Eine Ausnahme

[305] Die Gerechtigkeit gebietet, mitzuteilen, daß es auch anständig denkende Offiziere gibt. (Nur haben sie in der Reichswehr wenig zu sagen.)

Herr A. v. Wrochem, Hauptmann im ehemaligen 2. Garderegiment zu Fuß, hat im Zentralverlag Berlin eine kleine Schrift herausgegeben, die er ›Offiziersehre‹ benennt, und in der endlich einmal den deutschen Offizieren von einem Kameraden das gesagt wird, was zu sagen verdammt not tut und was hier hundertmal, von uns anderen gesagt, gestanden hat. (Einen kleinen Auszug aus dem Büchlein hat die ›Berliner Volkszeitung‹ bereits gebracht.)

Die Schrift stellt unwiderleglich fest: Das deutsche Offizierkorps ist zu seinem größten Teil zur Republik aus Gründen der Daumenbewegung übergelaufen. Wo das Gehalt – da das Vaterland! Das deutsche Offizierkorps hat sich auf den oft zitierten ›Boden der Tatsachen‹ gestellt, es hat sich der Republik zur Verfügung gestellt – und es hat im selben Atemzuge, mit dem es die Gehaltssumme quittierte, Propaganda gegen eben diese demokratische Republik getrieben, um sie mit den ihm anvertrauten Waffen zu vernichten. Dieser[305] Versuch ist – dieses Mal noch – mißlungen. Das deutsche Offizierkorps hat auch nach diesem mißglückten Hochverrat den traurigen Mut, sich wiederum dem Volke anzubieten; – zu diesem Zweck hat irgendein Hohlkopf das Wort ›Einheitsfront‹ erfunden, bei dem man sich alles und nichts denken kann. Einheitsfront? Gegen wen? Gegen die eigenen Volksgenossen! Gegen alles, was die Herren ›Bolschewisten‹ zu nennen belieben – und darunter verstehen sie alle Sozialisten und Demokraten, bis tief, tief in die Rechte hinein.

Das steht in dem Heftchen zu lesen. Endlich einmal einer, der den Offizieren das Wort an den Kopf schleudert, das dahin gehört: Eidbrecher! Und doppelt schwer wiegt das Wort, weil es ein ehemaliger Offizier spricht.

Die Schrift ist von einem so ehrlichen Bestreben durchdrungen, die Zeit und das Volk zu verstehen, sie ist von einer so großen und reinen Uneigennützigkeit erfüllt, sie ist so selten in der Gesinnung, daß wir sie nur jedem empfehlen können. Der Hauptmann v. Wrochem reißt den Herren die Etiketten herunter, mit denen sie sich beklebt haben und nennt eine Katze eine Katze und einen feilen Verräter einen Verräter. Das tut wohl.

Und er fordert Gericht. Ob wir das erleben werden, steht dahin. Nicht aber darf dies dahin stehen, daß wir, Mann für Mann, solche anständigen Bestrebungen unterstützen müssen, nicht obgleich, sondern weil sie von einem rechtlich denkenden Offizier stammen. Das auf dem Boden der Tatsachen herumtaumelnde Offizierkorps wird diesen da einen abtrünnigen schelten. Er ist eine rühmliche Ausnahme.

Mit solchen Leuten, mit solchen Charakteren müßte eine neue, eine andere Reichswehr aufgebaut werden!


  • · Ignaz Wrobel
    Berliner Volkszeitung, 21.04.1920.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 2, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 305-306.
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