Ein Briefwechsel

[162] Die Weltbühne

30. Dezember 1926


Herrn

Geheimrat Galle, Direktor beim Reichstag

Berlin


Sehr geehrter Herr Direktor,

als Nachfolger des verstorbenen Herrn Siegfried Jacobsohn erlaube ich mir ergebenst um die Ausstellung zweier Karten zu bitten, die mir, dem Herausgeber der ›Weltbühne‹ und meinem parlamentarischen Hauptmitarbeiter das Betreten des Reichstages gestatten. Da mir bekannt ist, daß an die Ausstellung einer Tribünen-Karte zunächst nicht zu denken ist, wäre ich Ihnen zu besonderem Dank verpflichtet, wenn uns zu informatorischen Zwecken wenigstens diese beiden Karten bewilligt werden könnten.

Indem ich Ihnen im voraus verbindlichst für Ihre Freundlichkeit danke, bin ich

mit den besten Empfehlungen

Ihr ergebner

Tucholsky

Reichstag

Berlin NW 7, den 10. Januar 1927


Auf das gefällige Schreiben vom 30. Dezember.

Wegen des ständig zunehmenden Fremdenverkehrs im Reichstag muß die Ausstellung weiterer Eintrittskarten aufs äußerste beschränkt werden. Ich bedauere daher, Ihrem Wunsche nicht entsprechen zu können.

Hochachtend

Galle, Direktor beim Reichstag


Die Weltbühne

12. Januar 1927


An den

Präsidenten des Deutschen Reichstags

Herrn Paul Löbe

Berlin NW

Reichstag


Sehr geehrter Herr Präsident,

in einem Schreiben vom 30. Dezember 1926 habe ich den Direktor beim Reichstag, Herrn Geheimrat Galle, um eine Karte für die Galerie gebeten; da mir die schwierigen Verhältnisse beim Reichstag bekannt[162] sind, habe ich ausdrücklich von der Bitte um eine Presse-Tribünen-Karte abgesehen. Mein Blatt, das ich für den verstorbenen Siegfried Jacobsohn leite, dürfte Ihnen bekannt sein.

Ich erhalte nun vom Büro des Reichstages eine von Herrn Geheimrat Galle unterzeichnete Postkarte, daß »wegen des ständig zunehmenden Fremdenverkehrs im Reichstag« meine Bitte abgelehnt wird. Abgesehen davon, daß mir der Reichstag kein Kurort mit Fremdenverkehr zu sein scheint, glaube ich, daß eine politische Wochenschrift von der Bedeutung der ›Weltbühne‹ im 23. Jahr ihres Bestehens wohl Anspruch auf die Erlaubnis hat, ihren politischen Mitarbeiter in den Reichstag zu entsenden, und da mir die Ablehnung meiner Bitte nicht gerechtfertigt erscheint, erlaube ich mir, Ihnen diese Bitte noch einmal vorzutragen.

Ich bin mit den besten Empfehlungen

Ihr sehr ergebner

Tucholsky


Der Präsident des Reichstags

Berlin NW 7,den 19. Januar 1927

Herrn Kurt Tucholsky

Berlin-Charlottenburg

Königsweg 33


Sehr geehrter Herr Tucholsky!

Die Reichstagsverwaltung trifft ihre Entscheidungen über die Zulassung neuer Bewerber um Karten zur Pressetribüne des Reichstags und um Zutrittskarten zum Hause im Einvernehmen mit der Vereinigung der Parlamentsjournalisten. Die Herren haben sich nun in Ihrem Falle ablehnend geäußert, weil nach ihrer Auffassung ein dringendes Bedürfnis zum Besuch des Reichstages für die Redaktion der ›Weltbühne‹ nicht bestehe. Daher sind Ihnen die beiden gewünschten Karten von der Verwaltung abgeschlagen worden.

Wenn Sie in Ihrem geschätzten Briefe vom 12. Januar 1927 den Passus über den ›Fremdenverkehr‹ bemängeln, so möchte ich zu Ihrer Orientierung mitteilen, daß außer den rund 250 Vertretern und Angestellten der Presse gegenwärtig etwa 354 nicht dem Reichstag angehörige Personen im Besitz von Zutrittskarten zum Hause sich befinden, und daß wiederholt im Vorstand des Reichstags eine Einschränkung des Kreises dieser ›fremden‹ Besucher verlangt worden ist. Einen Anspruch auf die Erlaubnis zum Besuch des Reichstagshauses, den Sie mit Rücksicht auf das 23jährige Bestehen und die Bedeutung Ihrer Wochenschrift erheben, bedauere ich grundsätzlich nicht anerkennen zu können.

