Gedanken eines Arbeiters an einer Kreissäge

[398] Kreisch –

kreisch –

das Holz schreit, als ginge es ihm ins Fleisch . . .

Kalt heute.

Während ich hier steh,

laufen andere Leute durch den dicken Winterschnee.

Oben, auf den Bergen. Ja.

Die habens feiner

als unsereiner.

Dies Jahr

ist es das erstemal, daß ich auf Urlaub war –

seit dem Krieg. Acht Tage war ich in Ostpreußen oben –

Verflucht! jetzt hat sich der Antrieb nach links verschoben –

Willi! Schalt aus!

Schalt ein!

Kreisch – kreisch – – –


Die fahren Schlitten und auf so langen Dingern: die

heißen Ski.

Ich kann das nie.

Ich steh hier, in der Fabrik, tagaus, tagein

und schiebe Holz in die olle Molle rein.

Kaum, daß ich mich mal an die Maschine lehne . . .

Und die Sägespäne

fliegen rum und bringen einen zum Husten!

Saugvorrichtung? Der Alte wird dir was pusten!

Jetzt rutschen sie da in München immer munter

die beschneiten Berge runter –[398]

Mensch, einmal raus aus dieser verdammten Kluft!

Junge, einmal in die frische Winterluft!

Sich ausruhn, laufen, springen, sich sielen im Schnee –

hinterher tun einem so schön die Beine weh –

Und zu sehen, wie der Himmel glasig wird . . .

und jetzt können wir nicht mehr weiter, wir haben uns verirrt –

und ich trage der Marie die Dinger, die Skier – und dann kommen wir nach Haus . . .

Willi! Schalt aus!

Ausschalten –!

Kreisch – kreisch – – –


  • · Theobald Tiger
    Simplicissimus, 05.12.1927, S. 489.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 5, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 398-399.
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