Olle Kamellen

[45] Vor der Front ein junger Bengel.

Er moniert die Fehler, die Schlappheit, die Mängel.

Im Gliede lauter alte Leute.

. . . Schlechter Laune der Leutnant heute . . .[45]

»Das kann ich der Kompanie erklären:

Ich werde euch Kerls das Strammstehen schon lehren!

Nehmen Sie die Knochen zusammen, Sie Schwein!«

Und das soll alles vergessen sein?


Drin im Kasino ist großer Trubel.

Gläserklingen. Hurragejubel.

Sieben Gänge, dreierlei Weine.

Der Posten draußen hat kalte Beine.

Er denkt an Muttern, an zu Haus;

die Kinder, schreibt sie, sehn elend aus.

Drin sind sie lustig und krähen und schrein –

Und das soll alles vergessen sein?


Und das sei alles vergeben, vergessen?

Die Tritte nach unten? der Diebstahl am Essen?

Bei Gott! das sind keine alten Kamellen!

Es wimmelt noch heute von solchen Gesellen!

Eingedrillter Kadaverrespekt –

wie tief der noch heut in den Köpfen steckt!

Er riß uns in jenen Krieg hinein –

Und das soll alles vergessen sein?


Nicht vergessen. Wir wollen das ändern.

Ein freies Land unter freien Ländern

sei Deutschland – mit freien Bewohnern drin,

ohne den knechtischen Dienersinn.

Wir wollen nicht Rache an Offizieren.

Wir wollen den deutschen Sinn reformieren.

Sei ein freier Deutscher – Bruder, schlag ein!

Und dann soll alles vergessen sein!


  • · Kaspar Hauser
    Die Weltbühne, 06.02.1919, Nr. 6, S. 145, wieder in: Fromme Gesänge.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 2, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 45-46.
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