In vorzüglicher Hochachtung

Löbe[163]


Die Weltbühne

22. Januar 1927


An den Präsidenten des Reichstags

Herrn Paul Löbe

Berlin NW 7


Sehr geehrter Herr Präsident,

auf Ihr Schreiben vom 19. d. M. erlaube ich mir, Ihnen ergebenst zu erwidern:

Daß es Parlamentsjournalisten gibt, die einem alten politischen Blatt, wie der ›Weltbühne‹, das Bedürfnis absprechen, einen Mitarbeiter in den Reichstag zu entsenden, wundert mich nicht. Daß aber ein ehemaliger Kollege, den ich mir in Ihnen zu sehen gestatte, einen moralischen Anspruch mit einem amtlich abzuweisenden juristischen verwechselt, hätte ich nicht geglaubt. Selbstverständlich steht die Entscheidung darüber, wer in den Reichstag einzulassen ist, bei Ihnen und Ihren Herren; daß heute 354 nicht dem Reichstag angehörende Personen im Besitz von Zutrittskarten sind, zeigt, in welchem Sinne die Ausgabe der Karten gehandhabt worden ist.

Die behördlichen Stellen des Reiches und der Länder beklagen so oft die mangelnde Mitarbeit von Intellektuellen, Ich glaube nicht, daß man sie auf diese Weise fördert.

Mit den besten Empfehlungen bin ich

Ihr sehr ergebener

Tucholsky


So weit eine Bürokratie, in der sich Herr Galle neben Herrn Löbe durch eine fast hüpfende Grazie auszeichnet. Dieser Präsident des Reichstages ist rettungslos in seinen ›Bestimmungen‹ verhaspelt und hat längst vergessen, daß er einmal, bis zu Gefängnisstrafen, mit Typen gekämpft hat, deren einer zu werden er auf dem besten Wege ist.

Leider scheint die Reichstagsverwaltung der Meinung zu sein, daß die dort tätigen Journalisten so eine Art Anhängsel zum Hauspersonal darstellten. Kürzlich haben ein paar flegelhafte Bemerkungen des Herrn A. Stein über die Gattin des Reichstagspräsidenten in seinen Rumpelstilzchen-Briefen, von Celsus im vorigen Heft der ›Weltbühne‹ zitiert, Herrn Galle veranlaßt, diesem Pressevertreter die Reichstagskarte zu entziehn. Herr Löbe hat jedoch diese Maßnahme sofort rückgängig gemacht, weil er nicht wünscht, daß Herrn Steins persönliche Entgleisung dienstlich geahndet werde. Man kann fragen, was fataler sei: die von Herrn Galle verschriebene Entziehungskur oder die von Herrn Löbe also begründete Amnestie. Die Herren übersehn, daß sich Journalisten nicht ›dienstlich‹ im Reichstag befinden, sondern in der Ausübung ihres Berufs. Wenn Herr Galle einen Journalisten zurechtweist, der es nicht lassen kann, auf die Gänge zu speien, befindet[164] er sich durchaus in den Grenzen seiner amtlichen Zuständigkeit. Wenn dieser Journalist jedoch sein Sputum zu Artikeln zu verarbeiten pflegt, steht er jenseits der Disziplinargewalt der Parlamentsdirektion.

Herr Stein schreibt kein gutes Deutsch und verstehts auch nicht. Sonst läse er Schiller. Schweizer: »So wollt ich doch, daß du im Kloak ersticktest, Dreckseele du! Bei nackten Nonnen hast du ein großes Maul, aber wenn du zwei Fäuste siehst – Memme, zeige dich jetzt!« Und da wäre es nun Sache der Zeitungsleute, die es so oft mit der Würde der Presse haben, nicht die Machtgelüste der Büros zu unterstützen, sondern ein talentloses Großmaul aus ihren Reihen zu entfernen, das über Frau Löbe, Frau Ebert und Fräulein Wels politische Siege davonträgt, die es gegen Männer nicht erringen kann.


  • · Kurt Tucholsky
    Die Weltbühne, 22.02.1927, Nr. 8, S. 310.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 5, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 162-165.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Das neue Lied und andere Erzählungen 1905-1909

Das neue Lied und andere Erzählungen 1905-1909

Die Sängerin Marie Ladenbauer erblindet nach einer Krankheit. Ihr Freund Karl Breiteneder scheitert mit dem Versuch einer Wiederannäherung nach ihrem ersten öffentlichen Auftritt seit der Erblindung. »Das neue Lied« und vier weitere Erzählungen aus den Jahren 1905 bis 1911. »Geschichte eines Genies«, »Der Tod des Junggesellen«, »Der tote Gabriel«, und »Das Tagebuch der Redegonda«.

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon