Dada-Prozeß

[26] Als Whistler einmal vom Vorsitzenden einer englischen Jury gefragt wurde: »Können Sie diesen Herren klar machen, was Kunst ist?«, klemmte er das Monokel ein, sah sich die Gentlemen an und sagte: »Nein!«


Vor der Strafkammer des Landgerichts II zu Berlin fand dieser Tage der Prozeß gegen George Grosz und Genossen wegen Beleidigung der Reichswehr statt.

Die Dada-Ausstellung hatte ein paar Spaßfiguren gegen die Götter Preußens: seine Offiziere, aufgebaut – und vor allem hatte der p. Grosz eine geniale Mappe: ›Gott mit uns‹ verfertigt, in der Fratzen von so unerhörter Brutalität zu sehen waren, daß sich die Reichswehr und ihre Angehörigen getroffen fühlten. Zum Beweise, daß es Gesichter wie diese nicht gebe, hatte man einen ehemaligen Rayonchef aus dem Reichswehrministerium zitiert, einen Herrn Matthäi. Das hätte man nicht tun sollen.

Der junge stattliche Hauptmann führte aus, er sei – nichtamtlich, seffaständlich! – in die Ausstellung der Dada-Leute gegangen, angereizt durch eine Anzeige meines Freundes Peter Panter, der, so führte der sympathische, frische Offizier aus, seit Jahren eine systematische Hetze gegen das deutsche Offizierkorps betreibe. Deshalb also sei er hingegangen. (Anmerkung Peter Panters: »Ich habe es nicht gewollt!«) Was er dort sah, habe ihn aufs tiefste empören müssen. Verspottung der edelsten Güter der Nation, Dinge, die geeignet gewesen seien, den »Wehrgedanken in Deutschland zu vernichten«. An der Kasse habe ihm auf sein wiederholtes Vorhalten ein Mann die[26] Mappe ›Gott mit uns‹ gezeigt. »Erkennen Sie unter den Angeklagten diesen Mann wieder?« wurde der blonde, hochgewachsene Offizier gefragt. »Nein«, sagte der aufgeweckte, elegante Kommandeur, »es war so ein Mensch von galizischem Typus.«

Die Rolle dieses Matthäi ist etwas dunkel. Was sich nach seinem nichtamtlichen Besuch der Ausstellung und der Strafanzeige, die Herr Geßler hatte erstatten dürfen, im Reichswehrministerium ereignet hat, wissen wir nicht. Wir wissen nur, daß dieser selbe Matthäi, der zum mindesten den Anstoß zur Strafverfolgung gegeben hat, in der Pressekonferenz mündlich und in einer Berichtigung durch die Presse schriftlich kundtat: Das Reichswehrministerium hat mit der Beschlagnahme der Mappe nichts zu tun. Von der Verteidigung zur Rede gestellt, stotterte der Hauptmann etwas von Ressort-Irrtümern und Abteilungsmeldungen – aber ich glaube nicht, daß er einen Mann seiner Kompanie im Felde daraufhin nicht eingesperrt hätte. Überschrift: Der militärische Nachrichtenapparat.

Die Angeklagten haben mich enttäuscht. Fünf Lebewesen saßen auf der Anklagebank, darunter ein Mann: Wieland Herzfelde. Er war der einzige, der hier und da das Nötige sagte und nicht zurückzuckte. Im übrigen glich das Unternehmen dem Kapp-Putsch: einen Führer hatte es nicht. Niemand von den Jungens war derjenige gewesen, der die Fensterscheibe eingeworfen hatte . . . Was Grosz angeht, so weiß ich nicht, ob die Schlappheit seiner Verteidigung darauf zurückzuführen ist, daß er nicht sprechen kann. Er sagte kein Wort, das auch nur einem Strich seiner Blätter adäquat gewesen wäre.

Die Verteidigung war im großen ganzen darauf gerichtet, bei Grosz als Spaß hinzustellen, was bitterster und bester Ernst ist. Fritz Grünspach, der gleichermaßen Zeichner und Gezeichnete verteidigen kann, war geschickt genug, nicht den starken Angriff auf Kaisers Geist, sondern auf dessen Auswüchse in den Vordergrund zu schieben. Sein Plädoyer rettete Grosz den Kragen und war vernichtend für ihn und seine Freunde. So sieht eure Verteidigung aus? Ihr habt es nicht so gemeint?

