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[148] Ich brauche einen vollständigen Anzug; Frack, Beinkleider und eine Weste. Dhagla catha un; ek guft pathlun, kamarband ekghora.
Polyglott Kuntze: ›Hindostanisch‹
Als ich durchs Abiturium fiel, hatte der kleine Teuber eine Bierzeitung gedichtet, in der stand ein Fortsetzungsroman im Feuilleton, geschrieben im Stil der lateinischen Extemporalien. »Der Jüngling, mit Liebe zu jenem Mädchen behaftet, begab sich auf das Landgut des Vaters, und obgleich er nicht gewiß war, die Zustimmung dieses zu erringen, warf er sich demselben zu Füßen (Partizipium) und rief: ›O Vater! Laß mich der Hand deiner schönen Tochter teilhaftig werden!‹« Fortsetzung folgt.
Daß im gelehrten Mittelalter in der Küche nur deutsch, im Salon aber Küchenlatein gesprochen wurde, ist bekannt. Das Latein von heute ist das Cockney-Englisch, in manchen Kontinenten spanisch, aber trotzdem hat ein offenbar wieder auferstandener Mönch einen für Schüler und Humanisten gleich amüsanten Versuch gemacht: er hat ein Konversationsbuch in lateinischer Sprache herausgegeben. ›Sprechen Sie Lateinisch?‹ Von Dr. Georg Capellanus. (Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin.)
Für unsre Ohren, die die Profanierung dieses Unterrichtsgegenstandes nicht gewöhnt sind, klingt so ein Latein unsäglich komisch. (Das Buch ist es gar nicht, sondern es ist eine sehr lustige und mühelose Übung für die Herren Lateiner.) Es gibt Leute, die können es gar nicht – von einem aber heißt es gar verächtlich: »Er spricht Küchenlatein. Sermo eius latinus culinam redolet.« Pfui!
Besonders schön ist es, wenn so die alltäglichen Sätze in silberner Latinität auftauchen. Einer will spazieren gehen, aber er weiß noch nicht, wen er mitnehmen soll. Quid si Hugonem? Wie wäre es mit Hugo? Was lebhaft an die ostpreußische Wendung erinnert, die da in der Analogie die zweite Frage an die erste mit der Silbe ›Ei‹ knüpft. »Wie gehts der Mutter?« – »Danke, gut.« – »Ei dem Vatä –?« Das heißt: Und wie geht es dem Vater? So auch: Quid si Hugonem.
Mulmig wirds, wenn der Togabewehrte sich mit modernen Gegenständen zu befassen hat. Ein lateinisches Frühstück . . . das habe ich mir immer mal gewünscht. Bitte, bedienen sie sich: Velim tu ipse sumas! Aber was? Socolada, ut vocant. Schokolade, wie sie es nennen, sie, das profanum vulgus. Aber auch der Lateiner ist der Erde unterworfen. Vacuus mihi venter crepitat – mein leerer Magen knurrt, obgleich doch elixa, assa, frixa da sind: gekochte Eier, Spiegeleier und Rühreier. Nur nicht schämen! Proinde agito, ac si domi sis tuae! Tun Sie gerade, als[148] wenn Sie zu Hause wären! Und was ein feiner Lateiner ist, so rühmt er, der Hausfrau zu Gefallen, die Speisen. Ius est non inelegans! Die Soße (der Schüh) ist nicht unübel. Das Latein auch nicht. Und was tut Jannings derweilen? Ach, Emil . . . Aemilii, inter cenam tu non quod te dignum est facis! Emil, du benimmst dich bei Tisch nicht so, wie es sich für dich gehört!
Man muß sich überhaupt viel ärgern. Kellner! Wo bleiben Sie! Sie kümmern sich ja gar nicht um uns hier! Heus, puer, ubi cessas! nos hie plane neglegis! (Das müßte man einmal zu einem Kellner in Weimar donnernd sagen – mit einem Ruck erhöbe sich das gesamte Lokal und donnerte dagegen: »Juden raus!«) Aber auch hygienische Maßregeln finden sich in dem Führer durch Latinien: Übi in lectum inscenderis, ita te compone, ut neque pronus cubes neque supinus. Wenn du ins Bett gestiegen bist, so lege dich so, daß du weder auf dem Bauche, noch auf dem Rücken liegst! Und das erinnert mich an ein nicht im Lehrplan stehendes Gedicht, das wir in Sekunda in den Pausen auswendig lernten, und das da sicher einen Ausweg gefunden hätte. Ich weiß noch den Schluß: » . . . hymen semel perforatum – numquam reparabile.« Na, lassen wir das.
