, wieder in: Fromme Gesänge.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 2, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 59-60.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Dulk, Albert

Die Wände. Eine politische Komödie in einem Akte

Die Wände. Eine politische Komödie in einem Akte

Diese »politische Komödie in einem Akt« spiegelt die Idee des souveränen Volkswillen aus der Märzrevolution wider.

30 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon