Beim Schneider

[316] Nun lasse ich mir einen neuen Anzug anmessen, und das ist eine seltsame Sache. Männer sind nie so komisch, als wenn sie rasiert werden oder beim Schneider vorm Spiegel stehn; was an kokettem Magdtum im Manne steckt, kommt sprühend ans Licht. So schön, wie sich jeder Mann beim Friseur vorkommt, möchte ich einmal sonntags sein. Freilich, beim Schneider sind wir nicht eigentlich schön, da sind wir nachdenklich.

Hier sind die drei Spiegel, einer für von vorn, und die beiden andern für die Seiten und gegebenenfalls für das Revers. Ja, da stehst du nun.

Während der dicke Schneider mit einem halben Pfund Stecknadeln im Mund und einem scheußlichen Schnupfen, den er mir sicherlich[316] überlassen wird, seine Bänder um mich schlingt, an mir herumzupft, sehe ich mich, nach so langer Zeit, im Profil. Pfui Deibel! Das Profil, sagt der Weise, ist am aufschlußreichsten . . . Und mit diesem Profil laufe ich also ganz nichtsahnend und selbstverständlich herum? Sehr unvorsichtig! Die Augen gehn ja noch an – aber welche Unterpartie! Das ist bitter. Und diese verkniffnen Lippen –! Ich habe immer gefunden, daß Leute mit leicht hervorstehender Unterlippe reich sind, sie schlürfen gewissermaßen das Geld auf, es gibt ihnen einen gesicherten, unbekümmerten Ausdruck . . . Ich stecke die Unterlippe ein klein wenig vor, gleich sehe ich viel wohlhabender aus, ich will jetzt immer so herumlaufen, mit einer ganz unmerklichen Schnute – das wird das Geld anziehn. Nur nicht vergessen –! Die roten Haare sind böse. Man kann eigentlich nicht sagen, daß sie lichterlohrot sind, aber etwas Ähnliches ist es schon. Also sagen wir: rot, aber interessant. Und diese fettigen Locken . . . haben nicht die Neger in Amerika ein Mittel erfunden, um Kraushaar zu glätten? Neulich hat ein völkisches Blatt über mich geschrieben: »Dieser degenerierte Wüstensohn . . . « Doch, das ist wahr.

So, jetzt pikt mich der Schneider mit der Nadel in die Haut, sagt: »Oh!«, das macht er immer so, und das nächste Mal legt er mir Zeuglappen um, die plötzlich ganz anders aussehen, als ich das bei der Bestellung gehofft hatte. Da hatten sie mir so feine Modeschnitte gezeigt, auf denen langbeinige, elegante Herren zur Promenade spazierten, sogar die Bäume im Hintergrund waren leicht übergebügelt . . . Und jetzt steht da ein großer, viereckiger Lümmel vorm Spiegel, mit etwas zu kurzen Beinen und einem Eierkopf . . .

Was den neuen Anzug betrifft, so gibt es zweierlei Arten von Menschen. Ich gehöre zu der andern. Die einen meinen nämlich, nun käme das große Glück, sehen verächtlich auf ihren alten herunter und ersehnen gierig den neuen. Ich für meinen Teil umfasse den treuen, alten Anzug mit zärtlichen, ja, liebenden Blicken – der sitzt, Gottseidank. Aber was wird das mit dem neuen werden? Er wird hinten an der Achsel eine Falte werfen, und vorn wird er sich spannen . . . Mißtrauisch sehe ich an mir herunter . . . »Na?« sagt der Schneider.

Ich habe nichts in den Taschen, der Anzug tut so, als säße er wie angegossen, das hat ihm der Schneider vorher beigebracht. Kaum bin ich draußen, stopfe ich eine dicke Viehhändler-Brieftasche in die Brust, ein Portemonnaie über den Popo links, einen riesigen Gefängnisschlüsselbund rechts, in die Seitentaschen ›L'Europe‹, ›L'Europe Nouvelle‹, ›L'Intransigeant‹ und, selbstverständlich, die ›Weltbühne‹. Und nun sehe ich aus wie ein Filmdirektor, als er noch soo klein war, bei einem Anzug darf man nicht sehn, daß er neu ist, meiner sieht schon, wie ich nach Hause komme, aus, als sei ich in ihm auf die Welt gekommen, und ich werde mir wohl bald einen neuen Anzug anmessen lassen.

[317] »Und das ist nun, angesichts der kulturpolitischen und wirtschaftskulturellen Probleme, Ihre Einstellung, Herr Panter?«

Ja, sieh mal an –


  • · Peter Panter
    Die Weltbühne, 05.01.1926, Nr. 1, S. 37.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 4, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 316-318.
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