Morgentoilette. Ein bißchen schmuddlig, die Herren Lateiner, wie? Haec sordida summoveto ab oculis, invisent me fortasse quidam. Hänge die schmutzigen Dinger hier weg, daß man sie nicht sieht; ich bekomme vielleicht Besuch! Der Besuch kommt und ist sehr höflich. Wie gehts Ihrer Frau Gemahlin? Quid agis uxor tua? und dann die üblichen Gespräche. Nichts Neues? Nein? Die Politik . . . Gallia plura ceteris habet tormenta et milites plurimos. Frankreich hat die meiste Artillerie und sehr viele Soldaten. Und der andere, weil ihm nichts anderes übrigbleibt, ist ein tiefer Pazifist: Bombardis obicientur. Sie sollen als Kanonenfutter dienen. Ja, das soll vorgekommen sein.
Ein Kapitel heißt ›Gespräche mit dem Echo‹, und da sind alle diese alten, hübschen lateinischen Echoscherze aufgezeichnet, aufgebaut nach dem Prinzip: »Wat is Jochen Peeesel –?« Echo: »Eeesel . . . !« Der Rufer: »Non me delectant sermones tui disyllabi! Deine zweisilbigen Gespräche gefallen mir nicht!« Das Echo: »Abi! Schieb ab!«
Eine lateinische Lokomotive gibt es, auch Kegel, ja sogar: Modo mihi nuntiatum est filo aëno sororem esse desponsam. Eben habe ich ein Telegramm bekommen: meine Schwester hat sich verlobt. Precor, ut bene vertat! Herzlichen Glückwunsch!
Und der Lehrer ermahnt den Knaben: Noli arrodere ungues! Knabbere nicht an den Nägeln, du Ferkel! – Und die Mama erkundigt sich beim Herrn Lehrer ungefähr so: »Sage, ich beschwöre dich, du sehr gelehrter Mann, billigst du meinen Sohn?« und jener: »Du, ich bitte dich, übe ihn!« So gehts zu im lateinischen Leben.
Und als Anhang die alten schönen Verse und Hexameterspäße – es ist[149] gar kein schlechtes Mittel, junge Leute so im Unterricht anzuregen. Denn außer Schulpforta und dem Grauen Kloster und noch einigen wenigen werden es wahrscheinlich nicht eben viele Anstalten in Deutschland sein, die ihre Abiturienten als Leser des Lateinischen entlassen.
Nur eines möchte ich nicht mitansehn. Wenn sich der Verfasser des Werkchens, in Toga und Zylinder, zum Hades begibt, hinc longule est, es ist ein hübsches Stückchen Weg, und dort mit den alten, ehrwürdigen Original-Lateinern ins Gespräch kommt, was wird dann anheben? Lateinisch war eine südliche Sprache, bewegt und beweglich, mit sicherlich merkwürdigen Konsonantenbildungen, und weil heute keiner mehr weiß, wie sie ausgesprochen wurde, spricht sie jede Nation anders aus, bis zum englischen ›Weneih – Weideih – Weissei‹ – veni, vidi, vici . . . Der Verfasser, Dr. Capellanus, also hin zu dem ersten besten toten Römer, den Hut abgenommen und nach dem Weg gefragt. Die Seele blickt entgeistert. Er, nochmals lauter: »Salvete pariter omnes!« Guten Abend, alle zusammen! Nichts. Die Römer haben die Togen fester gefaßt und sehen den Eindringling stumm an. Und schließlich hebt einer von ihnen – es ist der Barbier des Pompejus, ein fetter, beweglicher Mann mit flinken schwarzen Äuglein und klassischem, imperialem Bauch – die ringgeschmückte Rechte und gibt der Meinung des ganzen Haufens gemessen Ausdruck. Er sagt: »Loquerisne lingua latina? Ja, Mensch, sprichst du denn kein Latein –?«
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