Herrn Wendriners Jahr fängt gut an

[312] »'n Morgen, Herr Freutel, warum sind Sie noch nicht da –? Ach so, hier is keiner . . . ! Skandal, halbzehne – immer ist man der erste im Büro! Ach, da sind Sie ja! Wo wahn Sie denn so lange? Draußen? Ich[312] bezahl Sie nich für draußen – ich bezahl Sie für drin! Danke. Prost Neujahr, ich Ihn auch. Was is mit John und Eliasberg? Sie, das muß mir heute noch raus – wir schreiben 1926– das wird mir jetzt anders! Herein. Was wolln Sie? Prost Neujahr. Ja, ich weiß, danke, nein, weiter nichts. Den Mann wem wir bei nächster Gelegenheit rausschmeißen, Freutel – ich kann das Gesicht schon nicht mehr sehn. Werfen Sie die Tinte nich um! Herein. Prost Neujahr. Sie mir auch . . . ich Ihn auch. Ja. Danke. Freutel, riegeln Sie die Tür ab! – die Leute machen mich rein verrückt mit ihrem Prost Neujahr! Alle komm se am selben Tag damit! Der Kalender hängt schief, Freutel – ham Sie noch 'n Jammer von gestern? Da klinkt jemand an der Tür . . . Nein, lassen Se! Ach, Sie sinds, Kipper! Padong! Ich hab abgeriegelt, um ungestört ze arbeiten . . . Prost Neujahr. Danke. Gut amüsiert? Ihre Familie wohlauf? Ja? Na, das freut mich. Nehm Sie Platz! Danke, wir auch. Nehm Sie ne Zigarre? Ja, lieber Freund . . . ! Ich hab Ihnen gesagt, sprechen Sie im nächsten Jahr vor, ich wer mein Möglichstes tun – gewiß. Was? Was? Bis übermorgen abend? Kipper, machen Sie Witze? Wo soll ich bis übermorgen abend fünfzehntausend hernehmen? In bar? Lieber Freund, bin ich Schacht –? Gehn Sie zu dem – der gibt Ihnen auch nichts, aber er ist wenigstens prima. Ende der Woche? Ausgeschlossen. Lieber Kipper, gedulden Sie sich – nu hörn Se, nehm Sie Vernunft an! Ich bitte Sie – was ist das für ne Einstellung! Hier, ham Sie heute den Artikel im ›Börsen-Courier‹ gelesen? Sehr vernünftig; als ob er uns beide hier sitzen sieht – der Mann sagt: ›Die wirtschaftspolitische Krise ist ein Problem . . . ‹ Sie wollen keine Artikel, Sie wollen Geld? Was meinen Sie, wie gern möcht ichs Ihnen geben! Aber, lieber Kipper, wer zahlt mir –? Wir haben jetzt die Weihnachtsgratifikationen ausgeschüttet – auch schon was? Das sagen Sie nicht! Es multipliziert sich. Aber ich kann aus meiner Haut keine Riemen schneiden – ich kann nicht, nu machen Sie was! Kein Mensch zahlt Ihnen heute. Nu – prolongieren Sie schon – wir sind ein Haus von Renommee, das wissen Sie ganz genau, wir lassen keine Wechsel zu Protest gehn – wir prolongieren bloß . . . Fünfzehntausend . . . ! Na, also gut: zweihundertfünfzig bar. Ende der nächsten – warten Sie mal – übernächste Woche . . . und den Rest am 30. Juni – nun, ich hab doch gewußt, mit Ihnen kann man reden. Mein erstes Geschäft in diesem Jahr. Noch ne Zigarre? Nu – ich will Sie nicht aufhalten – vielleicht haben Sie noch Gänge . . . Jeder hat ja heute Gänge. Prost Neujahr! Auf Wiedersehn, Kipper. Freutel! Ist das die ganze Post? Kinder, ihr feiert zu viel. Weihnachten und Neujahr und dann noch der Sonnabend – das ganze Jahr nichts wie Feiertage! Lassen Sies klingeln – na, gehn Se schon ran! Wer is da? Mein Schwager? Gehm Se her. Morgen, Max. Ja, danke. Prost Neujahr! Schon zurück aus Glogau? Was machen die Schwiegereltern? Na, das 's ja fein. Gut bekomm?[313] Danke, wir auch. Ja. Nein. Weihnachten wars sehr gemütlich – wir wahn natürlich bei uns, ang Famiich. Hanni hat sich sehr gefreut. Mir? 