Auslandskorrespondenten

[447] »Ist es ein Herr oder ein Mitarbeiter?« fragte ich.

Stephen Leacock


Das große Kapital, das die deutsche Industrie im Nachrichtenwesen investiert hat, ist gut angelegt, soweit die Wahrheit verhindert werden soll, ans Licht zu kommen, und soweit dadurch Geschehnisse, die sich beim besten Willen nicht unterdrücken lassen, umfrisiert werden. Es ist schlecht angelegt, wenn man so naiv ist, den Mann am letzten Ende der Kette, den Auslandskorrespondenten, wirklich als einen Saugnapf für die Ereignisse anzusehen. Er ist in den meisten Fällen ein Papierkorb.

Mit ganz, ganz wenigen Ausnahmen, die sich an den Fingern einer Hand aufzählen lassen, rangieren alle unsre Auslandsvertreter in der gesellschaftlichen Skala viel zu tief, um irgendetwas erreichen zu können. Das trifft auf die Botschaften zu, auf die Gesandtschaften, auf die Zeitungsberichterstatter, auf kaufmännische Vertreter – auf[447] alle, die Deutschland draußen so oder so darstellen und vertreten sollen. Ein geistig bedeutender Mensch kann sich in seiner Heimat wohl erlauben, sehr einfach und bescheiden aufzutreten, weil ja jeder seinen wirklichen Wert kennt. Im Ausland bemißt jeder den Ausländer zunächst nach dem einzigen Kriterium, das er für den Anfang hat: nach seinem gesellschaftlichen Auftreten. (Tun wir das in Deutschland nicht?)

Nun darf das Wort ›Repräsentation‹ nicht falsch verstanden werden. Es geht so schwer in einen deutschen Schädel hinein, was der Begriff ›Zweite Klasse‹ bedeutet – er kann sich immer nur die erste und die vierte vorstellen. Deutsche Gesandtschaften im Ausland sollen also nicht jeden Tag ein Gartenfest mit Feuerwerk geben, und deutsche Zeitungsleute sollen nicht vierzigpferdig über die Boulevards rollen. Aber sie sollen anständig auftreten, damit ihre Reichweite groß genug ist. Die meisten deutschen Zeitungsleute draußen sind Zaungäste.

Um in die kulturelle und soziale Struktur eines Landes ohne allzuviel Zeitverlust tief einzudringen, dazu bedarf es – neben den persönlichen Eigenschaften des Beobachters, wie Sprachkenntnis, Menschenkenntnis, natürliches Benehmen – guter gesellschaftlicher Beziehungen. Dieser Kontakt zur Gesellschaft der obern und auch noch der mittlern Klassen kostet Geld. Und für diese Art Spesen hat man in Deutschland niemals Verständnis gehabt.

Es ist ja nicht wahr, wenn heute alle Verlage erklären, die Situation sei schuld. Es hat niemals in Deutschland eine Situation gegeben, die einem Verlag erlaubt hätte, seine Auslandsberichterstatter so zu bezahlen, daß sie wirklich etwas ausrichten konnten, daß sie ein Spiegel, ja mehr: daß sie, wie die Engländer, eine Macht gewesen wären. Vor dem Krieg nicht, wo der deutsche Journalist, mit drei, vier Ausnahmen, immer hinter den Kollegen zurück bleiben mußte; während des Krieges gab es ihn nicht; und nach dem Kriege haben alle Unternehmer viel zu viel für Gott weiß welche Reklame bezahlt, als daß sie den Stützen des ausländischen Dienstes leichten Herzens hätten ermöglichen können, jemand ›zu sein‹.

Über die Komik von Spesenaufstellungen wollen wir uns gar nicht unterhalten. Aber zu glauben, daß man überhaupt mit

1 Droschke . . . . . . . 6 Schilling

1 Blumenbukett . . . . . . 10 Schilling

irgendetwas ausrichten kann, ist kindlich oder böswillig. Wenn der Auslandskorrespondent nicht ›einen Salon machen‹ kann (ein Begriff, den es im Ausland in der unsnobistischen Form gibt, wie man sie bei uns nicht mehr kennt) – wenn er nicht in der Lage ist, mehr als anständig aufzutreten, dann wird er immer bleiben, was er heute ist: eine Registriermaschine der Landespresse, angewiesen auf die[448] kleinen Klatschinformationen der Couloirs, der Kollegen, der zweiten Hand. Das ist nichts.

So, wie in Deutschland die bessern Sachen abends beim Dreimännerskat entschieden werden, am Stammtisch, bei stillen Besprechungen in einer Weinstube: so blühen die Beziehungen in England im Klub, in Frankreich auf den Teenachmittagen, in den Premieren, auf Banketts – und man kann sich eben nicht nur immer einladen lassen, sondern man muß selbst ein Gastgeber, ein Hausherr, ein Herr sein. Geld allein tuts nicht – aber ohne die nötige Unterlage ist das alles unmöglich. Diese Unterlage fehlt dem deutschen Auslandsjournalisten.

