Neuer Militarismus

[164] Von dem derzeitigen Reichswehrminister ist die Anregung ausgegangen, die Schutzmannschaft in den großen deutschen Städten zu entmilitarisieren. Das soll so geschehen, daß man der alten Schutzmannschaft nur noch die Gewerbe-, Gesundheits- und Verkehrspolizei überläßt, sowie den Bürodienst – dagegen sämtliche andern Zweige einer neu zu gründenden Truppe übergibt. »Eine Truppe aus jungen, meist unverheirateten Unteroffizieren, die von ehemaligen Offizieren des Heeres in streng militärischer Organisation zusammengefaßt wird. Die Unterbringung dieser mit allen modernen Waffen ausgerüsteten Truppe erfolgt in bereitgestellten Kasernen, ihre Stärke wird, zum Beispiel, für Berlin etwa neuntausend Mann betragen.«

Inwieweit das eine Verletzung des Friedensvertrages darstellt, ist eine Sache für sich. Die streng militärische Organisation der Truppe macht sie zu dem, was sie in der Tat ist: zum stehenden Heer – denn es kommt nicht auf ihre Verwendung, sondern auf ihre Organisation an. Uns interessiert hier etwas andres.

Wie der Oberverwaltungsgerichtsrat Lindenau in einem guten und schneidigen Artikel dargetan hat, sind bei dieser Neueinrichtung weder das Polizeipräsidium noch der Justizminister noch die berliner Stadtverwaltung gefragt worden. Der Reichswehrminister sagte in der letzten Nationalversammlung, er könne nur einige Andeutungen geben und die Angelegenheit nur ›mit einiger Reserve‹ erörtern. Ich will ihm aus der Reserve heraushelfen.

Wer beim preußischen Militär war, weiß, daß der Mann die Stelle macht, nicht umgekehrt. Muß ein Offizier untergebracht werden, dann[164] wird eben eine Stelle für ihn geschaffen – das tatsächlich vorhandene Bedürfnis ist dabei nicht maßgebend.

Der Reichswehrminister hat sich von Anfang seiner Amtstätigkeit an auf die Offiziere der alten Monarchie gestützt und muß ihnen nun etwas bieten.

So hat er bereits den Obersten des Dritten Garde-Regiments zu Fuß zum Kommandeur der neuen Polizeitruppe ernannt. Daß der Mann den Posten angenommen hat, wundert uns nicht. Er hat der Monarchie gedient (die auf Sozialdemokraten schießen ließ) – er dient den Sozialdemokraten – und er wird wohl auch einem gemischten System dienen. Aber was geht denn hier vor?

Es bereitet sich die Konservierung des dreimal verfluchten militärischen Geistes vor. Wenn alle größern deutschen Städte mit einer solchen Truppe bedacht werden, dann haben wir neben dem bewilligten Heer noch weitere hunderttausend Mann, die sich in Drill, Formen, Gesinnung und Roheit durch nichts von dem alten Heer unterscheiden werden. Der alte Geist wird rein erhalten. Und er muß und wird entfernt werden.

Es geht also alles wieder von vorn an: Paraden; Ansprachen an die kleinen Götter bis zum Unteroffizier abwärts, die ihrerseits bestrebt sein werden, den Druck nach unten weiter zu geben; der widerliche Geist der blanken Gewalt, der durch die angeworbenen Militäranwärter alten Stils deren Familien vergiften wird; der Kasino-Rummel; der Gamaschendienst; die kindlichen kleinen Eitelkeiten, das Spiel mit den blanken Abzeichen, die zahllosen Titel und Ränge, die Orden (man wird schon eine verkappte Form, auch gegen das bißchen Verfassung, aushecken) – all das beginnt von neuem.

Das neue Spiel ist von einem ehemaligen Sozialdemokraten angeregt und begünstigt worden. Diese Katastrophe wird ja eines Tages aus der Regierung ausgebootet werden müssen, denn ich weiß nicht, wie ein anständiger Parlamentarier mit einem Mann zusammenarbeiten kann, der längst nicht mehr Herr seiner Entschlüsse ist.

Was nützt nun alle Schulreform, was nützen alle Anstrengungen der Gutgesinnten, wenn die Regierung Prämien für rohe Gewalt bezahlt? Wenn sie die alten schlechten Offizierstypen wieder hochzüchtet, deren Ära wir verblichen wähnten?

Die neue Polizeitruppe wird ihren Dienst schlecht erfüllen und wird uns unbändiges Geld kosten. Sie wird – denn aus diesem Mehl ist sie gebacken – Leute mit reinem Kragen zuvorkommend und Leute ohne einen solchen pöbelhaft behandeln. Woher wir das wissen? Aus dem Wirken der Reichswehrtruppen, aus ihrer Art, mit Schutzhäftlingen umzugehen, und vor allem: aus ihrem Material.

Ich besinne mich noch – und wir tuns wohl alle –, wie sehr Deutschland über die ›englischen Söldner‹ schäumte, als die zu Anfang des[165] Krieges aufrückten. Wollt ihr nicht einmal nachlesen, was da alles stand? »Der Beste läßt sich nicht anwerben.« – »Es werden immer arbeitslose Herumlungerer sein, die für Geld fechten.« – »Kein vernünftiger und arbeitsamer Mann verläßt um eines solchen Handwerks willen seine Stellung.« Das wurde nachher übertrieben – man sprach den Söldnern nun alles ab: aber daß es wirklich nicht die besten Elemente sind, die sich für Geld anwerben lassen, ist richtig. (Wohl England! Unsre Besten liegen in fremden Ackergräben.) Es wird sich also auch bei uns alles das ansammeln, was beim Militär zu kapitulieren pflegte – das war nicht die Creme – und an diesem zusammengekauften Rudel werden abgetakelte Offiziere ihre alten schlechten Herrschaftsgelüste spielen lassen und das verderbliche Gift im Volk verbreiten helfen.

Das darf nicht wiederkommen.

Es ist Pflicht aller sauber denkenden demokratischen Parteien jeder Richtung, die Bildung einer solchen Truppe für Stellungslose zu verhindern. Ruhe und Ordnung sollen und müssen gewahrt werden. Die kompakte Masse aber von monarchistischen Edelmenschen, die gar nicht umlernen wollen, dürfen nicht wieder aus Staatsgeldern bezahlt werden.

Daß Noske nur mit dem Belagerungszustand zu regieren versteht, wissen wir. Es ist allgemach an der Zeit, einen ins Amt zu setzen, ders auch ohne ihn kann.


  • · Ignaz Wrobel
    Die Weltbühne, 02.10.1919, Nr. 41, S. 405.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 2, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 164-166.
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