»'n Augenblick mal –!«

[323] Wenn du bei der ›Deutschen Grundstücksverwertungs-Aktiengesellschaft‹ (unter dem tut sies nicht!) anrufst, dann meldet sich erst eine dünne, quäkige Mädchenstimme. Und weil du sowieso schon den Bauch voller Zorn hast – weil jener die Steuern falsch verrechnet hat und überhaupt –, so betest du böse und eilig deinen ganzen Spruch herunter und schließt mit der siegreichen Frage: »Also, was wird nun mit der Steuer?« – Und dann überlegt sich die kleine Mädchenstimme die ganze Geschichte einen Augenblick und spricht dann unfehlbar: »'n Augenblick mal!«

Und dann mußt du eine halbe Stunde am Telefon stehen.

Dieser »Augenblick« begegnet uns alle Augenblick.

Nun mag das ja wirklich nicht so einfach sein, in einer großen Organisation – und wo wären in Deutschland nicht große Organisationen! – gerade auf den einen, winzigkleinen Punkt zu treffen, der zuständig ist – in diesem Heer von Hosendurchsitzern, Wichtigmachern, Anschnauzern, Vorgesetzten, verhinderten Vorgesetzten und Botenfrauen gerade jenen einen Beamten zu finden, der dein Schriftstück in der Mache hat. Das ist gewiß nicht leicht. Aber so schwer sollte es einem denn doch nicht gemacht werden.

Vor allem ist so possierlich zu beobachten, wie die Leute, die sonst so gar keine Zeit haben, mit dieser ihrer Zeit umgehen. Der eine singt dem andern stundenlang eine Sache am Telefon vor, die den gar nichts angeht – und der holt einen dritten, und das Spiel wiederholt sich[323] und jeder sagt: »'n Augenblick mal!« – und inzwischen wächst einem der Bart durch den Tisch, und Harpener steigen unentwegt, die Sonne geht unter und wieder auf und wir stehen immer noch am Telefon. »'n Augenblick mal –!«

Es ist eine gewisse japanische Höflichkeit in diesem ›einen Augenblick‹! – So wie es der japanische Höflichkeitskodex vorschreibt, das eigene Haus und die eigene Person als möglichst miserabligt hinzustellen – »Darf Ihr untertänigster Knecht Euer Hochwohlgeboren in seine abscheuliche und niedrige Hütte einladen?« – so sagt der Mann am Telefon auch niemals, daß es Gott behüte zehn Minuten dauern wird, bis er den zuständigen Mann gefunden haben wird – er sagt auch nicht, daß er kein Wort von dem verstanden hat, was jener erzählt hat – er sagt auch nicht, daß sie gar nicht zahlen wollen, und daß ihm der Generaldirektor noch vor einer Viertelstunde gesagt hat: »Sie – wenn der damliche Panter noch mal wegen seines Vorschusses anklingelt, dann sagen Sie ihm –!« (Na, das kann er ja auch schließlich nicht bestellen!) – Er sagt auf alle Fälle, immer, unter allen Umständen: »'n Augenblick mal!« – Und du stehst da mit dem gewaschenen Hals.

Ja, man könnte natürlich reformieren. Man könnte sich ja angewöhnen, zuerst einmal kurz zu sagen, was man denn eigentlich wolle. Zum Beispiel: »Hier Müller. Anfrage wegen der Alimentationsakten der ziemlich unverehelichten Alwine Nordhäuser« oder: »Hier Schulze. Heftige Beschimpfung von euch Schiebern wegen des letzten Vertragsbruchs« – aber so kurz können sich nicht alle Menschen ausdrücken. Nein, und diese Reform wäre auch praktisch, und so etwas wollen wir nicht.

Und dann hat es ja auch so etwas himmlisch Bequemes. Zunächst mal hat sich der Telefonmann die Sache abgewimmelt – ja er ist doch nicht verantwortlich . . . Und das hat schon Dickens gewußt, wie es die oberste Pflicht eines tüchtigen Beamten ist, sich die Arbeit vom Leibe zu halten – und sie auf einen andern abzuwälzen.

Und ist das nicht überall so –?

»Herr Ludendorff! Wie war das 1918 –?« – »'n Augenblick mal!« – Schon ist er weg. – »Herr Kultusminister, wie sollen sich die armen Studenten weiter durchbringen –?« – »'n Augenblick mal –!« – Auf Wiedersehen. »Herrschaften, wann bringt ihr denn nun euer Debetkonto in Ordnung?« – »'n Augenblick mal –!« Tot. Aus. Zerplatzt. Er ist heilsam und bekömmlich, der Augenblick.

Sehen Sie, das Telefon ist eine schnelle Erfindung. Und weil da alles ganz fix gehen muß, deshalb spielt sich das so ab:

Der Kunde ruft an. Fräulein Emmy geht ans Telefon, sagt schnurrend den langen Titel ihrer Gesellschaft herunter, und jetzt fängt der Kunde sein Lamento an. Ach Gott – das gute Kind kommt gar nicht[324] zu Worte. Und den ersten Punkt, den jener macht, wartet sie ab und schöpft ganz schnell Atem und haucht hinein: »Einen Moment mal –!« Und legt den Hörer hin und manikürt sich ein bißchen die schlanken Finger und sieht sich schutzsuchend im Lokal um, wo denn der allgewaltige Prokurist sei. Aber der ist gerade nicht momentan – und so läßt sie denn den Hörer mit dem zappelnden Kunden auf der anderen Seite noch ein bißchen liegen und frühstückt ein wenig und liest den neuen Roman ihrer Zeitung – und: »Richtig, ja!« – und stürzt dann davon, den Mann von der Spritze zu suchen. Inzwischen verschlechtert sich der Gesundheitszustand des Kunden zusehends, und daher sind wir auch alle so nervös.

Ich will es jetzt aber auch so machen.

Und wenn ich wieder einmal durch die Friedrichstraße gehe, und eine Fürstin segelt mich leise an, so eine vollbemastete Brigg mit achtzehn Knoten in der Stunde, und funkt zart herüber: »Na – Kleiner?« – dann will ich ganz bestimmt erstaunt aufsehen und sie anlächeln und freundlich sagen:

»Einen Augenblick mal –!«


  • · Peter Panter
    8-Uhr Abendblatt, 26.05.1923.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 3, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 323-325.
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