Daher ihre Schilderungen, die gewiß oft richtig sind, soweit man von außen richtig sehen kann – und die fast niemals tief in die gesellschaftliche Schichtung des fremden Landes eindringen. Denn man versteht Politik eben nicht, wenn man sich damit begnügt, den Meinungskompost von zwanzig Zeitungen auszuschreiben. Dieser Kram interessiert die Fachleute, ist eng begrenzt und in keiner Hinsicht für das ganze Land so maßgebend, wie es der Fettdruck vorgibt. Ein guter Reisebrief eines guten Engländers in den ›Times‹ wiegt Hundert und aber Hundert dieser aberwitzigen und lächerlich überschätzten Telegramme auf. Die letzte Schlußabstimmung im Senat besagt wenig – die wirklichen Ansichten einer herrschenden Klasse sehr viel. Aber die zu ergründen, genügt kein Telefon.

Der deutsche Kaufmann, der Verleger, der Finanzminister – möchten sie nicht nachdenken, wie sie selbst es machen? Geben sie denn jedem, der sich grade telefonisch anmeldet, und der da hereingeschneit kommt, sogleich bereitwillig und ausführlich über alles Auskunft? Stellt sich bei ihnen in ihren Geschäften vor jedem Besucher sofort die nötige Wärme ein, ohne die nun einmal eine vernünftige Unterhaltung nicht zu führen ist? Kein Gedanke. Der Berichterstatter eines ausländischen Blattes, den sie einmal gesehen haben, wird empfangen – gewiß. Aber sie reservieren die erschöpfenden Auskünfte für den engem Kreis. Und diesem engem Kreis gehört der deutsche Auslandsjournalist in den wenigsten Fällen an, weil er dessen gesellschaftliche Lasten nicht tragen kann.

Die sind nicht einmalig. Um eine Rolle zu spielen, braucht man sich kein Monokel einzuklemmen oder sonst den Snob zu markieren – man darf überhaupt nichts markieren. Sondern man muß ein wirtschaftlich völlig gesicherter Mann sein, einer, der auch noch über einen gewissen, nicht zu kleinen Repräsentationsfonds verfügt – denn wenn der Auftraggeber nicht so viel Vertrauen hat, wie soll das Publikum zu solchen Berichten Vertrauen haben?

Aber darauf kommts wohl nicht an. Die grauenhafte Gleichgültigkeit, mit der dieser unendlich wichtige Betrieb gehandhabt wird, die[449] Wurstigkeit, mit der Telegramme gedruckt werden, wenn sie nur neu sind, und das völlige Unverständnis, womit Zeitungen, Ämter und Organisationen den wirklichen Lebensfragen des Auslandes gegenüberstehen – das findet seinen Ausdruck in der völlig unzureichenden Besoldung derer, deren Hauptaufgabe sein sollte, die Wahrheit zu sagen. Sie sagen – oft ganz ehrlich –, was sie grade auf der Straße finden. Aber das ist nicht immer die Wahrheit.

Es handelt sich nicht um eine Aufbesserungsfrage, es handelt sich hier nicht um bessere oder schlechtere Bezahlung. Was ich für meine Kollegen, die draußen tätig sind, fordere, ist dies:

Trefft eine sorgfältige Auslese – es gibt charakterfeste und anständige Menschen genug, ihr müßt sie nur zu finden verstehen. Und schickt diese Männer nicht als kleine Schreiber und Telefonstenografen hinaus, rechnet ihnen nicht die Flaschen Wein vor, die sie einmal, zu einem bestimmten Zweck, zwei Tage vor der Wahl oder vor dem Kongreß, bezahlen und trinken mußten – sondern schafft Machtpositionen, Kraftstationen und einflußreiche Vertreter eurer Interessen. Das gesamte Ausland rangiert sozial viel unbarmherziger ein, als wir es tun; wohnst du in London im Westen, dann bist du unweigerlich eingeordnet; verkehrst du in Paris in einer bestimmten Gesellschaftsklasse, dann weiß die Welt, auf die es für dich ankommt, Bescheid. ›So tun‹ gibts draußen nicht. Vor allem nicht auf die Dauer. Und die wahren Informationen, die, die über den Tag hinaus Wert haben, holt man nicht für eine Sechserzigarre beim Portier des Außenministeriums.

Macht deutsche Auslandsjournalisten. Ihr habt noch fast keine.

Aber bei uns haben ja die Unternehmer immer nur kalkuliert und nie gerechnet.


  • · Ignaz Wrobel
    Die Weltbühne, 28.08.1924, Nr. 35, S. 320.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 3, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 447-450.
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