Die Marburger

[365] »Herr Kamerad? –

Die fuffzehn Leute?

Was soll damit?« – »Na so – –, das muß noch heute – –,

am besten gleich.« – Und eine Handbewegung. Fünfzehn trotten,

vom Kolbenschlag getrieben, vorwärts.

Junge Herren, in knapper Uniform der Offiziere,

mit Orden, Ehrenzeichen und Monokel,

daneben her. Die Leute schleppen

sich mühsam weiter. Einer blutet. Viele stöhnen.

Die Herren rauchen, lärmen, lachen, sprechen.

Und leise, einer, von den Offizieren: »An den Straßengraben!«

Und: »Sechste Kompanie nach vorne!

Der Trupp mit den Gefangenen an den Schluß!«

ruft eine Stimme. Aufgerissene Augen . . .

Sie wehren sich, die Zivilisten. Fliehn?

Sie kennen das. Sie wollen nicht. Und die Studenten

haun mit den Kolben aufgekrümmte Rücken,

»Marsch an den Straßenrand! Ihr wollt nicht? Hunde –!«

Den Korpsstudenten, die, als Offiziere kostümiert,

den Zug begleiten, wird der Kram zu bunt.

»Na, los doch, Kinder! Macht doch Schluß!« –

Und Schüsse hallen durch den Morgennebel.

Geschrei, Gestöhn. Die blutigen Körper rollen

im Staub. Die Leutnants lachen. »So, die sind wir los!

Die sind erledigt –!«


Ihr werdet sie nicht los.

Die Korporalschaft,

die da korrekt und kameradschaftlich

Gericht markierte, ändert nichts daran:

Ihr habt gemordet!

Und ihr habt gekniffen!

Ihr müßt dem Pack Autorität beweisen?

Und hätte einer nun von denen blind-fanatisch

den General und einen nur von euch

erschossen oder auch verwundet –: ein Gericht

wär über diesen Mann hereingebrochen,

daß er gewußt hätt, was er da getan.

Zu Tode! – Zuchthaus! – Zuchthaus! – Glatt zum Tode! –

Und ihr –?

Ihr habt gekniffen.

Besinnt euch plötzlich, daß ihr eigentlich Soldaten,[365]

und daß ein Kriegsgericht da kompetent.

Ein Standgericht? Standesgericht sollts heißen.


Feg sie hinweg, wenn du noch Atem hast!

Volk!

Das werden deine Richter und Beamte!

Volk!

Das darf dich einmal richten und verwalten,

wenns ausstudiert hat!

Volk!

Feg sie hinweg!

Das bunte Öl, das glitzernd

auf deinem Wasser oben schwimmt, ist Dreck.

Und hältst du wieder still und läßt sie schalten:

Sie lachen. Töten. Werden was.

Und alles bleibt beim alten.


  • · Theobald Tiger
    Berliner Volkszeitung, 22.06.1920.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 2, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 365-366.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von

Gedichte

Gedichte

»Was soll ich von deinen augen/ und den weissen brüsten sagen?/ Jene sind der Venus führer/ diese sind ihr sieges-wagen.«

224 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon