Worte und Taten

[315] Eine Sage ist keine Tue.

Betrachten wir das in aller Ruhe.


Da sind zum Beispiel die kleinen Damen.

Wenn wir denen mal näher kamen,

begegnet es uns wohl anfangs zumeist,

daß uns die Fürstin von dannen weist.

Und es spricht errötend die liebe Kleine:

»Was denken Sie denn? Ich bin nicht so eine!«

Dann aber rückt sie näher ran

und flüstert: »Was legen der Herr denn an?«

Und nach all dem Gerede und nach ein paar Schritt –

geht sie mit.


Worte und Taten – das ist so hienieden –

sind manchmal verschieden.


Da hätten wir Philipp Scheidemann.

Hört ihn immer nur fleißig an!

Spricht gescheit und klar und vernünftig –

gar nicht parteiisch, gar nicht zünftig –

sieht die Dinge so, wie sie sind –

kurz: ein begabtes kassler Kind.

Aber wie kann doch das bißchen Handeln

einen ganzen Menschen verwandeln!

Nun ist er nicht mehr wiederzuerkennen:

Kompromiß – Schweigen – Pennen . . .

Reden: gut. Tun: oh konträr . . .

Ach, daß es doch einmal umgekehrt wär –!


Worte und Taten . . . Als da ist die Regierung:

Da hat sie im Reichstag zur Redeverzierung

gewiße Floskeln, gewiße Phrasen,

tut großmächtig Posaune blasen –[315]

und die Pressetribüne hört aufmerksam zu . . .

Und dann geht alles zu süßer Ruh.


Man werde – spricht man – den Kapp-Putsch bestrafen.

Man geht aber sachteken, sachteken schlafen.

Man werde – spricht man – das Heer reformieren.

Man steht aber stramm vor Stabsoffizieren.

Man erstrebe in der ganzen Verwaltung

eine neue, demokratische Haltung.

Man ändre Schule und Universität . . .

Aber wie das so geht:

Warum denn gleich tun? Das wäre schön dumm.

Reden genügt ja dem Publikum!


Wenn einer bei uns nur etwas sagt,

ists gar nicht mehr nötig, daß er was wagt.

Er muß nur reden, verkünden, bullern –

ihr werdet schon alle nach Hause kullern.

Er muß nur bombastisch prophezein –

nachzuprüfen fällt niemandem ein.

Mit einem Wort: das Grammophon!

Das Weitere – ach! das findet sich schon.

Wir: Demokratie!

Immer mit die Ruhe!

Eine Sage ist keine Tue.


  • · Theobald Tiger
    Die Weltbühne, 22.04.1920, Nr. 17, S. 474.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 2, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 315-316.
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