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[186] In den tiroler Volksstücken, die wohl jeder schon einmal gesehen hat, ist es nicht die wirkungsloseste Szene, wenn der arme alte Großvater und das kleine Enkelkind verlassen, hungrig und müde auf einem Stein sitzen und ununterbrochen stöhnen: »'s is a Kreuz!« Dann geht eine Bewegung durch das ganze Theater: die Damen ziehen ihre kleinen Schnupftücher, ernste Männer nehmen den Kneifer ab und putzen ihn nachdenklich, und in der Dunkelheit hört man ein–, zweimal richtig schluchzen . . . Bis dann der edle Wohltäter erscheint und die beiden armen Leute da oben auf der Bühne von allem Leid erlöst . . .
Unser früheres Herrscherhaus führt augenblicklich so ein tiroler Volksstück auf. Es ist nicht zu glauben, welch eine Woge von Rührseligkeit über die Zeitungsleser seit Wochen und Monaten ausgeschüttet wird: vom ersten Krankheitstage der Kaiserin bis zur neuesten Biographie des Kronprinzen jammert ein unendlich sentimentaler Chor: Die armen, armen Hohenzollern!
Der Kaiser als Gatte, der Kaiser als Witwer, der Kronprinz als Mensch und Sohn – verbannt, elend, einsam und allein – eine außerordentlich geschickte Mache wendet sich an das öffentliche Mitgefühl, an die stets funktionierenden Tränendrüsen der Masse –– Und hat Erfolg.
Es ist erstaunlich, wie selbst gerissene und kluge Geschäftsleute, wie gebildete Menschen – und besonders die Frauen – auf diesen empfindsamen Feldzug hereinfallen. Was ist denn eigentlich los?
[186] Die Hohenzollern haben eine Politik gemacht, die ihnen den Thron gekostet hat. Sie sind – ihr Oberhaupt an der Spitze – geflohen, als die Situation brenzlig wurde und als jene Verantwortung angefangen hatte, von der wir so oft gehört haben. (Denn man kann die Flucht des Kaisers mit allen möglichen Deutungen zu erklären versuchen – ableugnen kann man sie nicht.) Die Hohenzollern haben ferner ihr gesamtes Privatvermögen ausgeliefert bekommen (es sind recht wohlhabende Menschen – und noch einen großen Teil jener Vermögensteile dazu, von denen man nicht genau weiß, ob sie dem Staat – also uns – oder ihnen gehören. Sie haben keinen Grund zu jammern. Jedes Geschäft trägt ein Risiko in sich – und ihnen ist nun das geschehen, was jedem von uns täglich zustoßen kann: sie haben keinen Erfolg gehabt. Ein lebenskräftiger Mensch findet sich damit ab).
Die Hohenzollern weinen. Sie weinen ununterbrochen. Die albernsten und sentimentalsten Rührgeschichten durchlaufen das Land – neuerdings beweinen die Leute in den Kinos sogar den alten armen Friedrich den Zweiten, weil er von seinem Vater malträtiert worden ist. Es ist halt eine bedauernswerte Familie . . .
Es scheint die höchste Zeit, daß man zum Ausdruck bringt, es gäbe auch noch verständige Leute, die auf diesen Unfug nicht hereinfallen. Wer wird denn weinen . . . !
Und wenn bei euch wieder ein sentimentaler Leierkastenmann auf dem Hof spielt und seine alten Walzen dreht von der Rasenbank auf dem Elterngrab und von dem armen alten Kaiser und von dem guten, armen Kronprinzen, der jetzt mit seinem Buch bei denen, die nicht alle werden, ein Vermögen verdienen kann und von den armen Prinzenkindern, die nicht einmal mehr eine Parade zu sehen kriegen –: wenn der Mann da unten um seine Groschen den Kasten schnarren läßt – dann macht das Fenster auf und ruft herunter:
Betteln und Musizieren ist hier verboten!