Das Gericht verurteilte den Zeichner Grosz zu dreihundert und den Verleger Herzfelde zu sechshundert Mark Geldstrafe, also zusammen zu ungefähr der Geldbuße, die in Deutschland die Aufforderung zum Mord (von Pazifisten) kostet. (Die Dosierung war so begründet, daß der Verleger finanziellen Vorteil vom Vertrieb der Mappe gehabt habe.) Die Spaßpuppen der Ausstellung wurden als Bierulk angesehen. Das milde Urteil war vielleicht hervorgerufen durch ein Gutachten des Reichskunstwarts Redslob, der forsch und energisch für Grosz Partei ergriffen und dabei mit feinstem Takt vermieden hatte, auf das Politische der Sache einzugehen. Das imponierte ein wenig: denn der Reichskunstwart untersteht dem Ministerium des Innern – und vor einer Behörde hat ein preußischer Richter immer Respekt. Vor der[27] Kunst weniger. (Zu George Grosz sagte einer der Justizbeamten: »Das müssen Sie doch sehen, wenn Sie Zeichner und Künstler sein wollen . . . «)

Was ist hier gespielt worden?

Festzustellen ist, daß diese Verhandlung mit Justiz überhaupt nichts zu tun hat. Ich habe nie begriffen, warum nicht der Angeklagte in den Saal zu treten gezwungen ist, zu sagen hat: »Mein Name ist Grosz – Schwerverbrecher«, und der Vorsitzende sagt dann: »Sehr angenehm. Dreihundert Mark Geldstrafe!« Das würde viel Zeit und Arbeit sparen. Bei der politischen Erziehung und der allgemeinen Vorbildung unsrer Richter ist nicht zu verlangen, daß sie diesen Dingen so gegenübertreten, wie wir es erwarten. Wir haben kein Vertrauen mehr zur politischen Strafjustiz des Landes. Bestraft wird in allen diesen Fällen nicht das Delikt. Bestraft wird – nach bestem Wissen und Gewissen – die Gesinnung.

Die Reichswehr ist an der inkrimierten Mappe zum kleinsten Teil beteiligt. Sie hat den Größenwahn. Schließlich hat sie ja denn doch nicht allen Militarismus in Deutschland gepachtet – die Freikorps, der Selbstschutz und die Schutzpolizei sind auch ganz schön. Ich halte diese Beleidigungsklage von Kollektivitäten für höchst dubios. Die Reichswehr ist keine Gemüsefrau – und ein politisch absprechendes Urteil über eine Kollektivität ist niemals erweislich wahr. Die juristischen Deduktionen des Staatsanwalts Orthmann wären in einem Seminar erster Semester mit Ach und Krach durchgefallen. Er lehrte: Die Offiziere des alten Regimes sind in die Freikorps übergetreten, die dem Reichswehrminister unterstanden haben, sie sind auch in die Reichswehr eingetreten, infolgedessen hat der Reichswehrminister das Recht, gegen jeden Strafantrag zu stellen, der das alte kaiserliche Offizierkorps beleidigt. Das ist derart gefährlich, daß man dieser Irrlehre nicht scharf genug entgegentreten kann. Wenn Herr Matthäi und seine Freunde wissen wollen, wer »seit Jahren eine systematische Hetze gegen das deutsche Offizierkorps« getrieben hat: es war das Offizierkorps selbst, das am stärksten gegen sich arbeitete. Wer das mitansah, der brauchte nicht Tolstoi zu lesen. Und wie? Dieselben Herren, die jahrzehntelang Wehrlose in der Front beschimpften und – wie der Fall Hiller gezeigt hat – auch schlugen: diese sind nun von einer mimosenhaften Empfindlichkeit, wenn es die eigne Haut gilt? Sie haben kein Recht, sich beleidigt zu fühlen.