'ne sehr aparte Flügeldecke. Ich hab se mir selbst gekauft – aber Hanni hat se mir geschenkt, als Überraschung. Fritz hat sich natürlich 'n Magen verdorben – wir sitzen bei Tisch, auf einmal kommt ihm der ganze Karpfen wieder raus. So 'n teurer Fisch. Ein Jammer. Es geht ihm schon wieder besser. Silvester –? Ich wollt ja zu Hause bleihm, aber Hanni und Lotte wollten ausgehn – sind wir ausgegangen. Erst warn wir im Schauspielhaus, zur Premiere – 'n sehr schöne Aufführung – Fuchsens warn auch da – sag mal, hast du mir nicht neulich erzählt, der Mann is in Schwierigkeiten? Sie saßen jedenfalls Parkettloge. Vorderplätze. Ja. Hinterher warn wir im Esplanaht. Erich hat 'n Tisch reservieren lassen. Sehr elegant. Ja, unverschämte Preise. Die Leute nehm für eine Flasche französischen Sekt fünfundsiebzig Mark. Wir ham nur eine Flasche genommen – den andern deutschen. Gehn Sie aus der Leitung! Sie Ochse, legen Sie doch den Hörer hin! Ungebildeter Lümmel! Ich führe meine geschäftlichen Gespräche, wanns mir paßt! Max! Max! Bist du noch da? Na ja, weiter wär wohl nichts. Ja, grüß schön. Danke. Hach . . . Was is nu schon wieder? Mojn, Blumann! Bitte, nehm Se Platz. Prost Neujahr. Danke. Was? Was –? Was wolln Se –? Reden Sie – ohne Umschweife. Was? Ich soll stunden? Ja, sagen Sie mal – das ist mir denn doch noch nicht vorgekommen – in diesem Jahr noch nicht! Sie versprechen mir – Sie versprechen mir, im Jahr 1926 wem Sie zahln, ich hab schlaflose Nächte Ihretwegen, die ganze Silvesterfeier is mir verdorben – gestern hab ich noch zu meiner Frau gesagt, du wirst sehen, Blumann zahlt – das ist ein anständiger Mensch – und jetzt sitzen Sie ganz kalt da und sagen: nicht vor Mai? Ja, lieber Freund, was glauben Sie denn? Meinen Sie, mir gibt einer Aufschub? Eben war einer da, bar auf n Tisch hat er bekomm, so schwers mir auch gefallen ist! Wechsel! Ich will Ihre Wechsel gar nicht sehn! Ich kenn Ihre Wechsel! Da wem Sie nächstens anbauen müssen, für die Prolongationen! Nein, keinen Tag. Was heißt das: Sie ham Frau und Kinder? Ich hab auch Frau und Kinder. Hätten Sie nicht heiraten solln. Nich eine Minute. Zahln Se. Ham Sie heute den Artikel im ›Börsen-Courier‹ gelesen? Hier, lesen Sie, was der Mann schreibt: ›Die wirtschaftspolitische Krise ist ein Problem . . . ‹ Nicht eine Sekunde Aufschub! Sie richten mich zugrunde, mich und mein Geschäft mit! Ist das ein Anfang vom Jahr! Wenn ich das gewußt hätte, wär ich überhaupt nicht ins Büro gekommen! Wenn man ne Verpflichtung eingeht, soll man sie halten – sind Sie 'n anständiger Kaufmann oder sind Sie ein Wechselschieber? Also? Hab ich mir gleich gedacht. Wenn ich bis nächsten Freitag mein Geld nicht hab – lassen Sie mich auch mal zu Worte komm – da solln Se sehn! Gut, liegen Sie auf der Straße! Sie wem schon nicht auf der[314] Straße liegen! Mit mir nich, ich sag Ihnen . . . Nein, ich bin für Sie nicht eher zu sprechen, bis Sie nicht . . . Atchö. Hast du das gesehn! Was wolln Sie, Freutel? Natürlich hab ihn rausgeschmissen –! Wie ich so zu mein Geld kommen werde –? Lieber Freund, ich wer Ihn mal was sagen: Wenn ich nicht prolongier, zahlt er ein bißchen was. So viel hat er. Prolongier ich aber – da zahlt er gar nicht. Ich kenn doch das von mir. Ich bin jetzt nicht zu sprechen! Prost Neujahr. Prosit Neujahr, Frollein Richter, Prost Neujahr! Freutel, machen Sie die Tür zu, zum Himmeldonnerwetter! Ach so, die ›B. Z.‹. Prost Neujahr, Schulz. Prost Neujahr!!! Freutel, ich geh mal raus – man ist doch auch nur 'n Mensch . . .

Das ist ein neues Jahr . . . Hier könnt mal gestrichen werden, wie oft hab ich das schon gesagt . . . So! Jetzt ist mir der Hosenknopp abgesprungen . . . ! Besetzt! Besetzt! Gehn Sie von der Tür weg. Sie könn doch hören, daß besetzt ist! Hach – Locarno-Geist in allen Parlamenten. Paris, den 2. Januar. Wie Havas meldet . . . Man ist ein geplagter Mensch. Die einzige ruhige Stunde, die man am Tage hat, is hier draußen –!«


  • · Kaspar Hauser
    Die Weltbühne, 05.01.1926, Nr. 1, S. 30.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 4, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 312-315.
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