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[528] »Ich habe sehr schöne Augen, die manchmal sehr grausam wirken können, und meine Stimme hat (wenn ich es will) etwas so dämonenhaft Süßliches, daß es die schönste Frau in meinen Bann treibt.« Allmächtiger Gott, was ist hier los –? Nichts. Der Mann auf dem Kabinett hats mit der Lyrik.
In diesem Fall handelt es sich um das ›Kuriositäten-Kabinett‹ von Emil Szittya (erschienen im See-Verlag zu Konstanz).
Wenn man aus der großen Literatur einmal verschwinden muß, um die Nebenräume aufzusuchen, so steht da jener mit dem Handtuch und sagt: »Bitte sehr! Bitte gleich!« Nun wäre es keine schlechte Aufgabe, die Geschichte der neuem europäischen Psychopathen zu schreiben, jener Künstler, Auchkünstler, Nebenkünstler, jener Maler, die nicht malen, aber gut darüber sprechen; jener Schriftsteller, die nicht Schriftstellern, aber gut darüber sprechen; jener Volksredner, die nicht volksreden, aber schlecht darüber sprechen . . . kurz: das Romanische Café,[528] das Café de la Rotonde und so fort. Aber wenn man das macht, dann muß man das amüsant, überlegen, witzig, europäisch machen. Was hat nun Szittya gemacht –?
Er hat schlechten und dummen Klatsch gesammelt. Er hat über die bekannten Leute einen solchen Unfug aufgezeichnet, daß man sehr mißtrauisch an die Schilderung der Unbekannten herangeht. Der Mensch kennt halb Europa, soweit es in den Caféhäusern sitzt, aber begriffen hat er gar nichts. Der Jargon ist der eines entlaufenen Kommis. »Wedekind, der von Pike auf Künstler war.« »Bei Grosz war das Vaterproblem ein Schmerz, der ihn nicht nur zur Psychoanalyse, sondern auch zur Narkotik führte.« »Nicht nur in Deutschland, sondern auch in dem schönen Italien künstlern in letzter Zeit die Frauen viel herum.«
Die Angaben über die einzelnen Menschen sind, soweit ich es kontrollieren kann, falsch, ungenau und erstaunlich dumm. Der Schriftsteller Paul Cohen-Portheim wird als »der geheimnisvolle Herr Cohen« bezeichnet, und es heißt von ihm: »Cohen ist auch in Paris, Venedig und in London zu Hause. Wie er diese Kontraste zusammenbringt, weiß niemand.« Wie Szittya seine Kontraste zusammenbringt, ist schon klarer ersichtlich. Er trägt über Lenin, Hans Reimann, Zinkenfritz und Paul Scheerbart zusammen, was ihm grade in den engen Sinn kommt: Klatsch, Biographisches, das meistens unzutreffend ist, und seine Ansicht, die meistens krumm und schief ist. Dabei: welch außerordentliches Material! Was hätte man damit anfangen können! Ein guter Buchstoff. Ich habe einmal einen großen Arzt dieser Kreise kennen gelernt, an dessen Hauswänden Bilder aus allen Ländern der Erde hingen: holländische Schiffsoffiziere, deutsche Gelehrte, französische Literaten und amerikanische Dichter . . . Aber wie der kleine dicke Mann darüber sprach, das ließ einen doch erkennen: daß er nicht wußte, welches Menschenmaterial ihm da durch die Finger gegangen war.
Dieses Kuriositätenkabinett hat nur eine Kuriosität: das ist der Verfasser. Man tritt ins Kabinettchen, wäscht sich, trocknet sich die Hände, der Mann reicht einem das Handtuch und man fragt: »Was sind Sie denn früher gewesen?« – »Ich war das immer«, sagt der Mann. Und man reicht ihm einen Groschen, grüßt beim Hinausgehen und sagt: »Na – ist gut. Machen Sie nur brav weiter so!«