Vorn an der Rampe

[135] Man ist sehr streng in unsern Orten,

dem Staatsanwalt kann nichts entgehn . . .

Drum sprech ich nur in halben Worten –

wer Bildung hat, wird mir verstehn!


Herr Edschmid, eins der größten Lichter,

tut stark an der Grammatik drehn.

Doch gibts noch ville schönre Dichter . . .

Wer Sternheim kennt, wird mir verstehn.


Ein Sprichwort ist in jedem Falle

gut angebracht und wunderschön:

»Die Dummen werden niemals alle.«

Wer Consols hat, wird mir verstehn.


Der falsche Wilhelm ziert die Haare

der Damens, die auf Bälle gehn.

Und doch ist Einfachheit das Wahre.

Wer Holzbock kennt, wird mir verstehn.


Wie keusch war früher die Soubrette!

Heut kannste so viel Akte sehn –!

Ich lieb nur noch in Balltoilette . . .

Wer Cellyn kennt, wird mir verstehn.


Wenn einer eigne Ideen hat,

dann schreit bestimmt ein Knickebeen,[135]

daß es das alles schon gesehn hat –

wer Jeßner kennt, wird mir verstehn.


Ein Frauenarzt, der nichts verratzt hat,

kann sich ne Villa kaufen gehn,

weil er sein Geld zusammengekratzt hat.

Wer Bildung hat, wird mir verstehn.


Soll ich von Polletike singen

und sagt S. J.: »Nu mach mal een!« –:

denk ich an Götz von Berlichingen.

Wer Bildung hat, wird mir verstehn –!


  • · Theobald Tiger
    Die Weltbühne, 02.03.1922, Nr. 9, S. 224.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 3, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 135-136.
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