Schaumlöffelei

[395] Sechs Fuß hoch aufgeschossen,

Ein Kriegsgott anzuschauen,

Der Liebling der Genossen

Der Abgott schöner Frauen,

Blauäugig, blond, verwegen

Und in der jungen Hand

Den alten Preußendegen –


Wenn in Deutschland einer etwas versiebt hat, dann kneift er hinterher, schreibt aber seine Memoiren, womit er seine gänzliche Unschuld an dem Malheur dartut, die Gegner beschimpfen und fünfzehn Prozent des Ladenpreises einstecken kann. So auch der cand. med. dent. Karl Schaumlöffel, dem Studentenverein Wingolf angehörig und derweiliger ›Stabsfeldwebel‹ des Studentenkorps Marburg.

Das Buch geht um die Schuldfrage herum, wie die Katze um den heißen Brei, verhüllt sie in patriotische Phrasen und ändert an dem Urteil der anständigen Leute nichts. Wie war es denn?

Die Zeitfreiwilligenorganisationen von Studenten und stellungslosen Offizieren hatten sich unter einer Regierung, die so schlapp war, daß sie eigentlich nicht recht wußte, wie sie der Rechten und der Linken Herr werden sollte, zu altem, beliebtem Soldatenspiel zusammengefunden. Wie schön war das: noch einmal heraus aus den staubigen Auditorien, noch einmal heraus aus den möblierten Buden, wo der mit den bunten Bändchen geschmückte Zivilist vor der Wirtin, dem Schneider und dem Schuster nur gerade soviel galt wie jeder andere auch – noch einmal heraus in das Feldleben, wo man salutiert, über die Maßen gut bezahlt und überhaupt so respektiert wurde, wie es einem honorigen Studenten und Achselstückträger von dem Pack zukam. Sie traten an. Und marschierten ›ins Feld‹, gegen die eigenen Landsleute, mit einer Wonne, daß deutlich zu sehen war, es ging ihnen nicht um die Sache, sondern ums Soldatenspielen. Der Regierung war die Angelegenheit längst über den Kopf gewachsen. Sie sah zu, wie ihre ›Beauftragten‹ voller Verachtung für die neue Verfassung ihre eigenen Zwecke unter dem Deckmantel verfolgten. Am 24. März 1920 besetzten die Studenten unter Führung eines v. Selchow Thal, die Unterführung hatte ein Herr Baldus. Der Gendarmeriewachtmeister Heß[395] aus Thal setzte sich mit Herrn Baldus in Verbindung und übergab ihm eine Liste von Menschen, die als Haupträdelsführer der Roten Armee bezeichnet wurden. Wie gearbeitet worden ist, kann man daraus ersehen, daß von diesen vierzig Aufrührern fünfundzwanzig sofort wieder auf freien Fuß gesetzt werden mußten. Fünfzehn Mann nahmen die Studenten mit. Die Gesinnung der Geßlerschen Reichswehrtruppen wird durch die Angabe des Herrn v. Selchow illustriert: »Die Gefangenen wurden ausgeladen und von einem starken Kordon von Angehörigen des Studentenkorps umgeben, denen es nur mit größter Mühe gelang, die wütende und mit Knüppeln gegen die Gefangenen vorgehende Menge der Bevölkerung und der Reichswehrtruppen zurückzuhalten.« Die Gefangenen waren in diesem Augenblick wehrlos.

Auf dem Marsch von Mechterstedt nach Gotha wurden die fünfzehn Gefangenen aus Thal von den Studenten ermordet. Der cand. med. dent. Schaumlöffel spricht von einer Erschießung auf der Flucht. Es gibt zwei Möglichkeiten: entweder sind die Gefangenen alle fünfzehn auf einmal entflohen. Dann hätten die Wachmannschaften in der größten Geistesgegenwart sofort die umgehängten Gewehre hochgenommen, gezielt, geschossen und getroffen, und das bei dichtem Nebel. Schaumlöffel schreibt, daß es der geübtesten Geistesgegenwart bedürfe, um solchen Versuchen zu parieren. Fünfzehn Schüsse im Nebel überraschter Menschen und fünfzehn tödliche Treffer: das ist sehr unwahrscheinlich. Oder aber: die Gefangenen sind nacheinander entflohen, das heißt, nachdem ein oder zwei einen mißglückten und mit ihrem Tode endenden Fluchtversuch gemacht haben. Das ist sehr unwahrscheinlich. Die Erschossenen haben fast alle Kopf- und Brustschüsse teilweise von vorn gehabt. Auf diese wichtigen Fragen geht der Wingolf-Mann überhaupt nicht ein. Nach den Feststellungen des Rechtsanwalts Liebknecht ist erwiesen: die Angeklagten befanden sich bis zur Gerichtsverhandlung in Freiheit und konnten vorher das Nötige veranlassen. Wichtige Belastungszeugen sind nicht herangezogen worden. Der Hauptbelastungszeuge, Offizier-Stellvertreter Dahlheim des marburger Reichswehrbataillons, wurde von seinem Bataillonskommandeur, Herrn Schenk zu Schweinsberg, gemaßregelt. Vor jedem unparteiischen Gerichtshof hätte man eine Katze eine Katze genannt, und die Herren Studenten wären hereingefallen.