Aber wer klagt denn heute? Was! Zu klagen wagt eine Institution, deren Angehörige Hans Paasche umgebracht haben, ohne daß eine saubere und klare Gerichtsverhandlung vor einem ordentlichen Gericht die Schuldfrage geklärt hat, zu klagen wagt eine Institution, deren Angehörige keineswegs von den Schandtaten und Übergriffen sadistischer Offiziere der Freikorps abrückt, sondern sie, wo sie nur[28] kann, deckt und ableugnet – nach den Fällen Landauer, Eisner, Jogiches, Schottländer, Futran, Liebknecht, Luxemburg wagt ihr, zu klagen? Glauben diese Herrschaften, ihre Zeit sei noch nicht vorüber? So sollen sie sich gesagt sein lassen, daß der bessere Teil des Volkes nichts mehr mit ihnen zu schaffen haben will. Hat man je gehört, daß die öffentliche Einrichtung, die sicherlich wohltätiger ist als das Heer – die Feuerwehr –, jemals einen solchen Klamauk um ihre ›Ehre‹ gemacht hat wie die Offiziere eines abgetakelten Systems, die sich nicht schämen, von einer Republik, die sie im tiefsten Herzen hassen, Geld zu nehmen? Eine Reichswehr wagt, sich beleidigt zu fühlen, während ihr wahrer Chef, v. Seeckt, in Uniform an monarchistischen Demonstrationen teilnimmt? (Die Trauerfeier in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche unter Lindström-Ludendorff war eine politische Demonstration.)

Ist Wahrheitsliebe Flagellantismus? Aber dann ist es masochistisch, sein Haus zu säubern – und die plötzlich und überall einsetzende Scham vor dem Ausland ist verdächtig. Es ist sicherlich anständiger, uniformierte Mörder der Bestrafung zuzuführen, als sie zu verteidigen – und die Gefahr, daß die ›Times‹ daraus einen Leitartikel macht, scheint mir nicht so groß wie die der Moralversumpfung von Volksgenossen, die es grade noch nötig haben, ihren Glauben an die Allmacht der Uniform bestätigt zu sehen. Wenn die Reichswehr sich mit allem identifiziert, was gegen den Militarismus gesagt wird: uns kanns recht sein.

Dies aber hat die Verhandlung mit aller Deutlichkeit ergeben: Es ist aussichtslos, mit diesen Richtern ernsthaft zu verhandeln. Kein Funke springt von Welt zu Welt über. »Wir haben den Geist dieses Militarismus bekämpfen wollen.« – »Na ja, das ist ja ganz schön . . . « Sie fassen es nicht. Sie können es auch nicht fassen – denn man hat ihnen generationenlang beigebracht, ein Landgerichtsdirektor, der nicht Hauptmann d. R. ist, tauge nichts. Sie fassen es nicht. Preußische Schneidigkeit, Kantigkeit, militärisches Wesen und Unwesen: das gehört untrennbar zu ihnen. Es war rührend, zu sehen, mit welch vollkommener Verständnislosigkeit auch der fein empfindende Hauptmann allem zuhörte, was über den Kasernenhof hinausging. »Drei Tage Mittel – ab!« Das versteht er. Mehr nicht.

Der Prozeß verwässerte Blut zu Limonade. Wenns Grosz nicht so gemeint hat – wir habens so gemeint. In meiner Wohnung hängen die Blätter der Mappe, und ich bin stolz darauf, sie zu besitzen. Sie halten mir vor Augen, welche Leute einmal in Deutschland geherrscht haben. Tun sies noch?

Ich beabsichtige nicht, diesen klaren Kampf in das Gebiet der Kunst herüberzuziehen. Davon brauchen Richter nichts zu verstehen, und sie verstehen auch nichts davon. Aber daß die ekelhaften Beschimpfungen eines Teiles der Volksgenossen – soweit er pazifistisch, radikal oder[29] gar jüdisch ist – straflos bleiben, und daß Kritik am Heer heute noch als Sakrileg geahndet wird: das gilt es, ihnen auszutreiben.

Diese Generation freilich ist unheilbar.

Sagt wenigstens ihren Kindern, was das gewesen ist: die preußische Wehrpflicht und der preußische Militarismus – und lehrt sie, bewaffnete Söldner als das zu werten, was sie sind.


  • · Ignaz Wrobel
    Die Weltbühne, 28.04.1921, Nr. 17, S. 454.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 3, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 26-30.
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