Aber das ist keine Überraschung für uns Deutsche, die wir an zweierlei Justiz seit langer Zeit gewohnt sind. Das Heft des Stabsfeldwebels ist aber vor allem – in Ausdrucksweise, Schilderungen und Lebensauffassung – ein preußisches Kulturdokument.

Die Sprache ist trocken, schlecht und voll jener gemachten Schneidigkeit, die den verächtlichen Typ ›deutscher Offizier‹ charakterisieren. Da ist die gehackte Abkürzung ›Stu.-Ko.-Ma.‹, was soviel heißen soll,[396] wie Studentenkorps Marburg. Da heißt es: »Die Bahnfahrt verlief sehr ordentlich« (ein typischer deutscher Kasinoausdruck). Einmal steht da: »Der böse Feind war klamheimlich untergetaucht« (clam, das der Zahnarzt fälschlich mit ›k‹ schreibt, ist ein lateinisches Wort für heimlich, und das Ganze ist ein stumpfsinniger Kasinoausdruck). – Da wimmelt es von Ortskommandanten und Brigaden und Stäben und »das Geschick des Vaterlandes steht wieder auf des Messers Schneide«, und manchmal geht die Feder mit Herrn Schaumlöffel durch, und wenn man das hier liest, glaubt man, er meine sich selbst: »Ein friedliebender Mensch treibt keine Geheimbrödelei und dunkle Machenschaften, während der Einbrecher und Plünderer Pläne und Anschläge schmiedet, mit seinen Kumpanen Verabredungen eingeht und die verschiedensten Sicherheitsmaßnahmen ausdenkt und vorbereitet.« Das wären also die Studentenkompanien und die Organisation Escherich.

Der Preußengeist unter diesen Studenten ist unausrottbar, und das könnte uns gleichgültig sein, wenn diese nicht die zukünftigen Verwaltungsbeamten, Kassenärzte, Priester und Richter werden, Richter, deren Objektivität anzuzweifeln vom Augenblick ihrer Ernennung an verboten ist. Aber was können das für Beamte und für Richter werden, die so eine Auffassung des Kampfes haben, daß sie, wie der Stabsfeldwebel einmal schreibt, auf einen sogenannten Spartakisten sofort schießen, ohne daß der irgend etwas tat! »Die Dämmerung schützte ihn leider vor unseren Kugeln.« Und was mögen das für Beamte und Richter werden, die am 31. März einen Mann vor ein Standgericht der Abteilung v. Schenk stellen, ihn dort zum Tode verurteilen und zu ihrem größten Schmerz erfahren müssen, daß sogar ein Kriegsgerichtsrat (von der Brigade Stolzmann, Kassel) den zum Tode Verurteilten nach zwei Tagen freilassen muß. Überschrift: die Rechtsprechung. Ganz abgesehen von der geradezu talmudischen Rabulistik, mit der zwischen Kapp, Generalstreik, Revolution und Aufstand immer derjenige als ein Verbrecher abgestempelt wird, den man politisch haßt, ergibt sich dieses Bild:

Die deutsche Jugend auf den kleinen Universitäten ist zum großen Teil durch den Krieg verroht und entsittlicht. Verroht: Mord und Totschlag machen ihnen Spaß, und sie empfinden Mord und Totschlag nicht mehr als Delikte, wenn sie ›dienstlich‹ begangen werden. Entsittlicht: mit den gerissensten Gedankenwindungen drehen die Juristen unter ihnen jeden Sachverhalt in sein Gegenteil um, sodaß noch die litauischen Pferdehändler von diesen Köpfen etwas lernen können. Man hat für alles seinen Paragraphen. Für und gegen.

Und sie halten zusammen wie die Kletten. Wie jetzt erst wieder die Akten über die Körperverletzung eines ebenso antisemitischen wie besoffenen Gutsbesitzers, natürlich eines früheren Oberleutnants, ›verschwunden‹ sind, sodaß der Justizminister benachrichtigt werden[397] mußte –; ebenso steht, und das ist das Wichtige, von vornherein die Sympathie der Staatsanwälte, Kriegsgerichtsräte und der meisten Richter auf der Seite ihrer Korpsbrüder, Universitätskollegen, Gesinnungsgenossen.

So entstehen solche Mordtaten, und so entstehen solche Freisprüche.

Wenn ihr etwas in der Angelegenheit Mechterstedt tun wollt, so lest die gute Broschüre ›Der Schrei nach dem Recht. Die Tragödie von Mechterstedt‹ von Henning-Duderstadt. Wenn ihr noch mehr tun wollt, dann schickt einen kleinen Beitrag für die Hinterbliebenen, die sich ihren Unterhalt und ihr Recht nun suchen müssen, an Herrn W. Bock, Gotha, Sonnborner Straße 18.

Der Stabsfeldwebel, Zahnarzt und Wingolf-Mann hat umsonst geschrieben. Umsonst Phrasen, Wartburg-Begeisterung und schwarz-weiß-rote Gesinnung, die in einem Auszug zur Menschenschlächterei »den Höhepunkt in dem Wintersemester 1920« sieht. Umsonst, Stabsfeldwebel, umsonst! Unser Urteil steht fest. Wir wissen, wie man das Ereignis auf der Chaussee nennt: Mord. Mord. Mord.


  • · Ignaz Wrobel
    Freiheit, 11.08.1920.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 2, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 395-398.
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